Zu den Kapiteln
Auguste von Sartorius gründete als junges Mädchen in Aachen das spätere Kindermissionswerk der katholischen Kirche in Deutschland „Die Sternsinger“, das weltweit Hilfsprojekte für Kinder und Jugendliche in Armut finanziert. Als Ordensfrau leitete sie eine auf drei Kontinenten vertretene Frauenkongregation mit schulischer und erzieherischer Tätigkeit.
Auguste von Sartorius kam am 1.3.1830 in Aachen zur Welt, wo sie in St. Foillan katholisch getauft wurde. Ihr Vater war der angesehene Arzt Dr. med. Georg von Sartorius (1787-1856). Die Mutter Therese von Sartorius, verwitwete von Lerodt, geborene von Eynatten (1793-1881) hatte aus erster Ehe drei erheblich ältere Töchter. Beide Eltern zählten zum Kreis karitativ und sozial eingestellter katholischer Laien der Oberschicht, die sich gegen die Not der unteren Schichten engagierten. Damals lebte in der frühindustriellen Textilstadt Aachen ein großer Teil der Bevölkerung in prekären Verhältnissen. Therese von Sartorius arbeitete im Vorstand des Frauenvereins, der seit 1830 das „Mariannen-Institut“ unterhielt, ein vom Arzt Vitus Jacob Metz (1792-1866) in privater Initiative begründetes Entbindungshaus für mittellose Frauen. Zwei ihrer Töchter heirateten wenige Jahre nach Augustes Geburt und zogen fort. Die Mittlere blieb im mütterlichen Haushalt. Nach dem frühen Tod der ältesten Stiefschwester 1840 wuchsen deren sechs Kinder gemeinsam mit Auguste von Sartorius auf. Diese erhielt ihre Ausbildung durch Privatunterricht, weil in ihrer Schulzeit eine gute höhere Mädchenschule in Aachen fehlte.
1845 oder 1846 - wann genau, ist nicht bekannt - führte Auguste von Sartorius das 1843 in Nancy entstandene „Werk der heiligen Kindheit“ in ihrer Heimatstadt ein. Ob sie bei einem Besuch der Großeltern im belgischen Lüttich oder aus der katholischen Presse auf das „Oeuvre de la Sainte Enfance“ aufmerksam geworden war, lässt sich nicht mehr feststellen. Es handelte sich um einen Gebets- und Sammelverein für Kinder. Dessen Mitglieder förderten mit ihren Beiträgen und Geldsammlungen die christliche Erziehung von Kindern in Missionsländern. Außerdem verpflichteten sie sich, täglich für die „Heidenkinder“ zu beten. Auguste von Sartorius’ Begeisterung für die Mission und ihre Initiative waren typisch für die Epoche: Im 19. Jahrhundert entfaltete die Christenheit eine neue missionarische Dynamik. Die Gelder für die Mission beschaffte ein Netz konfessioneller Missionsvereine. So betätigte sich im Rheinland seit den 1840-er Jahren besonders der katholische „Franziskus-Xaverius-Verein“, den der Aachener Arzt Heinrich Hahn (1800-1882) gegründet hatte. Um ihren eigenen Verein zu verbreiten, suchte Auguste von Sartorius, nachdem sie zunächst auf sich gestellt agiert hatte, die Unterstützung des Aachener Klerus. 1847 gelang es ihr, den Priester Wilhelm Sartorius (1805-1880) - nur zufällig ein Namensvetter - zu gewinnen. Indem dieser und andere Geistliche das Anliegen des Vereins im Religionsunterricht und in Predigten aufgriffen, wurde er bekannt. Bei der Aufnahme erhielten die Mädchen und Jungen besondere Andachtsbildchen, die unter Kindern natürlich begehrt waren. Auf diese Weise stieg die Mitgliederzahl schnell. 1851 veranlasste der Pariser Generalrat des Vereins, dass in Aachen ein für die norddeutschen Bistümer zuständiger Verwaltungsrat eingesetzt würde. Als Präsident fungierte Pfarrer Sartorius, während Dr. Georg von Sartorius das Amt des Schatzmeisters übernahm. Auguste von Sartorius selbst gehörte dem männlich besetzten Gremium nicht an. Sie führte im Hintergrund jedoch die Geschäfte, bis sie am 17.11.1855 im niederländischen Blumenthal ihr Ordensleben begann. Bereits 1860 war der „Verein der heiligen Kindheit“, oft auch „Kindheit-Jesu-Verein“ genannt, in allen deutschen Bistümern verbreitet. Im katholischen Milieu bildeten seine Kollekten, Frömmigkeit und Feste bis ins 20. Jahrhundert hinein einen wesentlichen Bestandteil der religiösen Prägung von Kindern. Die 1959 eingeführte „Aktion Dreikönigssingen“ ist seit den 1980-er Jahren populär. Dabei ziehen Kinder als Sternsinger mit Segenswünschen von Tür zu Tür und sammeln Geld. Das Hilfswerk führt diese Spenden Projekten in Entwicklungsländern zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen zu.
Auguste von Sartorius schloss sich einem jungen Orden an. Die Gesellschaft der Ordensfrauen vom Heiligsten Herzen Jesu (Sacré-Cœur) war 1800 in Paris von Madeleine-Sophie Barat (1779-1865) gegründet worden und expandierte seitdem weltweit. Die Ordensfrauen widmeten sich auf der Grundlage ignatianischer Spiritualität und besonderer Herz-Jesu Devotion der Mädchenbildung. Sie betrieben parallel exklusive Internate für Töchter gut gestellter Familien und Armenschulen. Die Niederlassung in Blumenthal bei Vaals wurde 1848 errichtet, nachdem es nicht geglückt war, die heruntergekommene Aachener Mädchenschule St. Leonhard zu übernehmen. In Aachen hätte ein Provinzialat als Basis für Gründungen in den preußischen Westprovinzen entstehen sollen. Indes hatten die staatlichen Behörden der Stadtverwaltung nicht gestattet, die Schule einem Orden mit Mutterhaus in Frankreich zu übertragen.
Am 1.3.1856 erhielt Auguste von Sartorius in Blumenthal das Ordenskleid. Das zweite Jahr ihres Noviziats verbrachte sie in Conflans bei Paris, wo sie die Stifterin und erste Generaloberin persönlich erlebte. Wieder in Blumenthal legte sie am 5.3.1858 ihre ersten Gelübde ab. Mit Führungsqualitäten ausgestattet, musste sie bald danach die Novizenmeisterin bei der Anleitung der Novizinnen entlasten. 1861 übernahm Auguste von Sartorius die Leitung des Internats. Am 20.10.1863 feierte sie im Mutterhaus in Paris Ewige Profess. Ihr Einsatzort blieb weiterhin Blumenthal, wo sie am 14.5.1864 Hausoberin wurde. 1872 erhielt sie den Auftrag, im Kloster Marienthal, im Norden von Münster, ein deutsches Noviziat aufzubauen. Der politische Konflikt zwischen Staat und katholischer Kirche vereitelte dieses Vorhaben: Mit Gesetz vom 4.7.1872 wurden im Kulturkampf die Gesellschaft Jesu und ihr verwandte Orden und Kongregationen aus dem Deutschen Reich ausgewiesen. Da der Bundesratsausschuss für das Justizwesen die Kongregation vom Sacré-Cœur am 23.5.1873 als „jesuitenähnlich“ einstufte, musste Kloster Marienthal binnen Frist geschlossen werden. Auguste von Sartorius, die beim westfälischen Oberpräsidenten von Kühlwetter (1809-1882) gegen die Aufhebung protestiert hatte, kehrte nach Blumenthal zurück. Dort wirkte sie für einige Jahre ein zweites Mal als Hausoberin. Ihre nächste Aufgabe führte sie 1881 bis 1884 als Hausoberin nach Bois l’Évêque nahe Lüttich, wo sie sich auch in der Katechese für Bergarbeiterfamilien betätigte.
Seit 1818 waren die Ordensfrauen vom Sacré-Coeur in den USA vertreten. Mit der Massenimmigration aus Europa konnten sie sich dort im 19. Jahrhundert weit verbreiten. Als die zentrale Ordensleitung 1884 eine führungserfahrene und der englischen Sprache kundige Ordensfrau benötigte, die das Vikariat von Louisiana neu organisieren sollte, fiel die Wahl auf Auguste von Sartorius. Es galt, das Gebiet von Mexiko, das bis dahin zu diesem Verwaltungsbezirk gehört hatte, zu verselbstständigen. Nach zwei Jahren als Vikaroberin rief man sie nach Paris zurück, damit sie als Generalassistentin von der Zentrale aus die amerikanischen Niederlassungen betreute. Außerdem wurde sie zur Generalvikarin, also Stellvertreterin der Generaloberin ernannt. In diesem Amt repräsentierte sie ihren Orden 1888 in Rom bei den Feierlichkeiten zum Goldenen Priesterjubiläum Papst Leos XIII. (Pontifikat 1878-1903). Nach dem Tod der Generaloberin am 28.3.1894 wählte das Generalkapitel Auguste von Sartorius im ersten Wahlgang zur Nachfolgerin. Ihre Amtszeit währte nur zehn Monate. In dieser Zeit ließ sie im Geburtshaus der Ordensstifterin in Joigny eine Gedenkstätte einrichten. Am 8.5.1895 starb Auguste von Sartorius in Paris nach einem Schlaganfall. Sie wurde der Krypta des Klosters von Conflans begraben.
Literatur
Jansen, Wilhelm, Das päpstliche Missionswerk der Kinder in Deutschland, Seine Entstehung und seine Geschichte bis 1945, Mönchengladbach 1970.
Luirard, Monique, La société du Sacré-Cœur dans le monde de son temps, 1865-2000, Villeneuve d’Ascq 2009.
Vermehren, Isa, Auguste von Sartorius (1830-1895), in: Fischer-Holz, Elisabeth (Hg.), Anruf und Antwort, Bedeutende Frauen aus dem Dreiländereck, Band 2, Aachen 1991, S. 89-117.
Vie de la très révérende mère Marie-Augusta de Sartorius, quatrième supérieure générale de la Société du Sacré Cœur de Jésus, Privatdruck des Ordens 1899.
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Ostrowitzki, Anja, Auguste von Sartorius, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/auguste-von-sartorius/DE-2086/lido/57c942994c6f79.15772854 (abgerufen am 27.04.2024)