Beschreibung

Bekannte ehemalige SPD-Funktionäre wurden in der Brotfabrik "Germania" in Hamborn-Obermarxloh angestellt. August Kordahs, Sozialdemokrat und Mitglied des "Arbeiter-Turn-und Sportvereins Hamborn", hatte die heruntergewirtschaftete Brotfabrik im Herbst 1933 gekauft und wieder aufgebaut. Der Genosse stellte zahlreiche arbeitslos gewordene Sozialdemokraten und Gewerkschaftssekretäre aus Duisburg, Moers, Oberhausen und Dinslaken ein. Die Ruhrorter Lehrerin Hanna Niederhellmann, ebenfalls Sozialdemokratin, schlug Kordahs 1934 vor, seine Fabrik und deren Brotfahrer für den Vertrieb der Prager Exil-Zeitung "Sozialistischen Aktion" zu nutzen. Zwei neueingestellte Parteifunktionäre, Hermann Runge aus Moers-Meerbeck und Sebastian Dani aus Duisburg, übernahmen die Organisation des Vertriebs. Der Kreis vergrößerte sich rasch. Die Lieferungen gingen jetzt nicht nur nach Moers, Dinslaken oder Kamp-Lintfort, sondern u.a. auch nach Neuss, Düsseldorf, Aachen, Mülheim oder Essen. Als Touristen getarnte Kuriere brachten die illegalen Zeitungen zuvor mit dem Schiff oder mit dem Zug nach Duisburg. Das Material wurde in Zwischendepots, die sich zum Teil mitten in Duisburg befanden, gelagert und von Brotfahrern und deren Kontaktleuten verteilt. Mit Brotkutschen, Seifenkisten, Fahrrädern oder Motorrädern transportierten die Brotfahrer die Zeitschriften und Broschüren, versteckt in Zwiebacktüten oder Keksdosen. Hermann Runge schildert, wie er das "Material" über den Rhein in die Homberger Zechensiedlung Meerbeck brachte: "Oft haben wir die Schriften bei Kordahs in die Brand-Zwiebackpackungen gelegt. Ich musste meine Waren in Hamborn holen und dann in Homberg über die Rheinbrücke. Ein paar Mal bin ich von den Nazis kontrolliert worden. Aber die sind nie auf den Gedanken gekommen, in den Zwiebackpackungen nachzusehen. So kam das Material dann zu den Parteigenossen." Als Versteck für die verbotenen Schriften dienten Ziegenställe, Taubenverschläge oder Kohlenkeller in den Zechenhäusern. Auch die geheimen Treffen waren gut getarnt. Runge und seine Mitstreiter bauten einen großen Widerstandskreis auf, der von der niederländischen Grenze bis Westfalen reichte. Bis Mai 1935 konnte sich die geheime Organisation halten. Anfang Juni wurde sie zerschlagen. Den Anstoß für die Enttarnung gab der Moerser NSDAP-Ortsgruppenleiter und Polizeidezernent Otto Suhr. Folglich waren von einer Massenverhaftungsaktion, die insgesamt 600 Sozialdemokraten im Rhein-Ruhr-Gebiet galt, die meisten "Germania"-Mitarbeiter betroffen, insbesondere die Brotfahrer nebst Beifahrer und viele Brot- und Zeitungsempfänger. Hauptangeklagter war Alfred Nau, der von Berlin aus, später aus den Niederlanden die Verteilung der Zeitungspakete übernahm. Nau und 14 weitere Sozialdemokraten standen am 22.10.1935 vor dem vierten Senat des Volksgerichtshofs (Akz. 7 a OJs 165/35). Ein zweiter Prozess fand vor dem zweiten Senat des Volksgerichtshofs vom 30.11. bis zum 11.12. in Düsseldorf statt. Hauptangeklagte waren Hermann R. aus Moers sowie Hein H. und Willi Sch., beide aus Köln. H. wurde freigesprochen, andere zu insgesamt 69 Jahren und vier Monaten Zuchthaus verurteilt (Akz. 9 J 479/35). Es folgten drei Prozesse mit dem gemeinsamen Aktenzeichen 6 OJs 596/35 mit 48 (Gruppe L./Mönchengladbach, 4.1.1937: 69 Jahre und 11 Monate Haft), 58 (Gruppe R./Essen, 107 ½ Jahre Haft) und 61 (Gruppe L./Duisburg, 110 Jahre und vier Monate Haft) Angeklagten. Bei 61 Verhafteten kam es zur Einstellung des Verfahrens. 43 vorwiegend westfälische Angeklagte wurden in Hamm zu insgesamt 60 Jahren Zuchthaus verurteilt, darunter 20 Lüdenscheider, sechs Dortmunder, fünf Iserlohner (Akz. 6 OJs 548/35).

Quellen

Gerichtsakten nach Schabrod siehe Fallbeschreibung

Literatur

Schabrod, Karl, Widerstand an Rhein und Ruhr 1933-1945, Düsseldorf 1969, S. 81 f. Krampitz, Martin, "Lichter in der Finsternis" des Widerstandes, in: Der Westen, 21.7.2011 (http:"www.derwesten.de/region/niederrhein/lichter-in-der-finsternis-des-widerstandes-id4895038.html).

Sicherheit: belegt