Andreas Hermes

Politiker (1878-1964)

Andreas Burtscheidt (München)

Andreas Hermes, Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung/Archiv für Christlich-Demokratische Politik - Fotoarchiv.

Der in Köln ge­bo­re­ne Agrar­öko­nom, Zen­trums­po­li­ti­ker, Reichs­mi­nis­ter und Wi­der­stands­kämp­fer so­wie spä­te­re Mit­be­grün­der der CDU in Ber­lin ge­hört zu den viel­sei­tigs­ten po­li­ti­schen Ge­stal­ten und Ge­stal­tern im Be­reich des bür­ger­lich-ka­tho­li­schen Mi­lieus in Deutsch­land in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts. Als über­zeug­ter De­mo­krat und gläu­bi­ger Christ fie­len ihm wich­ti­ge Po­si­tio­nen in der Wei­ma­rer Re­pu­blik  wie in der Bun­des­re­pu­blik zu, doch zeigt das Schick­sal sei­ner Fa­mi­lie auch die Ab­grün­de des 20. Jahr­hun­derts.

An­dre­as Her­mes wur­de am 16.7.1878 als Sohn des Ei­sen­bahn­be­diens­te­ten An­dre­as Her­mes (1832-1886) und des­sen zwei­ter Ehe­frau Ma­ria The­re­sia (1839-1905), ge­bo­re­ne Schmitz, als jüngs­tes von drei Kin­dern ge­bo­ren. Aus der ers­ten Ehe des früh ver­wit­we­ten Va­ters stamm­ten zwei äl­te­re Halb­ge­schwis­ter. Wäh­rend der Va­ter aus ei­ner al­ten rhei­ni­schen Sei­den­we­ber­fa­mi­lie stamm­te, war es die Mut­ter, der An­dre­as Her­mes sei­ne bäu­er­li­che Her­kunft ver­dank­te. In Vet­tel­ho­fen im Kreis Ahr­wei­ler be­saß der müt­ter­li­che Gro­ßva­ter Jo­hann Ma­thi­as Schmitz ei­nen Bau­ern­hof. Der Va­ter hat­te zwi­schen­zeit­lich mit dem Ver­mö­gen der Mut­ter ver­sucht, sich als klei­ner Ge­schäfts­mann selb­stän­dig zu ma­chen, war da­mit aber ge­schei­tert und ließ sich schlie­ß­lich mit sei­ner Fa­mi­lie in Mön­chen­glad­bach nie­der, wo er als Pack­meis­ter in ei­ner Fa­brik be­schäf­tigt war.

So­wohl der Va­ter als auch der drei Jah­re äl­te­rer Bru­der Pe­ter (1875-1896), Theo­lo­gie­stu­dent in Bonn, star­ben früh, so dass die Mut­ter und die äl­te­re Schwes­ter The­re­se (ge­stor­ben 1940) die wich­tigs­ten Be­zugs­per­so­nen des jun­gen An­dre­as Her­mes wa­ren. In Mön­chen­glad­bach, wo Her­mes die Re­al­schu­le 1896 nach dem Ein­jäh­ri­gen ver­ließ, oh­ne Am­bi­tio­nen auf wei­te­re Jah­re in der Ober­re­al­schu­le, er­leb­te er nicht nur durch die ka­tho­li­sche Prä­gung der Mut­ter ei­nen als selbst­ver­ständ­lich zu prak­ti­zie­ren­den ka­tho­li­schen Glau­ben – auch der 1890 in Mön­chengl­ab­dach neu ge­grün­de­te Volks­ver­ein für das ka­tho­li­sche Deutsch­land mit sei­nem Bil­dungs­an­ge­bot lie­ßen An­dre­as Her­mes früh­zei­tig ein Ge­spür für re­li­gi­ös-kul­tu­rel­le und so­zia­le Fra­gen ent­wi­ckeln.

Die bäu­er­li­che müt­ter­li­che Groß­fa­mi­lie präg­te den jun­gen Her­mes zu­dem auf ei­ne an­de­re Wei­se: sei­ne Auf­ent­hal­te auf dem Land in Vet­tel­ho­fen lie­ßen sei­ne Lie­be zur Land­wirt­schaft ste­tig wach­sen. Gleich nach dem Ver­las­sen der Re­al­schu­le be­gann er 1896 ei­ne zwei­jäh­ri­ge land­wirt­schaft­li­che Aus­bil­dung in der Nä­he von Eus­kir­chen (Gut bei Satz­vey), ehe er ab 1898 an der land­wirt­schaft­li­chen Aka­de­mie in Bonn-Pop­pels­dorf stu­dier­te, die ei­ne Kom­bi­na­ti­on mit ei­nem uni­ver­si­tä­ren Stu­di­um er­mög­lich­te, so dass er auch Phi­lo­so­phie be­le­gen konn­te. 1898 trat er der ka­tho­li­schen Stu­den­ten­ver­bin­dung K.St.V. Rhe­no-Bo­rus­sia in Bonn im KV bei. Im An­schluss wech­sel­te er nach Je­na, spä­ter nach Ber­lin und un­ter­nahm zahl­rei­che Rei­sen durch Eu­ro­pa und nach Süd­ame­ri­ka, wo er sich für die Ver­ede­lung von eu­ro­päi­schen Zucht­tie­ren mit süd­ame­ri­ka­ni­schen Ras­sen in­ter­es­sier­te. Zwi­schen­zeit­lich ar­bei­te­te er in Clop­pen­burg als Land­wirt­schafts­leh­rer und als Be­ra­ter ei­nes Tier­züch­ters in Bonn. Nach dem Di­plom  und ei­nem Ex­amen als Tier­zucht­in­spek­tor er­hielt er 1903 ein Rei­ses­ti­pen­di­um des Preu­ßi­schen Land­wirt­schafts­mi­nis­ters, das ihn in die Schweiz und nach Frank­reich führ­te. Hier sam­mel­te er das Ma­te­ri­al, des­sen Aus­wer­tung in sei­ne Dis­ser­ta­ti­ons­schrift mün­de­te, die er 1905 an der Uni­ver­si­tät Je­na vor­leg­te und die spä­ter un­ter dem Ti­tel „Der Teil­bau in Frank­reich“ er­schien.

We­nig ließ in die­sen Jah­ren die spä­te­re Kar­rie­re ei­nes Po­li­ti­kers er­ah­nen. Die nächs­ten Sta­tio­nen des von frü­her Ju­gend an in­ter­na­tio­nal agie­ren­den Her­mes wa­ren Ber­lin und Rom. Zwi­schen 1906 und 1911 ar­bei­te­te er als wis­sen­schaft­li­cher Hilfs­ar­bei­ter in der Tier­zucht­ab­tei­lung der Deut­schen Land­wirt­schafts­ge­sell­schaft in Ber­lin, ehe er da­nach für drei Jah­re Di­rek­tor der tech­ni­schen Ab­tei­lung des In­ter­na­tio­na­len Agrar­in­sti­tuts in Rom wur­de. In Rom konn­te er in­ter­na­tio­na­le Kon­tak­te auf­bau­en, die ihm in spä­te­ren Le­bens­pha­sen noch von Nut­zen wa­ren. Als 1914 aber der Ers­te Welt­krieg aus­brach, ver­ließ er Rom, um sich frei­wil­lig zum Mi­li­tär­dienst zu mel­den. In den ers­ten bei­den Kriegs­jah­ren ver­sah er in Ber­lin or­ga­ni­sa­to­ri­sche Tä­tig­kei­ten, die ihm stets la­gen – et­wa im Kriegs­saus­schuss für Er­satz­fut­ter. In den letz­ten Kriegs­jah­ren küm­mer­te er sich auf dem Bal­kan im Auf­trag der Kriegs­roh­stoff­ab­tei­lung des preu­ßi­schen Kriegs­mi­nis­te­ri­ums um den Öl­f­rucht­an­bau in Ru­mä­ni­en und Bul­ga­ri­en.

Nach dem ver­lo­re­nen Ers­ten Welt­krieg ging der im­mer noch par­tei­lo­se Her­mes wie­der nach Ber­lin zu­rück und lei­te­te als Mi­nis­te­ri­al­di­rek­tor im Reichs­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um die Ab­tei­lung für Land- und Forst­wirt­schaft. Sei­ne bei­den gro­ßen Le­bens­prä­gun­gen Ka­tho­li­zis­mus und Land­wirt­schaft mün­de­ten nun in ei­nen drit­ten neu­en Le­bens­be­reich – die Po­li­tik, die sich im Deutsch­land der frü­hen Wei­ma­rer Jah­re in ei­ner schwie­ri­gen Auf- und Um­bau­pha­se be­fand. 1920 trat der rhei­ni­sche Ka­tho­lik Her­mes erst der ihm na­he­ste­hen­den Zen­trums­par­tei bei und ob­wohl er ei­gent­lich kei­ner­lei po­li­tisch-par­la­men­ta­ri­sche Er­fah­rung be­saß, schien er am ehes­ten ge­eig­net, das neu ge­schaf­fe­ne Reichs­mi­nis­te­ri­um für Er­näh­rung und Land­wirt­schaft auf­zu­bau­en und zu lei­ten.

Im ers­ten Ka­bi­nett des so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Reichs­kanz­ler  Her­mann Mül­ler (1876-1931) wur­de aus dem agrar­öko­no­misch bes­tens ge­schul­ten Prak­ti­ker im März 1920 der Reichs­mi­nis­ter und Po­li­ti­ker, des­sen enor­mes or­ga­ni­sa­to­ri­sches Ta­lent auch jetzt wie­der ge­schätzt und ge­fragt war. Er blieb bis März 1922 – auch un­ter Reichs­kanz­ler Kon­stan­tin Feh­ren­bach (1852-1926) – an der Spit­ze die­ses Mi­nis­te­ri­um. In den Fol­ge­ka­bi­net­ten der Reichs­kanz­ler Jo­seph Wirth (1879-1956) und Wil­helm Cu­no (1876-1933) be­klei­de­te Her­mes von Ok­to­ber 1921 bis Au­gust 1923 zu­sätz­lich das Am­t  des Reichs­fi­nanz­mi­nis­ters – bis An­fang 1922 in Dop­pel­funk­ti­on. In bei­den Äm­tern sah sich Her­mes oft­mals hef­ti­ger Kri­tik aus­ge­setzt, et­wa we­gen des Ab­baus der kriegs­be­ding­ten Zwangs­wirt­schaft, die aus Her­mes’ Sicht nur pri­vat­wirt­schaft­lich ge­re­gelt wer­den konn­te. An­wür­fe von Kor­rup­ti­on ge­gen den Mi­nis­ter und sei­ne Um­ge­bung, die über­zo­gen wa­ren, wie auch die ge­sam­te un­ru­hi­ge An­fangs­pha­se der Re­pu­blik mit Ruhr­kampf und In­fla­ti­ons­pro­ble­men mach­ten al­len po­li­tisch Han­deln­den das Le­ben schwer und Lang­le­big­keit in der po­li­ti­schen Ver­ant­wor­tung war kein Merk­mal die­ser Jah­re. Im Som­mer 1923 en­de­te die Mi­nis­ter­kar­rie­re von An­dre­as Her­mes wie­der.

Pri­vat brach­ten die frü­hen 1920er Jah­re ei­ne an­de­re Ver­än­de­rung mit sich: der 42-Jäh­ri­ge hei­ra­te­te 1920 die 16 Jah­re jün­ge­re An­na Schal­ler (1894-1976), die eben­falls aus dem Rhein­land stamm­te. Zwi­schen 1921 und 1931 wur­den erst drei Söh­ne und schlie­ß­lich zwei Töch­ter ge­bo­ren.

Nach sei­nem Aus­schei­den aus dem Mi­nis­ter­amt be­reis­te Her­mes die USA, ehe er 1924 für ei­ne Le­gis­la­tur­pe­ri­ode in den Preu­ßi­schen Land­tag ge­wählt wur­de. Vier Jah­re spä­ter zog er als Ab­ge­ord­ne­ter für die Zen­trums­par­tei in den Reichs­tag  ein. In zahl­rei­chen Po­si­tio­nen en­ga­gier­te er sich zu­dem in land­wirt­schaft­li­chen Or­ga­ni­sa­tio­nen, et­wa ge­hör­te er seit 1926 dem Auf­sichts­rat der Raiff­ei­sen­bank an. Von 1930 bis 1933 war er Prä­si­dent des „Reichs­ver­ban­des der deut­schen land­wirt­schaft­li­chen Ge­nos­sen­schaf­ten – Raiff­ei­sen e.V.“. 1928 trat er an die Spit­ze der „Ver­ei­ni­gung der deut­schen Bau­ern­ver­ei­ne“, die 1931 um­be­nannt wur­de in die „Ver­ei­ni­gung der deut­schen christ­li­chen Bau­ern­ver­ei­ne“. Hier spiel­te Her­mes christ­li­che Grund­prä­gung ei­ne ent­schei­den­de Rol­le, fan­den sich doch bei die­ser Ver­ei­ni­gung die ka­tho­li­schen Bau­ern­ver­ei­ne vor al­lem aus Bay­ern, Würt­tem­berg, dem Rhein­land und West­fa­len zu­sam­men. Es han­del­te sich um das mitt­le­re Bau­ern­tum, fer­ner be­stan­den als wei­te­re Ver­ei­ni­gun­gen vor 1933 noch der „Reichs­land­bun­d“, der die Gro­ßgrund­be­sit­zer des Os­tens in­te­grier­te und die „Deut­sche Bau­ern­schaf­t“ un­ter der Ge­schäfts­füh­rung Hein­rich Lüb­kes (1894-1972), die klein­bäu­er­li­che In­ter­es­sen ver­stärkt in den Blick nahm.

Die schwe­re Wirt­schafts­kri­se En­de der zwan­zi­ger Jah­re for­cier­te Über­le­gun­gen ei­nes Zu­sam­men­wir­kens der drei bäu­er­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen und im März 1929 ei­nig­ten sich die Spit­zen die­ser drei Or­ga­ni­sa­tio­nen auf die Bil­dung der so­ge­nann­ten „Grü­nen Fron­t“. Die­ser neue, aber recht lo­cke­re Dach­ver­band be­stimm­te An­dre­as Her­mes zu sei­nem Prä­si­den­ten, da er längst der mit Ab­stand ein­fluss­reichs­te Lob­by­ist der deut­schen Bau­ern­schaft ge­wor­den war und er blieb es bis 1933.

Mit der Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ge­hör­te An­dre­as Her­mes au­gen­blick­lich zu den ex­po­nier­ten Re­prä­sen­tan­ten des aus de­ren Sicht ver­ha­ß­ten Wei­ma­rer „Sys­tem­s“ und war so­gleich als Geg­ner des neu­en Re­gimes ge­brannt­markt. Ei­ne Ko­ope­ra­ti­on mit den neu­en Macht­ha­bern lehn­te er strikt ab. So nahm er auch nicht an der um­strit­te­nen Ab­stim­mung über das Er­mäch­ti­gungs­ge­setz am 21.3.1933 teil, da er an die­sem Tag be­reits Op­fer ei­ner ers­ten Wel­le von Ver­haf­tun­gen miss­lie­bi­ger po­li­ti­scher Geg­ner des Re­gimes wur­de. Sein Reichs­tags­man­dat hat­te er schon am 18.3.1933 aus Pro­test ge­gen das NS-Re­gime nie­der­ge­legt, das er zu­vor öf­fent­lich kri­ti­siert hat­te. Im Ju­li ver­ur­teil­te man ihn dann zu ei­ner vier­mo­na­ti­gen Ge­fäng­nis­stra­fe, die aber durch die Un­ter­su­chungs­haft als ver­bü­ßt galt.

Da An­dre­as Her­mes sei­ne Be­tä­ti­gungs­mög­lich­kei­ten in Deutsch­land als aus­sichts­los an­sah, ver­ließ er mit sei­ner Frau, aber oh­ne sei­ne Kin­der 1936 Eu­ro­pa und ging als Wirt­schafts­be­ra­ter für agrar­öko­no­mi­sche Be­lan­ge der Re­gie­rung in Bo­go­tá nach Ko­lum­bi­en ins Exil. Die fünf Kin­der nahm Her­mes` äl­te­re Schwes­ter The­re­se in Os­na­brück in ih­re Ob­hut. Als das Ehe­paar Her­mes 1939 nach Deutsch­land zu­rück­kam, um auch die Kin­der nach Ko­lum­bi­en nach­zu­ho­len, durch­kreuz­te der Be­ginn des Zwei­ten Welt­krie­ges die­sen Plan, ei­ne aber­ma­li­ge Aus­rei­se ge­lang nicht. Die Fa­mi­lie Her­mes ließ sich in Bad Go­des­berg (heu­te Stadt Bonn) nie­der, wo­hin die Schwes­ter The­re­se mit den Kin­dern be­reits 1937 ge­zo­gen war. An­dre­as Her­mes nahm über sei­ne zahl­rei­chen rhei­ni­schen Freun­de schon An­fang der 1940er Jah­re Kon­takt zu Wi­der­stands­krei­sen auf.

Über ei­ni­ge ka­tho­li­sche Wi­der­ständ­ler im Wes­ten des Rei­ches wie Prä­ses Ot­to Mül­ler, Bern­hard Let­ter­haus, Ni­ko­laus Groß (1898-1945) oder Hein­rich Kör­ner und Ja­kob Kai­ser (1888-1961), die sich als Geg­ner des Hit­ler-Re­gimes im „Köl­ner Kreis“ zu­sam­men­fan­den, kam er in Kon­takt zu Wi­der­stands­kämp­fern wie Carl Fried­rich Go­er­de­ler (1884-1945), Wil­helm Leu­sch­ner (1890-1944) und dem Ber­li­ner Rechts­an­walt Jo­sef Wir­mer (1901-1944) so­wie zu dem so­ge­nann­ten „Krei­sau­er Kreis“.

Als es am 20.7.1944 zu dem At­ten­tat auf Adolf Hit­ler (1889-1945) kam, das zum Ziel hat­te, Hit­ler durch Carl Fried­rich Go­er­de­ler als neu­en Reichs­kanz­ler zu er­set­zen, stand auch An­dre­as Her­mes auf ei­ner Lis­te mög­li­cher neu­er Reichs­mi­nis­ter mit dem Zu­stän­dig­keits­be­reich für die Land­wirt­schaft. Das Schei­tern des At­ten­tats und die Auf­de­ckung der be­tei­lig­ten Na­men führ­ten am 22.7.1944 zur Ver­haf­tung von Her­mes und zur Ein­wei­sung in das Ge­fäng­nis Ber­lin-Moa­bit. Bei dem sich an­schlie­ßen­den Schau­pro­zess wur­de An­dre­as Her­mes am 11.1.1945 durch den Prä­si­den­ten des Volks­ge­richts­hofs, Ro­land Freis­ler (1893-1945), als Hoch- und Lan­des­ver­rä­ter zum To­de ver­ur­teilt.

Das To­des­ur­teil ge­gen An­dre­as Her­mes war der un­heil­vol­le Hö­he­punkt im Le­ben der Fa­mi­lie Her­mes, de­ren christ­li­che Welt­an­schau­ung ein Haupt­mo­tiv ih­res Wi­der­stan­des war. Tief ver­wur­zelt im Glau­ben und eben­so treu ei­ner auf­rech­ten pa­trio­tisch-de­mo­kra­ti­schen Ge­sin­nung ver­pflich­tet, hat­te die Fa­mi­lie seit 1933 po­li­ti­sche Ver­fol­gung, die lang­jäh­ri­ge Tren­nung von El­tern und Kin­dern, Straf­pro­zes­se und schwe­re Schick­sals­schlä­ge er­tra­gen müs­sen. Der äl­tes­te Sohn Ot­to fiel 22-jäh­rig im Au­gust 1943 und we­ni­ge Ta­ge spä­ter An­fang Sep­tem­ber der dritt­äl­tes­te Sohn Bru­no 19-jäh­rig an der Ost­front im Sü­den der So­wjet­uni­on.

Die Dra­ma­tik der Ja­nu­ar­ta­ge 1945 sind den Er­in­ne­run­gen des zweit­äl­tes­ten Soh­nes von An­dre­as Her­mes zu ent­neh­men. Nicht wis­send, ob der Va­ter sei­nen letz­ten le­ben­den Sohn Pe­ter (ge­bo­ren 1922) noch ein­mal se­hen wür­de, schrieb er ihm aus der To­des­zel­le im Ber­li­ner Ge­fäng­nis in der Lehr­ter Stra­ße ei­nen be­ein­dru­cken­den Ab­schieds­brief. Als der Sohn am 23.1.1945 doch noch Fron­t­ur­laub er­hielt, um sich vom Va­ter in der To­des­zel­le zu ver­ab­schie­den, wur­den am sel­ben Tag zehn Mit­an­ge­klag­te aus dem Um­feld des 20. Ju­li ge­hängt, selbst Her­mes’ Zel­len­nach­bar Eu­gen Bolz (1881-1945) war dar­un­ter. Wäh­rend aber die so­wje­ti­schen Trup­pen im­mer wei­ter nach Ber­lin vor­rück­ten und An­na Her­mes sich in den Ta­gen und Wo­chen der dro­hen­den Voll­stre­ckung des To­des­ur­teils recht ge­schickt im Um­gang mit den Be­hör­den ver­hielt und ei­ni­ge Be­am­te im Reichs­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um die Voll­stre­ckung des Ur­teils auf­hal­ten konn­ten, ge­riet der Sohn Pe­ter auf dem Weg zu­rück an die Front schlie­ß­lich nach Mai 1945 in rus­si­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft.

Mit dem Ein­marsch der Ro­ten Ar­mee in Ber­lin am 24.4.1945 en­de­te die quä­lend un­ge­wis­se Zeit in der To­des­zel­le und der po­li­tisch völ­lig un­be­las­te­te Her­mes wur­de schon am 7.5.1945 vom so­wje­ti­schen Stadt­kom­man­dan­ten Ni­ko­lai Ber­s­a­rin (1904-1945) zum Er­näh­rungs­kom­mis­sar von Ber­lin er­nannt. Kurz dar­auf folg­te sei­ne Be­ru­fung zu ei­nem der vier Stell­ver­tre­ter des neu ein­ge­setz­ten Ber­li­ner Ober­bür­ger­meis­ters Ar­thur Wer­ner (1877-1967). Als ein­zi­ger bür­ger­li­cher Po­li­ti­ker ge­hör­te er dem ers­ten Ma­gis­trat von Groß-Ber­lin nach der Ka­pi­tu­la­ti­on an. Sein Wunsch von Ber­lin aus ein neu­es Reich­ser­näh­rungs­mi­nis­te­ri­um auf­bau­en zu kön­nen, blieb al­ler­dings Il­lu­si­on und schei­ter­te in ers­ter Li­nie an der so­wje­ti­schen Be­sat­zungs­macht.

Ein zwei­ter wich­ti­ger Vor­stoß von An­dre­as Her­mes in den Som­mer­wo­chen 1945 er­ziel­te eben­falls nicht die da­mit ver­bun­de­ne Hoff­nung: der Wunsch ei­ne bür­ger­li­che neue Par­tei mit christ­li­chem, aber über­kon­fes­sio­nel­lem Wer­te­f­un­da­ment zu eta­blie­ren, mün­de­te in die Grün­dung der Christ­lich De­mo­kra­ti­schen Uni­on in der So­wje­ti­schen Be­sat­zungs­zo­ne (SBZ), an der ne­ben Her­mes un­ter an­de­rem noch Ja­kob Kai­ser, Fer­di­nand Frie­dens­burg (1886-1972) und Walt­her Schrei­ber (1884-1958) be­tei­ligt wa­ren. Der Ber­li­ner CDU-Grün­dungs­vor­sit­zen­de Her­mes rich­te­te ei­ne Reichs­ge­schäfts­stel­le für die Ber­li­ner CDU ein und sah die­se als Keim­zel­le für ei­ne reichs­wei­te Par­tei­grün­dung. Das sa­hen die neu­ge­grün­de­ten west­deut­schen Par­tei­ver­bän­de an­ders. Grund­sätz­lich glaub­te Her­mes noch an den Fort­be­stand des Rei­ches, doch wur­den sei­ne Spiel­räu­me in Ber­lin in der SBZ im­mer schma­ler.

Ei­nen gra­vie­ren­den Streit­punkt lös­te im Som­mer 1945 die Fra­ge der Bo­den­re­form in der SBZ aus, die An­dre­as Her­mes nicht an­ders ge­löst se­hen woll­te als be­reits nach dem Ers­ten Welt­krieg, das hei­ßt er leg­te Wert auf die Wah­rung der Rech­te des Pri­vat­ei­gen­tums und die För­de­rung von Bau­ern­tum und Mit­tel­stand, ei­ne Ver­ge­sell­schaf­tung der Bo­den­schät­ze konn­te er sich da­ge­gen vor­stel­len. Die Ent­eig­nung im Sin­ne der so­wje­ti­schen Be­sat­zer lehn­te er aber strikt ab. Die­se wie­der­um wa­ren auf die Fa­mi­lie Her­mes und die po­li­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten von An­dre­as Her­mes nun noch auf­merk­sa­mer ge­wor­den und nah­men sei­nen Sohn Pe­ter ge­wis­ser­ma­ßen in Sip­pen­haft: Frei­heit für den Sohn aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft, wenn der Va­ter den Grund­sät­zen der so­wje­ti­schen Bo­den­re­form zu­stimm­te und sich künf­tig ko­ope­ra­tiv ge­gen­über den Kom­mu­nis­ten ver­hiel­te. Für Va­ter und Sohn war dies kei­ne Op­ti­on, für Pe­ter Her­mes folg­ten je­doch noch fünf wei­te­re Jah­re in rus­si­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­gern.

Die Mög­lich­keit der po­li­ti­schen Be­tä­ti­gung in der SBZ war für An­dre­as Her­mes nicht mehr ge­ge­ben und er trat ge­zwun­ge­ner­ma­ßen vom Par­tei­vor­sitz der CDU in der SBZ zu­rück und sie­del­te sich mit sei­ner Frau und den bei­den Töch­tern wie­der in Bad Go­des­berg an. Dort trat er der CDU in der west­li­chen Be­sat­zungs­zo­ne bei, traf aber auf ei­nen an­de­ren füh­ren­den Kopf der neu­ge­grün­de­ten Par­tei, der sich mehr zu sei­nem Ge­gen­spie­ler ent­wi­ckel­te – auf Kon­rad Ade­nau­er.

Her­mes’ Vor­stel­lun­gen be­züg­lich der wirt­schafts­po­li­ti­schen Pro­gram­ma­tik der CDU wie auch des Kur­ses der Po­li­tik der Bun­des­re­pu­blik ent­spra­chen nicht den Vor­stel­lun­gen Ade­nau­ers. Der von Her­mes ge­grün­de­te „Go­des­ber­ger Kreis“, der die Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands und ver­bes­ser­te Be­zie­hun­gen nach Ost­eu­ro­pa ver­folg­te, war mehr um­strit­ten als ak­zep­tiert. Auch die spä­te­re West­in­te­gra­ti­on der frü­hen Ade­nau­er­jah­re lehn­te er ab.

1947/1948 ge­hör­te Her­mes noch dem Wirt­schafts­rat und dem Par­la­ment der Bi- und spä­te­ren Tri­zo­ne in Frank­furt a.M. an und wur­de wie­der Vor­sit­zen­der des Er­näh­rungs­aus­schus­ses. Doch die Dif­fe­ren­zen zu Ade­nau­er führ­ten da­zu, dass er 1949 nicht ers­ter deut­scher Land­wirt­schafts­mi­nis­ter wur­de. Statt­des­sen wid­me­te er sich dem Auf­bau der land­wirt­schaft­li­chen Or­ga­ni­sa­tio­nen in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und de­ren In­te­gra­ti­on und Ver­net­zung im eu­ro­päi­schen Raum.

Von 1948 bis 1955 war Her­mes der ers­te Prä­si­dent des Deut­schen Bau­ern­ver­ban­des und von 1948 bis 1961 auch des Deut­schen Raiff­ei­sen-Ver­ban­des. Von 1954 bis 1958 be­klei­de­te er das Amt des Prä­si­den­ten des Ver­bands der eu­ro­päi­schen Land­wirt­schaft, ehe er sich aus Al­ters­grün­den da­nach mehr und mehr aus der Öf­fent­lich­keit zu­rück­zog. Hoch­be­tagt starb An­dre­as Her­mes am 4.1.1964 in sei­nem Land­haus in Krä­lin­gen in der Ei­fel. Zur Er­in­ne­rung an An­dre­as Her­mes ver­leiht der Deut­sche Bau­ern­ver­band die An­dre­as-Her­mes-Me­dail­le. Auch die An­dre­as-Her­mes-Aka­de­mie in Bonn trägt sei­nen Na­men. 2003 wur­de an­läss­lich des 125. Ge­burts­tags das Le­bens­werk mit ei­ner Son­der­brief­mar­ke ge­wür­digt.

Literatur

Buch­stab, Gün­ter, An­dre­as Her­mes (1878-1964), in: Aretz, Jür­gen/Mor­sey, Ru­dolf/Rau­scher, An­ton, Zeit­ge­schich­te in Le­bens­bil­dern, Band 6, Mainz 1984, S. 102-114.
Buch­stab, Gün­ter, Po­li­ti­sche Mit­te und na­tio­na­le Ein­heit. An­dre­as Her­mes 1878-1964, Sankt Au­gus­tin 1994.
Her­mes, An­dre­as, „Mit un­er­schüt­ter­li­chem Gott­ver­trau­en und zä­hem Kämpf­er­geist”. Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung, 2012, [On­line­fas­sung].
Her­mes, An­na, Und set­zet ihr nicht das Le­ben ein. An­dre­as Her­mes, Le­ben und Wir­ken, Stutt­gart 1971.
Her­mes, Pe­ter, Mei­ne Zeit­ge­schich­te 1922-1987, 2. Auf­la­ge, Pa­der­born [u. a.] 2008.
Mor­sey, Ru­dolf, An­dre­as Her­mes. „Ein christ­li­cher De­mo­krat in der ers­ten und zwei­ten deut­schen De­mo­kra­tie“, in: His­to­risch Po­li­ti­sche Mit­tei­lun­gen 10 (2003), S. 129-149 [On­line­fas­sung]
Reichardt, Fritz, An­dre­as Her­mes, Neu­wied a. Rhein 1953.

Online

Ru­dolf Mor­sey über "An­dre­as Her­mes (1878–1964). Vor­sit­zen­der der CDU" auf der Hom­pa­ge des Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung.
Scri­ba, Ar­nulf: Andre­as Her­mes; in: Le­ben­di­ges Mu­se­um On­line.

 
Zitationshinweis

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Burtscheidt, Andreas, Andreas Hermes, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/andreas-hermes/DE-2086/lido/57c82d22b836a9.48634951 (abgerufen am 19.03.2024)