Klaus Hemmerle

Bischof von Aachen (1929-1994)

Wolfgang Löhr (Mönchengladbach)

Bischof Klaus Hemmerle, Porträtfoto. (Bischöfliches Diözesanarchiv Aachen - Fotosammlung)

Als Klaus Hem­mer­le En­de Ja­nu­ar 1994 im Aa­che­ner Dom bei­ge­setzt wur­de, nah­men an der Ze­re­mo­nie fünf Kar­di­nä­le, 60 Bi­schö­fe, zahl­rei­che ka­tho­li­sche Prä­la­ten und mehr als 5.000 Trau­er­gäs­te teil. Der Vor­sit­zen­de der deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz Kar­di­nal Karl Leh­mann (ge­bo­ren 1936) be­zeich­ne­te in sei­ner Pre­digt den Ver­stor­be­nen als ei­nen „wah­ren Hir­ten" und frag­te, ob „viel­leicht ein hei­lig­mä­ßi­ger Pries­ter und Bi­schof zu Gra­be ge­tra­gen" wür­de, oh­ne dass man es rich­tig be­merkt ha­be. Die Trau­ern­den nah­men Ab­schied von ei­nem be­deu­ten­den Theo­lo­gen und Ober­hir­ten, der Zu­gang zu den Her­zen der Men­schen ge­fun­den hat­te.

Klaus Hem­mer­le kam am 3.4.1929 in Frei­burg im Breis­gau zur Welt. Sein Va­ter Franz Va­len­tin Hem­mer­le (1896-1968) wirk­te als Kir­chen­ma­ler; sei­ne Mut­ter Ma­ria (1896-1990) war die Schwes­ter des Kir­chen­mu­si­kers und Kom­po­nis­ten Franz Phil­ipp (1890-1972), der bis 1936 Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor in Mann­heim war. Von sei­nen El­tern erb­te Hem­mer­le sei­ne mu­si­sche Be­ga­bung. Er spiel­te vor­züg­lich Kla­vier, schrieb Ge­dich­te und mal­te Aqua­rel­le. Über 500 zählt das Aa­che­ner Diö­ze­san­ar­chiv. Hem­mer­le war sprach­be­gabt, lieb­te die Li­te­ra­tur und die Schö­nen Küns­te. Schon seit sei­ner Ju­gend kann­te er den Dich­ter Rein­hold Schnei­der (1903-1958), der bei sei­ner Fa­mi­lie öf­ters zu Be­such weil­te.

Als Schü­ler er­leb­te Hem­mer­le im Zwei­ten Welt­krieg die Zer­stö­rung sei­nes El­tern­hau­ses. In der Nacht des 27.11.1944 be­fand er sich wäh­rend ei­nes Flie­ger­an­griffs auf dem Weg zur Brand­wa­che. Das war die Nacht, die nach sei­nen ei­ge­nen Wor­ten „sei­nem Le­ben die Rich­tung gab". Er heg­te von nun an den Wunsch, Pries­ter zu wer­den. Im Ju­li 1947 leg­te er das Ab­itur ab und stu­dier­te an­schlie­ßend Theo­lo­gie in Frei­burg. Als Stu­dent fand er An­schluss an den ka­tho­li­schen Stu­den­ten­ver­ein „Ba­va­ria" im Kar­tell­ver­band ka­tho­li­scher deut­scher Stu­den­ten­ver­ei­ne (KV), dem er sein Le­ben lang die Treue hielt. Als sich in den 1970er Jah­ren die­ser Ver­band re­for­mier­te und un­ter an­de­rem die Auf­nah­me nicht­ka­tho­li­scher Chris­ten zu­ließ, trug Hem­mer­le die Re­for­men mit.

An der Frei­bur­ger Uni­ver­si­tät be­ein­druck­te ihn be­son­ders der Re­li­gi­ons­phi­lo­soph Bern­hard Wel­te (1906-1983), bei dem er 1954 ei­ne theo­lo­gi­sche Dis­ser­ta­ti­on über den Phi­lo­so­phen Franz von Baa­der (1765-1841) schrieb. Zu­vor war er am 25.5.1952 zum Pries­ter ge­weiht wor­den und da­nach ei­ni­ge Jah­re als Vi­kar ak­tiv ge­we­sen. Von 1954 bis 1962 bau­te er mit Er­folg die Bi­schöf­li­che Aka­de­mie in Frei­burg auf, die sich um die Be­geg­nung von Kir­che und Welt be­müh­te. 1967 ha­bi­li­tier­te sich Hem­mer­le in Frei­burg, eben­falls bei Wel­te, mit ei­ner Ar­beit über den Phi­lo­so­phen des deut­schen Idea­lis­mus, Fried­rich Wil­helm Schel­ling (1775-1854). Durch „das phä­no­me­no­lo­gi­sche Den­ken und die phi­lo­so­phi­sche Ar­beit" sei­nes aka­de­mi­schen Leh­rers lern­te er „das Se­hen, das Hin­se­hen, das Wahr­neh­men,… ganz gleich, ob es sich um Phi­lo­so­phie, Ar­chi­tek­tur, Mu­sik (oder) Poe­sie han­del­te" (Wil­fried Ha­ge­mann).

1968 kam Hem­mer­le als Geist­li­cher Di­rek­tor des Zen­tral­ko­mi­tees der deut­schen Ka­tho­li­ken (ZdK), der Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on der deut­schen ka­tho­li­schen Lai­en, nach Bad Go­des­berg (heu­te Stadt Bonn). In die­ser Ei­gen­schaft nahm er we­sent­li­chen Ein­fluss auf die Aus­rich­tung der Ka­tho­li­ken­ta­ge in Es­sen (1968), Trier (1970) und Mön­chen­glad­bach (1974) so­wie des Öku­me­ni­schen Pfings­tref­fens in Augs­burg (1971). Bis zu sei­nem Tod blieb er als ein­fühl­sa­mer bi­schöf­li­cher Be­ra­ter der ka­tho­li­schen Lai­en im ZdK an der geis­ti­gen und re­li­giö­sen Ori­en­tie­rung der Ka­tho­li­ken­ta­ge ma­ß­geb­lich be­tei­ligt. Nach­hal­tig be­ein­fluss­te er eben­falls die Dis­kus­si­on auf der Würz­bur­ger Syn­ode der Bis­tü­mer in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land 1971-1975 und er­wies sich als Brü­cken­bau­er zwi­schen den „manch­mal fast dia­me­tral in Span­nun­gen ge­gen­ein­an­der ste­hen­den Rich­tun­gen" (Ha­ge­mann). Das gilt auch für sei­ne Zeit als Bi­schof in der Deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz und bei den Bi­schofs­syn­oden in Rom.

Nach ei­nem kur­zen In­ter­mez­zo an der Uni­ver­si­tät Bonn als Pri­vat­do­zent ab Ju­ni 1969 nahm er 1970 ei­nen Ruf an die Ruhr­uni­ver­si­tät in Bo­chum auf den Lehr­stuhl für Fun­da­men­tal­theo­lo­gie an, den bis 1973 in­ne hat­te. Da­nach lehr­te Hem­mer­le in der Nach­fol­ge Wel­t­es bis zu sei­ner Be­ru­fung zum Bi­schof von Aa­chen 1975 als Pro­fes­sor für Christ­li­che Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie in Frei­burg.

Auf dem Ka­tho­li­ken­tag in Mön­chen­glad­bach 1974, auf dem er die Er­öff­nungs­an­spra­che hielt, konn­te er sich ei­nem grö­ße­ren Kreis Aa­che­ner Geist­li­cher be­kannt ma­chen. Sie emp­fah­len ihn ver­mut­lich nach dem Rück­tritt des Bi­schofs Jo­han­nes Pohl­schnei­der als des­sen Nach­fol­ger. Am 12.9.1975 wur­de er zum Bi­schof er­nannt und am 8. No­vem­ber des­sel­ben Jah­res im Aa­che­ner Dom von sei­nem Vor­gän­ger ge­weiht. Als Wahl­spruch wähl­te er ei­nen Satz aus dem Jo­han­nes­evan­ge­li­um: „Om­nes unum ut mun­dus cre­dat" (Dass al­le eins sein, da­mit die Welt glaubt). In der Deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz wirk­te er ab 1976 als Vor­sit­zen­der der Kom­mis­si­on für geist­li­che Be­ru­fe und kirch­li­che Diens­te. Papst Jo­han­nes Paul II. (Pon­ti­fi­kat 1978-2005) be­rief ihn 1978 in die Bi­schofs­kon­gre­ga­ti­on in Rom und ein Jahr spä­ter in die Kle­ri­ker­kon­gre­ga­ti­on. Ab 1979 ge­hör­te er für drei Jah­re dem Rat der Bi­schofs­syn­ode an.

Als Bi­schof ver­half er der Theo­lo­gie des Zwei­ten Va­ti­ka­ni­schen Kon­zils in sei­ner Diö­ze­se zum Durch­bruch. 1979 wähl­te er für die Aa­che­ner Hei­lig­tums­fahrt das Mot­to „Tuch­füh­lung mit Gott" als Deu­tung der Auf­ga­be des Chris­ten in der Welt. 1986 sprach er im Zu­sam­men­hang mit der Hei­lig­tums­fahrt und dem Aa­che­ner Ka­tho­li­ken­tag von der Weg­ge­mein­schaft des Vol­kes Got­tes im Glau­ben. Weg­ge­mein­schaft wur­de für ihn ein Schlüs­sel­wort für die Zu­sam­men­ar­beit der Pries­ter mit den Lai­en, der Ge­mein­den un­ter­ein­an­der und der Gläu­bi­gen schlecht­hin.

Hem­mer­le konn­te als Pre­di­ger fas­zi­nie­ren, aus dem Steg­reif ge­schlif­fen re­den, in Dis­kus­sio­nen zu­tref­fend for­mu­lie­ren, im klei­nen Kreis an­ge­regt er­zäh­len und die Her­zen der Men­schen durch sei­ne un­auf­dring­li­che Art ge­win­nen. Er ver­füg­te über ein phä­no­me­na­les sinn­li­ches und in­tel­lek­tu­el­les Ge­dächt­nis und er­in­ner­te sich so­fort an Men­schen, de­nen er ein­mal be­geg­net war. Hem­mer­le zeich­ne­te ein fei­ner Hu­mor aus und die Fä­hig­keit zu ver­zei­hen. Ei­tel­keit oder Gel­tungs­sucht la­gen ihm fern. „Das-sich-eins-Ma­chen wur­de zum Rhyth­mus sei­nes Le­bens. Er leb­te aus der tie­fen Über­zeu­gung, dass Gott Lie­be ist und dass folg­lich je­der Mensch von Gott ge­liebt ist." Die Lie­be „zu den Men­schen war für ihn wie ei­ne Quel­le" (Ha­ge­mann).

Be­reits als jun­ger Pries­ter war Hem­mer­le der Fo­ko­lar-Be­we­gung bei­ge­tre­ten, de­ren Mit­glie­der sich für die Öku­me­ne und den in­ter­re­li­giö­sen Dia­log ein­set­zen. Ih­re zen­tra­les An­lie­gen ist die Su­che nach Ge­mein­schaft und der Ver­stän­di­gung. An der Spit­ze stand bis zu ih­rem Tod Chi­a­ra Lubich (1920-2008), die 1943 die Ge­mein­schaft ge­grün­det hat. Sie hielt Hem­mer­le we­gen sei­ner „theo­lo­gi­schen Be­glei­tung und sei­ner in­spi­rie­ren­den Tä­tig­keit" für den Mit­grün­der ih­rer Ver­ei­ni­gung (Rein­hard Fei­ter) und hat ihn als je­mand be­zeich­net, der in das Wort Got­tes "ver­liebt" sei.

Als sich 1993 bei Hem­mer­le ers­te An­zei­chen ei­ner Krebs­er­kran­kung zeig­ten, trug er „die­ses Kreuz ge­dul­dig", ließ sich me­di­zi­nisch be­han­deln, setz­te aber sei­ne Ar­beit un­er­müd­lich fort (Mar­kus Pol­ter­mann/Ru­precht van de Wey­er). We­ni­ge Wo­chen vor sei­nem Tod pre­dig­te er am 31.12.1993 zum letz­ten Mal im Aa­che­ner Dom. Am 23.1.1994 ist er in Aa­chen ge­stor­ben. Er hin­ter­ließ ein ge­wal­ti­ges li­te­ra­ri­sches Oeu­vre mit fast 3.000 Ti­teln.

Werke (Auswahl)

Fei­ter, Rein­hard, Klaus Hem­mer­le. Aus­ge­wähl­te Schrif­ten, 5 Bän­de, Frei­burg 1996.
Gott und das Den­ken nach Schel­lings Spät­phi­lo­so­phie, Frei­burg i.B./Ba­sel/Wien 1968, zu­gleich Univ. Ha­bil. Frei­burg i.B. 1967.
Phi­lo­so­phi­sche Grund­la­gen zu Franz von Baa­ders Ge­dan­ke der Schöp­fung, Diss. Frei­burg i.B. 1957.
Un­ter­schei­dun­gen: Ge­dan­ken und Ent­wür­fe zur Sa­che des Chris­ten­tums heu­te, Frei­burg i.B./Ba­sel/Wien, 1972.

Literatur

Ba­der, Wolf­gang/Ha­ge­mann, Will­fried, Klaus Hem­mer­le. Grund­li­ni­en ei­nes Le­bens, Mün­chen/Zü­rich/Wien 2000.
Böhn­ke, Mi­cha­el, Ein­heit in Mehr­ur­sprüng­lich­keit. Ei­ne kri­ti­sche Ana­ly­se des tri­ni­ta­ri­schen An­sat­zes im Werk von Klaus Hem­mer­le, Würz­burg 2000.
Del­ler, Ull­rich/Vi­en­ken, Ewald (Hg.), Wag­nis Weg­ge­mein­schaft. Bei­trä­ge und Re­fle­xio­nen zur Ju­gend­pas­to­ral Klaus Hem­mer­les, Mün­chen 1997.
Fei­ter, Rein­hard, Klaus Hem­mer­le (1929-1994), in: Ge­schich­te im Bis­tum Aa­chen 4 (1998), S. 481-490.
Fei­ter,Rein­hard, Von der (Un-)Sicht­bar­keit des Glau­bens. Der Bei­trag Klaus Hem­mer­les zur prak­ti­schen Theo­lo­gie, Her­zo­gen­rath 1999.
Fen­ski, Mat­thi­as, Klaus Hem­mer­le und die Öku­me­ne. Weg­ge­mein­schaft mit dem drei­ei­nen Gott, Pa­der­born u.a.2002.
Frick, An­dre­as, Der drei­ei­ni­ge Gott und das Han­deln in der Welt. Christ­li­cher Glau­be und ethi­sche Öf­fent­lich­keit im Den­ken Klaus Hem­mer­les, Würz­burg 1998.
Ha­ge­mann, Wil­fried, Klaus Hem­mer­le, Grund­li­ni­en ei­nes Le­bens, in: Hen­rix, Hans Her­mann (Hg.), Bi­schof Klaus Hem­mer­le (1929-1994). Ein geist­li­cher Meis­ter, Aa­chen 2004, S. 54-70
Ha­ge­mann, Wil­fried, Ver­liebt in Got­tes Wort. Le­ben, Den­ken und Wir­ken von Klaus Hem­mer­le, Bi­schof von Aa­chen, Würz­burg 2008.
Le­putsch, Mi­cha­el, In­tel­lec­tus fidei als in­tel­lec­tus unita­tis. Zum Ver­nunfts­be­griff bei Klaus Hem­mer­le, Frank­furt a.M. 2005.
Pol­ter­mann, Mar­kus/van der Wey­er, Ru­precht, Hem­mer­le, Klaus, in: Koß, Sieg­fried/Löhr, Wolf­gang (Hg.), Bio­gra­phi­sches Le­xi­kon de­s­ KV, Band 3, 1994, S. 49-52.
Sau­ser, Ek­kart, Ar­ti­kel „Hem­mer­le, Klaus", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 14 (1998), Sp. 1084-1086.

Online

Klaus Hem­mer­le (In­for­ma­ti­on über Le­ben und Werk durch das Klaus-Hem­mer­le-Werk e.V.).

 
Zitationshinweis

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Löhr, Wolfgang, Klaus Hemmerle, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/klaus-hemmerle/DE-2086/lido/57c82ae8321132.08925101 (abgerufen am 19.03.2024)