Kaisertage am Rhein. Besuche Wilhelms II. in Bonn zwischen 1891 und 1913

Philip Rosin (Bonn)

Prinz Wilhelm von Preußen (1859-1941) mit dem weißen Stürmer des Corps Borussia auf dem Kopf auf einer Mauer über dem Rhein, Fotografie des Bonner Ateliers Theo Schafgans. (Universitätsarchiv Bonn)

1. Einleitung

Der letz­te deut­sche Kai­ser Wil­helm II. (Re­gent­schaft 1888-1918) hielt sich vor dem Ers­ten Welt­krieg sie­ben­mal zu Be­such in Bonn auf.[1] Seit sei­nem Stu­di­um an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät von 1877 bis 1879 fühl­te sich der spä­te­re Mon­arch der Stadt am Rhein be­son­ders zu­ge­tan. Noch in sei­nen im hol­län­di­schen Exil ver­fass­ten Ju­gend­er­in­ne­run­gen brach­te er das fol­gen­der­ma­ßen zum Aus­druck: Ein gol­de­ner Schein um­strahlt in mei­ner Er­in­ne­rung das vom lieb­li­chen Rhein­land ein­ge­fa­ß­te Bild von Bonn. Bonn und sei­ner Al­ma Ma­ter ein Dan­kes­gruß! Bon­na soll le­ben![2]

 

Das Stu­di­um an der rhei­ni­schen Uni­ver­si­tät und die – zu­min­dest sym­bo­li­sche Mit­glied­schaft im vor­neh­men Korps Bo­rus­sia wa­ren für den da­ma­li­gen Prin­zen ein idyl­li­sches In­ter­mez­zo[3] ei­ner an­sons­ten als freud­los be­schrie­be­nen Kind­heit und Ju­gend­zeit. In der Früh­pha­se sei­ner Herr­schaft bis An­fang des 20. Jahr­hun­derts bil­de­ten Fei­er­lich­kei­ten im Zu­sam­men­hang mit der Uni­ver­si­tät und dem stu­den­ti­schen Ver­bin­dungs­we­sen des­halb meist den Haupt­grund der Be­su­che Wil­helms II. in Bonn. Hier­zu trug bei, dass der Kai­ser auch sei­ne Söh­ne an der „Prin­zen­uni­ver­si­tät“ am Rhein stu­die­ren ließ. Be­son­de­re Auf­merk­sam­keit rich­te­te sich da­bei auf den Kron­prin­zen Wil­helm, den Thron­fol­ger, der von 1901 bis 1903 zum Stu­di­um in Bonn weil­te. Die Im­ma­tri­ku­la­ti­ons­fei­er am 24.4.1901 fand in An­we­sen­heit des kai­ser­li­chen Va­ters statt.

Die spä­te­ren Be­su­che des Mon­ar­chen seit Mit­te der 1900er Jah­re hat­ten meist pri­va­ten Cha­rak­ter und las­sen sich eher als Ver­wand­ten­be­su­che be­zeich­nen. Der zwei­te Grund für die Bonn-Ver­bun­den­heit des Mon­ar­chen be­stand dar­in, dass die Schwes­ter Wil­helms II., Vik­to­ria von Preu­ßen (1866-1929), mit ih­rem Ehe­mann, dem Fürs­ten Adolf zu Schaum­burg-Lip­pe (1859-1916), in Bonn im Pa­lais Schaum­burg leb­te.[4] Die spä­te­ren Auf­ent­hal­te ent­hiel­ten kaum noch öf­fent­li­che Ter­mi­ne des Mon­ar­chen und be­stan­den we­sent­lich aus Aus­flü­gen in das Bon­ner Um­land.

Als Grund­la­ge die­ser Un­ter­su­chung die­nen vor al­lem Pres­se­ar­ti­kel aus der „Bon­ner Zei­tun­g“. Für die Re­kon­struk­ti­on der Be­suchs­ab­läu­fe bie­ten sie häu­fig die ein­zi­ge de­tail­lier­te Quel­le. Kri­tisch in Rech­nung zu stel­len ist je­doch de­ren sub­jek­ti­ve Fär­bung, denn es han­del­te sich zu­meist im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes um Hof­be­richt­er­stat­tung.

Kronprinz Wilhelm als Mitglied des Bonner Corps Borussia, 1901. (public domain)

 

2. Die Rückkehr des ehemaligen Studenten an die Universität

Be­reits vor sei­ner Thron­be­stei­gung hielt sich Wil­helm 1886 und 1887 in Bonn auf. Ein gu­tes Jahr­zehnt nach Be­ginn sei­nes Stu­di­ums kehr­te der Prinz so­mit an den Ort zu­rück, mit dem er per­sön­li­che Frei­heit und Un­be­schwert­heit ver­band. So äu­ßer­te er rück­bli­ckend in den be­sag­ten Er­in­ne­run­gen, nichts Schö­ne­res wü­ß­te ich als ei­ni­ge Se­mes­ter an der rhei­ni­schen Al­ma ma­ter! Es liegt wie ein son­ni­ger Glanz über der Er­in­ne­rung an je­ne Ju­gend­jah­re.[5] Nach­dem er be­reits im Fe­bru­ar 1886 beim Alt­her­ren-Fest­mahl der Bon­ner Bo­rus­sen teil­ge­nom­men hat­te, war er auch beim 60. Stif­tungs­fest der Ver­bin­dung am 1. Ju­li des Jah­res zu­ge­gen. In sei­ner An­spra­che ver­glich er das Korps mit dem ers­ten Gar­de­re­gi­ment der preu­ßi­schen Ar­mee, wel­ches tra­di­tio­nell der mi­li­tä­ri­schen Aus­bil­dung der Ho­hen­zol­lern­prin­zen dien­te. Ei­ne ähn­li­che Rol­le, so Wil­helm, er­füll­ten mit Blick auf das Uni­ver­si­täts­stu­di­um heu­te auch die Bon­ner Preu­ßen.[6] Am nach­fol­gen­den Fest­mahl der al­ten Her­ren des Korps am 8.3.1887 nahm der Prinz eben­falls teil.[7]

Der ers­te Be­such Wil­helms als Mon­arch in Bonn fand vom 5.-8.5.1891 statt. Wie die „Bon­ner Zei­tun­g“ in ih­rem Leit­ar­ti­kel „Heil dem Kai­ser“ her­vor­hob, wün­sche der neue Herr­scher kei­nen gro­ßen Ein­zug, son­dern wol­le in An­knüp­fung an sei­ne Stu­den­ten­zeit die Ta­ge in Bonn in „pri­va­ter Ein­fach­heit“ zu ver­brin­gen. Die­se Be­schei­den­heit sah prak­tisch so aus, dass Wil­helm II. aus Köln kom­mend, am 5. Mai ge­gen sie­ben Uhr abends auf dem Schiff „Deut­scher Kai­ser“ am Bon­ner Rhein­ufer an­leg­te, wo er von ei­ner gro­ßen Men­schen­men­ge be­geis­tert emp­fan­gen und vom Prin­zen zu Schaum­burg so­wie des­sen Gat­tin Vik­to­ria be­grü­ßt wur­de. Am Rhein­ufer war ei­gens ein Pa­vil­lon er­rich­tet wor­den, der an drei Sei­ten of­fen war, und an des­sen ge­schlos­se­nen Rück­sei­te ein Thron­ses­sel stand, wor­über das Reichs­wap­pen thron­te.[8] Wil­helm II. wur­de an­schlie­ßend zum Pa­lais Schaum­burg ge­fah­ren, wo nach Ein­bruch der Dun­kel­heit ein Fa­ckel­zug der Bon­ner Stu­den­ten die Ko­blen­zer Stra­ße (heu­te Ade­nau­er­al­lee) ent­lang statt­fand, dem Wil­helm II. in Be­glei­tung des Rek­tors der Uni­ver­si­tät Her­mann Hüf­fer (1830-1905) und des Uni­ver­si­täts­ku­ra­tors Franz von Rot­ten­burg (1845-1907, Ku­ra­tor 1896-1907) bei­wohn­te.[9] Um zehn Uhr abends ging es wei­ter zur Knei­pe des Korps Bo­rus­sia in der Kai­ser­stra­ße. Der Kai­ser über­nahm, als Korps­stu­dent ge­klei­det, selbst das Prä­si­di­um über die Ver­an­stal­tung und such­te die zu sin­gen­den Lie­der aus.

Am 6. Mai fand be­reits um acht Uhr früh am Tan­nen­busch ei­ne mi­li­tä­ri­sche Übung der Bon­ner Gar­ni­son mit an­schlie­ßen­dem Pa­ra­de­marsch vor Wil­helm II. statt. Nach der ge­mein­sa­men Ma­nö­ver­kri­tik ritt der Kai­ser an der Spit­ze der Sol­da­ten an ei­ner ju­beln­den Men­ge am Stra­ßen­rand vor­bei Rich­tung In­nen­stadt.[10] Spä­ter folg­ten Pri­vat­be­su­che des Mon­ar­chen bei ver­schie­de­nen Fa­mi­li­en so­wie ein Kon­zert der Ka­pel­le des Bon­ner Hu­sa­ren­re­gi­ments im Gar­ten des Pa­lais Schaum­burg. Am Abend nahm Wil­helm II. an ei­nem wei­te­ren Kom­mers in den „Köl­ner Hö­fen“ teil, die­ses Mal ver­an­stal­tet von der Ge­samt­heit der im Kö­se­ner SC zu­sam­men­ge­fass­ten Korps in Bonn. Nach meh­re­ren Sa­la­man­dern – ei­ner be­son­de­ren stu­den­ti­schen Form des Zu­pros­tens - und ge­mein­sa­mem Ge­sang rühm­te ein Al­ter Herr in sei­ner Be­grü­ßung den Kai­ser als den höchs­ten Schüt­zer und För­de­rer un­se­res deut­schen Corps­le­bens.[11] An­schlie­ßend er­griff der Mon­arch selbst das Wort und hielt ei­ne sei­ner be­rüch­tigt-for­schen An­spra­chen. Zu­nächst hob er die an­geb­li­che päd­ago­gi­sche Be­deu­tung der Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen her­vor. Für die Er­zie­hung ei­nes jun­gen Man­nes sei nichts bes­ser als der Ein­tritt in ein Korps. An­schlie­ßend ver­tei­dig­te der Kai­ser die in der Öf­fent­lich­keit häu­fig kri­ti­sier­te Pra­xis der Men­sur, al­so des stu­den­ti­schen Fech­tens, mit ei­nem ge­wag­ten his­to­ri­schen Ver­gleich: Un­se­re Men­su­ren wer­den im Pu­bli­kum viel­fach nicht ver­stan­den. […] Wir, die wir Corps­stu­den­ten ge­we­sen sind, wie ich, wir wis­sen das bes­ser. Wie im Mit­tel­al­ter durch die Tur­nie­re der Mut und die Kraft des Man­nes ge­stählt wur­den, so wird auch durch den Geist und das Le­ben im Corps der Grad von Fes­tig­keit er­wor­ben, der spä­ter im gro­ßen Le­ben nö­tig ist.[12] Au­ßer­dem kün­dig­te Wil­helm II. an, sein äl­tes­ter Sohn wer­de der­einst auch zu den Bon­ner Korps­stu­den­ten ge­hö­ren, sprich: an der Uni­ver­si­tät Bonn stu­die­ren[13] – der Kron­prinz Wil­helm war zu die­sem Zeit­punkt frei­lich erst neun Jah­re alt (1882-1951). Ab­schlie­ßend brach­te der Mon­arch sei­ne Hoff­nung zum Aus­druck, dass aus dem Kreis der ver­sam­mel­ten jun­gen Stu­den­ten spä­ter vie­le tüch­ti­ge Be­am­te oder Of­fi­zie­re her­vor­ge­hen möch­ten. Hier zeigt sich ex­em­pla­risch die Be­deu­tung der Korps zur kon­ser­va­ti­ven Eli­ten­re­kru­tie­rung, die sie in den Au­gen man­cher Be­ob­ach­ter ge­ra­de­zu zum „Ide­al­bild ei­ner Epo­che“[14] wer­den lie­ßen.

Das kai­ser­li­che Pro­gramm am 7. Mai (Chris­ti Him­mel­fahrt) be­gann mit ei­nem Got­tes­dienst in der erst 1871 ein­ge­weih­ten Evan­ge­li­schen Kir­che am Kai­ser­platz (heu­te Kreuz­kir­che); an­schlie­ßend emp­fing der Kai­ser den Gro­ßher­zog von Lu­xem­burg zu ei­nem Be­such. Nach ei­nem Ar­beits­früh­stück fand am Nach­mit­tag ei­ne ge­mein­sa­me Schiff­fahrt der bei­den Mon­ar­chen mit dem Damp­fer „Lo­hen­grin“ auf dem Rhein statt. Nach der Rück­kehr nach Bonn be­glei­te­te Wil­helm II. den Gro­ßher­zog zum Bahn­hof, um ihn per­sön­lich zu ver­ab­schie­den. Abends gab er für lo­ka­le Wür­den­trä­ger ein Di­ner.

Die Ab­fahrt des Kai­sers am 8.5.1891 er­folg­te mor­gens vom Bahn­hof des da­mals noch ei­gen­stän­di­gen Go­des­berg (heu­te Stadt Bonn) aus. In der „Bon­ner Zei­tun­g“ wur­de bi­lan­zie­rend das Auf­tre­ten des Mon­ar­chen als ehe­ma­li­ger Stu­dent in den alt­ehr­wür­di­gen For­men des Bur­schen­th­ums[15] und sei­ne Nä­he zur jun­gen Ge­ne­ra­ti­on be­tont. In die­sem Zu­sam­men­hang wur­de auch das Ver­spre­chen des Kai­sers, der­einst auch sei­nen Er­ben […] nach Bonn auf die rhei­ni­sche Hoch­schu­le zu sen­den, be­son­ders her­vor­ge­ho­ben.

3. Der Kaiser auf Korpsbesuch

Der zwei­te Auf­ent­halt des Kai­sers in Bonn am 18.6.1897 dau­er­te nur we­ni­ge Stun­den und trug in­of­fi­zi­el­len Cha­rak­ter. Zu­vor hat­te er in Köln ein Denk­mal zu Eh­ren sei­nes Gro­ßva­ters, Wil­helms I. (Re­gent­schaft 1858/61-1888, ab 1871 als Deut­scher Kai­ser), ein­ge­weiht. Wie be­reits im Vor­feld der Bon­ner Rei­se be­rich­tet wur­de, galt der Auf­ent­halt des Mon­ar­chen aus­schlie­ß­lich dem Be­such sei­nes al­ten Corps.[16] Auf Emp­fän­ge oder öf­fent­li­che Ver­an­stal­tun­gen wur­de da­her ver­zich­tet, gleich­wohl wur­den die Be­woh­ner der In­nen­stadt auf­ge­for­dert, ih­re Häu­ser vor­sorg­lich fest­lich zu schmü­cken für den Fall, dass das Staats­ober­haupt bei sei­nem Auf­ent­halt durch ih­re Stra­ßen kä­me.[17] Wie­der­um wur­de in der Lo­kal­pres­se auf die be­son­de­re Nä­he der Stadt zum Mon­ar­chen ver­wie­sen, denn [a]ls Stu­dent war der Prinz Bon­ner.[18] Kurz vor sie­ben Uhr abends er­reich­te Wil­helm II. wie­der­um per Schiff das Rhein­ufer. Die­ses Mal be­fand er sich in Be­glei­tung der Kai­se­rin Au­gus­te Vic­to­ria (1858-1921). Nach ei­nem kur­zen Er­fri­schungs­auf­ent­halt im Hau­se des Land­rats Max von Sandt (1861-1918, Land­rat 1888-1903) ver­ließ die Kai­se­rin Bonn wie­der mit dem Zug, wäh­rend Wil­helm II. zum Bo­rus­sen­haus in der Kai­ser­stra­ße ge­bracht wur­de und an der Knei­pe des Korps teil­nahm. Kurz nach zehn Uhr wur­de der Mon­arch zum Bahn­hof ge­fah­ren und reis­te ab.

Kaiser Wilhelm II. als Alter Herr der Bonner Preußen, Gemälde von Ludwig Noster, 1897. (public domain)

 

4. Die Immatrikulation des Kronprinzen

Zehn Jah­re nach der beim Be­such in Bonn ge­mach­ten An­kün­di­gung des Kai­sers kam es zum Som­mer­se­mes­ter 1901 zur Im­ma­tri­ku­la­ti­on des Kron­prin­zen Wil­helm an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät. Da­für hielt sich Wil­helm II. vom 24.-27.4.1901 in Bonn auf. Wie im Vor­feld der lo­ka­len Pres­se zu ent­neh­men war, sei mit ei­nem An­sturm aus­wär­ti­ger Be­su­cher zu rech­nen, Wir­te und Ho­te­liers hät­ten die Prei­se be­reits er­höht, aus Mün­chen sei ein Zug mit Bier­wa­gen un­ter­wegs an den Rhein, da al­lein für den ge­plan­ten Kai­ser­kom­mers 70 Hek­to­li­ter Bür­ger­bräu be­nö­tigt wür­den.[19] Die Bon­ner Bür­ger­schaft wur­de von Ober­bür­ger­meis­ter Wil­helm Spi­ri­tus auf­ge­for­dert, ih­re Häu­ser fest­lich zu be­flag­gen. Der Kai­ser und sein äl­tes­ter Sohn tra­fen am 24. April ge­gen zehn Uhr mit ei­nem Son­der­zug auf dem Bon­ner Bahn­hof an und wur­den durch ei­ne ju­beln­de Men­ge di­rekt zum Haupt­ge­bäu­de der Uni­ver­si­tät ge­fah­ren. Die Im­ma­tri­ku­la­ti­ons­ze­re­mo­nie des Kron­prin­zen in der Au­la be­gann um zwölf Uhr, in der Mit­te des Rau­mes be­fand sich ei­ne gro­ße, pal­men­ge­schmück­te Büs­te des Uni­ver­si­täts­grün­ders, Fried­rich Wil­helms III. (Re­gent­schaft 1797-1840), da­vor ein mit grü­nem Tuch be­häng­ter Tisch, auf dem sich das Al­bum der Uni­ver­si­tät und die wei­te­ren Uten­si­li­en der Ein­schrei­bung be­fan­den.[20] Der Rek­tor der Uni­ver­si­tät, Adolph Frei­herr von La Va­let­te St. Ge­or­ge (1831-1910) hielt zu­nächst ei­ne kur­ze An­spra­che, in der er her­vor­hob, dass auch der ver­stor­be­ne Kai­ser Fried­rich III. (Re­gent­schaft 1888) und der an­we­sen­de Wil­helm II. der­einst die Uni­ver­si­tät Bonn be­sucht hät­ten. Un­ter der Füh­rung un­se­res ge­nia­len Kai­sers ste­he Deutsch­land heu­te stark und blü­hend dar. An­schlie­ßend fand die ei­gent­li­che Ein­schrei­bung durch den Kron­prin­zen statt, der aus den Hän­den des Rek­tors die in la­tei­ni­scher Spra­che ge­hal­te­ne Ma­tri­kel über­reicht be­kam. Der Rek­tor be­grü­ß­te den Kron­prin­zen so­dann als den jüngs­ten Kom­mi­li­to­nen an der Uni­ver­si­tät, die Ver­an­stal­tung en­de­te mit dem Ab­sin­gen der Kai­ser­hym­ne „Heil Dir im Sie­ger­kran­z“.

Die Kai­ser­be­su­che und die Rol­le als „Prin­zen­uni­ver­si­tät“ wa­ren für die Stadt Bonn mit er­heb­li­chem or­ga­ni­sa­to­ri­schem Auf­wand und Mehr­aus­ga­ben ver­bun­den. Beim Auf­ent­halt Wil­helms II. 1901 et­wa wur­den von der Po­li­zei Per­so­nen­grup­pen wie Vor­be­straf­te, Ir­re und An­ar­chis­ten über­wacht. Wäh­rend des Prin­zen­stu­di­ums stell­te die Po­li­zei per­ma­nent zwei Wa­chen vor der Vil­la der Ho­hen­zol­lern­söh­ne ab und un­ter­zog die in Bonn gas­tie­ren­den Frem­den ei­ner be­son­de­ren Über­prü­fung. Dar­über hin­aus trug die Stadt auch die Kos­ten für das Jah­res­abon­ne­ment der Thea­ter­lo­ge des Kron­prin­zen in Hö­he von 1.000 Mark.[21] 

Am Abend des 24. April wur­de ein Kai­ser­kom­mers al­ler Bon­ner stu­den­ti­schen Ver­bin­dun­gen in der Beet­ho­ven­hal­le mit et­wa 1.200 Teil­neh­mern ver­an­stal­tet.[22] Bei die­ser Ge­le­gen­heit hielt Wil­helm II. wie­der ei­ne sei­ner for­schen Re­den, in wel­cher er aus­führ­te: War­um sank das Deut­sche Reich da­hin? Weil das al­te Reich nicht auf streng na­tio­na­ler Ba­sis be­grün­det war. Der Uni­ver­sal­ge­dan­ke des al­ten rö­mi­schen Reichs deut­scher Na­ti­on ließ ei­ne Ent­wick­lung im deutsch­na­tio­na­len Sin­ne nicht zu. Das We­sen der Na­ti­on ist die Ab­gren­zung nach au­ßen, die Per­sön­lich­keit ei­nes Vol­kes, sei­ner Ras­sen­ei­gen­tüm­lich­keit ent­spre­chend.[23] Die an­we­sen­den Stu­den­ten be­ju­bel­ten die­se mar­ki­gen Sprü­che eben­so wie den an­schlie­ßen­den Trink­spruch des Kron­prin­zen an sei­ne neu­en Kom­mi­li­to­nen.[24]

Das kai­ser­li­che Be­suchs­pro­gramm vom 25. April be­gann mit ei­ner Be­sich­ti­gungs­fahrt zur Ab­tei Ma­ria Laach, de­ren Haus­herr er als Kö­nig von Preu­ßen war. Hier ließ sich Wil­helm II. die Se­hens­wür­dig­kei­ten und die Re­stau­rie­rungs­ar­bei­ten zei­gen, ins­be­son­de­re den von ihm ge­stif­te­ten und von dem Ber­li­ner Ar­chi­tek­ten Max Spit­ta (1842-1902) ge­schaf­fe­nen neo­ro­ma­ni­schen Hoch­al­tar in der Ab­tei­kir­che. An­schlie­ßend ging es von An­der­nach aus auf dem Rhein­damp­fer „Kai­ser Fried­rich“ zu­rück nach Bonn. Der Abend stand wie­der­um im Zei­chen des stu­den­ti­schen Kor­po­ra­ti­ons­we­sens. Die Ver­an­stal­tung fand er­neut in der Beet­ho­ven­hal­le statt, der Teil­neh­mer­kreis je­doch war ein an­de­rer. Es han­del­te sich nun spe­zi­ell um den Kom­mers der Bon­ner Korps. Die Fest­an­spra­che hielt Ge­ne­ral­oberst Wal­ter Frei­herr von Loë (1828-1908), Kom­man­deur der Bon­ner Kö­nigs­hu­sa­ren im Deutsch-Fran­zö­si­schen Krieg von 1870/1871 und ein frü­he­rer Ver­trau­ter Wil­helms I. Er er­in­ner­te dar­an, wie die Bon­ner Stu­den­ten 1870 mas­sen­wei­se und be­geis­tert dem Auf­ruf des Kö­nigs zu den Waf­fen ge­folgt sei­en. In An­we­sen­heit Wil­helms II. leg­te er im Na­men der ver­sam­mel­ten Stu­den­ten die Bürg­schaft da­für ab, dass die aka­de­mi­sche Ju­gend, sol­le es ein­mal not­wen­dig sein, wie einst in der ers­ten Rei­he der Sol­da­ten zu fin­den sein wür­den.[25] In sei­ner kur­zen Er­wi­de­rung nahm der Kai­ser den Te­nor der Fest­an­spra­che auf. Er hof­fe fest auf die Un­ter­stüt­zung der jun­gen Ge­ne­ra­ti­on bei sei­ner Auf­ga­be, das Deut­sche Reich nach in­nen und au­ßen zu fes­ti­gen. Ins­be­son­de­re im Fal­le ei­ner Be­dro­hung aber wer­de ich an Sie ap­pel­lie­ren und ich er­war­te, daß Sie Mich nicht sit­zen las­sen wer­den.[26] In ähn­li­cher Wei­se soll­te das Ge­sag­te 13 Jah­re spä­ter zur blu­ti­gen Rea­li­tät wer­den.

Am Mor­gen des 26. Ju­li gab der Bon­ner Ge­sang­ver­ein dem Kai­ser ein Ständ­chen aus rhei­ni­schen Volks­lie­dern. Wil­helm II. schritt - wie in der „Bon­ner Zei­tun­g“ zu le­sen war - wäh­rend­des­sen die Ve­ran­da des Pa­lais Schaum­burg auf und ab und deu­te­te mit der Zi­ga­ret­te als Takt­stock bis­wei­len das Di­ri­gie­ren des Chors an.[27] Die fol­gen­den Stun­den wur­den mit Re­gie­rungs­ge­schäf­ten ver­bracht, wo­zu ei­ni­ge Mi­nis­ter und Be­am­te ex­tra aus Ber­lin an­ge­reist wa­ren. Wäh­rend­des­sen wur­de der Kron­prinz Frei­tag­vor­mit­tag in fei­er­li­cher Wei­se als Kon­knei­pant in das Korps Bo­rus­sia auf­ge­nom­men und be­sich­tig­te an­schlie­ßend den Fecht­saal der Uni­ver­si­tät. Der Abend stand wie­der­um im Zei­chen des stu­den­ti­schen Ver­gnü­gens, denn der Kai­ser und der Kron­prinz nah­men ge­mein­sam an der Knei­pe auf dem Ver­bin­dungs­haus der Bo­rus­sen teil.

Im Rück­blick äu­ßer­te sich Kron­prinz Wil­helm über­ra­schend zu­rück­hal­tend zu ei­ni­gen zen­tra­len As­pek­ten des Ver­bin­dungs­we­sens. So kri­ti­sier­te er in sei­nen An­fang der 1920er Jah­re er­schie­ne­nen Er­in­ne­run­gen et­wa ei­ne Über­schät­zung der Men­sur so­wie Über­trei­bun­gen beim Trink­kom­ment, für den ich selbst nie­mals viel Sinn be­ses­sen und dem ich mich als Stu­dent auch un­gern un­ter­wor­fen ha­be.[28]

Be­reits ge­gen acht Uhr mor­gens am 27.4.1901 ver­ließ der Kai­ser Bonn. Auf dem Weg zum Bahn­hof hat­ten ne­ben ei­ner gro­ßen Men­schen­men­ge auch das Bon­ner Hu­sa­ren­re­gi­ment und das Bon­ner In­fan­te­rie­re­gi­ment am Kai­ser­platz be­zie­hungs­wei­se am Bahn­hofs­platz Auf­stel­lung ge­nom­men. Beim Vor­bei­fah­ren der Wa­gen­ko­lon­ne stimm­ten sie den preu­ßi­schen Prä­sen­tier­marsch an.[29] Für Bonn war die Im­ma­tri­ku­la­ti­on des Kron­prin­zen ein be­son­de­res Er­eig­nis, stan­den Stadt und Uni­ver­si­tät doch wie ei­ni­ge Jahr­zehn­te zu­vor an­läss­lich der Im­ma­tri­ku­la­ti­on der spä­te­ren Kai­ser Fried­rich III. und Wil­helm II. wie­der­um im Fo­kus der in­ter­es­sier­ten Öf­fent­lich­keit.

5. Das akademisch-militärische Doppeljubiläum

Zwei re­nom­mier­te Bon­ner In­sti­tu­tio­nen stan­den ex­em­pla­risch als Stüt­zen der Ho­hen­zol­lern-Herr­schaft, das Mi­li­tär und der Adel. Die in der Bon­ner Stern­tor­ka­ser­ne sta­tio­nier­ten Kö­nigs­hu­sa­ren be­gin­gen im Jahr 1902 ihr 50. Ju­bi­lä­um am Gar­ni­sons­stand­ort Bonn und das Korps Bo­rus­sia Bonn fei­er­te sein 75. Stif­tungs­fest. An­läss­lich die­ses Dop­pel­ju­bi­lä­ums hielt sich Wil­helm II. vom 17.-19.6.1902 er­neut am Rhein auf.

Das Kö­nigs-Hu­sa­ren Re­gi­ment Kö­nig Wil­helm I. Nr. 7 (1. Rhei­ni­sches) war be­reits 1815 ge­grün­det wor­den und hat­te seit 1852 sei­nen Sitz in Bonn. Wie der Na­me an­deu­tet, hat­te der da­ma­li­ge Kron­prinz Wil­helm, der spä­te­re Kai­ser Wil­helm I., im Rah­men sei­ner mi­li­tä­ri­schen Aus­bil­dung einst dem Hu­sa­ren­re­gi­ment vor­ge­stan­den, wel­ches dem Herr­scher­haus seit­dem be­son­ders ver­bun­den war. Die Fei­er­lich­kei­ten zum Gar­ni­sons­ju­bi­lä­um er­streck­ten sich über ei­ne gan­ze Wo­che und hat­ten be­reits am 14. Ju­ni mit ei­nem Fest­es­sen im Of­fi­ziers­ka­si­no be­gon­nen, bei dem noch ei­ni­ge „Ve­te­ra­nen“ des Ein­zugs in die neue Gar­ni­son von 1852 an­we­send wa­ren. In ei­ner An­spra­che hob Re­gi­ments­kom­man­deur Oberst­leut­nant Fried­rich von Hertz­berg (1853-1928) die be­son­de­re Be­deu­tung der Ar­mee als ei­ne der Haupt­stüt­zen des Thro­nes her­vor.[30] In der lo­ka­len Pres­se wur­de in Er­war­tung des ho­hen Be­suchs wie­der das be­son­de­re Ver­hält­nis des Mon­ar­chen zu Bonn be­tont, das über die Jah­re hin­weg Be­stand ha­be. Sicht­ba­rer Be­leg hier­für sei, dass mo­men­tan, wie einst sein Va­ter, auch der Kron­prinz als Stu­dent an der Uni­ver­si­tät wei­le.[31] Die­ses Mal be­glei­te­te die Kai­se­rin Au­gus­te Vic­to­ria ih­ren Mann auf der Rei­se, denn es bot sich ihr so die Ge­le­gen­heit, ei­nen nä­he­ren Ein­druck vom Stu­di­en­ort ih­res äl­tes­ten Soh­nes zu er­hal­ten. Zum kai­ser­li­chen Rei­se­tross ge­hör­te au­ßer­dem Reichs­kanz­ler Bern­hard von Bü­low (1849-1929, Reichs­kanz­ler 1900-1909). Be­reits am frü­hen Mor­gen des 17.6.1902 traf das Kai­ser­paar am Bon­ner Bahn­hof ein und wur­de so­gleich zum Pa­lais Schaum­burg ge­fah­ren. Ei­nen sub­jek­tiv ge­färb­ten Ein­druck von der Stim­mung in der Stadt an die­sen „Kai­ser­ta­gen“ ver­mit­telt ex­em­pla­risch ein Be­richt der „Bon­ner Zei­tun­g“: Al­lent­hal­ben herrsch­te das regs­te Le­ben und Trei­ben. Hier zog ein Krie­ger­ver­ein mit ent­fal­te­ter Fah­ne durch die Stra­ßen, dort stand ein klei­ner Trupp wei­ß­ge­klei­de­ter Schul­mäd­chen mit Schär­pen um die Schul­tern. […] Selbst­ver­ständ­lich fehl­ten in die­sem ewig wech­seln­den Bil­de auch die ‚flie­gen­den Händ­ler’ nicht. Ei­ni­ge von ih­nen bo­ten Post­kar­ten mit den Bil­dern der Ma­jes­tä­ten und des Kron­prin­zen aus, an­de­re ver­kauf­ten ‚Kai­ser­zei­chen’, d. h. das in Wachs ge­präg­te Re­li­ef­bild des Kai­sers auf ei­ner Un­ter­la­ge von Ei­chen­blät­tern. […] Von aus­wärts brach­ten die Vor­mit­tags­zü­ge Tau­sen­de von Neu­gie­ri­gen her­an, die der Wunsch, das Kai­ser­paar zu se­hen, nach Bonn ge­trie­ben hat­te, und un­ter klin­gen­dem Spiel zo­gen von den be­nach­bar­ten Ort­schaf­ten un­ab­läs­sig neue Mi­li­tär- und Krie­ger­ver­ei­ne in die Stadt.[32]

Der Kronprinz Wilhelm verabschiedet sich von Rektor Adolph Frei­herr von La Va­let­te nach seiner Immatrikulation, 24. April 1901. (public domain)

 

Am spä­ten Vor­mit­tag nahm Wil­helm II. zu Pferd vor ei­ner gro­ßen Zu­schau­er­men­ge ei­ne Mi­li­tär­pa­ra­de der Bon­ner Kö­nigs­hu­sa­ren auf der Hof­gar­ten­wie­se vor der Uni­ver­si­tät ab. Im An­schluss an die Kai­ser­pa­ra­de setz­te sich der Mon­arch selbst an die Spit­ze des Re­gi­ments und führ­te die Hu­sa­ren durch die Bon­ner In­nen­stadt hin­durch zu­rück in die Stern­tor­ka­ser­ne. Dort fand ein ge­mein­sa­mes Früh­stück im Of­fi­ziers­ka­si­no statt. Über die Mit­tags­stun­den wid­me­ten sich der Kai­ser und der Reichs­kanz­ler den Re­gie­rungs­ge­schäf­ten, be­vor am Nach­mit­tag ei­ne Aus­flugs­fahrt per Schiff nach Ro­lands­eck un­ter­nom­men wur­de, zu der un­ter an­de­rem auch der Völ­ker­rechts­pro­fes­sor Phil­ipp Zorn (1850-1928) und der Bon­ner Ober­bür­ger­meis­ter Spi­ri­tus ein­ge­la­den wa­ren. Der Abend stand dann ganz im Zei­chen ei­ner „aka­de­mi­schen Hul­di­gun­g“ durch die stu­den­ti­schen Kor­po­ra­tio­nen, die die of­fi­zi­el­le Re­prä­sen­tanz der Bon­ner Stu­den­ten­schaft bil­de­ten. Zu Eh­ren des Mon­ar­chen wur­de ein Fa­ckel­zug ver­an­stal­tet, der am Ko­blen­zer Tor be­gin­nend den Rhein ent­lang an der Fest­ge­sell­schaft auf der Rück­sei­te des Pa­lais Schaum­burg vor­bei­zog.[33] 

Die Fei­er­lich­kei­ten zum Gar­ni­sons­ju­bi­lä­um der Kö­nigs­hu­sa­ren wa­ren mit der Kai­ser­pa­ra­de ab­ge­schlos­sen, der zwei­te Be­suchs­tag am 18.6.1902 stand nun ganz im Zei­chen der an­de­ren Hälf­te des Bon­ner Dop­pel­ju­bi­lä­ums, dem 75. Stif­tungs­fest des Korps Bo­rus­sia. Be­reits am Mor­gen be­gab sich der Kai­ser auf das Ver­bin­dungs­haus, wo er ei­nem Fest­kon­vent prä­si­dier­te. An­schlie­ßend fand der Um­zug des Korps Bo­rus­sia durch die Bon­ner In­nen­stadt statt, der aus 60 Wa­gen mit Ak­ti­ven und Al­ten Her­ren be­stand, an der der Kai­ser selbst je­doch nicht teil­nahm. Im An­schluss gab es im be­kann­ten Re­stau­rant „Zur Le­se“ ein Fest­mahl, bei dem auch Wil­helm II. wie­der zu­ge­gen war. In sei­ner eher nach­denk­li­chen Tisch­an­spra­che er­mahn­te er die an­we­sen­de Ju­gend, ne­ben der Freu­de den not­wen­di­gen Ernst des Le­bens nicht zu ver­ges­sen und sich im Fal­le ei­ner Ge­fahr für das Va­ter­land, sei es von in­nen oder von au­ßen, hin­ter ihm als Kö­nig zu ver­sam­meln.

Hö­he­punkt des Stif­tungs­fes­tes war am Abend der Kom­mers in der Beet­ho­ven­hal­le. Für die weib­li­chen Gäs­te, die dem Ge­sche­hen nur als Zu­schaue­rin­nen bei­woh­nen durf­ten, war auf der lin­ken Ga­le­rie ei­ne Lo­ge er­rich­tet wor­den, in der die Kai­se­rin, ih­re Be­glei­te­rin­nen und die Hof­da­men das Ge­sche­hen ver­fol­gen konn­ten. In sei­ner Re­de stell­te Wil­helm II. die bei die­ser Art Ver­an­stal­tung ei­gent­lich un­ge­wöhn­li­che An­we­sen­heit der Da­men in den Mit­tel­punkt: Von un­se­ren Ur­ah­nen und Vor­fah­ren weiß die Chro­nik zu ver­mel­den, daß, wenn sie im Waf­fen­gang zu­sam­men­ka­men und im Tur­nier die Lan­ze mit ein­an­der bra­chen, es sich von selbst ver­stand, daß ein schö­ner Kreis von Da­men um sie ver­sam­melt war und auf sie her­ab­blick­te. Mit Stolz emp­fing der Sie­ger ei­nen Kranz aus schö­ner Hand. […] Noch nie, so­lan­ge die Ge­schich­te deut­scher Uni­ver­si­tät ge­schrie­ben ist, ist ei­ner Uni­ver­si­tät ei­ne sol­che Eh­re zu­teil ge­wor­den, wie am heu­ti­gen Ta­ge. Im Krei­se der Schö­nen Bonns, um­ge­ben von fürst­li­chen Da­men, ist Ih­re Ma­jes­tät die Kai­se­rin er­schie­nen, die ers­te Lan­des­fürs­tin, die ei­nem Kom­mers der Stu­den­ten­schaft bei­wohnt. Die­se bei­spiel­lo­se Eh­re wird der Stadt Bonn zu teil und in der Stadt Bonn dem Korps Bo­rus­sia. Ich hof­fe und er­war­te, daß al­le jun­gen Bo­rus­sen, auf de­nen heu­te das Au­ge Ih­rer Ma­jes­tät ruht, da­durch ei­ne Wei­he für ihr gan­zes Le­ben emp­fan­gen wer­den.[34] Ge­gen Mit­ter­nacht ver­ließ das Kai­ser­paar die Ver­an­stal­tung.

Für den 19. Ju­ni stan­den kei­ne öf­fent­li­chen Ter­mi­ne mehr auf dem Be­suchs­pro­gramm; im Pa­lais Schaum­burg emp­fing der Kai­ser die Chefs des Zi­vil- und des Mi­li­tär­ka­bi­netts zum Vor­trag.[35] Ge­gen Mit­tag reis­ten Wil­helm II. und Gat­tin mit dem Zug in Rich­tung Aa­chen ab.

Kaisermanöver im Hofgarten des kurfürstlichen Schlosses Bonn, 1902. (Universitätsarchiv Bonn)

 

6. Die Erinnerung an „Wilhelm den Großen“

Beim Kai­ser­be­such des Jah­res 1906 stand die preu­ßisch-deut­sche Ge­schich­te im Mit­tel­punkt. Den An­lass bot die Ent­hül­lung des Denk­mals für den Gro­ßva­ter des Mon­ar­chen, Wil­helm I., dem Wil­helm II. be­son­ders na­he ge­stan­den hat­te, auf dem Kai­ser­platz.[36] Der Mon­arch hielt sich vom 15.-20.10.1906 in Bonn auf, be­glei­tet wäh­rend sei­ner Ter­mi­ne zu­meist von sei­nem Sohn Au­gust Wil­helm (1887-1949), dem spä­te­ren glü­hen­den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten[37] -, der in Bonn stu­dier­te und so­mit die Tra­di­ti­on der Ho­hen­zol­lern an der „Prin­zen­uni­ver­si­tät“ fort­setz­te.

Dass die Kai­ser­be­su­che auch im­mer wich­ti­ge lo­ka­le Wirt­schafts­fak­to­ren wa­ren und von der Bon­ner Ge­schäfts­welt für ih­re Ver­kaufs­in­ter­es­sen zu nut­zen ver­sucht wur­den, zeigt ex­em­pla­risch ei­ne Schil­de­rung der „Bon­ner Zei­tun­g“: Mit gro­ßer Sorg­falt ha­ben fast al­le Ge­schäfts­zwei­ge ih­ren Schau­fens­ter­schmuck so ge­wählt, daß er in ir­gend ei­ner, wenn oft auch lo­cke­rer Be­zie­hung zu der Denk­mal­sent­hül­lung steht. Viel­fach bil­det ei­ne Büs­te des Kai­sers den Mit­tel­punkt der De­ko­ra­tio­nen. […] In Kon­di­tor­lä­den sieht man Sta­tu­en des Kai­sers oder gar das gan­ze Denk­mal in Scho­ko­la­de und Zu­cker ge­gos­sen. Die gro­ßen Buch­hand­lun­gen am Hof brin­gen den Kai­ser in al­len Le­bens­al­tern und Uni­for­men.[38]

Der 16. Ok­to­ber war der Tag der Denk­mals­ein­wei­hung. Vor der Evan­ge­li­schen Kir­che (Kreuz­kir­che) und ihr ge­gen­über wa­ren zwei Tri­bü­nen für die ge­la­de­nen Gäs­te auf­ge­baut wor­den, die Zu­tritt zum Kai­ser­platz hat­ten. Für den Kai­ser und die an­de­ren Eh­ren­gäs­te war zu­dem ein wei­ßer Pa­vil­lon er­rich­tet wor­den. Zu den Eh­ren­gäs­ten ge­hör­ten der Her­zog von Sach­sen-Co­burg und Go­tha, der preu­ßi­sche Kul­tus­mi­nis­ter Kon­rad von Studt (1838-1921, Kul­tus­mi­nis­ter 1899-1907) so­wie die Ober­bür­ger­meis­ter von Köln un­d Düs­sel­dorf.[39] Der Stand­ort des Denk­mals war mar­kant di­rekt vor der Uni­ver­si­tät ge­wählt, al­so an der Schmal­sei­te des Kai­ser­plat­zes, in Sicht­ach­se zum Pop­pels­dor­fer Schloss. Pünkt­lich zum Glo­cken­ge­läut um zwölf Uhr traf die Wa­gen­ko­lon­ne mit Wil­helm II. am Kai­ser­platz ein, wo er von den Bon­ner Re­gi­men­tern mit dem Preu­ßi­schen Prä­sen­tier­marsch emp­fan­gen wur­de. Nach ei­ner Be­grü­ßungs­run­de der Eh­ren­gäs­te im Fest­zelt stimm­te der Män­ner-Ge­sang­ver­ein das Lied „Heil Kai­ser und Reich“ an. In sei­ner Funk­ti­on als Vor­sit­zen­der des Denk­mal­aus­schus­ses hielt der Bon­ner Ober­bür­ger­meis­ter Wil­helm Spi­ri­tus die Fest­an­spra­che. Er ver­wies dar­auf, dass ehe­ma­li­ge Bon­ner Stu­den­ten aus al­len Tei­len des Deut­schen Rei­ches mit ih­rer In­itia­ti­ve zur Er­rich­tung des Denk­mals und ih­rer gro­ßzü­gi­gen Spen­den­be­reit­schaft we­sent­lich zur Rea­li­sie­rung des Pro­jekts bei­ge­tra­gen hät­ten. Für die Ju­gend sol­le das Denk­mal ein An­sporn sein, dem al­ten Kai­ser nach­zu­ei­fern in Got­tes­furcht, Pflicht­treue und Va­ter­lands­lie­be. Spi­ri­tus ver­wies auf die be­son­de­re Rol­le Bonns als Uni­ver­si­tät der Ho­hen­zol­lern­fürs­ten und dank­te dem Kai­ser ab­schlie­ßend für sei­ne An­we­sen­heit als ei­nem er­neu­te[n] Gna­den­be­weis für Uni­ver­si­tät und Stadt.[40] Wäh­rend die Kai­ser­hym­ne „Heil Dir im Sie­ger­kran­z“ ge­spielt wur­de, trat Wil­helm II. an das Denk­mal her­an. Nach dem Ver­klin­gen der letz­ten Tö­ne fiel das Tuch und gab den Blick auf das Stand­bild Wil­helms I. frei, wel­ches von dem Ber­li­ner Bild­hau­er Har­ro Ma­gnus­sen (1861-1908) ge­schaf­fen wor­den war. Da die In­itia­ti­ve von Schü­lern und Leh­rern der rhei­ni­schen Al­ma Ma­ter aus­ge­gan­gen war und das Denk­mal auf dem Grund der Uni­ver­si­tät er­rich­tet wor­den war, er­griff auch der Rek­tor der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät des Aka­de­mi­schen Jah­res 1905/1906, Ge­heim­rat Her­mann Ge­org Ja­co­bi (1850-1937), das Wort. Er nahm das Denk­mal, das mit der Ein­wei­hung of­fi­zi­ell an die Uni­ver­si­tät über­ging, sym­bo­lisch in Emp­fang, es sol­le ein hei­li­ges Be­sitz­tum, ein Pal­la­di­um im an­ti­ken Sin­ne sein, das wir in gu­ten und bö­sen Ta­gen treu zu hü­ten und zu eh­ren wis­sen wer­den.[41] Die Ein­wei­hungs­ze­re­mo­nie schloss mit dem Ab­sin­gen des Lie­des der Deut­schen „Deutsch­land, Deutsch­land über al­les“. Der Kai­ser und die Eh­ren­gäs­te be­sich­tig­ten ge­mein­sam mit dem Bild­hau­er Ma­gnus­sen im An­schluss das Denk­mal. Hier­mit war das Ge­sche­hen auf dem Kai­ser­platz je­doch noch nicht be­en­det. Ge­gen halb eins be­gann ei­ne Mi­li­tär­pa­ra­de, die Wil­helm II. auf den Stu­fen des neu­en Mo­nu­ments ab­nahm. An­schlie­ßend kehr­ten die Eh­ren­gäs­te im Re­stau­rant „Zur Le­se“ zu ei­nem ge­mein­sa­men Fest­es­sen ein, das von et­wa 13 bis 17 Uhr dau­er­te, wohl in Ab­we­sen­heit des Kai­sers. Am Nach­mit­tag be­sich­tig­te er statt­des­sen die Kir­chen in Schwarz­rhein­dorf und in Sieg­burg und führ­te vor Ort Ge­sprä­che mit lo­ka­len Wür­den­trä­gern.

War in der Pres­se ur­sprüng­lich nur von ei­nem nur zwei- bis drei­tä­gi­gen Be­such des Mon­ar­chen in Bonn die Re­de ge­we­sen, so ver­län­ger­te Wil­helm II. an­schei­nend sei­nen Auf­ent­halt, um als be­geis­ter­ter Au­to­mo­bi­list wei­te­re Aus­flü­ge in das Bon­ner Um­land zu un­ter­neh­men.[42] So gab es am 17. Ok­to­ber ei­nen Ta­ges­aus­flug in die Ei­fel. Auf dem kai­ser­li­chen Be­suchs­pro­gramm stan­den die Burg Elz so­wie wie­der­um die Ab­tei Ma­ria Laach. Am Abend such­te Wil­helm II. das Korp­shaus der Bo­rus­sia in der Kai­ser­stra­ße auf und aß ge­mein­sam mit den Ak­ti­ven und ei­ni­gen Al­ten Her­ren zu Abend.

Die aus vier mo­to­ri­sier­ten Wa­gen be­ste­hen­de Ko­lon­ne des Kai­sers brach am 18. Ok­to­ber zu ei­nem wei­te­ren Aus­flug auf, in ähn­li­cher per­so­nel­ler Zu­sam­men­set­zung wie am Vor­tag. Teil­neh­mer wa­ren un­ter an­de­ren der Prinz und die Prin­zes­sin zu Schaum­burg-Lip­pe, der Kai­ser­sohn Au­gust Wil­helm so­wie Paul Cle­men Pro­fes­sor für Kunst­ge­schich­te und Pro­vin­zi­al­kon­ser­va­tor der Rhein­pro­vinz, der als Ex­per­te für fach­li­che Fra­gen fun­gier­te. Nach ei­nem kur­zen Zwi­schen­stopp in Sieg­burg bil­de­te die Be­sich­ti­gung des Al­ten­ber­ger Doms den Hö­he­punkt der Tour. An­schlie­ßend be­such­te der Kai­ser die Ka­det­ten­an­stalt von Bens­berg (heu­te Stadt Ber­gisch Glad­bach) in­klu­si­ve ei­nes kurz­fris­tig an­ge­setz­ten Pa­ra­de­marschs, der den ein­fa­chen Re­kru­ten an­schei­nend nicht an­ge­kün­digt wor­den war. Am Abend emp­fing er in klei­ner Run­de ei­ni­ge Gäs­te zum Abend­es­sen im Pa­lais Schaum­burg, dar­un­ter die Kom­man­deu­re des Bon­ner Hu­sa­ren- und des Bon­ner In­fan­te­rie­re­gi­ments so­wie den Ku­ra­tor der Uni­ver­si­tät, Franz von Rot­ten­burg. Der pri­va­te Cha­rak­ter der Ak­ti­vi­tä­ten an die­sem Tag wur­de da­mit be­grün­det, dass es sich um den 75. Ge­burts­tag des ver­stor­be­nen Kai­sers Fried­rich III. han­del­te.[43] In der Öf­fent­lich­keit und an der Uni­ver­si­tät scheint es die Er­war­tung ge­ge­ben zu ha­ben, dass der Kai­ser wie einst 1902 beim Kron­prin­zen per­sön­lich an der an­ste­hen­den Im­ma­tri­ku­la­ti­ons­fei­er für sei­nen Sohn teil­neh­men wür­de. So be­rich­te­te der „Ge­ne­ral-An­zei­ger“ in sei­ner Aus­ga­be vom 16. Ok­to­ber, an der Uni­ver­si­tät ist man eif­rig mit den letz­ten Vor­be­rei­tun­gen be­schäf­tigt für den er­war­te­ten Be­such des Kai­sers bei der Im­ma­tri­ku­la­ti­on des Prin­zen Au­gust Wil­helm, für die der Ter­min aber noch nicht be­stimmt ist.[44] Doch der Prinz kehr­te mit sei­nem Va­ter erst ein­mal wie­der nach Pots­dam zu­rück. Die Im­ma­tri­ku­la­ti­ons­fei­er fand da­her erst weit nach Se­mes­ter­be­ginn am 30. Ok­to­ber statt.[45] An­ders als bei vor­an­ge­gan­ge­nen Be­su­chen nahm Wil­helm II. wäh­rend sei­nes Auf­ent­halts auch nicht am Kom­mers der Bon­ner Korps teil, son­dern über­ließ dies sei­nem Sohn.

In be­son­de­rer Er­in­ne­rung blei­ben soll­te den Bon­ner Schü­le­rin­nen und Schü­lern der 19.10.1902. Nach­dem ei­ni­ge Ju­gend­li­che ei­ne ent­spre­chen­de Bit­te an den Mon­ar­chen ge­rich­tet hat­ten, ver­füg­te der Kai­ser für die­sen Tag un­ter­richts­frei an al­len Bon­ner Schu­len. Die kai­ser­li­chen Be­sich­ti­gungs­fahr­ten fan­den an die­sem Tag ih­re Fort­set­zung.[46] Ers­te Sta­ti­on war Eus­kir­chen, wo die Be­völ­ke­rung Wil­helm II. ei­nen be­geis­ter­ten Emp­fang be­rei­tet ha­ben soll. An­schlie­ßend ging es wei­ter nach Ge­münd zur Be­sich­ti­gung der Urft­tal­sper­re, die erst im Vor­jahr fer­tig ge­stellt wor­den war. Hö­he­punkt war ei­ne Mo­tor­boot­fahrt auf dem Stau­see. Auf der Rück­fahrt wur­de in Burg Nideg­gen, einst­mals Sitz der Gra­fen von Jü­lich, Sta­ti­on ge­macht. Wil­helm II. hat­te Maß­nah­men zum Er­halt der Rui­ne an­schei­nend fi­nan­zi­ell un­ter­stützt, und ließ sich nun über den Stand der Re­stau­rie­rungs­ar­bei­ten in­for­mie­ren. Nach der Rück­kehr nach Bonn war er am Abend bei ei­nem Es­sen im neu­en Of­fi­ziers­ka­si­no des Hu­sa­ren­re­gi­ments zu­ge­gen.

Am Mor­gen des 20. Ok­to­ber stand wie­der­um ei­ne Au­to­tour an. Die Ab­fahrt be­deu­te­te zu­gleich die Ab­rei­se des Kai­sers aus Bonn, da an­schlie­ßend so­fort wei­ter­ge­fah­ren wur­de. Um vier­tel vor zehn brach die kai­ser­li­che Wa­gen­ko­lon­ne in Bonn auf, die Fahrt führ­te über Müns­ter­ei­fel, wo Wil­helm II. den Orts­kern und die al­te Stadt­mau­er be­sich­tig­te, an die Mo­sel nach Schloss Lie­ser, das sich im Be­sitz des Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz, Cler­mens Frei­herr von Schor­le­mer-Lie­ser (1856-1922, Ober­prä­si­dent der Rhein­pro­vinz 1905-1910) be­fand, und wo die kai­ser­li­che En­tou­ra­ge über­nach­te­te, be­vor es am fol­gen­den Tag zu­rück nach Pots­dam ging.

Der fünf­te Kai­ser­be­such hat­te ei­nen öf­fent­li­chen Teil, in des­sen Mit­tel­punkt die Denk­mals­ein­wei­hung stand, und ei­nen pri­va­ten Teil, der ins­be­son­de­re den Aus­flü­gen in das Um­land ge­wid­met war. An­ders als bei vor­an­ge­gan­ge­nen An­läs­sen hielt Wil­helm II. kei­ne grö­ße­ren An­spra­chen und nahm auch nicht an Ver­an­stal­tun­gen der Uni­ver­si­tät und des Korps Bo­rus­sia teil. Ein neu­es Ri­tu­al des Kai­sers, über das auch die lo­ka­le Pres­se be­rich­te­te, wa­ren die all­mor­gend­li­chen Spa­zier­gän­ge am Rhein, bei de­nen er auch mit Pas­san­ten ins Ge­spräch kam, die über­rascht wa­ren, ih­rem Mon­ar­chen per­sön­lich zu be­geg­nen. 

7. Die neue Eintracht der Studentenschaft

Fast auf den Tag ge­nau fünf Jah­re nach sei­nem letz­ten Auf­ent­halt kam der Kai­ser im Herbst 1911 wie­der nach Bonn. Die Rei­se vom 18.-20.10.1911 soll­te ein rein pri­va­te[r] Be­such bei sei­nen hie­si­gen Ver­wand­ten sein, wie die „Bon­ner Zei­tun­g“ be­reits am 10. Ok­to­ber be­tont hat­te.[47] Doch da­bei soll­te es nicht blei­ben. Der Kai­ser ha­be, wie die Lo­kal­pres­se vom 15. Ok­to­ber be­rich­te­te, das An­ge­bot der Bon­ner Stu­den­ten­schaft an­ge­nom­men, die ei­nen Fa­ckel­zug zu sei­nen Eh­ren or­ga­ni­sie­ren wol­le.[48] Ei­ne sol­che Art der Hul­di­gung hat­te zwar frü­her be­reits statt­ge­fun­den, be­saß aber die­ses Mal ei­ne be­son­de­re sym­bo­li­sche Be­deu­tung. Be­reits seit Jah­ren wa­ren die Bon­ner Stu­den­ten un­ter­ein­an­der zer­strit­ten. Die Mehr­heit der Stu­den­ten war kor­po­riert, die wich­tigs­ten Grup­pie­run­gen wa­ren die Bur­schen­schaf­ten, die Korps und die so­ge­nann­ten kon­fes­sio­nel­len Ver­bin­dun­gen, das hei­ßt die ka­tho­li­schen Ver­bin­dun­gen. Zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts gab es an meh­re­ren deut­schen Uni­ver­si­tä­ten und Tech­ni­schen Hoch­schu­len ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung dar­über, ob die ka­tho­li­schen Ver­bin­dun­gen über­haupt ei­ne Exis­tenz­be­rech­ti­gung be­sä­ßen, ih­nen wur­de ins­be­son­de­re ei­ne zu star­ke An­leh­nung an die ka­tho­li­sche Kir­che und na­tio­na­le Un­zu­ver­läs­sig­keit vor­ge­wor­fen. Im aka­de­mi­schen Kul­tur­kampf[49] voll­zog sich in­ner­halb der Stu­den­ten­schaft zeit­ver­setzt die Aus­ein­an­der­set­zung, die auf po­li­ti­scher Ebe­ne be­reits in den 1870er Jah­ren statt­ge­fun­den hat­te. In Bonn kam noch ei­ne Be­son­der­heit hin­zu. Hier hat­te der Streit der Stu­den­ten schon An­fang der 1890er Jah­re be­gon­nen und sich sei­ner­zeit an der Per­son Ot­to von Bis­marcks (1815-1898) ent­zün­det.[50] Wäh­rend die Bon­ner Bur­schen­schaft Ale­man­nia reichs­weit ei­ne füh­ren­de Rol­le beim ein­set­zen­den „Bis­marck­kul­t“ spiel­te, et­wa die Be­we­gung für die Er­bau­ung von Bis­marck­tür­men in­iti­ier­te und die „Hul­di­gungs­fahr­t“ zum 80. Ge­burts­tag des Reichs­grün­ders nach Fried­richs­ruh 1895 mit­or­ga­ni­sier­te[51], nah­men die ka­tho­li­sche Ver­bin­dun­gen auf­grund der Er­fah­rung des Kul­tur­kampfs ei­ne kri­ti­sche Hal­tung zu Bis­marck ein. Da Wil­helm II. ein per­sön­li­ches In­ter­es­se an der Ent­wick­lung „sei­ner“ Al­ma Ma­ter hat­te, war der Dis­put der Bon­ner Stu­den­ten nicht nur uni­ver­si­täts­in­tern von Be­deu­tung. Die ver­schie­de­nen Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen hat­ten sich in der Ver­tre­ter­ver­samm­lung zu­sam­men­ge­schlos­sen, die qua­si die of­fi­zi­el­le Ver­tre­tung der Stu­den­ten­schaft ge­gen­über der Uni­ver­si­täts­lei­tung bil­de­te. In­fol­ge der Strei­tig­kei­ten zer­brach die Ver­samm­lung in zwei kon­kur­rie­ren­de Gre­mi­en, so dass ei­ne ein­heit­li­che In­ter­es­sen­ver­tre­tung nicht mehr exis­tier­te. Zwar gab es in den fol­gen­den Jah­ren Pha­sen der Wie­der­an­nä­he­rung, meh­re­re Ver­mitt­lungs­ver­su­che der Uni­ver­si­täts­lei­tung schei­ter­ten je­doch. Erst im Jahr 1911 kam es un­ter der Füh­rung des re­nom­mier­ten Völ­ker­recht­lers Phil­ipp Zorn als Rek­tor zum Durch­bruch. Es ge­lang ihm nicht nur, die Bur­schen­schaf­ten, Korps und kon­fes­sio­nel­len Ver­bin­dun­gen in ei­ner ge­mein­sa­men Ver­tre­ter­ver­samm­lung wie­der zu ver­ei­nen, dem Gre­mi­um ge­hör­ten nun auch wich­ti­ge stu­den­ti­sche Min­der­hei­ten wie die Frei­stu­den­ten­schaft (Fin­ken­schaft), die Frau­en­ver­bin­dun­gen und die jü­di­schen Kor­po­ra­tio­nen an. In sei­nem münd­li­chen Re­chen­schafts­be­richt an­läss­lich des Rek­to­rats­wech­sels hob der schei­den­de Rek­tor Zorn am 18.10.1911 – we­ni­ge Stun­den vor dem Ein­tref­fen Wil­helms II. in Bonn - die be­son­de­re Be­deu­tung der Ei­ni­gung her­vor, wo­durch ein lan­ge[r] un­frucht­ba­re[r] Streit[52] über­wun­den wor­den sei. Nach ei­nem erst­mals wie­der ge­mein­sam be­gan­ge­nen Kai­ser­kom­mers zu Jah­res­be­ginn wur­de der Fa­ckel­zug zu Eh­ren des Kai­sers nun zum sicht­ba­ren Zei­chen die­ser stu­den­ti­schen Ei­ni­gung.

Wil­helm II. traf am Abend des 18. Ok­to­ber aus Aa­chen kom­mend, wo er an der Ein­wei­hung ei­nes Denk­mals für sei­nen ver­stor­be­nen Va­ter, Fried­rich III., teil­ge­nom­men hat­te, in ei­ner Wa­gen­ko­lon­ne aus sechs Kraft­wa­gen in Bonn ein, Sein Quar­tier war er­neut das Pa­lais Schaum­burg, der Abend fand oh­ne Ter­mi­ne im engs­ten Fa­mi­li­en­kreis statt. Im Ge­gen­satz zu frü­he­ren Be­su­chen wur­de we­nig Wert auf Pomp ge­legt. Das zeig­te sich auch dar­an, dass das Bon­ner Hu­sa­ren- und das In­fan­te­rie­re­gi­ment wie bei frü­he­ren Kai­ser­be­su­chen üb­lich ur­sprüng­lich ei­ne Eh­ren­wa­che vor dem Pa­lais Schaum­burg auf­stel­len und ih­re Re­gi­ments­fah­nen auf­zie­hen woll­ten. Mit dem Hin­weis, der Kai­ser ha­be für die­sen Be­such kei­ner­lei mi­li­tä­ri­sche Eh­ren­be­zeu­gung be­foh­len, wur­den die ent­spre­chen­den Vor­be­rei­tun­gen ge­stoppt.[53] 

Nach­dem der Mon­arch früh den neu er­nann­ten Kom­man­deur der Bon­ner Kö­nigs­hu­sa­ren, Jobst-Her­mann Graf und Ed­ler Herr zur Lip­pe-Bies­ter­feld-Weis­sen­feld (1865-1945), zu ei­ner Vor­stel­lung im Pa­lais Schaum­burg emp­fan­gen hat­te, brach der kai­ser­li­che Rei­se­tross am Mor­gen des 19. Ok­to­ber zur ge­plan­ten Rund­fahrt durch die Ei­fel auf. In den be­trof­fe­nen Klein­städ­ten und Dör­fern wur­de dem Kai­ser und sei­ner En­tou­ra­ge bei der Durch­fahrt der Wa­gen­ko­lon­ne laut Pres­se­be­richt­er­stat­tung zu­ge­ju­belt. Kur­ze Auf­ent­hal­te gab es et­wa zur Be­sich­ti­gung der Burg in Le­che­nich (heu­te Erft­stadt) und der Pfarr­kir­che von Zül­pich. Das Mit­tag­es­sen wur­de in ei­nem Gast­hof in Al­te­n­ahr ein­ge­nom­men. Die Wei­ter­fahrt führ­te am Nach­mit­tag nach May­en, wo Wil­helm II. das Schloss Bür­res­heim be­sich­tig­te. An­schlie­ßend be­such­te er zum wie­der­hol­ten Ma­le die Ab­tei Ma­ria Laach. Vom Abt des Klos­ters ließ er sich un­ter an­de­rem das neue Chris­tus-Pan­to­kra­tor-Mo­sa­ik über dem „Kai­ser­al­tar“ - der Kai­ser hat­te die Plat­zie­rung in der Haupt­ap­sis so­wie die Ge­stal­tung nach dem Vor­bild in der Ka­the­dra­le von Mon­rea­le per­sön­lich vor­ge­ge­ben - so­wie die neue Or­gel zei­gen. Die Rück­fahrt führ­te über An­der­nach und Go­des­berg di­rekt nach Bonn.

Ge­gen neun Uhr abends setz­te sich am Hof­gar­ten der Fa­ckel­zug der ge­ein­ten Bon­ner Stu­den­ten über die Ko­blen­zer Stra­ße in Rich­tung Pa­lais Schaum­burg in Be­we­gung. Wil­helm II., sein Ge­fol­ge und das Prin­zen­paar zu Schaum­burg-Lip­pe be­ob­ach­te­ten das Ge­sche­hen von ei­nem vor dem Pa­lais er­rich­te­ten Zelt aus. Ein Ver­tre­ter der ka­tho­li­schen Stu­den­ten­ver­bin­dung „Ar­mi­ni­a“ hielt ei­ne kur­ze An­spra­che, in der er be­ton­te, dass heu­te die Bon­ner Stu­den­ten­schaft [i]n vol­ler Ein­heit[54] ver­tre­ten sei. Im An­schluss zo­gen die Stu­den­ten am Kai­ser vor­bei und kehr­ten am Rhein ent­lang zum Markt­platz zu­rück, wo un­ter dem Ge­sang des Stu­den­ten­lie­des „Gau­dea­mus igi­tur“ die Fa­ckeln zu ei­nem Feu­er zu­sam­men­ge­wor­fen wur­den. Pro­fes­sor Zorn be­schrieb die Be­deu­tung des Er­eig­nis­ses in sei­nen Me­moi­ren fol­gen­der­ma­ßen: [I]n ei­nem dem Kai­ser bei Ge­le­gen­heit ei­nes Be­su­ches in Bonn dar­ge­brach­ten gro­ßar­ti­gen Fa­ckel­zu­ges fei­er­te die Bon­ner Stu­den­ten­schaft ih­re wie­der­her­ge­stell­te fried­li­che Ein­heit und der Kai­ser er­wi­der­te die­se Hul­di­gung durch war­me Wor­te der Freu­de über die­se in der Bon­ner Stu­den­ten­schaft wie­der­her­ge­stell­te deut­sche Ein­heit.[55]

Be­reits ge­gen neun Uhr mor­gens am 20. Ok­to­ber reis­ten der Mon­arch und sei­ne En­tou­ra­ge wie­der ab. Zur Ver­ab­schie­dung hat­te sich Ober­bür­ger­meis­ter Spi­ri­tus ein­ge­fun­den. Ei­ne Be­son­der­heit be­stand wohl dar­in, dass ei­ne Film­fir­ma aus Metz die Ab­fahrt vom Pa­lais Schaum­burg auf­nahm[56], was zur da­ma­li­gen Zeit noch al­les An­de­re als all­täg­lich war. Die Wa­gen­ko­lon­ne ver­ließ Bonn nach Sü­den über Lengs­dorf und Rött­gen in Rich­tung Me­cken­heim. Auf der Fahrt nach Schloss Lie­ser wur­de ein Zwi­schen­halt in Müns­ter­ei­fel ein­ge­legt, bei dem Wil­helm II. die Pfarr­kir­che und das Rat­haus be­sich­tig­te. Spä­ter in Daun nahm er an der Ein­wei­hung ei­nes so­ge­nann­ten Kai­ser­brun­nens mit sei­nem Bild­nis teil. Ins­ge­samt han­del­te es sich um ei­nen der kür­zes­ten Auf­ent­hal­te am Rhein. Ab­ge­se­hen vom Fa­ckel­zug der Stu­den­ten wur­de der pri­va­te Cha­rak­ter weit­ge­hend ein­ge­hal­ten. Wil­helm II. nahm an kei­ner Ver­an­stal­tung des Korps Bo­rus­sia teil, al­ler­dings wa­ren die Bon­ner Preu­ßen am Fa­ckel­zug be­tei­ligt.

8. Das Thronjubiläum des Kaisers

Im Jahr 1913 jähr­te sich die Thron­be­stei­gung Wil­helms II. zum 25. Mal. Die­ses Er­eig­nis wur­de so­wohl in der Haupt­stadt Ber­lin als auch im ge­sam­ten Reich fei­er­lich be­gan­gen. Im Vor­feld des neu­er­li­chen Kai­ser­be­suchs vom 15.-17.10.1913 be­ton­te die „Bon­ner Zei­tun­g“, es sei ei­ne be­son­de­re Freu­de, den Kai­ser in sei­nem Ju­bi­lä­ums­jahr zu Be­such zu ha­ben. Wie­der­um wur­de das be­son­de­re Ver­hält­nis von Stadt und Uni­ver­si­tät zu ih­rem ehe­ma­li­gen Stu­den­ten be­schwo­ren. Es sei das Ge­fühl treu­er An­häng­lich­keit, das uns mit dem Kai­ser ver­bin­det. Auch heu­te wer­den in die­sem Ge­fühl dem Kai­ser die Her­zen sei­ner Bon­ner wie­der ent­ge­gen­schla­gen. Her­vor­ge­ho­ben wur­de au­ßer­dem die be­son­de­re Be­deu­tung der Uni­ver­si­tät als der geis­ti­ge[n] Haupt­stadt der Rhein­lan­de.[57]

Wil­helm II. traf am Nach­mit­tag des 15. Ok­to­ber un­ter dem Ge­läut der Glo­cken der Kreuz­kir­che an der Spit­ze ei­ner aus fünf Kraft­wa­gen be­ste­hen­den Ko­lon­ne in Bonn ein. Zu­vor hat­te er von der Mo­sel kom­mend am Wei­he­got­tes­dienst für die neue evan­ge­li­sche Kir­che in Ge­rol­stein in der Ei­fel teil­ge­nom­men, für de­ren Bau Kai­se­rin Au­gus­te Vic­to­ria die Schirm­herr­schaft über­nom­men hat­te. Auf dem Pa­lais Schaum­burg wur­de die Kai­ser­stan­dar­te auf­ge­zo­gen und so­wohl vor dem Ein­gang als auch im In­nern vor den Ge­mä­chern des Mon­ar­chen Eh­ren­pos­ten aus den Rei­hen der bei­den Bon­ner Re­gi­men­ter – der Kö­nigs­hu­sa­ren und der In­fan­te­ris­ten – auf­ge­stellt.[58] Den Abend ver­brach­te Wil­helm II. im Krei­se der Ver­wand­ten, sei­ner Schwes­ter und de­ren Ehe­mann.

Das Be­suchs­pro­gramm am 16. Ok­to­ber be­gann mit ei­nem län­ge­ren Spa­zier­gang des Kai­sers und sei­nes Ge­fol­ges an der Rhein­pro­me­na­de. An­schlie­ßend emp­fing er den Abt des Klos­ters Ma­ria Laach, Il­de­fons Her­we­gen, zu­dem war für den Fol­ge­tag ein wei­te­rer Be­such des Kai­sers im Klos­ter ge­plant. Am Nach­mit­tag ging es zur Rund­fahrt in das Ber­gi­sche Land, die un­ter an­de­rem durch Wip­per­fürth, Wald­bröl und Ei­torf führ­te, je­doch kei­nen Auf­ent­halt in ei­nem der Or­te vor­sah.

Auch der 17. Ok­to­ber be­gann mit dem üb­li­chen Rhein­spa­zier­gang. Da sich das kai­ser­li­che Ri­tu­al mitt­ler­wei­le her­um­ge­spro­chen hat­te, war ei­ne grö­ße­re Zahl an Bür­gern an der Rhein­pro­me­na­de un­ter­wegs, um aus un­mit­tel­ba­rer Nä­he ei­nen Blick auf die ho­hen Herr­schaf­ten zu wer­fen. Die We­ge wa­ren öf­fent­lich zu­gäng­lich, Ab­sper­run­gen oder Ein­schrän­kun­gen exis­tier­ten of­fen­sicht­lich nicht.[59] Spä­ter führ­te den Kai­ser ei­ne Be­sich­ti­gungs­tour über Re­ma­gen und durch das Brohl­tal mit Ziel Ma­ria Laach. Nach ei­nem Rund­gang und ei­nem Es­sen im Krei­se der Pa­tres ging es zu­rück nach Bonn. Neu war, dass auf dem Rück­weg die kai­ser­li­che Wa­gen­ko­lon­ne von Brohl aus von ei­nem Was­ser­flug­zeug, ei­nem neu kon­stru­ier­ten Flug­zeug­typ, in der Luft „es­kor­tier­t“ wur­de. Vor sei­ner Ab­rei­se emp­fing Wil­helm II. im Pa­lais Schaum­burg noch ei­ne Ab­ord­nung von Schü­le­rin­nen des Her­se­ler Ur­su­li­nen­klos­ters. Am spä­ten Abend ver­lie­ßen Wil­helm II. und sein Ge­fol­ge Bonn mit dem Hof­zug, der wäh­rend des ge­sam­ten Auf­ent­halts auf ei­nem Ne­ben­gleis des Bahn­hofs ge­stan­den hat­te. Ei­ne Ver­län­ge­rung des Auf­ent­halts war die­ses Mal nicht mög­lich, weil am 18.10.1913 in Leip­zig die gro­ße Ein­wei­hungs­fei­er für das Völ­ker­schlacht­denk­mal statt­fin­den soll­te. Da vie­le stu­den­ti­sche Ver­bin­dun­gen be­reits Ab­ord­nun­gen nach Leip­zig ge­schickt hat­ten, fan­den bei die­sem Bon­ner Auf­ent­halt des Kai­sers kei­ne ent­spre­chen­den Ak­ti­vi­tä­ten statt. Was die­sem Zeit­punkt nie­mand ahn­te: Es soll­te der letz­te Be­such Kai­ser Wil­helms II. zu Frie­dens­zei­ten in sei­ner ge­treu­en Stadt Bonn ge­we­sen sein.[60]

9. Schlussbetrachtung

Ins­ge­samt auf­fäl­lig ist der Wan­del der Kai­ser­be­su­che über die zwei Jahr­zehn­te hin­weg, wo­bei bei den ers­ten Auf­ent­hal­ten des Mon­ar­chen die Uni­ver­si­tät und stär­ker noch das Korps Bo­rus­sia ein­deu­tig im Mit­tel­punkt stan­den. Der Kai­ser ab­sol­vier­te bei die­sen frü­hen Be­su­chen ei­ne Viel­zahl öf­fent­li­cher Auf­trit­te und Re­den. Die spä­te­ren Be­su­che ent­hal­ten hin­ge­gen kaum noch öf­fent­li­che Ter­mi­ne und über­haupt kei­ne grö­ße­ren An­spra­chen mehr. Auch nahm er kei­ne Mög­lich­kei­ten zur Teil­nah­me an Ver­an­stal­tun­gen der Uni­ver­si­tät und der Kor­po­ra­tio­nen mehr wahr, Wil­helm II. zog sich wäh­rend sei­ner spä­te­ren Auf­ent­hal­te in Bonn weit­ge­hend ins Pri­va­te zu­rück. Der Kai­ser ver­hielt sich nun eher wie ein Tou­rist denn wie ein Staats­ober­haupt und un­ter­nahm ver­schie­de­ne Aus­flü­ge in die Ei­fel. Fol­gen­de Grün­de mag es für die­se Ent­wick­lung viel­leicht ge­ge­ben ha­ben: 

  1. Mit zu­neh­men­dem Al­ter brach­te Wil­helm II. den An­ge­le­gen­hei­ten der Bon­ner Uni­ver­si­tät und dem stu­den­ti­schen Trei­ben „sei­ner“ Bo­rus­sia mög­li­cher­wei­se we­ni­ger In­ter­es­se ent­ge­gen als in den frü­hen Jah­ren sei­ner Herr­schaft.
  2. Die Rol­le als Au­to­mo­bi­list wur­de für den tech­nik­be­geis­ter­ten Mon­ar­chen zu ei­nem neu­en Hob­by, dem er sich ab 1902/1903 mit zu­neh­men­der Be­geis­te­rung wid­me­te; die Nut­zung des Kraft­fahr­zeugs „ver­än­der­te das Frei­zeit- und Rei­se­ver­hal­ten des Kai­ser­s“[61], wo­für der Wan­del der Be­su­che Wil­helms II. in Bonn ein Be­leg sein könn­te.
  3. In­fol­ge zu­neh­men­der in­nen­po­li­ti­scher Kri­tik an sei­nem Re­gie­rungs­stil, die sich an um­strit­te­nen Re­den so­wie an Skan­da­len des Kai­sers und sei­nes Hof­staats ent­zün­de­te[62], mag in spä­te­ren Jah­ren viel­leicht ei­ne et­was grö­ße­re Zu­rück­hal­tung und ei­ne Re­duk­ti­on öf­fent­li­cher Auf­trit­te – so auch bei den Auf­ent­hal­ten in Bonn - zur Fol­ge ge­habt ha­ben. Al­ler­dings zeig­te sich das ver­än­der­te Be­suchs­ver­hal­ten des Mon­ar­chen be­reits im Herbst 1906, wäh­rend die an­hal­ten­de Kri­tik am Auf­tre­ten Wil­helms II. erst ei­ne Fol­ge des Eu­len­burg-Skan­dals 1907 und ins­be­son­de­re der Dai­ly-Te­le­graph-Af­fä­re 1908 war; und selbst nach die­sen Af­fä­ren war die grö­ße­re Zu­rück­hal­tung in den öf­fent­li­chen Auf­trit­ten und Re­den Wil­helms II. nur vor­über­ge­hen­der Na­tur.[63] 

In Bonn je­den­falls hiel­ten die al­ten mon­ar­chi­schen Eli­ten dem Kai­ser bis in den Ers­ten Welt­krieg hin­ein und noch dar­über hin­aus die Treue. Bei der ver­spä­te­ten Fei­er zum 100-jäh­ri­gen Ju­bi­lä­um der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät am 3.8.1919 scheu­te sich der Uni­ver­si­täts­rek­tor Ernst Zi­tel­mann (1852-1923) in An­we­sen­heit des neu­en preu­ßi­schen Kul­tus­mi­nis­ters, des So­zi­al­de­mo­kra­ten Kon­rad Hae­nisch (1876-1925, Kul­tus­mi­nis­ter 1919-1921), nicht, an das be­son­de­re Ver­hält­nis von Stadt und Uni­ver­si­tät zu Wil­helm II. zu er­in­nern: In Ehr­furcht und tiefs­tem Mit­ge­fühl ge­den­ke ich dar­um heu­te vor al­lem des er­lauch­tes­ten Zög­lings die­ser Uni­ver­si­tät, des er­ha­be­nen ehe­ma­li­gen deut­schen Kai­sers. Ihm, der so oft in Bonn um­ju­belt wor­den ist, ihm sen­den wir in sei­ne tra­gi­sche Ein­sam­keit un­se­re ehr­furcht­volls­ten Grü­ße und zu­gleich die hei­ßes­ten Wün­sche für sein Wohl und das sei­nes Hau­ses.[64]

Literatur

Ge­ppert, Do­mi­nik, Bon­na Perl am grü­nen Rhei­ne. Stu­die­ren in Bonn von 1818 bis zur Ge­gen­wart, Göt­tin­gen 2013.
Ger­hardt, Hans, Hun­dert Jah­re Bon­ner Corps, Frank­furt am Main 1926.
Höroldt, Diet­rich, Stadt und Uni­ver­si­tät. Rück­blick aus An­laß der 150 Jahr-Fei­er der Uni­ver­si­tät Bonn, Bonn 1969.
Höroldt, Diet­rich/van Rey, Man­fred (Hg.), Bonn in der Kai­ser­zeit 1871-1914. Fest­schrift zum 100jäh­ri­gen Ju­bi­lä­um des Bon­ner Hei­mat- und Ge­schichts­ver­eins, Bonn 1986.

Blick auf das Neutor und Kaiserplatz, rechts die Universität mit dem davor platzierten Kaiserdenkmal, Ansichtskarte. (public domain)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Rosin, Philip, Kaisertage am Rhein. Besuche Wilhelms II. in Bonn zwischen 1891 und 1913, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/kaisertage-am-rhein.-besuche-wilhelms-ii.-in-bonn-zwischen-1891-und-1913/DE-2086/lido/5d89fb171dc5f6.17456174 (abgerufen am 19.03.2024)