Leopold Kaufmann

Bonner Oberbürgermeister (1821-1898)

Norbert Schloßmacher (Bonn)

Leopold Kaufmann, Porträt, Lithographie von C. Ad. Foegen (erwähnt 1841). (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

Fast das ge­sam­te drit­te Vier­tel des 19. Jahr­hun­derts lei­te­te Leo­pold Kauf­mann als (Ober-)Bür­ger­meis­ter die Ge­schi­cke der Uni­ver­si­täts­stadt Bonn. Von 1876 bis 1888 ver­trat er als Mit­glied der Frak­ti­on des Zen­trums den Wahl­kreis Mön­chen­glad­bach im Preu­ßi­schen Ab­ge­ord­ne­ten­haus.

Leo­pold Kauf­mann wur­de am 13.3.1821 als sieb­tes Kind der Ehe­leu­te Franz (1787-1823) und Jo­se­phi­ne Kauf­mann, ge­bo­re­ne von Pel­zer (1785-1847), in Bonn in ei­ne tra­di­ti­ons­rei­che kur­k­öl­ni­sche be­zie­hungs­wei­se rhei­ni­sche Be­am­ten­fa­mi­lie hin­ein­ge­bo­ren. Der Va­ter, der un­ter an­de­rem Bür­ger­meis­ter in Aden­dorf (heu­te Ge­mein­de Wacht­berg) war, starb früh. Der äl­tes­te Bru­der, Alex­an­der (1817-1893), war li­te­ra­risch tä­tig und spä­ter Ar­chi­var der Fürs­ten Lö­wen­stein zu Wert­heim am Main. Zwei wei­te­re Brü­der star­ben in jun­gen Jah­ren. Die äl­tes­te Schwes­ter, Ju­lie (1810-1870), hei­ra­te­te den spä­te­ren Ober­bür­ger­meis­ter von Müns­ter, Jo­hann Her­mann Hüf­fer (1784-1854), die Schwes­ter Ka­ro­li­ne (1819-1868) den Aschaf­fen­bur­ger Buch­händ­ler und Ver­le­ger Karl Krebs (1810-1872), die Schwes­ter Au­gus­te (1811-1897) leb­te un­ver­hei­ra­tet in Bonn.

Leo­pold Kauf­mann wuchs in ei­ner in­tel­lek­tu­ell und mu­sisch in­ter­es­sier­ten, kon­fes­sio­nell äu­ßerst to­le­ran­ten At­mo­sphä­re auf. Die Fa­mi­lie führ­te ein über­aus gast­freund­li­ches Haus und pfleg­te ei­nen wei­ten Freun­des­kreis. Nach dem Ab­itur auf dem Bon­ner Gym­na­si­um (wohl 1840) be­gann Leo­pold Kauf­mann ein Ju­ra­stu­di­um an der Uni­ver­si­tät sei­ner Hei­mat­stadt. Dar­über hin­aus be­such­te er his­to­ri­sche und sprach­wis­sen­schaft­li­che Lehr­ver­an­stal­tun­gen, war ein be­geis­ter­ter Sän­ger und hat­te in Jo­han­na Kin­kel, mit der und de­ren Mann Gott­fried er trotz al­ler po­li­ti­scher Un­ter­schie­de zeit­le­bens en­ge Ver­bin­dung hielt, ei­ne tüch­ti­ge Leh­re­rin. Nach Ex­amen (1843), Mi­li­tär­dienst- und Re­fe­ren­da­ri­at am Ko­blen­zer Land­ge­richt trat Leo­pold Kauf­mann im April 1848 in den Staats­dienst. Er wur­de Mit­ar­bei­ter des Re­gie­rungs­prä­si­di­ums Ko­blenz und ge­hör­te da­mit zu den we­ni­gen ka­tho­li­schen Rhein­län­dern, die sich sei­ner­zeit für ei­ne Tä­tig­keit bei der preu­ßi­schen Ver­wal­tung ent­schie­den. All­zu stark noch wa­ren bei vie­len die ge­gen­sei­ti­gen Res­sen­ti­ments.

Be­reits im Mai 1848 wur­de Leo­pold Kauf­mann als kom­mis­sa­ri­scher Bür­ger­meis­ter nach Un­kel am Rhein ge­schickt. Der Amts­in­ha­ber hat­te auf­grund der re­vo­lu­tio­nä­ren Un­ru­hen sein Amt nie­der­ge­legt. Im April 1850 über­nahm er kom­mis­sa­risch die Lei­tung des Land­krei­ses Zell (heu­te Kreis Co­chem-Zell) an der Mo­sel. Am 12.10.1850 schlie­ß­lich wur­de der noch nicht 30-jäh­ri­ge von der gro­ßen Mehr­heit der Bon­ner Stadt­ver­ord­ne­ten zum Bür­ger­meis­ter der Uni­ver­si­täts­stadt ge­wählt. En­de April 1851 trat Kauf­mann sei­nen Dienst in Bonn an, nach­dem al­le in Ber­lin ge­heg­ten Be­den­ken ge­gen ihn, ins­be­son­de­re we­gen sei­ner an­geb­li­chen Be­tei­li­gung an re­vo­lu­tio­nä­ren Be­we­gun­gen, zer­streut wor­den wa­ren. Bis 1875, al­so das ge­sam­te drit­te Vier­tel des 19. Jahr­hun­derts, soll­te Kauf­mann als Bür­ger­meis­ter, seit 1859 als Ober­bür­ger­meis­ter, die Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung und Ver­wal­tung der Stadt Bonn lei­ten.

1855 hei­ra­te­te er Eli­sa­beth (Eli­se) Mi­chels (1833-1900), Toch­ter ei­ner sehr be­gü­ter­ten Köl­ner Kauf­manns­fa­mi­lie, die in (Bonn-)En­de­nich ein Land­haus be­saß. Mit die­ser Ehe­schlie­ßung trat Kauf­mann mit ei­ner tief im ka­tho­li­schen Glau­ben wur­zeln­den Fa­mi­lie in Ver­bin­dung, die nicht oh­ne Aus­wir­kun­gen auf sei­ne bis da­hin eher ge­mä­ßig­te re­li­giö­se Hal­tung blieb. Zehn Kin­der gin­gen aus die­ser Be­zie­hung her­vor, dar­un­ter Paul (1856-1945), Prä­si­dent des Reichs­ver­si­che­rungs­am­tes in Leip­zig, Kon­stan­ze (1857-1953), Ehe­frau des aus Aa­chen stam­men­den Kir­chen- und Papst­his­to­ri­kers Lud­wig Frei­herr von Pas­tor, Edu­ard (1860-1931), Me­di­zin­pro­fes­sor in Ba­sel, und Franz (1862-1920), Stift­spropst in Aa­chen. Die zwei­fel­los grö­ß­ten Ver­diens­te er­warb sich das Stadt­ober­haupt Kauf­mann auf den Ge­bie­ten Stadt­pla­nung und Kul­tur. Die Sa­nie­rung der Rhein­front, die Pflas­te­rung der Stra­ßen und die 1867 be­gon­ne­ne Ka­na­li­sa­ti­on ge­hö­ren zu den wich­tigs­ten städ­ti­schen Er­run­gen­schaft sei­ner Amts­zeit. Auch die plan­mä­ßi­ge Ent­wick­lung und der Bau der Bon­ner Süd­stadt, bis heu­te ei­nes der be­mer­kens­wer­tes­ten und best er­hal­te­nen städ­ti­schen Quar­tie­re je­ner Epo­che, ha­ben ganz ent­schei­dend mit sei­nem kom­mu­nal­po­li­ti­schen Wol­len zu tun. Glei­ches gilt für das Wach­sen der Stadt über die be­en­gen­den mit­tel­al­ter­li­chen und früh­neu­zeit­li­chen Fes­tungs­bau­wer­ke: In den na­he­zu 25 Jah­ren sei­ner Tä­tig­keit als Bon­ner Ober­bür­ger­meis­ter wuchs die Stadt um na­he­zu 50 Pro­zent von rund 19.000 auf rund 28.000 Ein­woh­ner. Auf Kauf­mann ge­hen auch die ers­ten Fest­an­stel­lun­gen ei­nes haupt­amt­li­chen „Stadt­bau­meis­ters" und ei­nes städ­ti­schen Mu­sik­di­rek­tors zu­rück. Die Über­nah­me des bis­lang pri­va­ten Thea­ters in städ­ti­sche Re­gie fällt eben­so in sei­ne Amts­zeit wie der Bau der 1944 zer­stör­ten Beet­ho­ven­hal­le.

Kauf­mann war Mo­tor und In­itia­tor von Beet­ho­ven­fes­ten so­wie des ers­ten gro­ßen Schu­mann­fes­tes im Jah­re 1873. Auch auf so­zia­lem Sek­tor be­saß Kauf­mann gro­ße Ver­diens­te. Er war sehr um In­te­gra­ti­on be­müht, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der nicht im­mer kon­flikt­frei­en Be­zie­hung zwi­schen Stadt und Uni­ver­si­tät so­wie zwi­schen den alt­ein­ge­ses­se­nen, über­wie­gend so­zi­al schwä­che­ren ka­tho­li­schen Krei­sen und der neu hin­zu­ge­zo­ge­nen, durch­weg ma­te­ri­ell bes­ser ge­stell­ten evan­ge­li­schen Mit­tel- und Ober­schicht. Sei­ne en­gen Be­zie­hun­gen zur Bon­ner Geist­lich­keit und sei­ne Be­mü­hun­gen um ei­ne Ver­bes­se­rung der städ­ti­schen Schul­si­tua­ti­on ge­hö­ren in die­sen Zu­sam­men­hang.

We­nig In­ter­es­se zeig­te er an der In­dus­tria­li­sie­rung sei­ner Stadt. 1853 for­mu­lier­te er: „Wir se­hen es als un­se­re Haupt­auf­ga­be an, den Zu­zug wohl­ha­ben­der Fa­mi­li­en zu ver­meh­ren", und in glei­cher Ab­sicht 1867: „Un­se­re Stadt ist mehr dar­auf an­ge­wie­sen, in dem weit ver­brei­te­ten Ruf un­se­rer Hoch­schu­le und in den ver­schie­de­nen An­nehm­lich­kei­ten des Le­bens, welch die rei­zen­de La­ge und die geis­ti­gen Ge­nüs­se der Kunst und Wis­sen­schaft bie­ten, die Quel­le ih­res Wohl­stan­des zu fin­den und zu pfle­gen, als in der Ent­wick­lung ei­ner gro­ßar­ti­gen in­dus­tri­el­len Tä­tig­keit." (Zi­ta­te in den je­wei­li­gen Ver­wal­tungs­be­rich­ten). Seit 1861 war Leo­pold Kauf­mann Mit­glied des preu­ßi­schen Her­ren­hau­ses.

Zeit­gleich mit dem Ab­lauf sei­ner zwei­ten zwölf­jäh­ri­gen Amts­zeit be­fand sich der ge­ra­de das Rhein­land re­gel­recht er­schüt­tern­de Kul­tur­kampf auf sei­nem Hö­he­punkt. Am 31.7.1874 wur­de Kauf­mann ein­stim­mig, und zwar so­wohl von der ka­tho­li­schen Min­der­heit wie der li­be­ra­len Mehr­heit der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung, wie­der ge­wählt. Die für ei­ne Fort­set­zung sei­ner Tä­tig­keit er­for­der­li­che kö­nig­li­che Be­stä­ti­gung blieb Kauf­mann nach mo­na­te­lan­gem Zö­gern und auf­grund ei­ner ent­spre­chen­den Emp­feh­lung der Köl­ner Be­zirks­re­gie­rung ver­sagt. Der „Fall Kauf­mann" wur­de in der über­re­gio­na­len Pres­se the­ma­ti­siert, war Ge­gen­stand ei­ner De­bat­te im preu­ßi­schen Ab­ge­ord­ne­ten­haus und die viel­leicht spek­ta­ku­lärs­te von meh­re­ren ähn­lich ge­ar­te­ten Per­so­nal­ent­schei­dun­gen im Rhein­land (Aa­chen, Düs­sel­dorf), bei de­nen lang­jäh­ri­gen ver­dienst­vol­len ka­tho­li­schen Ober­bür­ger­meis­tern ei­ne Fort­set­zung ih­rer Amts­tä­tig­keit in ers­ter Li­nie auf­grund ih­rer Kon­fes­si­on nicht ge­stat­tet wur­de.

Kauf­mann gab jetzt sei­ne bis­lang prak­ti­zier­te kir­chen­po­li­ti­sche Zu­rück­hal­tung auf. 1876 kan­di­dier­te er in gleich zwei Wahl­krei­sen für das preu­ßi­sche Ab­ge­ord­ne­ten­haus. Für den Wahl­kreis Mön­chen­glad­bach er­hielt er schlie­ß­lich ein Man­dat, das er nach ent­spre­chen­den Wie­der­wah­len bis 1888 wahr­nahm. Be­reits 1879 wur­de er Mit­glied des Frak­ti­ons­vor­stan­des der Zen­trums­par­tei. Ihm blieb die Ge­nug­tu­ung, aus Ot­to von Bis­marcks (1815-1898) ei­ge­nem Mund das Schei­tern des Kul­tur­kamp­fes und das Ein­ge­ständ­nis hier­bei ge­mach­ter Feh­ler zu ver­neh­men.

Ne­ben sei­ner po­li­ti­schen Tä­tig­keit ver­fass­te Kauf­mann ei­ne Rei­he kul­tur­ge­schicht­li­cher Pu­bli­ka­tio­nen, dar­un­ter ei­ne Dü­rer-Bio­gra­phie. Nach sei­nem Rück­zug aus der Po­li­tik, wo­zu auch sei­ne lang­jäh­ri­ge Tä­tig­keit als Ge­schäfts­füh­rer der „Gör­res­ge­sell­schaft zur Pfle­ge der Wis­sen­schaf­ten im ka­tho­li­schen Deutsch­land", des­sen Grün­dungs­mit­glied er 1876 war, zu zäh­len ist, er­warb Kauf­mann sich be­son­de­re Ver­diens­te um die Re­no­vie­rung des Bon­ner Müns­ters, der Haupt­kir­che sei­ner Hei­mat­stadt. Er starb am 27.2.1898 an den Fol­gen ei­ner Lun­gen­ent­zün­dung, sein Grab be­fin­det sich auf dem Al­ten Fried­hof in Bonn. In Bonn-En­de­nich ist ei­ne Stra­ße nach Leo­pold Kauf­mann be­nannt.

Quellen

Fa­mi­li­en­nach­lass Kauf­mann (Stadt­ar­chiv und Stadt­his­to­ri­sche Bi­blio­thek Bonn).

Werke (Auswahl)

Al­brecht Dü­rer, Köln 1881 (2. Auf­la­ge Frei­burg i.Br. 1887).
Bil­der aus dem Rhein­land: cul­tur­ge­schicht­li­che Skiz­zen, Köln 1884.
Ge­schich­te der Wohl­t­hä­tig­keits­an­stal­ten in Bonn. Vor­trag des Herrn Ober­bür­ger­meis­ters L. Kauf­mann, ge­hal­ten in der Ver­samm­lung des Ka­tho­li­schen Ver­eins in Bonn am 27. Mai 1867, Bonn 1868.

Literatur

Kauf­mann, Franz, Leo­pold Kauf­mann. Ober­bür­ger­meis­ter von Bonn (1821-1898). Ein Zeit- und Le­bens­bild, Köln 1903.
Höroldt, Diet­rich, Leo­pold Kauf­mann (1821-1898), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 8 (1980), S. 263-283.
Nie­sen, Jo­sef, Bon­ner Per­so­nen­le­xi­kon, Bonn 2007, S. 161.
Ro­meyk, Horst, Die lei­ten­den staat­li­chen und kom­mu­na­len Ver­wal­tungs­be­am­ten der Rhein­pro­vinz 1816-1945, Düs­sel­dorf 1994, S. 564.

Online

Kauf­mann, Paul, Ar­ti­kel „Kauf­mann, Leo­pold Ernst", in: All­ge­mei­ne Deut­sche Bio­gra­phie 51 (1906), S. 84-88 [On­line]

 
Zitationshinweis

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Schloßmacher, Norbert, Leopold Kaufmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/leopold-kaufmann/DE-2086/lido/57c9330603bbf0.77521709 (abgerufen am 19.03.2024)