Carl Leverkus

Unternehmer (1804-1889)

Gabriele John (Leverkusen)

Carl Leverkus, Kopie eines Gemäldes von Heinrich Johann Sinkel (1835-1908), Original von 1888. (KulturStadtLev - Stadtarchiv Leverkusen)

Carl Le­ver­kus ent­wi­ckel­te in den 1830er-Jah­ren ein Ver­fah­ren zur Her­stel­lung künst­li­chen Ul­tra­ma­rins. Die­ses bei­na­he un­lös­li­che Pig­ment fand brei­te Ver­wen­dung in der Ma­le­rei, bei der Her­stel­lung von La­cken und Far­ben so­wie beim „Bläu­en" von Pa­pier, Gar­nen und al­len an­de­ren Stof­fen, die durch die kom­ple­men­tä­ren Pig­men­te op­tisch „ge­wei­ßt" wur­den. Als „Wasch­blau" wur­de es welt­weit bis zur Ver­brei­tung mo­der­ner Wasch­mit­tel in der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts zum Auf­hel­len wei­ßer Wä­sche ver­wen­det. Mit der Ver­le­gung sei­ner Fa­brik von Wer­mels­kir­chen nach Wies­dorf am Rhein be­grün­de­te Le­ver­kus den Che­mie­stand­ort und die spä­te­re Stadt Le­ver­ku­sen.

Carl Le­ver­kus wur­de am 5.11.1804 in Wer­mels­kir­chen als zwei­tes Kind des Wil­helm Le­ver­kus und sei­ner Frau Alex­an­d­ri­ne Ja­e­ger ge­bo­ren. Sein Va­ter war Apo­the­ker, sei­ne Gro­ß­mut­ter stamm­te aus der al­ten, ur­sprüng­lich in So­lin­gen an­säs­si­gen Apo­the­ker­fa­mi­lie Lo­he. Alex­an­d­ri­ne Ja­e­ger war die Toch­ter ei­nes Rem­schei­der Fa­bri­kan­ten und Gro­ßhänd­lers für Stahl­wa­ren.

Nach dem Ele­men­tar­un­ter­richt in Wer­mels­kir­chen be­such­te Le­ver­kus 1816 bis 1818 die Bür­ger­schu­le in Rem­scheid. Ei­ner phar­ma­zeu­ti­schen Aus­bil­dung in der vä­ter­li­chen Apo­the­ke folg­te der Be­such ei­ner pri­va­ten Han­dels­schu­le in Burg an der Wup­per, wo er die Söh­ne zahl­rei­cher rhei­ni­scher und ber­gi­scher Un­ter­neh­mer ken­nen­lern­te. Er ab­sol­vier­te ei­ne kur­ze Lehr­zeit bei dem Apo­the­ker Jo­seph Kra­he in Win­nin­gen an der Mo­sel. 1822/1823 be­such­te er die Uni­ver­si­tät Mar­burg, wo er Vor­le­sun­gen in Che­mie, Phar­ma­zie und Me­di­zin, Bo­ta­nik, Mi­ne­ra­lo­gie und Ma­the­ma­tik hör­te. Wei­te­re Pra­xis er­warb er sich als Ge­hil­fe in der Apo­the­ke sei­nes Va­ters und in Trier. 1826 ging er nach Pa­ris, dem da­ma­li­gen Zen­trum der wis­sen­schaft­li­chen Che­mie.

In Pa­ris ver­folg­te Le­ver­kus den Prio­ri­tä­ten­streit, der über die Syn­the­se von Ul­tra­ma­rin ent­brannt war. Gleich­zei­tig, je­doch un­ab­hän­gig von­ein­an­der, hat­ten die Che­mi­ker Gme­lin (Tü­bin­gen) und Gui­met (Tou­lou­se) ein Ver­fah­ren zur Her­stel­lung künst­li­chen Ul­tra­ma­rins ent­wi­ckelt. Das leuch­tend blaue, un­gif­ti­ge, licht-, hit­ze- und lau­gen­be­stän­di­ge Pig­ment er­setz­te das ge­such­te und sehr kost­spie­li­ge Pul­ver, das aus dem Halb­edel­stein La­pis La­zu­li ge­won­nen wur­de. Die „So­cié­té d’en­cou­ra­ge­ment pour l’in­dus­trie na­tio­na­le" hat­te 1824 ei­nen Preis für die Ent­wick­lung ei­nes sol­chen Ver­fah­rens aus­ge­schrie­ben, der 1828 Gui­met zu­er­kannt wur­de, des­sen Ver­fah­ren sich als das wirt­schaft­li­che­re her­aus­stell­te.

1829 im­ma­tri­ku­lier­ten sich Carl und sein jün­ge­rer Bru­der Wil­helm an der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät, wo Carl am 10.10.1829 das Apo­the­ker-Ex­amen ers­ter Klas­se ab­leg­te. Wil­helm setz­te sein Stu­di­um der al­ten Spra­chen und der Ge­schich­te fort, er wur­de spä­ter Ar­chi­var und Ge­hei­mer Staats­rat des Her­zog­tums Ol­den­burg.

Carl Le­ver­kus kehr­te nach Wer­mels­kir­chen zu­rück. Da sei­ne Be­mü­hun­gen um ei­ne Apo­the­ken­kon­zes­si­on ver­geb­lich wa­ren, fass­te er den Plan zum Bau ei­ner ei­ge­nen klei­nen Fa­brik. Da­mit ge­hör­te er zu den Phar­ma­zeu­ten, die sich zu Be­ginn des 19. Jahr­hun­derts we­gen des er­schwer­ten Zu­gangs vom Apo­the­ker­be­ruf ab- und der For­schung und der Che­mi­ka­li­en­fa­bri­ka­ti­on zu­wand­ten. Dar­über hin­aus reich­te Le­ver­kus bei der Uni­ver­si­tät Gie­ßen ei­ne zehn­sei­ti­ge „Ab­hand­lung über das Sil­ber: Sein Vor­kom­men; sei­ne Rei­ni­gung und Ei­gen­schaf­ten" als Dis­ser­ta­ti­on ein. In ab­sen­tia wur­de er im No­vem­ber 1830 pro­mo­viert, auch wenn der Gut­ach­ter Jus­tus Lie­big (1803-1873, seit 1845 von Lie­big) in der Ar­beit „von et­was neu­em ... kei­ne Spur" zu fin­den ver­moch­te. Gleich­wohl be­für­wor­te­te Lie­big die Pro­mo­ti­on, da „Herr L. durch sein Ex­amen zu Ber­lin sich das bes­te Zeug­nis sei­ner Kennt­nis­se er­wor­ben hat, da er fer­ner ein Aus­län­der ist und es hier mehr um den Ti­tel als um die Sa­che geht."

Nach der für ihn un­be­frie­di­gen­den Tä­tig­keit als Be­triebs­lei­ter der So­da­f­a­brik von Hösch & Lan­gen­beck in Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) kehr­te Le­ver­kus 1833 nach Wer­mels­kir­chen zu­rück und er­rich­te­te un­ter gro­ßen fi­nan­zi­el­len An­stren­gun­gen 1834 ein Fa­brik­ge­bäu­de mit ei­ge­nem La­bo­ra­to­ri­um. Wäh­rend die „Che­mi­sche Fa­brik Dr. Carl Le­ver­kus" Che­mi­ka­li­en für un­ter­schied­li­che An­wen­dungs­ge­bie­te pro­du­zier­te, ent­wi­ckel­te Le­ver­kus ein auf der Ba­sis der For­schun­gen Gui­mets mo­di­fi­zier­tes und ver­bes­ser­tes Ver­fah­ren zur Syn­the­se von Ul­tra­ma­rin. 1838 ge­lang es ihm, für den Be­reich des Kö­nig­reichs Preu­ßen ein auf zehn Jah­re be­fris­te­tes Pa­tent zu er­hal­ten.

Die in­ter­na­tio­na­le An­er­ken­nung blieb nicht aus. Auf der ers­ten Welt­aus­stel­lung 1851 in Lon­don wur­de das Ul­tra­ma­rin als das her­vor­ra­gends­te Er­zeug­nis der deut­schen In­dus­trie ge­rühmt, 1855 er­hielt Le­ver­kus die sil­ber­ne Me­dail­le der Pa­ri­ser Welt­aus­stel­lung. Al­ler­dings war auf dem Ul­tra­ma­rin­markt zu die­ser Zeit be­reits ein hef­ti­ger Kon­kur­renz­kampf ent­stan­den. Aus dem Jahr 1856 ist ein Brief­kon­zept Le­ver­kus’ über­lie­fert, in dem der Un­ter­neh­mer Über­le­gun­gen zur Er­wei­te­rung und zur Ver­le­gung der Fa­brik an­stellt: „Die Ein­rich­tung hier­zu kann aber in Wer­melsk[ir­chen] nicht ge­sche­hen, da zum Be­zug und zum Ver­sen­den die Ent­fer­nung des fahr­ba­ren Was­sers und die der Ei­sen­bahn zu groß ist, son­dern nur in der Ge­gend von Cöln. Über­haupt kann auch nur ei­ne gro­ßar­ti­ge Ein­rich­tung ge­trof­fen wer­den, um ei­ne Ren­ta­bi­li­tät zu si­chern."

Die­se Stand­ort­vor­tei­le bot die Ge­mein­de Wies­dorf. Sie lag nicht nur am Rhein, son­dern ver­füg­te mit dem Bahn­hof Küp­per­steg seit 1845 auch über ei­nen An­schluss an die Köln-Min­de­ner Ei­sen­bahn. Die ers­ten Grund­stü­cke in der Flur Kahl­berg der Ge­mein­de Wies­dorf er­warb Le­ver­kus im Ju­li 1860. Der Fa­brik­sied­lung, die ab 1861 dort ge­baut wur­de, gab er nach dem Stamm­sitz sei­ner Fa­mi­lie den Na­men „Le­ver­ku­sen". Bald wur­de die Be­zeich­nung of­fi­zi­ell. Ab 1862 fir­mier­te die Fa­brik als „Rhei­ni­sche Ul­tra­ma­rin – Fa­brik von Dr. C. Le­ver­kus, Le­ver­ku­sen bei Coeln a/Rhein", im Volks­mund hieß die An­la­ge nur die „Bläu".

Im Früh­ling 1862 nahm die neue Fa­brik ih­ren Be­trieb auf. Le­ver­kus be­schäf­tig­te 78 Ar­bei­ter, vie­le von ih­nen wa­ren aus Wer­mels­kir­chen an den Rhein ge­kom­men und wohn­ten in den auf dem Kahl­berg er­rich­te­ten Ar­bei­ter­häu­sern. Die­se ers­te werks­ei­ge­ne Ar­bei­ter­sied­lung im Le­ver­ku­se­ner Stadt­ge­biet um­fass­te mehr als 30 Woh­nun­gen. 1872 ar­bei­te­ten 162 Men­schen in der „Bläu". Die iso­lier­te La­ge der Fa­brik­sied­lung, die mit Kon­su­man­stalt, evan­ge­li­scher Pri­vat­schu­le und ei­ner wohl auch der Ge­sel­lig­keit die­nen­den Werks­feu­er­wehr mit Mu­sik­ka­pel­le ih­re ei­ge­ne In­fra­struk­tur auf­bau­te, führ­te da­zu, dass man von ihr auch als dem „Staa­te Le­ver­ku­sen" sprach.

An­ge­sichts des Preis­kamp­fes auf dem Ul­tra­ma­rin­markt be­an­trag­te Le­ver­kus die Kon­zes­si­on für ei­ne zwei­te Fa­brik, in der er 1874 die Pro­duk­ti­on der che­mi­schen Ver­bin­dung Aliza­rin auf­nahm. Die Nach­fra­ge nach dem neu­en Farb­stoff, der die Tex­til­fär­be­rei­en von den vor al­lem aus Frank­reich im­por­tier­ten na­tür­li­chen Krappstof­fen un­ab­hän­gig mach­te, war enorm. Zwi­schen 1871 und 1874 war die deut­sche Aliza­rin­pro­duk­ti­on von 15.000 auf 400.000 Ki­lo­gramm pro Jahr ge­stie­gen. Das seit 1874 als „Rhei­ni­sche Ul­tra­ma­rin- und Aliza­rin-Fa­brik von Dr. C. Le­ver­kus & Söh­ne" fir­mie­ren­de Un­ter­neh­men be­schäf­tig­te 1891 276 Ar­bei­ter.

Seit 1838 war Le­ver­kus mit Ju­lia­ne Au­gus­te Küp­per aus Wer­mels­kir­chen ver­hei­ra­tet. Das Ehe­paar hat­te elf Kin­der. Die Schwie­ger­kin­der des Fir­men­grün­ders ent­stamm­ten fast aus­nahms­los ber­gi­schen und rhei­ni­schen Un­ter­neh­mer­fa­mi­li­en. Drei der vier Söh­ne wur­den 1869 bzw. 1874 Teil­ha­ber des Un­ter­neh­mens. Carl Le­ver­kus wur­de 1873 zum Kom­mer­zi­en­rat, an­läss­lich des 50-jäh­ri­gen Ge­schäfts­jubli­lä­ums und sei­nes 80. Ge­burts­ta­ges 1884 zum Ge­hei­men Kom­mer­zi­en­rat er­nannt. Die Hei­mat­stadt Wer­mels­kir­chen mach­te ihn 1884 zum Eh­ren­bür­ger. Be­reits 1876 hat­te Le­ver­kus den preu­ßi­schen Kro­nen­or­den III. Klas­se er­hal­ten. Die No­bi­li­tie­rung lehn­te er ei­ner Fa­mi­li­en­über­lie­fe­rung zu­fol­ge ab.

Zeit sei­nes Le­bens en­ga­gier­te Le­ver­kus sich für sei­ne Ar­bei­ter und die Ge­mein­de. Er war un­ter an­de­rem un­be­sol­de­ter Bei­ge­ord­ne­ter in Wer­mels­kir­chen und Mit­glied der Han­dels­kam­mer in Len­nep (heu­te Stadt Rem­scheid). Der Sohn Carl setz­te die­se Tra­di­ti­on fort und über­nahm öf­fent­li­che Äm­ter in der Ge­mein­de Wies­dorf und im Kreis So­lin­gen-Land.

Carl Le­ver­kus starb am 1.2.1889 in Le­ver­ku­sen. Er wur­de in Wer­mels­kir­chen bei­ge­setzt.

1890 kam es in der deut­schen Ul­tra­ma­rin­pro­duk­ti­on zu gro­ßen Ver­än­de­run­gen. Preis- und Pro­duk­ti­ons­ab­spra­chen ab 1872 hat­ten den Markt nicht „be­ru­hi­gen" kön­nen. Un­ter der Füh­rung der drei „Gro­ßen" (Le­ver­kus, Zelt­ner in Nürn­berg und Cur­ti­us in Duis­burg) fu­sio­nier­ten nun 14 der 19 deut­schen Ul­tra­mar­in­fa­bri­ken mit ei­nem Markt­an­teil von 95 Pro­zent zur „Ver­ei­nig­ten Ul­tra­mar­in­fa­bri­ken AG vor­mals Le­ver­kus, Zelt­ner & Con­sor­ten" (V.U.). Fir­men­sitz war zu­nächst Nürn­berg, ab 1899 Köln, den Vor­stands­vor­sitz über­nahm mit der Ver­le­gung Carl Le­ver­kus jun. Nicht ein­be­zo­gen in die Fu­si­on war die Le­ver­kus’sche Alizar­in­fa­brik. Die Fa­mi­lie ent­schloss sich viel­mehr, sie den El­ber­fel­der Far­ben­fa­bri­ken vorm. Friedr. Bay­er & Co. zum Kauf an­zu­bie­ten, die auf der Su­che nach ei­nem ge­eig­ne­ten Stand­ort am Rhein wa­ren. Der ers­te Kauf­ver­trag wur­de am 5.12.1891 un­ter­zeich­net. Da­bei blieb es nicht: Bis 1924 über­nah­men die Far­ben­fa­bri­ken nach und nach nicht nur den wei­te­ren Grund­be­sitz mit Fa­brik­an­la­gen, Fa­bri­kan­ten­vil­len und Ar­bei­ter­wohn­häu­sern, son­dern auch die Orts­be­zeich­nung „Le­ver­ku­sen".

Literatur

Fried­rich, Chris­toph, Apo­the­ker Carl Le­ver­kus, in: Phar­ma­zeu­ti­sche Zei­tung 149 (2004), S. 3864-3866.
Le­ver­kus, Erich, Carl Le­ver­kus 1804-1889, hg. von der Stadt­ge­schicht­li­chen Ver­ei­ni­gung e.V. Le­ver­ku­sen, Le­ver­ku­sen 2004.
Mer­tens, Joost, The His­to­ry of Ar­ti­fi­ci­al Ul­tra­ma­ri­ne (1787-1844): Sci­ence, In­dus­try and Se­crecy, in: Am­bix Vol. LI, No. 3, No­vem­ber 2004, S. 219-244.
Pohl, Hans u.a., Die che­mi­sche In­dus­trie in den Rhein­lan­den wäh­rend der in­dus­tri­el­len Re­vo­lu­ti­on, Band 1: Die Far­ben­in­dus­trie, Wies­ba­den 1983.
Stadt Le­ver­ku­sen (Hg.), Das ul­tra­ma­rin­blaue Wun­der. Zum Ge­den­ken an Carl Le­ver­kus 1804-1889, Le­ver­ku­sen 1989.

Online

Schu­ma­cher, Karl, „Le­ver­kus, Carl", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 14 (1985), S. 389-391. [On­line]

 
Zitationshinweis

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John, Gabriele, Carl Leverkus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-leverkus/DE-2086/lido/57c94078da7448.71917790 (abgerufen am 19.03.2024)