Mathilde Wesendonck

Schriftstellerin, Mäzenin und Muse Richard Wagners (1828-1902)

Helmut Rönz (Bonn)

Mathilde Wesendonck, Gemälde von Karl Ferdinand Sohn, 1850, Original im StadtMuseum Bonn.

Mat­hil­de We­sen­donck war ei­ne aus groß­bür­ger­li­chem Hau­se stam­men­de Ly­ri­ke­rin. Sie ver­fass­te zahl­rei­che Ge­dich­te, die oft­mals ver­tont wur­den, aber auch Ro­ma­ne, Ab­hand­lun­gen so­wie Kin­der­bü­cher. Die be­kann­tes­ten Ge­dich­te von ihr fan­den als „We­sen­donck­lie­der“ Ri­chard Wag­ners (1813-1883) Ein­gang in die Mu­sik­ge­schich­te. Mat­hil­de We­sen­donck gilt als Mu­se des Bay­reu­ther Ton­set­zers und be­ein­fluss­te sei­ne Kom­po­si­tio­nen stark.

Mat­hil­de We­sen­donck wur­de am 23.12.1828 in El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) als Agnes Lucke­mey­er in der Kip­dorf­stra­ße ge­bo­ren, ei­ner von Schmie­den und Häm­mern ge­säum­ten Stra­ße der früh­in­dus­tria­li­sier­ten Stadt. Ihr Va­ter, der kö­nig­li­che Kom­mer­zi­en­rat Carl Lucke­mey­er (1801-1875), führ­te dort ein Ge­schäft, zog je­doch be­reits drei Jah­re spä­ter nach Düs­sel­dorf. Ge­mein­sam mit sei­ner Frau Jo­han­na, ge­bo­re­ne Stein (1801-1862), hat­te er vier Kin­der, die Söh­ne Edu­ard (1830-1807) und Ru­dolf (ge­bo­ren 1826) ka­men noch in El­ber­feld zur Welt, die jüngs­te Toch­ter Ma­rie, ver­hei­ra­te­te De­us (1836-1874), be­reits in Düs­sel­dorf. Agnes wuchs in gut­si­tu­ier­ten, wirt­schafts­bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­sen auf. Ihr Va­ter war in der Lo­gis­tik­bran­che tä­tig und in­ves­tier­te in die neu­en Trans­port­tech­ni­ken der Früh­pha­se der In­dus­tria­li­sie­rung an Rhein und Ruhr. 1835 war der er­folg­rei­che Kauf­mann Mit­be­grün­der der Düs­sel­dorf-El­ber­fel­der Ei­sen­bahn­ge­sell­schaft, de­ren Ver­wal­tungs­rat er an­ge­hör­te, und be­reits 1836 grün­de­te er ge­mein­sam mit Part­nern, un­ter an­de­rem mit Da­ni­el von der Heydt (1802-1874), die Dampf­schif­fahrts­ge­sell­schaft für Nie­der- und Mit­tel­rhein (DGNM), de­ren ers­ter Di­rek­tor er wur­de. Die Ge­sell­schaft wur­de 1853 nach Fu­si­on mit der Preu­ßisch-Rhei­ni­schen Dampf­schif­fahrts­ge­sell­schaft Ur­sprung der Köln-Düs­sel­dor­fer Deut­sche Rhein­schif­fahrt.

 

Agnes be­such­te in Düs­sel­dorf bis 1846 die Lieth­sche Pri­vat­schu­le, ei­ne hö­he­re Töch­ter­schu­le, wo sie Schul­freun­din von Ber­tha (1828-1902) und Al­wi­ne von der Heydt (1831-1905) war. 1846 be­such­te sie für zwei Jah­re ein Mäd­chen­pen­sio­nat in Dün­kir­chen (Frank­reich). 1847 lern­te sie auf ei­ner Hoch­zeit in Düs­sel­dorf den eben­falls aus El­ber­feld stam­men­den Un­ter­neh­mer Ot­to Fried­rich Lud­wig We­sen­donck (1815-1896) ken­nen, der auch als Kauf­mann tä­tig und in Deutsch­land und den USA zu gro­ßem Reich­tum ge­langt war. We­sen­donck war lan­ge in New York tä­tig ge­we­sen und erst kurz zu­vor, 1843, in das Rhein­land, nach Düs­sel­dorf, zu­rück­ge­kehrt. Dort war er Teil­ha­ber des Han­dels­hau­ses Loe­schigk, We­sen­donck & Comp. in der Hofaue, und wur­de Be­voll­mäch­tig­ter für das Eu­ro­pa­ge­schäft. Das Un­ter­neh­men han­del­te vor­nehm­lich mit Sei­de und im­por­tier­te die­se im gro­ßen Stil nach Mit­tel­eu­ro­pa. Ot­to We­sen­donck war be­reits ein­mal ver­hei­ra­tet ge­we­sen, mit Mat­hil­de, ge­bo­re­ne Eckard (1819-1844), die je­doch auf der Hoch­zeits­rei­se nach Ita­li­en an Ty­phus er­krankt und in Flo­renz ver­stor­ben war. Am 12.1.1848 ver­lob­ten sich We­sen­donck und Agnes Lucke­mey­er, am 19.5.1848 wur­de in Düs­sel­dorf ge­hei­ra­tet. Die Hoch­zeits­rei­se ging dies­mal nicht nach Ita­li­en, son­dern un­ter an­de­rem nach Frank­furt am Main, wo Ot­tos Bru­der, der Ju­rist Hu­go Ma­xi­mi­li­an We­sen­donck (1817-1900), Grün­der des Düs­sel­dor­fer „Ver­eins für de­mo­kra­ti­sche Mon­ar­chie“, Ab­ge­ord­ne­ter in der Na­tio­nal­ver­samm­lung war und den lin­ken Frak­tio­nen an­ge­hör­te (zu­nächst dem „Deut­schen Hof“, spä­ter dem „Don­ners­ber­g“). 

Agnes Lucke­mey­er nann­te sich seit der Ver­lo­bung 1848 aus Lie­be zu ih­rem Mann nach des­sen ver­stor­be­ner ers­ter Frau Mat­hil­de. Das Paar soll­te vier Kin­der ha­ben: Paul (1849-1850), Myrrha (1851-1888), Gui­do (1855-1858) und Karl (1857-1934), von de­nen Mat­hil­de drei über­leb­te.

1850 reis­te die eben­so schlag­fer­ti­ge wie sprach­be­gab­te und welt­ge­wand­te Mat­hil­de mit ih­rem Mann in sei­ne al­te Hei­mat, nach New York. Big App­le hin­ter­ließ bei ihr je­doch nur we­nig Ein­druck, le­dig­lich an den Zoll­be­am­ten er­in­ner­te sie sich im­mer mal wie­der scher­zend. Denn als die­ser ih­re Kof­fer öff­ne­te und mit erns­ter Mie­ne mein­te: „Aber al­les neue Sa­chen!“, er­wi­der­te sie: „Sie wol­len doch nicht, dass ich in Wa­shing­tons Hei­mat al­te Klei­der tra­ge?“[1] 

Otto Wesendonck, Rom, 1860.

 

Be­reits im April 1851 zo­gen die We­sen­doncks aus ge­schäft­li­chen Grün­den nach Zü­rich, wo das Ehe­paar zu­nächst im Hô­tel Baur au Lac wohn­te. 1855 be­gan­nen sie mit dem Bau ih­rer Vil­la „Grü­ner Hü­gel“ in En­ge bei Zü­rich. Nach die­sem Her­ren­haus mit sei­nen park­ähn­li­chen An­la­gen soll­te spä­ter auch der „Grü­ne Hü­gel“ in Bay­reuth be­nannt wer­den. Ri­chard Wag­ner war be­reits 1849 auf­grund der Re­vo­lu­ti­ons­wir­ren über Pa­ris nach Zü­rich ge­flo­hen und ar­bei­te­te dort als Di­ri­gent der All­ge­mei­nen Mu­sik­ge­sell­schaft, die ih­re Kon­zer­te im Ak­ti­en-Thea­ter gab. Die We­sen­doncks wa­ren dort Stamm­gäs­te und sa­hen Wag­ner erst­mals im Ja­nu­ar 1852 am Pult. Nach dem zwei­ten von ih­nen be­such­ten Wag­ner­kon­zert nur zwei Mo­na­te spä­ter - er di­ri­gier­te un­ter an­de­rem die Tann­häu­ser-Ou­ver­tü­re zum ers­ten Akt - lern­ten sie den Ton­set­zer ken­nen. Wag­ner und die We­sen­doncks ka­men sich schnell nä­her und es ent­stand ei­ne en­ge Be­zie­hung zwi­schen dem Künst­ler und der Un­ter­neh­mer­fa­mi­lie. Be­reits 1853 er­hielt der stän­dig ver­schul­de­te und stets über sei­ne Ver­hält­nis­se le­ben­de Künst­ler ei­ne Dar­le­hens­zu­sa­ge von Ot­to We­sen­donck, der ihn nicht nur auf­grund sei­ner Kunst un­ter­stütz­te. Viel­mehr sah We­sen­donck in Wag­ner wohl auch den ge­flo­he­nen Re­vo­lu­tio­när von 1848, der für die glei­che Sa­che wie sein Bru­der Hu­go ge­kämpft hat­te. Wag­ner be­dank­te sich für die Un­ter­stüt­zung mit zahl­rei­chen Wid­mun­gen. Für die ers­te Fi­nan­zie­rung sand­te er dem Ehe­paar am 20.6.1853 als Dank die So­na­te Nr. 3 in As-Dur für Kla­vier (WWV 85), Wag­ners letz­tes Kla­vier­werk, und schrieb da­zu: „Um mein neu­es Schuld­ver­hält­nis zu Ih­nen wür­dig und ver­trau­en­er­we­ckend an­zu­tre­ten, zah­le ich heu­te ei­ne al­te Schuld: ge­ben Sie Ih­rer Frau die bei­li­gen­de So­na­te, mei­ne ers­te Com­po­si­ti­on seit der Voll­endung des Lo­hen­grin (es ist 6 Jah­re her!)“[2]. Ob es nur ei­ne Auf­merk­sam­keit Wag­ners für die fi­nan­zi­el­len Hil­fen oder ob es mehr war, ist of­fen. 1876 ver­öf­fent­lich­te er aus Geld­not die So­na­te und be­zeich­ne­te ge­gen­über sei­ner zwei­ten Frau Co­si­ma (1837-1930) das Stück als „ele­gan­te Nich­tig­keit“. Wid­mun­gen die­ser Art wa­ren nicht un­ge­wöhn­lich, ins­be­son­de­re nicht in den Krei­sen, in de­nen sich die We­sen­doncks und Wag­ner tra­fen .Ot­to und Mat­hil­de We­sen­donck un­ter­hiel­ten in­ten­si­ve Be­kannt­schaf­ten mit zahl­rei­chen Künst­lern wie et­wa dem Schwei­zer Kom­po­nis­ten Wil­helm Baum­gart­ner (1820-1867), der Mat­hil­de 1854 eben­falls ein Stück ge­wid­met hat­te. Zu ei­nem klas­si­schen Sa­lon wur­de das Heim der We­sen­doncks mit dem Um­zug in ih­re neue Vil­la am 22.8.1857. Hier ga­ben sich Mu­si­ker, Schrift­stel­ler und Ar­chi­tek­ten von in­ter­na­tio­na­lem Rang die Tür­klin­ke in die Hand: Gott­fried Sem­per (1803-1879), Gott­fried Kel­ler (1819-1890), François (1811-1896) und Eliza Wil­le (1809-1893), der be­reits er­wähn­te Wil­helm Baum­gart­ner, Fried­rich Theo­dor Vi­scher (1807-1887), Wen­de­lin Wei­ßhei­mer (1838-1910) und vie­le wei­te­re wa­ren zu Gast in der „Vil­la We­sen­donck“, die nun­mehr auch „Wahl­heim“ ge­nannt wur­de. Mat­hil­de sah sich als Teil die­ser Ge­sell­schaft, schrieb sie doch selbst Ge­dich­te und Ro­ma­ne. Fünf ih­rer Ge­dich­te soll­ten von Ri­chard Wag­ner spä­ter als die so­ge­nann­ten „We­sen­donck­lie­der“ ver­tont wer­den.

In­zwi­schen war die Be­zie­hung der We­sen­doncks zu Ri­chard Wag­ner in­ten­siv und freund­schaft­lich. Man traf sich oft, man schrieb sich zu­dem re­gel­mä­ßig Brie­fe. Vor al­lem mit Mat­hil­de un­ter­hielt der Kom­po­nist ei­nen re­gen Aus­tausch und sie hat­te zu­neh­mend Ein­fluss auf sein See­len­le­ben und vor al­lem auf sei­ne mu­si­ka­li­sche Ent­wick­lung. Als nun die We­sen­doncks nach En­ge in ih­ren Neu­bau zo­gen, leb­te dort der Freund be­reits in di­rek­ter Nä­he. Wag­ner war schon ein Jahr zu­vor auf das Grund­stück des Ehe­paars ge­zo­gen. Die­se hat­ten im April 1857 das Nach­bar­grund­stück mit Land­haus ge­kauft und ihm als „Asy­l“ zur Ver­fü­gung ge­stellt. Hier wur­de Mat­hil­de We­sen­donck, die bis an ihr Le­bens­en­de be­ton­te, dass ih­re Be­zie­hung zu Ri­chard Wag­ner rein pla­to­ni­scher Na­tur ge­we­sen sei, end­gül­tig zur Mu­se des Ton­set­zers und Ri­chard Wag­ner zum engs­ten Freund der Fa­mi­lie. „On­kel Wag­ners Gar­ten“ nann­ten die We­sen­donck­kin­der Haus und Gar­ten des Wag­ner-Asyls. Ri­chard Wag­ner ani­mier­te Mat­hil­de im­mer wie­der zum Schrei­ben. Die ge­mein­sa­me Zeit in En­ge war nicht nur für den Kom­po­nis­ten krea­tiv, auch Mat­hil­de schrieb in die­ser Zeit zahl­rei­che Ge­dich­te, oft­mals ani­miert und an­ge­regt von ih­rem Mu­sen­freund. Fast gleich­zei­tig mit der Voll­endung von fünf Ge­dich­ten durch Mat­hil­de, be­gann Wag­ner mit de­ren Ver­to­nung, den so­ge­nann­ten We­sen­donck­lie­dern. 1857 wur­den „Der En­gel“, „Träu­me“ und „Schmer­zen“ voll­endet, 1858 dann „Ste­he stil­l“ und „Im Treib­haus“. Die Ver­to­nun­gen, die wohl zu den schöns­ten und in­ten­sivs­ten Stü­cken Wag­ners ge­hö­ren, sind al­le­samt von gran­dio­ser Tie­fe und deu­ten zahl­rei­che Leit­mo­ti­ve des kur­ze Zeit spä­ter kom­po­nier­ten „Tris­tan“ (Tris­tan und Isol­de, Ur­auf­füh­rung 1865) an, des­sen ers­te Skiz­zen je­doch be­reits in die Zeit vor dem Um­zug ins We­sen­donck-Asyl rei­chen. Je­doch er­hielt die Idee, sich an den Tris­tan-My­thos her­an­zu­wa­gen, in der Nä­he Mat­hil­des neu­en Auf­trieb.

Die von Otto und Mathilde Wesendonck 1857 erbaute Villa, bei Zürich. (Scan aus: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe, 1904)

 

1857, nach dem Um­zug ins Asyl, un­ter­brach Wag­ner so­gar die Ar­bei­ten am „Sieg­frie­d“, um sich, in­spi­riert von der Phi­lo­so­phie Ar­thur Scho­pen­hau­ers (1788-1860) und ani­miert durch die Nä­he zu Mat­hil­de, ganz dem „Tris­tan“ zu wid­men. Der ver­lieb­te Künst­ler sah sich selbst als Tris­tan, Mat­hil­de als Isol­de und Mat­hil­des Ehe­mann Ot­to als Kö­nig Mar­ke, der zwi­schen ih­rer Lie­be stand. Vor al­lem „Im Treib­haus“ und „Träu­me“ be­trach­te­te Wag­ner als „Tris­tan-Stu­di­en“. Sie deu­ten Stil und Mo­ti­vik der wohl kom­ple­xes­ten und ge­wag­tes­ten Oper Ri­chard Wag­ners be­reits an. Wie die Ly­rik Mat­hil­de We­sen­doncks ein­zu­ord­nen ist, dar­über ge­hen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der. Der be­kann­te Schrift­stel­ler und Kul­tur­kri­ti­ker Ge­org Kai­ser (1878-1945) äu­ßer­te zur Ly­rik Mat­hil­de We­sen­doncks zehn Jah­re nach ih­rem Tod: „Au­ßer im „Tris­tan“ sel­ber spricht sich die­se Ein­heit des Füh­lens der bei­den un­ver­bun­de­nen Ver­bun­de­nen aus in der Ver­to­nung der fünf Ge­dich­te Mat­hil­des, von de­nen „Der En­gel“, „Träu­me“ und „Schmer­zen“ die be­kann­tes­ten sind. Trotz ent­ge­gen­ge­setz­ter Ur­tei­le ein­zel­ner wird man die­se Poe­si­en als Pro­ben ei­nes star­ken ly­ri­schen Ta­lents zu be­zeich­nen und in ih­nen ei­nen an­de­ren Be­weis von Mat­hil­des künst­le­ri­scher Ver­an­la­gung zu se­hen ha­ben“[3].

Ri­chard Wag­ner sah dies mög­li­cher­wei­se an­ders. Er selbst über­schrieb die We­sen­donck­lie­der mit dem Sam­mel­ti­tel: „Fünf Di­let­tan­ten-Ge­dich­te für ei­ne Frau­en­stim­me“. Im Erst­druck von 1862 hieß der Ti­tel nur noch: „Fünf Ge­dich­te für ei­ne Frau­en­stim­me mit Pia­no­for­te-Be­glei­tun­g“, spä­ter wur­de der Na­me in „Fünf Ge­dich­te von Mat­hil­de We­sen­donk für ei­ne Frau­en­stim­me und Kla­vier“ ge­än­dert, da­nach hie­ßen sie meist nur noch „We­sen­donck­lie­der“. Das Ori­gi­nal­au­to­graph be­fand sich bis zum Tod Ot­to We­sen­doncks im Be­sitz Mat­hil­des. 1897 über­gab sie es dem Ar­chiv der „Vil­la Wahn­frie­d“ in Bay­reuth. Über sei­ne Kom­po­si­ti­on selbst hat­te Wag­ner ei­ne po­si­ti­ve Mei­nung, wie er sei­nem Ta­ge­buch 1858 bei ei­nem Auf­ent­halt in Ve­ne­dig an­ver­trau­te: „Bes­se­res, als die­se Lie­der, ha­be ich nie ge­macht, und nur sehr we­ni­ges von mei­nen Wer­ken wird ih­nen zur Sei­te ge­stellt wer­den kön­nen.“ Je­doch nicht nur der „Tris­tan“ ist eng mit Mat­hil­de We­sen­donck ver­bun­den. Auch die Wal­kü­re, die zwei­te Oper aus dem Ring des Ni­be­lun­gen, stand un­ter dem Vor­zei­chen die­ser Liai­son. So wid­me­te Wag­ner das Vor­spiel der Wal­kü­re sei­ner Mu­se mit den Wor­ten: „G(eseg­net) S(ei) M(athil­de)“.

Richard Wagner, Fotografie von Franz Seraph Hanfstaengl, München, 1871.

 

Die Zeit des ver­trau­ten Aus­tauschs zwi­schen Mat­hil­de und Ri­chard währ­te nicht lan­ge. Doch die Mo­na­te im Asyl wa­ren von in­ten­si­ver und ly­ri­scher Zu­nei­gung ge­prägt. Nicht nur Mat­hil­de schrieb Ge­dich­te und Brie­fe, auch Wag­ner wid­me­te sei­ner An­ge­be­te­ten zahl­rei­che bit­ter­sü­ße Ela­bo­ra­te, wie et­wa je­nes aus dem Herbst 1856:

Glück­li­che Schwal­be, willst du brü­ten,
Dein eig­nes Nest bau'st du dir aus;
Will ich zum Brü­ten Ruh' mir hü­ten,
Ich kann's nicht baun, das stil­le Haus!
Das stil­le Haus von Holz und Stein -
Ach, wer will mei­ne Schwal­be sein?

An Sil­ves­ter 1857 wid­me­te er ihr noch die Be­gleit­ver­se zum ers­ten Auf­zug des „Tris­tan“. Doch schon im Mai des fol­gen­den Jah­res trenn­ten sich ih­re We­ge. Es war zu ei­nem Eklat ge­kom­men. Wag­ners Ehe­frau Min­na (1809-1866), die 1849 un­wil­lig ih­rem Mann nach Zü­rich ge­folgt und ob der Ent­fer­nung zu ih­rer säch­si­schen Hei­mat un­glück­lich war, stör­te sich an der Nä­he ih­res Man­nes zu Mat­hil­de We­sen­donck und ver­ließ ihn mit gro­ßer Dra­ma­tik in Rich­tung Dres­den. Wag­ner ging in der Fol­ge eben­falls aus Zü­rich weg und schrieb in Ve­ne­dig am „Tris­tan“ und am „Rin­g“ wei­ter. Die Ver­bin­dung zu den We­sen­doncks brach je­doch nicht ab. Ot­to We­sen­donck fi­nan­zier­te den Kom­po­nis­ten wei­ter­hin mit gro­ßzü­gi­gen Ho­no­ra­ren, doch der Brief­wech­sel zwi­schen Mat­hil­de We­sen­donck und Ri­chard Wag­ner wur­de un­re­gel­mä­ßi­ger. In­zwi­schen war mit Co­si­ma von Bü­low ei­ne wei­te­re Frau in das Le­ben des Ton­set­zers ge­tre­ten.

Mat­hil­de We­sen­donck in­ten­si­vier­te nun ih­re li­te­ra­ri­schen Ar­bei­ten, oft noch im Dia­log mit und un­ter dem Ein­fluss von Ri­chard Wag­ner. Sie schrieb wei­ter­hin Ge­dich­te und ver­fass­te Ro­ma­ne. En­de 1862 er­schien die Samm­lung „Ge­dich­te, Volks­lie­der, Le­gen­den, Sa­gen“, ih­re ers­te Ver­öf­fent­li­chung. Die Samm­lung wur­de vom Ver­lag E. Kies­ling in Zü­rich ge­druckt. 1874 er­schien ei­ne zwei­te und stark er­wei­ter­te Auf­la­ge des Ban­des. Wei­te­re Kom­po­nis­ten wie Ot­to Le­ß­mann (1844-1918), Rein­hold Be­cker (1842-1924), Ri­chard Stern­feld (1858-1926), Louis Gro­ße und Hein­rich Schulz-Beu­then (1838-1915) wur­den auf die Ge­dich­te auf­merk­sam und ver­ton­ten sie. Min­des­tens 41 Ge­dich­te Mat­hil­de We­sen­doncks wur­den so mu­si­ka­lisch ver­ewigt. Zu­letzt auch in ei­nem Lie­der­zy­klus von Cy­ril Plan­te (ge­bo­ren 1975), den „Neu­en We­sen­donck­lie­dern“.

Mathilde Wesendonck, nach einem Gemälde von C. Dorner, 1860. (Scan aus: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe, 1904)

 

Ihr ers­ter Ro­man er­schien 1872 un­ter dem Ti­tel „Edith oder die Schlacht bei Has­ting­s“. 1878 folg­ten „Odys­seus“ und 1900 „Mär­chen­spie­le“. Be­reits 1864 ver­öf­fent­lich­te Mat­hil­de ihr ers­tes Kin­der­buch „Mär­chen und Mär­chen­spie­le“. Es ka­men wei­te­re Kin­der­bü­cher, aber auch Dra­men und Ab­hand­lun­gen hin­zu. Ihr Buch „Na­tur-My­then“ von 1865 wid­me­te sie ih­rer Freun­din und Ver­trau­ten, der Schrift­stel­le­rin Eliza Wil­le (1809-1893), mit der sie auch die Nä­he zu Wag­ner ge­teilt hat­te. Mat­hil­des Haus war wei­ter­hin Ort der kul­tu­rel­len Be­geg­nung. Gott­fried Kin­kel nutz­te ih­re Bi­blio­thek zu Stu­di­en und Jo­han­nes Brahms (1833-1897) hielt en­gen Kon­takt zu den We­sen­doncks. Brahms lehn­te je­doch das An­ge­bot ab, wie schon sein mu­si­ka­li­sches Feind­bild Wag­ner im „Asy­l“ zu woh­nen.

1870/1871 er­leb­ten die We­sen­doncks ei­ne Zeit wach­sen­der An­fein­dun­gen in Zü­rich. Nicht zu­letzt die An­grif­fe ge­gen al­les Deut­sche all­ge­mein und ge­gen ih­re Vil­la, die bei Aus­schrei­tun­gen we­gen des Deut­schen-Fran­zö­si­schen Kriegs bei­na­he ab­ge­brannt wor­den wä­re, ver­an­lass­ten sie, in das neu­ge­grün­de­te Deut­sche Reich nach Dres­den über­zu­sie­deln. Dort kauf­ten sie sich 1872 ei­ne Stadt­vil­la, die von Man­fred Sem­per (1838-1913) aus­ge­baut wur­de. 1876 be­such­te Mat­hil­de und Ot­to We­sen­donck ge­mein­sam die ers­ten Bay­reu­ther Fest­spie­le und hör­ten den ge­sam­ten „Rin­g“.

Der Um­zug nach Dres­den brach­te auch für Mat­hil­des li­te­ra­ri­sche Ar­beit neu­en Schwung. Dort wur­de ihr Schau­spiel „Al­kes­tis“ 1881 ur­auf­ge­führt. Auch nahm das Ehe­paar wie­der sei­ne Kul­tur­kon­ver­sa­ti­on auf. Das Haus war auch in Dres­den of­fen für be­kann­te Künst­ler und Ge­lehr­te. Jo­han­nes Brahms be­such­te das Paar häu­fig und der Kir­chen­mu­si­ker Ot­to Rich­ter (1865-1936) war ein gu­ter Freund der Fa­mi­lie. 1882 folg­te ein wei­te­rer Um­zug nach Ber­lin in die Tier­gar­ten­stra­ße 16. Vom To­de Ri­chard Wag­ners 1883 über­rascht und ge­trof­fen, wid­me­te die Ly­ri­ke­rin ihm noch ein­mal we­ni­ge Zei­len:

Ein Schmer­zens­ruf geht durch die Welt,
Ei­ne düs­te­re Trau­er­kun­de
Geht mit­ten durch der Mensch­heit Herz
Und kla­get von Mund zu Mun­de!

Mat­hil­de schrieb nun we­ni­ger, häu­fig Ly­rik, sel­te­ner Pro­sa. Doch sie en­ga­gier­te sich mit ih­rem Mann in der Kul­tur­sze­ne der Stadt. Bei­de wa­ren Mit­glie­der der Goe­the-Ge­sell­schaft, 1886 wur­den sie Mit­glied des Bay­reu­ther Pa­tro­nats­ver­eins. Auch in Ber­lin führ­te Mat­hil­de wie­der ei­nen li­te­ra­ri­schen Sa­lon, ih­re Ge­mäl­de­samm­lung war le­gen­där und auch für die Wis­sen­schaft von gro­ßem In­ter­es­se.

1896 starb ihr Ehe­mann Ot­to nach lan­ger Krank­heit. Er wur­de je­doch nicht in Ber­lin, son­dern in Bonn auf dem Al­ten Fried­hof im Fa­mi­li­en­grab der We­sen­doncks be­stat­tet. Die We­sen­doncks hat­ten ei­ne be­son­de­re Be­zie­hung zu der Uni­ver­si­täts­stadt am Rhein. Hier hat­ten zwei ih­rer Söh­ne stu­diert, hier hat­te auch Ot­tos Bru­der ein ju­ris­ti­sches Stu­di­um ab­sol­viert. Und hier re­si­dier­te der Ge­schäfts­part­ner Ot­tos, der ame­ri­ka­ni­sche Un­ter­neh­mer Wil­helm Loe­schigk (1808-1887) im Pa­lais Schaum­burg. Nach dem Tod Ot­tos be­wohn­te Mat­hil­de ge­mein­sam mit ih­rem Sohn Karl (1857-1934) die Vil­la in Ber­lin. Nur we­ni­ge Zeit spä­ter, am 31.8.1902, ver­starb auch sie nach kur­zer Krank­heit un­er­war­tet. Sie wur­de von Ber­lin nach Bonn über­führt und dort im Fa­mi­li­en­grab der We­sen­doncks un­weit des Gra­bes von Ro­bert und Cla­ra Schu­mann (1819-1896) be­stat­tet.

Wäh­rend gro­ße Tei­le ih­rer Li­te­ra­tur, wohl zu Un­recht, in­zwi­schen ver­ges­sen sind, lebt sie in den wohl be­rühm­tes­ten Kunst­lie­dern, den We­sen­donck­lie­dern Ri­chard Wag­ners nicht nur als Mu­se, son­dern auch als Ly­ri­ke­rin fort. Mat­hil­de We­sen­donck war an al­len Or­ten, an de­nen sie leb­te, ei­ne prä­gen­de Ge­stalt in der Kunst- und Kul­tur­sze­ne. Sie för­der­te mit Sinn für Qua­li­tät und Grö­ße Ma­le­rei, Mu­sik, Wis­sen­schaft und Li­te­ra­tur. Dar­über hin­aus war vor al­lem ih­re Ly­rik an­er­kannt; zahl­rei­che Ver­to­nun­gen ih­rer Lie­der sind ein Hin­weis dar­auf, wel­chen Sta­tus sie bei Zeit­ge­nos­sen und wel­ches An­se­hen spe­zi­ell die Schrift­stel­le­rin hat­te. An sie er­in­nert seit 1951 im Bon­ner Wes­ten die We­sen­donck­stra­ße, die auf die Ri­chard-Wag­ner-Stra­ße stö­ßt.

Werke (Auswahl)

Mär­chen und Mär­chen-Spie­le, Zü­rich 1864.
Na­tur-My­then, Zü­rich 1865.
Gu­drun. Schau­spiel in fünf Ak­ten, Zü­rich 1865.
Pup­pen­spie­le, 1869. [Be­ar­bei­te­te Ver­si­on von Mär­chen und Sa­gen für ih­re Kin­der und En­kel].
Fried­rich der Gro­ße. Schau­spiel in drei Auf­zü­gen, Ber­lin 1871.
Edith oder die Schlacht bei Has­tings. Trau­er­spiel in fünf Ak­ten, Stutt­gart 1872.
Ge­dich­te, Volks­wei­sen, Le­gen­den und Sa­gen, 2. er­wei­ter­te Auf­la­ge, Leip­zig 1874.
Der Bal­dur-My­thus, Dres­den 1875.
Odys­seus. Ein dra­ma­ti­sches Ge­dicht in zwei Thei­len und ei­nem Vor­spiel, Dres­den 1878.
Al­kes­tis. Schau­spiel in vier Auf­zü­gen, Leip­zig 1881.
Deut­sches Kin­der­buch in Wort und Bild, Stutt­gart 1869.
Al­te und neue Kin­der-Lie­der und Rei­me, Neu­auf­la­ge des 1869 er­schie­nen Deut­schen Kin­der­buchs in Wort und Bild, Ber­lin 1890.

Quellen

Golt­her, Wolf­gang (Hg.), Ri­chard Wag­ner an Mat­hil­de We­sen­donck. Ta­ge­buch­blät­ter und Brie­fe 1853–1871, 74.–83. Auf­la­ge, Leip­zig 1920.
Kapp, Ju­li­us (Hg.), Ri­chard Wag­ner an Mat­hil­de und Ot­to We­sen­donk. Ta­ge­buch­blät­ter und Brie­fe, Leip­zig o.J.

Literatur

Bis­sing, Fried­rich Wil­helm Frei­herr von: Mat­hil­de We­sen­donck. Die Frau und die Dich­te­rin, in: Kai­ser Wil­helm-In­sti­tut für Kul­tur­wis­sen­schaft im Pa­laz­zo Zuc­ca­ri, Rom. Ers­te Rei­he. Vor­trä­ge (23.11.1940), Heft 32/33, Wien 1942.
Ca­baud, Ju­dith, Mat­hil­de We­sen­donck ou le rê­ve d´Isol­de, Arles 1990.
Kai­ser, Ge­org, Mat­hil­de We­sen­donk. Ein Ge­denk­blatt zu ih­rem zehn­jäh­ri­gen To­des­ta­ge, in: Bran­des, Fried­rich (Hg.), Neue Zeit­schrift für Mu­sik. Or­gan des Ver­ban­des Deut­scher Or­ches­ter- und Chor­lei­ter (E. V.). Be­grün­det 1834 von Ro­bert Schu­mann. 79, (1912), Heft 36/37, S. 493-496.
Schad, Mar­tha, Mei­ne ers­te und ein­zi­ge Lie­be. Ri­chard Wag­ner und Mat­hil­de We­sen­donck, Mün­chen 2002.
Wal­ton, Chris/Lan­ger, Axel, Min­ne, Mu­se und Mä­zen. Ot­to und Mat­hil­de We­sen­donck und ihr Zür­cher Künst­ler­zir­kel, Zü­rich 2002.

Online

Blog "Ot­to und Mat­hil­de We­sen­donck. Le­ben - Werk - Wir­kung" [On­line]

Ri­chard Wag­ner an Mat­hil­de We­sen­donk. Ta­ge­buch­blät­ter und Brie­fe, 1853-1871, hrsg. v. Wolf­gang Golt­her, Ber­lin 1904 [On­line]

Rie­ger, Eva, Ar­ti­kel "We­sen­donck, Mat­hil­de", in: Fem­bio.org [On­line]
 
Web­site "Ot­to und Mat­hil­de We­sen­donck", be­treut von Tho­mas Sei­del [On­line]

Märchen u. Märchen-Spiele, v. M. Wesendonck, Illustration von Caspar Scheuren, Düsseldorf, 1864.

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Rönz, Helmut, Mathilde Wesendonck, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/mathilde-wesendonck-/DE-2086/lido/5c8011e86c1c25.96953509 (abgerufen am 19.03.2024)