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Der Kölner Jean Jülich gehörte in der Zeit des Nationalsozialismus zu einer Gruppe nonkonformer Jugendlicher, den Edelweißpiraten.
Jean Jülich erblickte am 18.4.1929 in einer ehemaligen Kaserne in der Barbarastraße in Köln-Riehl das Licht der Welt. Sein Vater, der Kellner Johann Jülich (1901-1972), war ein Funktionär der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die Mutter Anna Maria, geborene Knoll (1908-um 1999) arbeitete in einer Schirmfabrik. Jean Jülich hatte einen älteren Halbbruder, Franz.
Da der Vater aufgrund seiner politischen Tätigkeit 1933 in den Untergrund ging und seine Mutter arbeitete, wurde Jean Jülich 1933 zu den Großeltern nach Köln-Sülz gebracht. Hier besuchte er den Kindergarten der Vincentinerinnen und kam 1935 in die Volksschule. Am 27.5.1936 wurde der Vater verhaftet, später auch die Großmutter, sodass der Großvater allein mit dem Kind blieb. Im Alter von sieben Jahren kam Jülich deshalb in ein Waisenhaus in Köln-Sülz. Erst als die Großmutter aus der Haft entlassen worden war, konnte Jülich zurück zu seiner Familie.
1939, im Alter von zehn Jahren, erfolgte wie üblich der Eintritt in die Hitlerjugend (HJ) beziehungsweise ins Jungvolk. Seit dem Spätherbst 1942 hatte Jülich über seinen Schulfreund Ferdi Steingass (1928-2009) Kontakt zu den Gruppen Jugendlicher, deren Treffpunkt der Manderscheider Platz in Köln-Sülz war, den Edelweißpiraten.
Die Gruppen von Jugendlichen, die sich in der Kölner Region Edelweißpiraten, im Düsseldorfer Raum Kittelbachpiraten nannten, waren Mitte der 1930er Jahre in vielen Städten des Rheinlandes entstanden. Sie waren nicht organisiert, sondern lose Zusammenschlüsse von Jugendlichen, die sich dem staatlich verordneten Drill in der Hitlerjugend entzogen. Sie unterschieden sich schon rein äußerlich von der Parteijugend, trugen längere Haare, eine eigene Kluft aus bunt kariertem Hemd und Halstuch. Manche von ihnen hatten versteckt ein Edelweißabzeichen an ihrer Kleidung angebracht, wonach sie ihren Namen erhielten. Sie unternahmen verbotene eigene Fahrten, zum Beispiel ins Siebengebirge, wo sie sich mit Gleichgesinnten aus anderen Städten trafen. Die bei der Hitlerjugend verordnete Geschlechtertrennung gab es bei ihnen nicht.
Auch wenn die Edelweißpiraten sich nicht als politisch Handelnde verstanden, so sah das NS-Regime in ihren Aktivitäten doch einen politischen Widerstand, den es rücksichtslos zu brechen galt. Die Aufmerksamkeit der staatlichen Behörden und ihre Methoden ließen einen Teil der Jugendlichen zu immer gefährlicheren Provokationen und radikalerem Widerstand übergehen.
Edelweißpiraten in Köln-Ehrenfeld, die sich im Blücherpark trafen, hatten seit dem Sommer 1944 Kontakt zu der so genannten Ehrenfelder Gruppe beziehungsweise Steinbrück-Gruppe. Hans Steinbrück (1921-1944) war 1943 aus dem KZ-Außenlager Köln-Messe geflüchtet und hatte sich bei seiner Lebensgefährtin Cäcilie „Cilly“ Servé (geboren 1919) in Köln-Ehrenfeld versteckt. Zusammen mit ihr und anderen Helfern legte er im Keller des Hauses ein Lebensmittel- und Waffenlager an. Sie versteckten darin bald auch Deserteure, geflohene Häftlinge und Zwangsarbeiter. Jugendliche aus Ehrenfeld bewunderten Steinbrücks Engagement und schlossen sich ihm im Sommer 1944 an, darunter auch einige aus der Gruppe der Ehrenfelder Edelweißpiraten, die nun vor allem in Steinbrücks Gruppe aktiv wurden. Die jungen Männer unternahmen Einbrüche zur Beschaffung von Lebensmitteln und Waffen. Nach einem größeren Diebstahl, der die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen hatte, verließen mehrere Personen die Gruppe.
Auf den Fahrten ins Siebengebirge hatte Jean Jülich den aus Ehrenfeld stammenden Bartholomäus "Barthel" Schink (1927-1944) kennengelernt. Weil die Sülzer in einem Keller Zündapparate gefunden hatten, führte Schink Jülich und seinen Freund Ferdi Steingass zu Steinbrück. Dieser plante mit einer Bombe das Gestapo-Hauptquartier in Köln in die Luft zu sprengen, besaß aber noch nicht alle benötigten Materialien.
Am 29.9.1944 erhielt eine Heeresstreife einen Hinweis auf das Versteck der Gruppe. Bei der Durchsuchung wurden Waffen beschlagnahmt. Am nächsten Tag durchsuchte die Polizei die Wohnung von Cilly Servé und verhaftete sie sowie zwei dort versteckte Jüdinnen. Vor dem Haus kam es am Tag darauf zu einer Schießerei zwischen der Steinbrück-Gruppe und den Verfolgungsbehörden, bei der drei Personen ums Leben kamen. Ab dem 4.10.1944 verhaftete die Gestapo die Steinbrück-Gruppe, insgesamt 63 Personen, darunter 19 Jugendliche.
Jean Jülich wurde am 10.10.1944 auf Grund seines Kontaktes zu Ferdinand Steingass von der Gestapo verhaftet und im EL-DE-Haus verhört. Der in der Nachbarzelle inhaftierte Bartholomäus Schink wurde am 10.11.1944 zusammen mit zwölf weiteren Mitgliedern der Steinbrück-Gruppe ohne Gerichtsurteil von der Gestapo öffentlich gehängt.
Bis Kriegsende blieb Jülich ohne Gerichtsverfahren in Schutzhaft, zunächst im Gestapo-Gefängnis Abtei Brauweiler (heute Stadt Pulheim). Beim Näherrücken der amerikanischen Truppen im Februar 1945 transportierte die Gestapo die Insassen nach Osten ab. Jülichs nächste Haftorte waren die Zuchthäuser Siegburg und Butzbach (Hessen). Zuletzt war er im Jugendgefängnis Rockenberg (Hessen), wo ihn Ende März 1945 die Amerikaner befreiten.
Nach dem Krieg pachtete er den Zeitungskiosk in Köln-Deutz vor dem dortigen Bahnhof. Als der Zeitungs- und Zeitschriftenhandel nicht mehr genug einbrachte, wechselte er das Metier und wurde Gastronom, unter anderem in der Köln-Mülheimer Stadthalle. Als Wirt des „Blomekörvge“ in der Josephstraße im Severinsviertel errang er einen ebenso hohen Bekanntheitsgrad wie als Präsident der Karnevalsgesellschaft Alt-Severin. 1961 heiratete Jülich Karin Nesgen (geboren 1938), die ihm 1963 eine Tochter und 1965 einen Sohn zur Welt brachte.
Erst nach einem Bericht des Fernsehmagazins "Monitor" vom 23.5.1978, der kritisierte, dass Bartholomäus Schink in den Akten der Justizbehörde immer noch als Krimineller bezeichnet wurde, kam das Thema Edelweißpiraten wieder an die Öffentlichkeit und ließ Jülich politisch aktiv werden. In Köln-Ehrenfeld gründete sich eine Bürgerinitiative, Kölner Künstler engagierten sich.
Die erste Ehrung, die Jülich erfuhr, kam aus Israel: Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem ehrte ihn, Barthel Schink und Michael Jovy (1920-1984) 1984 als „Gerechte unter den Völkern“. 1991 erhielt er das Bundesverdienstkreuz, 2007 den Rheinlandtaler des Landschaftsverbandes Rheinland, 2008 die Heine-Büste als Auszeichnung für außerordentliche Aktivitäten im Sinne des kritischen und widerständigen Geistes und schließlich 2011 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Eine Ehrung, die ihm besonders am Herzen lag, weil sie eine Anerkennung seiner Heimatstadt Köln bedeutet hätte, die Auszeichnung mit der Ehrenbürgerwürde, scheiterte am Parteienstreit im Stadtrat.
In seinen letzten Lebensjahren leistete Jülich Aufklärungsarbeit, gab Interviews, hielt Vorträge, nahm an Diskussionen in Schulen teil und trat auf Kulturveranstaltungen wie dem Edelweißpiratenfestival auf.
Jean Jülich starb am 19.10.2011 in seiner Geburtsstadt Köln und wurde auf dem dortigen Südfriedhof beigesetzt.
Werke
Kohldampf, Knast un Kamelle - Ein Edelweißpirat erzählt aus seinem Leben, Köln 2003.
Literatur
Breyvogel, Wilfried (Hg.), Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Dritten Reich, Bonn 1991.
Goeb, Alexande, Er war sechzehn, als man ihn hängte. Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink, Reinbek 1981.
Hellfeld, Matthias von, Edelweißpiraten in Köln. Jugendrebellion gegen das Dritte Reich, 2. Auflage, Köln 1983.
Koch, Gertrud/Carstensen, Regina, Edelweiß. Meine Jugend als Widerstandskämpferin, Reinbek 2006.
Peukert, Detlev, Die Edelweißpiraten. Protestbewegung jugendlicher Arbeiter im Dritten Reich, Köln 1980.
Rusinek, Bernd A., Gesellschaft in der Katastrophe. Terror, Illegalität, Widerstand. Köln 1944/45, Essen 1989.
Theilen, Fritz, Edelweißpiraten, Frankfurt a.M. 1984.
Online
http-blank://www.eg.nsdok.de/default.asptyp=interview&pid=47&aktion=erstes [Online]
http-blank://www.hagalil.com/archiv/2011/10/30/juelich/ [Online]
http-blank://www.hagalil.com/archiv/2011/12/05/danke-schang/ [Online]
http-blank://www.hagalil.com/archiv/2011/12/05/juelich-2/ [Online]
Es war in Schanghai (Musikprobe) [Online]
http-blank://des.genealogy.net/search/show/6758173. [Online]
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Klein, Ansgar S., Jean Jülich, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/jean-juelich/DE-2086/lido/57c9301edcfa73.28097565 (abgerufen am 15.10.2024)