Epochen
Johannes Hoffmann zählt ohne Zweifel zu den bedeutendsten und im gleichen Maße polarisierendsten Persönlichkeiten der jüngeren saarländischen Geschichte. Dies ist weniger seinem Engagement während des ersten saarländischen Abstimmungskampfes 1935 zuzuschreiben. Es war seine Politik als Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg und sein Streben nach einem autonomen „Saarstaat“, die „den Dicken“ zum Kristallisationspunkt tiefer Abneigung und Bewunderung machte. Seinen Namen, meist in der Kurzform „JoHo“, verbindet man mit der Abstimmung über das europäische Saarstatut am 23. Oktober 1955. An diesem Tage lehnte die Saarbevölkerung die Bildung eines autonomen, europäischen Staatsgebildes mehrheitlich ab. Der entscheidende Schritt zum Beitritt in die Bundesrepublik Deutschland war gemacht.
Hoffmann hatte in dem leidenschaftlich geführten Abstimmungskampf für eine „Europäisierung“ der Saar geworben; denn ein vom nationalistischen Eifer gereinigtes Saarland – noch immer Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich – werde nach Hoffmann die Keimzelle eines geeinten Europas bilden. Die Frankreichpolitik des Ministerpräsidenten schwankte zwischen der Untermauerung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion und der kulturellen Abgrenzung vom laizistischen Nachbarn. Erst mit dem zunehmenden Erfolg der neuen Bundesrepublik geriet das Hoffmansche Konzept ins Wanken. Dennoch erreichte das Saarland mit der Saarkonvention vom 3. März 1950 einen weitgehend autonomen Status – als „Staat von Frankreichs Gnaden“ (Wolfgang Tischner) erhielt man ein eigenes Landeswappen, eine eigene Flagge, Währung und Botschaft in Paris. Sogar eine eigene Fußball-Nationalmannschaft sollte bei der WM-Qualifikation 1954 antreten. Hoffmanns Streben nach Autonomie war gekoppelt an die Vision eines neuen Miteinanders, eines föderativ geordneten „europäischen Vaterlandes“ – keinem „Europa der Vaterländer“: „Ein neues Ordnungsprinzip stand also Pate an der Wiege der autonomen Saar“ (S. 453). Ein zu großer Einfluss einer Nation an der Saar hätte diese nicht zur Keimzelle, sondern zu einer neuen Hypothek dieser Idee gemacht.
Dem außenpolitischen Visionär stand in der ersten Hälfte der 1950er Jahre der innenpolitische Staatsmann autoritärer Prägung gegenüber, der politische Gegner polizeilich drangsalierte, verbot und auswies. Trotz aller Verdienste um das Saarland, welches seinen heutigen Status als Bundesland wohl auch der Politik Hoffmanns verdankt, werfen diese Züge einen nicht zu übersehenden Schatten über seine Amtszeit. In dieser Diskrepanz ist der Grund für die ambivalente Meinungsbildung über sein Leben und Wirken zu suchen. Die Abstimmung um die politische Zukunft der Saar war leidenschaftlich geführt worden und hatte die Bevölkerung an der Saar in „Separatisten“ und „Nationalisten“ gespalten. Zum zweiten Mal hatten die Saarländer über ihre nationale Zugehörigkeit zu entscheiden. In dieser unversöhnlichen, von Entgleisungen und gesellschaftlicher Repression geprägten, Situation kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Hubert Ney, Hoffmanns späterer Nachfolger und Vorsitzender der verbotenen CDU Saar, rief nach dem Ende der Abstimmung aus: „Die Separatisten liegen in der Gosse, und wir lassen sie darin liegen!“. Die Ablehnung seiner Autonomiebestrebungen markierte das Ende seines politischen Lebens; kurz nach der Verkündung des Ergebnisses trat Hoffmann als Ministerpräsident zurück.
Im Eindruck der folgenden Entwicklungen, der Annäherung der ehemaligen „Erbfeinde“ und der Integration der Saar in die Bundesrepublik, verfasste Hoffmann seine Erinnerungen. Sie sind freilich mehr als Rechenschaftsbericht zu verstehen. Seine Befürchtungen über den verderblichen Einfluss einer nicht autonomen Saar hatten sich nicht bestätigt; die deutsch-französische Freundschaft wurde im Elysee-Vertrag 1963 besiegelt. Im gleichen Jahr legte Hoffmann „Das Ziel war Europa“ vor. Versöhnlicher als man es acht Jahre nach dem furiosen Finale 1955 vermuten wollte, trat Hoffmann erstmals wieder an die Öffentlichkeit. Seine Schrift bildet keine Abrechnung mit seinen politischen Gegnern; vielmehr bemühte sich Hoffmann um Verständnis für seine Politik und seine europäische Vision. Ausgehend von der eigenen Biographie beschreibt er die Genese seiner Politik, ordnet diese aber zugleich dem „Ziel Europa“ unter. Wohl auch aus diesem Grund vermag er in seinem Schlusswort zuzugeben, dass er die außenpolitische Gemengelage falsch eingeschätzt hatte: „Im Rückblick kann festgestellt werden, daß die auf Verständigung mit Frankreich hinzielende Nachkriegspolitik erreicht hat, daß trotz aller damals berechtigten Befürchtungen die nationale Eigenentscheidung der Saarländer sich nicht störend sondern entstörend auf das deutsch-französische Verhältnis ausgewirkt hat.“ (S. 466)
Mit der Neuauflage der von Hoffmann 1963 veröffentlichten Erinnerungen macht die Saarbrücker Union Stiftung nun eine zentrale zeitgeschichtliche Quelle zugänglich, die in ihrer Bedeutung nicht alleine das Saarland berührt. Auch ein wichtiger Aspekt europäischer Integrationsgeschichte wird über die Neuauflage greifbar, der heute freilich aktueller denn je erscheinen mag. Das im Conte-Verlag erschienene Werk ist Bestandteil eines vorbildlichen Vorhabens, Leben und Werk des Ministerpräsidenten in einer Vielzahl von Veröffentlichungen einer aktuellen – und vor allem unaufgeregten! - historisch-kritischen Betrachtung zu unterziehen. Dabei sollen auch Leistungen der vermeintlichen persona non grata gewürdigt werden. Andere Kapitel der Amtszeit Hoffmanns gilt es aufzuarbeiten. Das bereits in der Erstausgabe von 1963 enthaltene Geleitwort von Hoffmanns Weggefährten Robert Schumann wird in der Neuauflage von einem abgedruckten Interview von Daniel Kirch und Studienleiter Markus Gestier ergänzt. „Statt eines weiteren Vorwortes“ wird so sinnvoll in den Kontext eingeführt, Brüche und Errungenschaften Hoffmanns Biographie herausgestellt und dessen Politik eingeordnet. Abgerundet wird die mehr als gelungene Neuauflage von einer umfangreichen Zeittafel, dem Abdruck des Europäischen Saarstatut (23.10.1954) sowie einer Auflistung der an der Saar agierenden Parteien.
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Münster, Keywan Klaus, Johannes Hoffmann, Das Ziel war Europa. Der Weg der Saar 1945-1955, hrsg. v. Markus Gestier (Malstätter Beiträge), Neuauflage der Erstausgabe von 1963, St. Ingbert 2013, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/johannes-hoffmann-das-ziel-war-europa.-der-weg-der-saar-1945-1955-hrsg.-v.-markus-gestier-malstaetter-beitraege-neuauflage-der-erstausgabe-von-1963-st.-ingbert-2013/DE-2086/lido/5d1b1f0fd33375.40416008 (abgerufen am 09.11.2024)