Küppers, Heinrich, Franz Josef Röder (1909-1979). Baumeister des Bundeslandes Saarland (Malstatter Beiträge aus Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur), St. Ingbert 2015

150 S., ISBN 978-3956020315, 14,90 Euro

René Schulz (Bonn)

Franz Jo­sef Rö­der ge­hört frag­los zu den we­ni­gen her­aus­ra­gen­den po­li­ti­schen Per­sön­lich­kei­ten des Saar­lan­des, de­nen es ver­gönnt war, über die en­gen Gren­zen des re­la­tiv jun­gen Lan­des hin­aus auf die Ge­schi­cke der Bun­des­re­pu­blik zu wir­ken. Das Saar­land ver­dankt sei­nem lang­jäh­ri­gen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten und „Lan­des­va­ter“ Rö­der die In­te­gra­ti­on als gleich­be­rech­tig­tes und kon­kur­renz­fä­hi­ges Land in die Bun­des­re­pu­blik so­wie die Über­win­dung der tie­fen Grä­ben zwi­schen Hei­mat­bund­par­tei­en und Au­to­no­mie­an­hän­gern in der Be­völ­ke­rung. Ei­ne in­nen- wie au­ßen­po­li­ti­sche Schlüs­sel­rol­le spiel­te er im Rin­gen um die neue Ost­po­li­tik: Ge­gen die Mehr­heit der christ­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­füh­rung trat er im Bun­des­rat für die Ost­ver­trä­ge der so­zi­al-li­be­ra­len Re­gie­rung ein. Trotz die­ser of­fen­sicht­li­chen Ver­diens­te und weit­rei­chen­den Wir­kung ist ei­ne Rö­der-For­schung, so lei­tet Küp­pers in sei­ner Vor­be­mer­kung be­dau­ernd ein, nicht exis­tent. Sei­ne schma­le Stu­die, die „mehr als ein Auf­satz und we­ni­ger als ein Buch“ sein will (S. 14), möch­te ei­nen An­fang ma­chen. In sie­ben Ka­pi­teln, von der zu­letzt in ei­ne er­hitz­te  Dis­kus­si­on ge­ra­te­nen Ver­gan­gen­heit Rö­ders im „Drit­ten Reich“, über des­sen po­li­ti­schen Auf­stieg, die Wei­chen­stel­lun­gen sei­ner Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik, bis hin zu ei­ner Bi­lanz der Ära Rö­der und ih­rer Wir­kung – auch nach au­ßen, zeich­net Küp­pers ei­ne um­fas­sen­de bio­gra­phi­sche Skiz­ze.

Das ers­te Ka­pi­tel wid­met sich zen­tral Rö­ders Her­kunft aus dem be­tont staats- und kir­chen­treu­en ka­tho­li­schen Mi­lieu der Saar und sei­nem Wer­de­gang in der NS-Dik­ta­tur. Da­bei setzt sich Küp­pers in der Fra­ge um Rö­ders Po­si­ti­on zwi­schen Chris­ten­tum und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ins­be­son­de­re mit den ver­brei­te­ten Ein­stel­lungs­mus­tern aus Na­tio­na­lis­mus, völ­ki­schem Den­ken und na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ideo­lo­gie aus­ein­an­der. Rö­ders Ein­tritt in die NS­DAP 1933 ver­sucht Küp­pers mit ei­nem an der Saar ver­fes­tig­ten völ­ki­schen Na­tio­na­lis­mus und „je­nen Irr­lich­tern“ zu kon­textua­li­sie­ren, die in der Kon­so­li­die­rungs­pha­se der Dik­ta­tur von ei­nem „Schul­ter­schluss zwi­schen ei­nem staats­loya­len Ka­tho­li­zis­mus und ei­nem an­ti­bol­sche­wis­ti­schen und dar­um kir­chen­freund­li­chen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus“ träum­ten und de­nen auch Rö­der be­geg­net sein dürf­te (S. 20). Küp­pers ver­mag aber die Stel­lung des jun­gen Aka­de­mi­kers zum Re­gime kaum ein­zu­schät­zen. Die spä­te­ren Selbst­aus­sa­gen Rö­ders von ei­nem Par­tei­b­ei­tritt bei gleich­blei­ben­der Re­ser­ve ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­win­nen aber im kri­ti­schen Ver­gleich mit sei­nem Wer­de­gang und den hin­ter­las­se­nen Zeug­nis­sen star­ke Plau­si­bi­li­tät. Spä­tes­tens mit dem deut­schen Ein­fall in die Nie­der­lan­de und dem auch dort ein­set­zen­den NS-Ter­ror dürf­te der an ei­ner deut­schen Aus­lands­schu­le in Den Haag tä­ti­ge Rö­der nach Küp­pers den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus als men­schen­ver­ach­ten­de Ty­ran­nei er­kannt ha­ben. Ei­ne Be­las­tung oder Ver­stri­ckung des Päd­ago­gen kann der Au­tor nicht auf­spü­ren, sein Ein­druck ist der ei­nes sich an­ge­pass­ten, aber per­sön­lich nicht schul­dig ge­wor­de­nen Ka­tho­li­ken.

Den po­li­ti­schen Quer­ein­stei­ger Rö­der zeich­net Küp­pers in den fol­gen­den Ka­pi­teln als ei­nen vom Na­tio­na­lis­mus ge­läu­ter­ten deut­schen Pa­trio­ten und Eu­ro­pä­er, der die in der Au­to­no­mie­zeit ge­won­ne­ne Ei­gen­staat­lich­keit der Saar schätz­te, aber sei­ne Hei­mat als selb­stän­di­gen Glied­staat nach Deutsch­land zu­rück­füh­ren woll­te. So wer­den jen­seits der Au­to­no­mie­fra­ge über­ra­schen­de Ge­mein­sam­kei­ten mit dem viel ge­schmäh­ten Jo­han­nes Hoff­mann deut­lich. Mit dem Be­ginn der po­li­ti­schen ­Kar­rie­re Rö­ders um­rei­ßt Küp­pers die saar­län­di­schen Ver­hält­nis­se nach der Volks­ab­stim­mung für Deutsch­land 1955, auch und ge­ra­de in ih­rer Be­deu­tung für die In­te­gra­ti­on Eu­ro­pas. Schlag­licht­ar­tig stellt er die ent­schei­den­den Po­li­tik­fel­der vor, auf de­nen Rö­der als Mi­nis­ter­prä­si­dent die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen des neu­en Bun­des­lan­des zu be­ste­hen hat­te: Aus­ge­spro­che­nes Lob fin­den da­bei sein ge­schick­ter Ein­satz aus ei­ner Po­si­ti­on der Schwä­che, wie der des „Bitt­stel­ler­s“ (S. 73) beim Län­der­fi­nanz­aus­gleich, so­wie sei­ne Ge­stal­tung des be­gin­nen­den Struk­tur­wan­dels, der das Saar­land stark traf und nach wie vor prägt. Rö­ders Ein­tre­ten für die Ost­ver­trä­ge führt er nicht al­lein auf ein auf die Li­be­ra­len als po­ten­zi­el­len Ko­ali­ti­ons­part­ner schie­len­des Macht­kal­kül zu­rück, son­dern auch auf die tie­fe­re Über­zeu­gung von ei­ner not­wen­di­gen Aus­söh­nung mit dem Os­ten. Dem­entspre­chend po­si­tiv fällt Küp­pers Leis­tungs­bi­lanz der ge­sam­ten Re­gie­rungs­ära Rö­der aus. 

Der Selbst­an­spruch der Stu­die zwi­schen Auf­satz und Buch macht ih­re Be­wer­tung nicht ein­fach. An der Ab­sicht des Au­tors ge­mes­sen, der Rö­der-For­schung ei­nen Weg zu er­öff­nen, ist die­ser nun der wert­vol­le An­fang be­rei­tet wor­den, dem so hof­fent­lich grö­ße­re Auf­merk­sam­keit und wei­te­re For­schung zu ei­ner be­deu­ten­den Fi­gur deut­scher wie saar­län­di­scher Nach­kriegs­ge­schich­te fol­gen wer­den.

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Schulz, René, Küppers, Heinrich, Franz Josef Röder (1909-1979). Baumeister des Bundeslandes Saarland (Malstatter Beiträge aus Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur), St. Ingbert 2015, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/kueppers-heinrich-franz-josef-roeder-1909-1979.-baumeister-des-bundeslandes-saarland-malstatter-beitraege-aus-gesellschaft-wissenschaft-und-kultur-st.-ingbert-2015/DE-2086/lido/57d2691b046824.20311683 (abgerufen am 19.03.2024)