Epochen
In Köln geht es manchmal so zu: Einer hat eine Idee und die anderen finden diese Idee toll. „Lass uns das machen“, sagen sie. Aber es soll nun nicht irgendwas gemacht werden, es soll schon was Besonderes sein: am größten, am schönsten, am besten. Das bedeutet natürlich auch am teuersten. „Macht nix, wir kriegen das schon hin“, sagen sie und wirklich: Sie bekommen die Anfangsfinanzierung auf die Beine gestellt, finden eine gute Truppe, die den Plan umsetzen soll und legen los. Erste Ergebnisse kann man rasch bewundern, größer und schöner als alles bisher Dagewesene. Köln und die Welt sind begeistert.
Natürlich ist auch der Aufwand größer und vor allem dauert es länger. Und es wird teurer als vorgesehen. „Macht nix, wir kriegen das schon hin“, heißt es wieder und unverdrossen wird weitergearbeitet. Doch die Schwierigkeiten werden immer größer, das Projekt immer teurer und es dauert immer länger. Wenn der Leser dieser Zeilen nun meint, der Rezensent spräche über den Bau des Kölner Doms, dann hat er sich geirrt. Der Dom ist längst fertig
Hier geht es um die Kölner Stadtgeschichte, ein monumentales Werk in 13 Bänden, jeder mehrere hundert Seiten stark und seit über 20 Jahren in Arbeit, deren jüngst erschienener Band 3 das Hochmittelalter in Köln behandelt. Begonnen wurde er vom ehemaligen Direktor des Kölner Stadtarchivs Hugo Stehkämper, der die Drucklegung jedoch nicht mehr erlebte, da er bereits 2010 verstarb. Er hinterließ ein Manuskript von rd. 900 Seiten, welches „nicht publizierbar“ (S. 2) war, wie es im Vorwort heißt. In der Person des ehemaligen Journalisten des Kölner Stadtanzeigers und promovierten Mediävisten Carl Dietmar, fanden die Herausgeber einen kompetenten Bearbeiter, der sich der mühevollen Aufgabe unterzog, dieses Manuskript in eine lesbare Form zu bringen. Eine Aufgabe, um die man ihn nicht beneiden kann, die er aber nichtsdestoweniger mit Geduld und Akribie sowie profunder Kenntnis der mittelalterlichen Geschichte Kölns glanzvoll gelöst hat.
Sein Anteil an diesem Band besteht aber nicht nur in der Überarbeitung des Manuskripts, sondern auch in der Abrundung des Bandes durch die Kapitel 10-12, die komplett aus seiner Feder stammen. Darüber hinaus hat er die neuere und neueste Literatur zu einzelnen Aspekten der mittelalterlichen Stadtgeschichte eingearbeitet, was an sich schon kein geringes Verdienst ist, wie die Kenner der Kölner Geschichtsschreibung wissen. Denn vielfach sind wichtige und interessante Ergebnisse der Stadtgeschichtsforschung an entlegener Stelle publiziert und somit für Laien, aber manchmal auch Experten nur schwer oder gar nicht zugänglich.
Das macht diesen Band – wie im Übrigen das ganze Werk – zu einer wichtigen ersten Anlaufstelle für die Beschäftigung mit der Kölner Geschichte.
In einer kurzen Einleitung erläutert Dietmar die Zielrichtung der Darstellung, denn ohne die genaue Marschrichtung festzulegen, in die der Autor den Leser mitzunehmen gedenkt, kann man sich bei der Fülle der über Köln zu berichtenden „Fakten“ leicht im Dickicht der Einzelheiten verlieren; sicher ein Problem mit dem auch Hugo Stehkämper zu kämpfen hatte und die einer der Gründe für die Länge und die nicht immer leichte Lektüre seines ursprünglichen Manuskriptes gewesen sein dürfte. Dietmar schlägt mit mutigen Schnitten eine Schneise in dieses Dickicht und legt „das Werden der ‚kommunalen’ Stadt“ (S. 5) als das zentrale Thema, gleichsam den roten Faden seiner Schilderung fest. Den zeitlichen Horizont spannt er von 1074, dem ersten Aufbegehren von Kölner Bürgern gegen den erzbischöflichen Stadtherrn, bis zu 1288 der Niederlage des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg in der Schlacht von Worringen, gegen eine Koalition, der auch ein Kölner Kontingent angehörte. Sie bildete den Anfangspunkt des Rückzugs des Erzbischofs aus Köln, der seinen Herrschaftsmittelpunkt nun u. a. nach Bonn verlegte. Warum als zeitlicher Einschnitt nicht die erste umfassende schriftliche Niederlegung der städtischen Verfassung im Verbundbrief von 1396 gewählt wurde erklärt sich vielleicht daraus, dass eine ausführliche Darstellung den Umfang eines Bandes gesprengt hätte. Vielleicht hat man sich aber auch zu sehr an der in der deutschen Mediävistik immer noch üblichen „Epochengrenze“ zwischen Hoch- und Spätmittelalter, dem sog. „Interregnum“ (1250-1273) orientiert. Eine Gliederung nach den stadtgeschichtlich immanenten Daten wäre in diesem Fall jedoch wünschenswerter gewesen.
Das schmälert die Verdienste dieses Bandes jedoch in keiner Weise. Nach einem ersten mehr oder weniger chronologischen Abriss der historischen Entwicklung bis zur Unterwerfung Kölns unter Kaiser Friedrich II. 1215, mit Schwerpunkt auf der Schilderung der Konflikte zwischen Bürgern/Bürgerschaft und Erzbischof, nähern sich die Autoren dem hochmittelalterlichen Köln auf thematische Weise. Sozialgeschichte, Verfassungsgeschichte und Wirtschaftsgeschichte haben ebenso ihren Platz wie Kirchengeschichte und Strukturgeschichte. Das ganze Panorama der mittelalterlichen Metropole wird kundig und verständlich ausgebreitet. Dass dies bei einer Stadt wie Köln nicht auch das letzte Detail behandeln kann, ist selbstverständlich, wird aber sicher dazu führen, dass der sachkundige Leser, den ein oder anderen Aspekt vermissen oder nicht ausführlich genug dargestellt finden wird. Darauf folgt wieder die ereignisgeschichtliche Darstellung der Auseinandersetzungen zwischen Kölnern und Erzbischof bis zur Schlacht von Worringen. Im letzten Kapitel nimmt Carl Dietmar den Begriff des Panoramas wörtlich und versucht, anhand besonders prominenter Bauwerke dem Leser ein Bild von Köln zu vermitteln. Es gelingt ihm dabei den Pfad der seriösen Darstellung nicht zu verlassen, er gleitet nicht in eine romantisierende Darstellung des „alten“ Kölns ab, wie das in Köln leider nur allzu oft passiert, was Bilder im Kopf des Rezipienten entstehen lässt, die mit der historischen Wirklichkeit erschreckend wenig zu tun haben.
Fazit: Es handelt sich um einen vorzüglichen Band der Kölner Stadtgeschichte, der interessierten Lesern spannende Lektüre verspricht. Der Kenner wird das Buch gerne als Navigations- und Orientierungshilfe für weitere Forschungen zu Hand nehmen, denn hier wird Stadtgeschichte erstmals kompakt an einem Ort geboten.
Es bleibt nun nur noch der gesamten Reihe ein rasches Fortschreiten und nicht das Schicksal des Kölner Domes zu wünschen: jahrhundertelanger Stillstand, Pleiten, Pech und Pannen.
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Hillen, Christian, Stehkämper, Hugo/Dietmar, Carl, Köln im Hochmittelalter 1074/75-1288 (Geschichte der Stadt Köln Bd. 3), Köln 2016, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/stehkaemper-hugodietmar-carl-koeln-im-hochmittelalter-107475-1288-geschichte-der-stadt-koeln-bd.-3-koeln-2016/DE-2086/lido/5aa7cc9f03acd6.87359336 (abgerufen am 27.04.2024)