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Christine Englerth war eine der führenden Unternehmerpersönlichkeiten des Aachener Reviers und Stammmutter des Eschweiler Bergwerks-Vereins.
Christine Englerth wurde am 14.8.1767 als ältestes von vier Kindern der Eheleute Johann Peter Wültgens (um 1738-1787) und Anna Maria Wültgens, geborene Gilles (geboren 1742), in Rath bei Düsseldorf geboren. Der Vater, ein Landwirt, stammte wahrscheinlich aus der niederländischen Provinz Limburg, die Mutter war zwar in Rath aufgewachsen, die Bergbaufamilie Gilles kam jedoch ursprünglich aus dem Aachen-Eschweiler-Raum. Die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte Christine Englerth auf dem elterlichen Hof der Ehefrau Wültgens, dem Gut Heiligendunck bei Rath.
Schon vor 1780 zog die Familie nach Kinzweiler, einem heutigen Stadtteil von Eschweiler, wo der Vater als Rentmeister des Grafen Berghe von Trips arbeitete. Einige Jahre später schloss er einen langfristigen Pachtvertrag mit der bayrisch-kurpfälzischen Regierung für die jülich-pfälzische Unterherrschaft Burg und Gut Kinzweiler. Als Kurfürst Karl Theodor den Vertrag vorzeitig löste, gelang es Johann Peter Wültgens einen einträglichen Schadensersatz herauszuhandeln: 1784 wurde er mit Teilen des Eschweiler Kohlbergs belehnt; damit begann sein Aufstieg vom Landwirt zum Bergwerksbesitzer.
Christine Wültgens heiratete am 28.2.1786 den elf Jahre älteren kurpfälzischen Offizier Carl Englerth (1756-1814), einen Patensohn des Kurfürsten Karl Theodor. Aus dieser Ehe gingen 13 Kinder hervor, drei starben bereits in jugendlichem Alter. Es gibt Anzeichen, dass die Heirat gegen den Willen der Eltern stattfand; hier zeigte sich erstmals die Durchsetzungskraft, die auch die spätere Unternehmerin auszeichnen sollte.
Mit 20 Jahren, am 20.10.1787, verlor Christine ihren Vater, wenige Monate zuvor war bereits ihre Mutter verstorben. Mit Geschick und Umsicht war es Johann Peter Wültgens in den vorangegangenen Jahren gelungen, seinen Bergwerksbesitz zu arrondieren. Christine und ihre drei unmündigen Geschwister, Ferdinand, Katharina und Walburga, erbten einen beträchtlichen Teil – circa fünf Neuntel – des Eschweiler Kohlbergs.
Carl Englerth, der schon kurz nach der Heirat den Militärdienst quittiert hatte, übernahm nun zusammen mit seinem Schwager Ferdinand die Verwaltung des Wültgen / Englerthschen Bergwerksbesitzes. Zeugnisse, die belegen, dass auch Christine in diesen Jahren aktiv die Firmenpolitik mitgestaltete, existieren nicht, doch ist anzunehmen, dass sie – trotz wachsender Kinderschar – die Zeit fand, die Geschicke ihres Unternehmens genau zu verfolgen. Wie sonst wäre die reibungslose Übernahme der Geschäftsführung nach dem Tod ihres Mannes zu erklären?
1794 besetzten die Franzosen das Eschweiler Revier. Mit klugem Kalkül verstand die Familie es, die politisch unruhige Zeit zu ihren Gunsten zu nutzen: Aufgrund seiner Kooperationsbereitschaft und hervorragenden Französischkenntnisse wurde Carl Englerth im Oktober 1800 zum Maire der Bürgermeisterei Eschweiler ernannt. Nun war es nur noch ein kleiner Schritt, um 1805 von der französischen Regierung die Konzession für den Abbau des überwiegenden Teils der im Kanton Eschweiler vorhandenen Steinkohlenvorkommen zu erhalten. Die Neufassung des französischen Berggesetzes von 1791 machte die Familie Englerth im Jahr 1810 zu Eigentümern – nicht mehr nur Pächtern – zahlreicher Gruben im Aachener Revier. Bis 1814 gelang es der Familie, fast den gesamten Bergbau der Inde-Mulde sowie einige kleinere Gruben im Wurm-Revier in ihren Händen zu vereinigen.
Carl Englerth starb am 25.8.1814, sein Schwager Ferdinand war bereits zehn Jahre zuvor verstorben. Seine 47-jährige Witwe Christine blieb zurück mit zehn Kindern, von denen das jüngste erst fünf Jahre alt war.
Ohne zu zögern übernahm Christine Englerth nach dem Tod ihres Mannes die kaufmännische Leitung der Gruben, die technische Leitung hatte seit 1802 Johann Heinrich Graeser (1774-1856) inne, der ihr bis zu ihrem Tod und darüber hinaus der Familie bis 1847 zur Seite stand. Die Übernahme der Firmenleitung war ihr nach dem französischen Code de Commerce von 1803 erlaubt, für die Erziehung ihrer fünf noch unmündigen Kinder benötigte sie indes einen Vormund. Hierzu wurde der Grubendirektor Graeser bestellt, ein deutlicher Hinweis auf das Vertrauen, welches dieser privat und geschäftlich genoss.
Noch im gleichen Jahr 1814 fand Christine Englerth ihre Schwestern mit einer stattlichen Einmalzahlung sowie einer jährlichen Leibrente ab. Dies führte in den ersten Jahren zu finanziellen betrieblichen Engpässen, doch bereits ab den 1820er Jahren verbesserte sich die Vermögenssituation und Christine konnte in der Folgezeit die Expansionspolitik des Unternehmens weiter vorantreiben. Um das Unternehmen zu lenken, musste Christine Englerth neben Führungsqualitäten auch Verständnis für technische und kaufmännische Zusammenhänge sowie unternehmerischen Weitblick mitbringen. Dass sie solche Eigenschaften besaß, trat beispielsweise 1832 deutlich zutage: Klug verband sie ein Konzessionsgesuch, welches die Übertragung der Wasserkunst in ihr endgültiges Eigentum zum Gegenstand hatte, mit dem Antrag auf Verleihung zusätzlicher Flöze; beides wurde ihr 1833 von der preußischen Bergbehörde genehmigt. Auch ihr Engagement 1837 bei der Rheinischen Eisenbahngesellschaft, deren viertgrößter Aktionär sie und ihre Schwester Katharina waren, zeigt, dass sie die Bedeutung der Industrialisierung für den Ausbau ihres Unternehmens früh erkannt und zielstrebig genutzt hat.
Zu Beginn der 1830er Jahre war die Firma Englerth so zu einem der bedeutendsten Unternehmen im Steinkohlenbergbau herangewachsen: 1833 lag die Förderung bei 43.000 Tonnen, der Erlös bei rund 38.000 Talern. Bis 1838 wurde die Jahresförderung auf 76.000 Tonnen und der Erlös auf 60.000 Taler gesteigert. Um ihr Lebenswerk ungeteilt zu sichern, griff Christine Englerth zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Sie errichtete eine Art Familien-Fideikommiss und verband diesen – ein Novum in der Wirtschaftsgeschichte – mit der Gründung einer Aktiengesellschaft. Am 2.8.1834 schloss sie hierüber einen Vertrag mit ihren Kindern, die Konzession für die Aktiengesellschaft des Eschweiler Bergwerks-Vereins wurde am 31.5.1835 erteilt. Den Nießbrauch der Aktienanteile ihrer Kinder behielt sie sich bis zu ihrem Tod selbst vor.
Am 4.5.1838 starb Christine Englerth. Erst mit ihrem Tod trat der Eschweiler Bergwerks-Verein offiziell in Funktion, am 19.5.1838 erfolgte die Gründungsversammlung. Der Verein blieb über 150 Jahre eine bedeutende Aktiengesellschaft der Aachener Region.
Als Unternehmenserbin war Christine Englerth in die von Männern dominierte Arbeitswelt des Bergbaus gelangt. Anders als viele ihrer Zeitgenossinnen verstand sie sich jedoch nicht als bloße Platzhalterin für die männlichen Erben, sondern legte Wert darauf, das Unternehmen eigenverantwortlich bis zu ihrem Tod zu führen. Mit Sachverstand, Organisationstalent und unternehmerischem Fingerspitzengefühl, aber auch ausgestattet mit Machtinstinkt und einem starken Willen, gelang es ihr nicht nur den Besitz zu wahren und zu konsolidieren, sondern auch weiter zu vermehren. Unter Ausnutzung der französischen Rechtsvorschriften vollbrachte sie mit der Gründung der ersten Aktiengesellschaft eine unternehmerische Pionierleistung und konnte ihr Unternehmen so über Generationen für die Zukunft sichern.
Literatur
Clemens-Wendtland, Hans, Die Familie Englerth und der „Eschweiler Bergwerks Verein", in: Tradition 10 (1965), S. 23-33.
Eyll, Klara van, Gewerkinnen – Unternehmerinnen – das Beispiel Christine Englerth, in: Kroker, Evelyn / Kroker, Werner, Frauen und Bergbau. Zeugnisse aus fünf Jahrhunderten, Bochum 1989, S. 76-83.
Oellig, Wilhelm, Die Familie Englerth und der Bergbau in Eschweiler, in: Schinzinger, Francesca / Müller-Thomas, Angelika (Hg.), Symposion über Unternehmerinnen. Referate eines Symposions an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen im November 1988, Aachen 1988, S. 85-96.
Stegemann, Oskar (Bearb.): Der Eschweiler Bergwerks-Verein und seine Vorgeschichte. Zum hundertjährigen Bestehen der Gesellschaft. o.O. 1938.
Quadfliege, Anna, Die Bergbauunternehmerin Christine Englerth (1767-1838). Begründerin des Eschweiler Bergwerkvereins, in: Thomes, Paul/ Quadflieg, Peter M., Unternehmer in der Region Aachen (Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien, Bd. 19), Münster 2015, S. 48-67.
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Jägers, Regine, Christine Englerth, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/christine-englerth-/DE-2086/lido/57c6a4c0a2c2f2.98339107 (abgerufen am 06.12.2024)