1815 bis 1848 - Vom Wiener Kongress zur Revolution

James M. Brophy (Delaware)

Der Denkerklub. Karikatur als Reaktion auf die Karlsbader Beschlüsse, Federlitographie, um 1819.

Schlagworte

1. Einführung

Die Ära vom Wie­ner Kon­gress 1814/1815 bis zur Re­vo­lu­ti­on von 1848 war ei­ne Zeit des po­li­ti­schen, so­zia­len und wirt­schaft­li­chen Um­bruchs. Viel­fäl­ti­ge Tra­di­tio­nen des An­ci­en Ré­gime misch­ten sich mit An­sät­zen der nach­feu­da­len, bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft.

Die als über­wie­gend po­si­tiv emp­fun­de­nen Er­fah­run­gen mit der fran­zö­si­schen Ver­wal­tungs- und Rechts­pra­xis rechts und vor al­lem links des Rheins hat­te ei­nen nicht mehr rück­gän­gig zu ma­chen­den ge­sell­schaft­li­chen Wan­del ein­ge­lei­tet, der die Um­stel­lung auf die mon­ar­chi­sche, dem Ab­so­lu­tis­mus ver­haf­te­ten Herr­schafts­ord­nung Preu­ßens er­heb­lich er­schwer­te. Neue so­zia­le Schich­ten, zu­erst vor al­lem das Bür­ger­tum, spä­ter auch die Ar­bei­ter­schaft, for­der­ten Teil­ha­be an Staat und Ge­sell­schaft. Der Adel hat­te sei­ne füh­ren­de Rol­le ein­ge­bü­ßt. Wel­che Per­spek­ti­ven er­ga­ben sich für das Rhein­land, das in kei­ner­lei Hin­sicht mit der in den preu­ßi­schen Ost­pro­vin­zen vor­herr­schen­den stän­di­schen Ge­sell­schafts­ord­nung in Ein­klang zu brin­gen war? Ob sich die Bür­ger­rech­te als ei­ne be­deu­ten­de Hin­ter­las­sen­schaft der fran­zö­si­schen Zeit auch un­ter preu­ßi­scher Herr­schaft er­hal­ten und wei­ter ent­wi­ckeln konn­ten, blieb in­des zu­nächst of­fen. Im wirt­schaft­li­chen Be­reich prall­ten das tra­di­tio­nel­le hand­werk­li­che Ge­wer­be und die ein­set­zen­de Pha­se der Früh­in­dus­tria­li­sie­rung auf­ein­an­der. Die Ver­elen­dung gro­ßer Be­völ­ke­rungs­tei­le, der Pau­peris­mus der 1840er Jah­re, wirk­te sicht nicht nur auf die so­zia­le Exis­tenz von Bau­ern, Heim­ar­bei­tern, Ta­ge­löh­nern und Hand­wer­kern, son­dern auch auf das po­li­ti­sche Ver­hal­ten der Men­schen aus. Die sich zu­spit­zen­den po­li­ti­schen und so­zio­öko­no­mi­sche Miss­stän­de führ­ten zur Her­aus­bil­dung je­ner po­li­ti­schen An­schau­un­gen, die zur ideo­lo­gi­schen Ba­sis der ra­di­ka­len de­mo­kra­tisch-re­pu­bli­ka­ni­schen Kräf­te in der Re­vo­lu­ti­on von 1848/1849 wer­den soll­ten.

Der Denkerklub. Karikatur als Reaktion auf die Karlsbader Beschlüsse, Federlitographie, um 1819.

 

2. Die Besitzergreifung des Rheinlands durch Preußen

Als der Wie­ner Kon­gress 1814/1815 das eu­ro­päi­sche Staa­ten­sys­tem neu ord­ne­te, wur­den auch die Gren­zen am Rhein neu ge­zo­gen. Das Kö­nig­reich Bay­ern er­hielt im Süd­wes­ten die Pfalz mit den Städ­ten Zwei­brü­cken, Spey­er und Kai­sers­lau­tern. Dem Gro­ßher­zog­tum Hes­sen wur­de das links­rhei­ni­sche (nun so ge­nann­te) Rhein­hes­sen zu­ge­schla­gen, ein Ter­ri­to­ri­um, das auch die Städ­te Worms und Bin­gen so­wie die Bun­des­fes­tung Mainz ein­schloss. Der Lö­wen­an­teil des Rhein­lands fiel aber an Preu­ßen. Zu­sätz­lich zu sei­nen äl­te­ren Be­sit­zun­gen in Kle­ve, Gel­dern, Mo­ers und den durch die Sä­ku­la­ri­sa­ti­on un­ter preu­ßi­sche Ho­heit ge­lang­ten ehe­ma­li­gen Reichs­stif­ten Es­sen, El­ten und Wer­den, er­hielt Preu­ßen wei­te­re Ge­bie­te: das rechts­rhei­nisch ge­le­ge­ne Gro­ßher­zog­tum Berg, den Nie­der­rhein mit dem ehe­ma­li­gen Her­zog­tum Jü­lich, dem Kur­fürs­ten­tum Köln und den Reichs­städ­ten Köln und Aa­chen, die klei­ne­ren Herr­schafts­ge­bie­te in der Ei­fel, dem Huns­rück und an der Saar und nicht zu­letzt die Ge­bie­te des ehe­ma­li­gen Kur­fürs­ten­tums Trier an Mit­tel­rhein und Mo­sel mit den Städ­ten Ko­blenz und Trier.

Zu­nächst in die bei­den Pro­vin­zen Nie­der­rhein und Jü­lich-Kle­ve-Berg un­ter­glie­dert, wur­de die­ser Raum 1822 zu den „Rhein­pro­vin­zen“ ver­ei­nigt, für die sich ab 1830 die Be­zeich­nung „Rhein­pro­vin­z“ durch­setz­te. Be­reits 1818 wur­de die Uni­ver­si­tät Bonn ge­grün­det. Der Sitz der Ver­wal­tung (das Ober­prä­si­di­um) be­fand sich seit 1822 in Ko­blenz, der des Pro­vin­zi­al­land­ta­ges seit 1824 in Düs­sel­dorf. Köln hin­ge­gen, die grö­ß­te rhei­ni­sche Stadt, gleich­zei­tig aber ei­ne Hoch­burg des Ka­tho­li­zis­mus, blieb nicht zu­letzt we­gen der dort vor­herr­schen­den an­ti­preu­ßi­schen Stim­mung weit­ge­hend un­be­rück­sich­tigt.

Die­se gro­ßen Ge­biets­zu­ge­win­ne im Wes­ten hat­te Preu­ßen al­ler­dings nicht an­ge­strebt. Es hat­te viel­mehr ei­ne ter­ri­to­ria­le Er­wei­te­rung sei­nes Staats­ge­bie­tes auf Kos­ten des Kö­nig­reichs Sach­sen ge­for­dert. Eng­land und Russ­land wie­sen Preu­ßen je­doch die Rol­le ei­nes Grenz­hü­ters ge­gen fran­zö­si­sche He­ge­mo­ni­al­be­stre­bun­gen zu. Die Wie­ner Ent­schei­dung wur­de al­lein von di­plo­ma­tisch-mi­li­tä­ri­schen Ge­sichts­punk­ten ge­lei­tet. Das enor­me wirt­schaft­li­che Wachs­tums­po­ten­ti­al die­ser Re­gi­on spiel­te hin­ge­gen kei­ne Rol­le. In po­li­tisch-öko­no­mi­scher Hin­sicht soll­te sich die In­dus­tria­li­sie­rung des Rhein­lands, die in den 1840er Jah­ren ver­stärkt ein­setz­te, zu ei­nem 1815 noch nicht vor­her­seh­ba­ren Glücks­fall für Preu­ßen ent­wi­ckeln, da sie die po­li­ti­sche und mi­li­tä­ri­sche Macht Preu­ßens we­sent­lich stär­ken soll­te.

Un­zwei­fel­haft ist, dass sich die Staats­män­ner des Wie­ner Kon­gres­ses im Stil des An­ci­en Ré­gime ver­hal­ten und den Wün­schen der rhei­ni­schen Be­völ­ke­rung kei­ne Be­ach­tung ge­schenkt hat­ten. Die Rhein­län­der be­rie­fen sich da­ge­gen auf ver­brief­te Rech­te und be­trach­te­ten sich, ge­ra­de aus der kon­sti­tu­tio­nel­len Tra­di­ti­on der fran­zö­si­schen Herr­schaft im Links­rhei­ni­schen her­aus, als mit­be­stim­men­de Bür­ger.

Die Be­zie­hun­gen der ost­deut­schen Gro­ß­macht Preu­ßen zur rhei­ni­schen Be­völ­ke­rung wa­ren von Be­ginn an pro­ble­ma­tisch .Die Ver­zah­nung von preu­ßi­schem Ab­so­lu­tis­mus und rhei­ni­schem Bür­ger­sinn er­wies sich als ein zen­tra­les Pro­blem die­ser Zeit. Ei­ni­ge Span­nungs­ver­hält­nis­se of­fen­bar­ten sich rasch.

Die so­zi­al­po­li­ti­sche Vor­herr­schaft des Adels im preu­ßi­schen Kern­land, des­sen pa­tri­mo­nia­le, das hei­ßt auf ei­gen­stän­di­ger Ver­fü­gungs­ge­walt ba­sie­ren­de Herr­schaft, auf sei­nen ost­el­bi­schen Gü­ter noch fort­leb­te, stand in schar­fem Wi­der­spruch zu den wirt­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Zu­stän­den am Rhein. Dort hat­te der Adel in Fol­ge der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on von 1789 sei­ne füh­ren­de Rol­le in Ver­wal­tung, Wirt­schaft und Po­li­tik längst ver­lo­ren. Der aus­ge­präg­te Pro­tes­tan­tis­mus Preu­ßens er­wies sich mit dem rhei­ni­schen Ka­tho­li­zis­mus als schwer ver­ein­bar und er­zeug­te er­heb­li­che kir­chen­po­li­ti­sche Span­nun­gen, die zum Köl­ner Kir­chen­streit 1837-1840 und zum Kul­tur­kampf der 1870er Jah­ren führ­ten.

Im Ver­gleich zum fran­zö­si­schen Re­gie­rungs­sys­tem und frü­he­ren Herr­schaf­ten emp­fan­den die Rhein­län­der die preu­ßi­sche Ver­wal­tungs­ord­nung als schwer­fäl­lig, un­zu­gäng­lich und hier­ar­chisch auf­ge­setzt. Aus wirt­schaft­li­cher Sicht be­trach­te­ten rhei­ni­sche Kauf­leu­te Preu­ßen nicht zu­letzt als ein ka­pi­talar­mes Land, mit dem man weit­aus we­ni­ger güns­ti­ge Ge­schäf­te ma­chen konn­te, als mit den Fran­zo­sen. In die­sem Zu­sam­men­hang hat der Köl­ner Ban­kier Abra­ham Schaaff­hau­sen den be­kann­ten Spruch ge­äu­ßert: „Jes­ses, Ma­ria, Jo­sef, do hie­ro­de mir äv­ver in en ärm Fa­mil­lisch!” Re­sü­mie­rend spitz­te der His­to­ri­ker Pier­re Ayço­ber­ry (1925-2012) die weit ver­brei­te­te An­sicht der Rhein­län­der da­hin ge­hend zu­sam­men: „Preus­sen ist arm, pro­tes­tan­tisch und au­to­ri­tär”.

In der Rhein­pro­vinz prall­ten so­mit zwei in vie­ler­lei Hin­sicht ge­gen­sätz­li­che Men­ta­li­tä­ten auf­ein­an­der. Der ge­las­se­ne Prag­ma­tis­mus und die kom­pro­miss­be­rei­te Hal­tung, mit de­nen sich das rhei­ni­sche Bür­ger­tum mit der fran­zö­si­schen Herr­schaft ab­ge­fun­den hat­te, stand im Ge­gen­satz zu dem stram­men Ver­hal­ten des preu­ßi­schen Be­am­ten­tums.

Seit dem Mit­tel­al­ter wa­ren die Städ­te des Rhein­lands west­eu­ro­pä­isch ori­en­tiert ge­we­sen. Nie­der­rhei­ni­sche Ge­schäfts­leu­te trie­ben Han­del und Ge­wer­be mit Bra­bant und den Nie­der­lan­den und spra­chen mit ein­an­der in ähn­li­chen Dia­lek­ten. Seit dem 17. Jahr­hun­dert war Frank­reich der ent­schei­de­ne Im­puls­ge­ber für die kul­tu­rel­le Ent­wick­lung im Rhein­land. Preu­ßi­sche Of­fi­zie­re und Be­am­ten klag­ten da­her über die „fran­zö­si­sche Ge­sin­nung” der Rhein­län­der und be­zeich­ne­ten sie ab­schät­zig als „Halb-Fran­zo­sen”.

Der preu­ßi­sche Of­fi­zier und spä­te­re Staats­mi­nis­ter Fried­rich Carl Frei­herr von Müff­ling (1775-1851), der 1814 an der Er­obe­rung des Rhein­lands teil­ge­nom­men hat­te, be­merk­te: „Bei den Be­woh­nern des lin­ken Rhein­ufers fan­den wir ei­ne stump­fe Gleich­gül­tig­keit ge­gen Deutsch­land, ge­gen sei­ne Spra­che und Sit­ten vor­herr­schend. Al­le In­ter­es­sen hat­ten sich nach Frank­reich ge­wen­det.” Mel­chi­or Bo­is­se­rée, der Köl­ner Pa­tri­zi­er, be­stä­tig­te die­se Ein­stel­lung im sel­ben Jahr: „Man hört nur zu oft das fre­vel­haf­te Wort: noch lie­ber fran­zö­sisch als preu­ßisch”. In spöt­ti­schem Geist ha­ben Rhein­län­der da­ge­gen preu­ßi­sche Be­am­te und Of­fi­zie­re als „Pom­mern“ oder so­gar „Lit­hau­er” be­zeich­net. Die geo­gra­phi­sche Ver­or­tung wies auf Preu­ßens pre­kä­re Be­zie­hung zur west­li­chen Zi­vi­li­sa­ti­on hin (Jür­gen Her­res).

Bei die­sen ge­gen­sei­ti­gen Vor­be­hal­ten ist die Auf­recht­er­hal­tung der so ge­nann­ten „rhei­ni­schen In­sti­tu­tio­nen” nicht zu un­ter­schät­zen. Nach der Be­sitz­er­grei­fung durch Preu­ßen be­stand die Aus­sicht, dass die Rhein­pro­vinz sich auch dem preu­ßi­schen Rechts­we­sen an­pas­sen müss­te. Ob­wohl sich das 1795 ein­ge­führ­te „All­ge­mei­ne Land­recht für die preu­ßi­schen Staa­ten“ (ALR) in vie­ler­lei Hin­sicht als fort­schritt­lich er­wie­sen hat­te, war es ein Pro­dukt des An­ci­en Ré­gimes ge­we­sen. Es be­wahr­te die Pri­vi­le­gi­en des Adels, kon­fron­tier­te Ge­wer­be und Gro­ßhan­del mit man­gel­haf­ten bis schäd­li­chen Maß­nah­men und er­kann­te Zünf­te und In­nun­gen wei­ter­hin an. Im Ver­gleich da­zu ge­währ­leis­te­ten der na­po­leo­ni­sche Code Ci­vil (1804) und der Code de Com­mer­ce (1808) nicht nur die Ge­wer­be­frei­heit, son­dern auch güns­ti­ge Rechts­be­din­gun­gen bei der Bil­dung von Ak­ti­en­ge­sell­schaf­ten, Hy­po­the­ken­ge­schäf­ten, Han­dels­kam­mern so­wie Han­dels- und Ge­wer­be­ge­rich­ten.

Noch wich­ti­ger war, dass die Rhein­län­der ihr fran­zö­si­sches Rechts­we­sen als das Fun­da­ment ih­rer bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft an­sa­hen. Zi­vil- und Straf­recht, Ge­richts­ver­fas­sung (vor al­lem die Ge­schwo­re­nen­ge­rich­te), Frei­heit der Per­son und des Ei­gen­tums, Gleich­heit vor dem Ge­setz, Öf­fent­lich­keit und Münd­lich­keit der Ge­richts­ver­hand­lun­gen, re­li­giö­se Frei­heit, Tren­nung von Kir­che und Staat und ei­ne ef­fi­zi­en­te Zen­tral­ver­wal­tung wa­ren un­ter fran­zö­si­scher Herr­schaft rea­li­sier­te Er­run­gen­schaf­ten, die die Rhein­län­der nicht ein­bü­ßen woll­ten. Nach 1814 wur­den die­se fran­zö­si­schen Re­for­men zu „rhei­ni­schen In­sti­tu­tio­nen“. Füh­ren­de rhei­ni­sche Bür­ger setz­ten sich für die Ret­tung des Rhei­ni­schen Rechts ein. Nach aus­führ­li­cher De­bat­te ent­schied sich der preu­ßi­sche Staat 1818, das fran­zö­si­sche Recht im Rhein­land auf­recht­zu­er­hal­ten.

Mit die­sem Zu­ge­ständ­nis wur­de der In­te­gra­ti­ons­pro­zess der Pro­vinz in den preu­ßi­schen Ge­samt­staat er­heb­lich er­leich­tert. Von Preu­ßens zehn Pro­vin­zen be­saß nur die Rhein­pro­vinz ein ei­ge­nes Par­ti­ku­lar­recht. Die „rhei­ni­schen In­sti­tu­tio­nen“ bil­de­ten ei­nen un­ver­zicht­ba­ren recht­li­chen Rah­men für wei­te­re Re­for­men. Wich­ti­ge struk­tu­rel­le Ele­men­te der west­eu­ro­päi­schen Zi­vil­ge­sell­schaft, die das Zeit­al­ter der Re­vo­lu­ti­on in Nord­ame­ri­ka und West­eu­ro­pa her­vor­brach­ten, ent­wi­ckel­te sich auch im Rhein­land wei­ter fort. Mit den Karls­ba­der Be­schlüs­sen von 1819, die die po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit streng be­schränk­ten, er­hielt das Rechts­we­sen so­gar den Cha­rak­ter ei­nes Er­satz­kon­sti­tu­tio­na­lis­mus. Die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit die­sen In­sti­tu­tio­nen zeigt, dass sich be­reits früh das Be­wusst­sein ei­ner rhei­ni­schen po­li­ti­schen Kul­tur ent­wi­ckelt hat­te.

3. Die Verfassungsfrage und der Provinziallandtag

Im Be­sitz­er­grei­fungs­pa­tent vom 5.4.1815 kün­dig­te Kö­nig Fried­rich Wil­helm III. (Re­gie­rungs­zeit 1797-1840) die „Bil­dung ei­ner Re­prä­sen­ta­ti­on” an. Die­ses Ver­spre­chen ei­ner Ver­fas­sung lös­te bei der rhei­ni­schen Be­völ­ke­rung Hoff­nung aus, blieb aber un­er­füllt. Ob­wohl Würt­tem­berg, Ba­den und Bay­ern in den Jah­ren 1815-1818 Ver­fas­sun­gen ver­kün­de­ten, wur­de kei­ne ent­spre­chen­de preu­ßi­sche Ur­kun­de er­las­sen, durch die der Grund­be­stand von Bür­ger­rech­ten fi­xiert und ei­ne Volks­ver­tre­tung ein­ge­rich­tet wor­den wä­re.

In den Jah­ren 1817 und 1818 nutz­ten meh­re­re rhei­ni­schen Städ­te die Ge­le­gen­heit kö­nig­li­cher Be­su­che, um Kö­nig und Kron­prinz an das Ver­fas­sungs­ver­spre­chen zu er­in­nern. 1817 un­ter­brei­te­ten städ­ti­sche De­le­ga­tio­nen aus Trier und Köln, 1818 aus Ko­blenz und Kle­ve Pe­ti­tio­nen. Die Stadt Ko­blenz ver­fass­te ei­ne zwei­te im Ja­nu­ar 1818, die über 3.000 Bür­ger un­ter­schrie­ben. Jo­seph Gör­res, der ehe­ma­li­ge Ja­ko­bi­ner und Pu­bli­zist aus Ko­blenz, über­reich­te die Pe­ti­ti­on an Staats­mi­nis­ter Karl Au­gust von Har­den­berg (1750-1822), wäh­rend ver­schie­de­ne Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten die städ­ti­schen Adres­sen ver­brei­te­ten. Die so her­ge­stell­te Öf­fent­lich­keit er­reg­te Dis­kus­sio­nen im deut­schen Pu­bli­kum, aber Ent­rüs­tung bei der Re­gie­rung. Es war die Ge­burts­stun­de des rhei­ni­schen Li­be­ra­lis­mus.

Ent­ge­gen frü­he­rer Ver­spre­chen schuf Kö­nig Fried­rich Wil­helm III. an­stel­le ei­nes über­re­gio­na­len Par­la­ments ge­trenn­te Ver­tre­tun­gen für je­de Pro­vinz, die zu­dem nach stän­di­schen Prin­zi­pi­en ge­bil­det wur­den. Der in Düs­sel­dorf ta­gen­de Rhei­ni­sche Pro­vin­zi­al­land­tag setz­te sich aus 80 Ab­ge­ord­ne­ten in vier Stän­den zu­sam­men: Fürs­ten (5), Rit­ter (25), Städ­te (25) und Land­ge­mein­den (25). Zum ers­ten Mal tag­te er 1826, da­nach kam die Kör­per­schaft al­le zwei oder drei Jah­re zu­sam­men. Die Land­tags­de­bat­ten wa­ren nicht öf­fent­lich.

Der Kö­nig schrieb dem Land­tag Ver­wal­tungs­auf­ga­ben wie Ka­tas­ter- und Ge­sund­heits­we­sen zu, le­gis­la­ti­ve Be­fug­nis­se, wie ein Steu­er­be­wil­li­gungs­recht oder Mit­be­stim­mung bei der Ge­setz­ge­bung, wa­ren nicht vor­ge­se­hen. Trotz­dem fand ei­ne Po­li­ti­sie­rung des rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­land­tags statt. Auf dem ers­ten Land­tag wie­sen Ab­ge­ord­ne­te den Wunsch der Re­gie­rung, das preu­ßi­sche Ge­setz­buch zu über­neh­men, ent­schie­den zu­rück. Wäh­rend der 1830er und 1840er Jah­re dis­ku­tier­te der Pro­vin­zi­al­land­tag ei­ne Rei­he von po­li­tisch sen­si­blen Fra­gen: die Kin­der­ar­beit in den neu ent­stan­de­nen Fa­bri­ken, die Ge­fan­gen­nah­me des Erz­bi­schofs von Köln, das kö­nig­li­che Ver­fas­sungs­ver­spre­chen und ei­ne schon seit den 1820er Jah­ren dis­ku­tier­te rhei­ni­sche Ge­mein­de­ord­nung (1845). Ab­ge­ord­ne­te wie Lu­dolf Cam­phau­sen, Au­gust von der Heydt (1801-1874) und Her­mann Be­ckerath wur­den da­durch zu be­kann­ten Per­sön­lich­kei­ten. Da­vid Han­se­mann er­klär­te dem Kö­nig Fried­rich Wil­helm III. in zwei Schrif­ten 1830 und 1834 die An­schau­un­gen des ge­mä­ßig­ten Kon­sti­tu­tio­na­lis­mus der rhei­ni­schen Li­be­ra­len, de­nen vor al­lem die neu be­grün­de­te kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie in Bel­gi­en ent­ge­gen­kam. Nach­dem Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. (Re­gie­rungs­zeit 1840-1858) den Thron be­stie­gen hat­te, kam es zu ei­ner Er­neue­rung der Ver­fas­sungs­de­bat­te. Mit der Fra­ge der Re­vi­si­on des rhei­ni­schen Straf­rechts setz­te 1845 ei­ne neue Wel­le städ­ti­scher Pe­ti­tio­nen an den Land­tag ein, die die­sen als Ver­tre­tung des Vol­kes in die Pflicht nah­men. Eben­so grund­le­gend war der li­be­ra­le Kampf für die Gleich­be­rech­ti­gung der Ju­den auf den Rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­land­ta­gen von 1843 und 1845. Dank des En­ga­ge­ments rhei­ni­scher Li­be­ra­ler hob der preus­si­sche Staat 1845 et­li­che öko­no­mi­sche Be­schrän­kun­gen ge­gen jü­di­sche Kauf­leu­te auf und ver­kün­de­te 1847 auf dem Ver­ei­nig­ten Land­tag die öf­fent­li­che und le­ga­le Gleich­stel­lung der jü­di­schen Kon­fes­sio­nen. Erst nach der Re­vo­lu­ti­on von 1848 trat das Ge­setz in Kraft.

Auf dem Ver­ei­nig­ten Land­tag von 1847 spiel­ten rhei­ni­sche Ab­ge­ord­ne­te ei­ne füh­ren­de Rol­le. Da preu­ßi­sche Ge­set­ze staat­li­che An­lei­hen über 20 Mil­lio­nen Ta­ler oh­ne die Zu­sa­ge ei­ner na­tio­na­len Re­prä­sen­ta­ti­on nicht er­laub­ten, hat­te der Kö­nig die­sen nun­mehr ge­samt­preu­ßi­schen Land­tag ein­be­ru­fen, um die Zu­stim­mung zu ei­ner An­lei­he von 33 Mil­lio­nen Ta­ler für den Bau der so ge­nann­ten Ost­bahn von Ber­lin nach Ost­preu­ßen zu er­hal­ten. Rhei­ni­sche Ab­ge­ord­ne­te be­strit­ten je­doch die ge­setz­ge­be­ri­sche Ge­walt die­ses Gre­mi­ums. Ei­ne sol­che Zu­stim­mung kön­ne nur ein ver­fas­sungs­mä­ßi­ges Par­la­ment ge­ben. Mit die­ser op­po­si­tio­nel­len Stel­lung­nah­me war das Dar­le­hens­ge­such ge­schei­tert. Zu ei­nem ge­flü­gel­ten Wort wur­de Han­se­manns For­mu­lie­rung: „In Geld­sa­chen hört die Ge­müt­lich­keit auf”. Da­mit war die Fä­hig­keit des ver­fas­sungs­lo­sen preu­ßi­schen Staa­tes, ef­fek­tiv zu re­gie­ren, schwer er­schüt­tert wor­den. Die Mög­lich­kei­ten der Ein­fluss­nah­me des rhei­ni­schen Li­be­ra­lis­mus auf preu­ßi­sche und deut­sche Po­li­tik war da­ge­gen über­aus deut­lich ge­wor­den.

4. Wirtschaft und Frühindustrialisierung

In der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts war das Rhein­land pri­mär ei­ne bür­ger­li­che Ge­sell­schaft, die sich frei­lich be­reits im Um­bruch be­fand. Gro­ßhan­del und Fi­nanz­we­sen, Hand­werk und Lohn­ar­beit, Land­wirt­schaft und die in­dus­tri­el­len Be­rei­che Tex­til­pro­duk­ti­on, Berg­bau und Ei­sen­bahn­bau wa­ren die Haupt­sek­to­ren. Ob reich oder arm, bei­na­he al­le Rhein­län­der leb­ten von Markt­ver­hält­nis­sen und von der Kauf­kraft des Gel­des. Die Teue­rungs­kri­se in den Jah­ren 1845-1848 führ­te auch Hand­wer­kern und Bau­ern ih­re Ab­hän­gig­keit von den städ­ti­schen Märk­ten und die un­wäg­ba­ren Ge­fah­ren von Miss­ern­ten und Hun­gers­nö­ten vor Au­gen.

4.1 Handwerk

Ob­wohl Fa­brik­ar­beit und In­dus­tri­en wie Berg­bau und Ei­sen­gie­ße­rei als neu auf­kom­men­de Leit­sek­to­ren gal­ten, präg­ten viel­fäl­ti­ge So­zi­al­grup­pen - Klein­pro­du­zen­ten, Hand­wer­ker und Bau­ern - das Wirt­schafts­le­ben. Klein­händ­ler und Hand­wer­ker be­stimm­ten vie­ler­orts noch im­mer das Stadt­bild. Bä­cker, Schus­ter, Schnei­der, Tisch­ler, Schmie­de, Fass­bin­der, Zim­mer­leu­te hat­ten ih­re Ge­sel­len, aber Lehr­lin­ge und Ge­sel­len durf­ten für Löh­ne ar­bei­ten und ih­ren ei­ge­nen Ar­beits­weg sel­ber be­stim­men, da das Zunft­we­sen ab­ge­schafft war. In vie­len Städ­ten ar­bei­te­ten Hand­wer­ker mit nur ei­nem Lehr­ling oder be­schäf­tig­ten über die ei­ge­ne Ar­beits­kraft hin­aus kei­ne wei­te­ren Hilfs­kräf­te: 60-70 Pro­zent der Hand­werks­be­trie­be in Trier wa­ren zu die­ser Zeit Ein­mann­be­trie­be. Die dar­aus re­sul­tie­ren­de Ge­fahr von Un­ter­be­schäf­ti­gung oder Ar­beits­lo­sig­keit er­wies sich als äu­ßerst pre­kär (Kurt Düwell). “Der Mas­se der vor­märz­li­chen Hand­wer­ker,” schreibt Fried­rich Len­ger, “ging es kaum bes­ser als den Ge­sel­len oder den städ­ti­schen Ta­ge­löh­nern”.

Auf dem Land misch­ten sich Agrar­ar­beit und ge­werb­li­che Heim­ar­beit. 1828 wohn­ten 77 Pro­zent der Ein­woh­ner der Rhein­pro­vinz auf dem Land. Ne­ben der Land­wirt­schaft war das Hand­werk im so ge­nann­ten Ver­lags­sys­tem weit ver­brei­tet. Da­bei stell­ten Land­be­woh­ner, zum Bei­spiel We­ber, Schnei­der, Hut­ma­cher oder Sche­ren­ma­cher Wa­ren für ei­nen Kauf­mann her, der als Ge­gen­leis­tung ei­nen Lohn aus­zahl­te. Das Ver­lags­sys­tem war auch ein be­stim­men­der Fak­tor in der Kre­fel­der Sei­den­fa­bri­ka­ti­on so­wie in der Lei­nen- und Baum­woll­pro­duk­ti­on in den in­dus­tria­li­sier­ten Zen­tren von El­ber­feld und Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal). Zwi­schen 1815 and 1850 wuchs die Zahl der Heim­ar­bei­ter ste­tig an. 1826 wur­den in der Rhein­pro­vinz 5.876 hand­be­trie­be­ne Web­stüh­le ge­zählt, 1850 wa­ren es be­reits 12.520.

Die Zu­nah­me von me­cha­ni­sier­ten Garn­spin­ne­rei­en und hand­ge­trie­be­nen Web­stüh­len be­ding­ten ein­an­der, da die me­cha­ni­sier­te Spin­ne­rei den Eng­pass zu ei­ner hö­he­ren Pro­duk­ti­on auf­ge­löst hat­te. 1849 ar­bei­te­ten 12.000 bis 15.000 Men­schen in rhein­preu­ßi­schen Tuch­fa­bri­ken, wäh­rend 60.000 bis 63.000 We­ber von Heim­ar­beit leb­ten. 50 Pro­zent der Fa­brik­ar­bei­ter wa­ren Frau­en und vor al­lem Kin­der un­ter 14 Jah­ren. Im Ge­gen­satz zu die­ser schwe­ren kör­per­li­chen, aber oh­ne grö­ße­re Vor­kennt­nis­se aus­zu­üben­den Tä­tig­keit, wur­den kom­ple­xe­re hand­werk­li­che Ar­bei­ten vor al­lem von Er­wach­se­nen aus­ge­übt.

4.2 Rheinischer Unternehmergeist

Seit Jahr­hun­der­ten för­der­te der Rhein­ver­kehr Han­del, Ge­wer­be und Spe­di­ti­on. Durch den Fern­han­del rhei­ni­scher (Han­se-)Städ­te mit Wein, Ge­trei­de, Ko­lo­ni­al­wa­ren und an­de­ren Gü­tern ent­wi­ckel­ten sich en­ge Be­zie­hun­gen mit Bra­bant, Hol­land und den nord­deut­schen Han­se­städ­ten. Die fran­zö­si­sche Herr­schaft hat­te die Be­din­gun­gen für ei­nen re­gio­na­len Wirt­schafts­raum, wel­cher Stadt und Land zu­sam­men­schloss, wei­ter ver­bes­sert. Da­zu kam ei­ne neue Nach­fra­ge für ko­lo­nia­le Pro­duk­te aus Welt­märk­ten. So wur­de Köln zum Bei­spiel ein Zen­trum der Zu­cker­pro­duk­ti­on: zwi­schen 1821 und 1836 wur­den 19 Be­trie­be ge­grün­det, um Ko­lo­ni­al­zu­cker zu raf­fi­nie­ren.

Das Wirt­schafts­bür­ger­tum mo­der­ni­sier­te auch das Bank-, Kre­dit-, Ver­si­che­rungs- und Hy­po­the­ken­we­sen. Die 1825 von dem Aa­che­ner Tuch­kauf­mann Da­vid Han­se­mann be­grün­de­te „Aa­che­ner Feu­er­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft” wur­de bald füh­rend in Deutsch­land. Rhei­ni­sche Un­ter­neh­mer be­schaff­ten un­ent­behr­li­che Ka­pi­tal­fonds für die Früh­in­dus­tria­li­sie­rung. Der Ban­kier Abra­ham Schaaff­hau­sen dehn­te sein tra­di­tio­nel­les Geld­ge­schäft aus, um die re­gio­na­le Mon­tan­in­dus­trie zu för­dern. Da­ge­gen kon­zen­trier­te sich der Ban­kier Jo­hann Da­vid Her­statt (1805-1879) auf die Tex­til­in­dus­trie am Nie­der­rhein. Auf ähn­li­che Wei­se un­ter­nahm die Fir­ma von Jo­hann Hein­rich Stein (1803-1879) Kre­dit­ge­schäf­te mit den Ei­sen-, Stahl-, und Me­tall­wa­ren­fa­bri­ken in der Re­gi­on. Sa­lo­mon Op­pen­heim & Cie, ei­ne wei­te­re Köl­ner Bank­fir­ma, be­tei­lig­te sich an Ei­sen­bahn­grün­dun­gen so­wie an Un­ter­neh­men im Me­tall­ge­wer­be und in der Berg­bau­in­dus­trie. Der aus Dül­ken stam­men­de Gus­tav Me­vis­sen fing als Tuch­fa­bri­kant in Kre­feld an und stieg als Bank­grün­der bis zum Prä­si­dent der Rhei­ni­schen Ei­sen­bahn auf.

Die­se Bei­spie­le il­lus­trie­ren, wie es ei­ner neu­en Ge­ne­ra­ti­on von Un­ter­neh­mern ge­lang, das Rhein­land zu ei­nem füh­ren­den Zen­trum der In­dus­trie, des Han­dels und des Fi­nanz­we­sen zu ent­wi­ckeln. Sie be­grü­ß­ten das Zeit­al­ter des mo­bi­len Ka­pi­tals und wett­ei­fer­ten mit­ein­an­der in ih­rem Ehr­geiz, das in­dus­tri­el­le Wachs­tum an­zu­kur­beln.

4.3 Frühindustrialisierung

Die Durch­set­zung der me­cha­ni­sier­ten Fa­brik­ar­beit mar­kiert in der Rhein­pro­vinz den Be­ginn ei­nes ra­san­ten Mo­der­ni­sie­rungs­pro­zes­ses. Wäh­rend das Ruhr­ge­biet als Kern­re­gi­on der Hoch­in­dus­tria­li­sie­rung be­kannt ist, stieg der Raum Aa­chen seit der Früh­in­dus­tria­li­sie­rung zu ei­nem Zen­trum der tex­til­ver­ar­bei­ten­den In­dus­trie - aber auch des Berg­baus auf. Wäh­rend 1850 1.350 Tex­til­ar­bei­ter und 2.300 Me­tall­ar­bei­ter in den Ruhr­städ­ten tä­tig wa­ren, ar­bei­te­ten im Aa­che­ner Raum 17.800 in der Tex­til- und 2.300 in der Me­tall­bran­che. Aa­chen ge­hör­te zwei wich­ti­gen In­dus­trie­gür­teln an: dem Tex­tild­rei­eck Eu­pen-Ver­viers-Aa­chen so­wie dem Berg­bau­zen­trum von Eschwei­ler-Burt­scheid-Stol­berg. Die zen­tra­li­sier­te Me­cha­ni­sie­rung der Woll­pro­duk­ti­on ging an­de­ren Wirt­schafts­bran­chen vor­aus. Wäh­rend der 1820er Jah­re ver­such­ten Aa­che­ner Kauf­leu­te die Heim­we­be­rei ab­zu­schaf­fen, um Dampf­ma­schi­nen ein­zu­füh­ren. Wäh­rend der 1830er Jah­ren ver­füg­ten 67 Aa­che­ner Woll­tuch­fa­bri­ken über 1.850 me­cha­ni­sier­te Web­stüh­le und be­schäf­tig­ten 6.500 Ar­bei­ter. Von den 7.000 in Eu­pen be­schäf­tig­ten Tuch­ar­bei­tern wa­ren 5.000 in Fa­bri­ken tä­tig. Nach 1830 war al­so das mo­der­ne ge­schlos­se­ne Fa­brik­sys­tem ein fes­ter Be­stand­teil der Aa­chen-Eu­pe­ner Wirt­schaft (Düwell). 1850 ver­füg­te je­de Aa­che­ner Fa­brik über min­des­tens ei­ne Dampf­ma­schi­ne.

Ne­ben Aa­chen rag­ten die Wup­per­ta­ler Städ­te El­ber­feld und Bar­men und de­ren Um­ge­bung wäh­rend der Früh­in­dus­tria­li­sie­rung als Zen­tren der Farb- und Tuch­in­dus­trie her­aus. Als Sohn ei­nes pie­tis­ti­schen Tuch­fa­bri­kan­ten aus Bar­men wur­de Fried­rich En­gels Zeu­ge des sich durch die „In­dus­tri­el­le Re­vo­lu­ti­on“ ver­ur­sach­ten so­zio­öko­no­mi­schen Wand­lungs­pro­zes­ses. Ih­re lang­fris­ti­gen Fol­gen of­fen­bar­ten sich ihm wäh­rend sei­ner kauf­män­ni­schen Aus­bil­dung bei ei­ner Baum­woll­spin­ne­rei im eng­li­schen Man­ches­ter. Dort hat er 1842–1844 die ver­hee­ren­den Le­bens­ver­hält­nis­se der eng­li­schen Ar­bei­ter­klas­se be­ob­ach­tet, und sein Werk „Die La­ge der ar­bei­ten­den Klas­se in Eng­lan­d“ ver­fasst - ein un­ent­behr­li­ches Zeit­do­ku­ment der ers­ten In­dus­tria­li­sie­rung. 1844 be­gann sei­ne le­bens­läng­li­che Zu­sam­men­ar­beit mit Karl Marx.

Auf­grund der ra­schen Me­cha­ni­sie­rung der Ar­beit, die nied­ri­ge­re Löh­ne so­wohl für We­ber als auch für Fa­brik­ar­bei­ter zur Fol­ge hat­te, kam es in der Rhein­pro­vinz zu Un­ru­hen. 1821 zer­stör­ten Eu­pe­ner Ar­bei­ter neu ge­lie­fer­te Kämm­ma­schi­nen, 1828 de­mo­lier­ten Kre­fel­der Sei­den­we­ber die Comp­toirs meh­re­rer Sei­den­kauf­leu­te we­gen ei­ner Re­du­zie­rung ih­rer Löh­ne um 15 Pro­zent. 1830 fand ein gro­ßer Tu­mult von et­wa 4.000 Tex­til­ar­bei­tern aus Aa­chen, Eu­pen und Ver­viers statt, weil ei­ni­ge Ar­bei­ter ei­ne 16-pro­zen­ti­ge Lohn­sen­kung hin­neh­men muss­ten. Nach der Zer­stö­rung meh­re­rer Häu­ser von Fa­brik­be­sit­zern nah­men Gen­dar­men und Sol­da­ten 150 Ar­bei­ter fest. Der letz­te­re Kon­flikt ist je­doch auch im Zu­sam­men­hang mit den po­li­ti­schen Re­vo­lu­tio­nen in Frank­reich und Bel­gi­en zu se­hen  Die Re­vo­lu­ti­ons­nach­rich­ten lös­ten Un­ru­hen in meh­re­ren rhei­ni­schen Städ­te aus, wo sich so­zio­öko­no­mi­sche Un­zu­frie­den­heit mit po­li­ti­scher Kri­tik misch­te. Wäh­rend der 1840er Jah­re fan­den auch ei­ni­ge Ei­sen­bahn­ar­bei­ter-Streiks statt. Es brach ei­ne Zeit in­dus­tri­el­ler Kon­flik­te an.

Die in­ten­si­ve In­dus­tria­li­sie­rung des Ruhr­ge­biets be­gann erst in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts, doch wur­de das Fun­da­ment be­reits in den 1830er Jah­ren ge­legt. Zu den Pio­nie­ren des Koh­len­han­dels und Tief­baus im Ruhr­ge­biet ge­hör­te der Mül­hei­mer Un­ter­neh­mer Mat­thi­as Stin­nes, der im Jahr 1808 die nach ihm be­nann­te Fir­ma Stin­nes grün­de­te. Als er 1845 starb, be­saß er 36 Ze­chen zwi­schen Mül­heim und Es­sen. Wäh­rend der 1840er Jah­re er­wirt­schaf­te­ten rhei­ni­sche Un­ter­neh­mer er­folg­reich das Ka­pi­tal, um die nö­ti­ge In­fra­struk­tur und die Er­schlie­ßung von Tief­gru­ben zu fi­nan­zie­ren.

Rote Funken zu Pferd im Rosenmontagszug 1824. (Kölner Karnevalsmuseum)

 

4.4 Eisenbahnbau

Die stei­gen­de Nach­fra­ge nach Koh­le und Ei­sen hing eng mit dem Ei­sen­bahn­bau zu­sam­men. Bau, Ver­wal­tung und Fi­nan­zie­rung der Ei­sen­bah­nen wa­ren Trieb­fe­dern der Früh­in­dus­tria­li­sie­rung. Ihr rie­si­ger Be­darf an Ka­pi­tal und Ar­beit hat­te Kop­pe­lungs­ef­fek­te mit an­de­ren in­dus­tri­el­len Bran­chen zur Fol­ge und führ­te zur Er­schlie­ßung neu­er Märk­te. Da­durch wur­de der Ei­sen­bahn­bau zum Haupt­ka­ta­ly­sa­tor der Ta­ke-off-Pha­se der ers­ten In­dus­tria­li­sie­rung. Im Rhein­land wa­ren drei Li­ni­en ent­schei­dend für den re­gio­na­len Han­del und die In­dus­trie. Seit Jahr­zehn­ten ver­such­ten rhei­ni­sche Un­ter­neh­mer, Hol­lands Zwi­schen­han­dels­mo­no­pol im Rhein­ver­kehr zu um­ge­hen. Erst mit der Tren­nung Bel­gi­ens vom Kö­nig­reich der Ver­ei­nig­ten Nie­der­lan­de 1830 konn­te Lu­dolf Cam­phau­sen sei­ne Vi­si­on ei­nes „ei­ser­nen Rheins” zwi­schen Köln und Ant­wer­pen ver­wirk­li­chen. 1837 ent­stand die Rhei­ni­sche Ei­sen­bahn nach leb­haf­ten Ver­hand­lun­gen zwi­schen Ver­tre­tern der Aa­che­ner und Köl­ner Wirt­schafts­in­ter­es­sen. 1844 wur­de der Ver­kehrs­be­trieb auf­ge­nom­men. Die von Han­se­mann ge­grün­de­te Köln-Min­de­ner Ei­sen­bahn­ge­sell­schaft (1843) ver­wirk­lich­te ei­ne Li­nie, die Roh­stof­fe und Gü­ter der Rhein­pro­vinz in die We­s­er­hä­fen, nach Ber­lin und in die öst­li­chen Pro­vin­zen trans­por­tie­ren konn­te. Da­mit ent­stand das be­deu­tends­te Ver­kehrs­mit­tel der Rhein­pro­vinz für öst­lich ge­le­ge­ne Märk­te. Aus­schlag­ge­bend für die rhei­ni­sche Früh­in­dus­tria­li­sie­rung war eben­falls die 1835 ge­grün­de­te Düs­sel­dorf-El­ber­fel­der Ei­sen­bahn. Die­ses Un­ter­neh­men war die ers­te Li­nie in Deutsch­land, die pri­mär für den Gü­ter­ver­kehr ge­baut wur­de. Die zen­tra­le Stel­lung die­ser Ei­sen­bah­nen wäh­rend der ers­ten In­dus­tria­li­sie­rung ist nicht zu über­schät­zen.

Auch die Rhein­schiff­fahrt er­fuhr durch die Dampf­kraft ei­ne Ver­än­de­rung. Im Vor­märz setz­te sich de­ren Me­cha­ni­sie­rung durch – für den strom­auf­wärts füh­ren­den Ver­kehr be­deu­te­te dies ei­ne er­heb­li­che Er­leich­te­rung.

5. Die Politisierung der rheinischen Gesellschaft

Eröffnung der Bahnstrecke Köln-Bonn 1844. Eisenbahnzug vor Schloss Augustusburg in Brühl, Gemälde von Nikolaus Christian Hohe (1798-1868). (Archiv der Stadt Brühl)

 

5.1 Pauperisierung

Ob­wohl die 1830er Jah­re gu­te Ern­ten, nied­ri­ge Brot­prei­se und neue Ar­beits­mög­lich­kei­ten in Fa­bri­ken und auf den Ei­sen­bahn­bau­stel­len brach­ten, muss man die­se ge­sam­te Pe­ri­ode eher mit düs­te­ren Far­ben ma­len. Die Jah­re 1817-1819, 1830-1831 und 1846-1849 wa­ren Kri­sen­jah­re. Schlech­te Ern­ten, Cho­le­ra und ei­ne Teue­rungs­kri­se, die Land­wirt­schaft und Ge­wer­be er­fass­te, mach­ten die­se Jahr­zehn­te ins­ge­samt schwie­rig für vie­le Klein­bau­ern und Hand­wer­ker. Dar­über hin­aus ist die star­ke Zu­nah­me der Be­völ­ke­rung in der Rhein­pro­vinz zu be­ach­ten. Im Jah­re 1815 leb­ten 1.870.908 Men­schen in der Rhein­pro­vinz, 1849 wa­ren es be­reits 2.830.936. Das Be­völ­ke­rungs­wachs­tum nahm vor al­lem in den Städ­ten rasch zu: in Köln ver­dop­pel­te sich die Ein­woh­ner­zahl bei­spiels­wei­se von 46.657 auf 94.789, wäh­rend die­je­ni­ge von El­ber­feld zwi­schen 1803 und 1834 von 13.000 auf 32.000 wuchs.

Die Me­cha­ni­sie­rung der In­dus­trie wirk­te sich ne­ga­tiv auf zahl­rei­che Bran­chen des Hand­werks aus. Hand­wer­ker und Ta­ge­löh­ner lit­ten un­ter nied­ri­gen Löh­nen und un­ver­käuf­li­chen Pro­duk­ten. In der Stadt Köln hat­ten 60 Pro­zent der Be­völ­ke­rung 1848 ein jähr­li­ches Ein­kom­men von 100 Ta­lern und we­ni­ger; das reich­te für ei­ne Fa­mi­lie in kei­ner Wei­se zum Le­ben aus. Die über­lie­fer­ten Sta­tis­ti­ken der Ar­men­für­sor­ge zei­gen ei­ne Ge­sell­schaft mit er­staun­lich ho­hen Ar­muts­ra­ten. In Köln sank der An­teil der un­ter­stütz­ten Ar­men nie un­ter 17 Pro­zent, in Kri­sen­jah­ren stieg er auf 33 Pro­zent. In Aa­chen er­hielt im Vor­märz ei­ner von sie­ben Ar­bei­tern städ­ti­sche Hil­fe. We­gen Ar­mut be­frei­te die Düs­sel­dor­fer (Be­zirks-) Re­gie­rung in den 1840er Jah­ren zwi­schen 12 und 14,9 Pro­zent der Be­völ­ke­rung von je­der Steu­er­zah­lung, die Aa­che­ner Re­gie­rung 17,4 bis 20,3 Pro­zent. In Trier zähl­te ein Drit­tel der Stadt­ein­woh­ner zu den Un­ter­stüt­zungs­be­dürf­ti­gen, wäh­rend 28 Pro­zent der Ko­blen­zer Be­völ­ke­rung mit bil­li­gem Brot ver­sorgt wur­den.

We­gen der all­mäh­li­chen Ab­sen­kung des Le­bens­stan­dards für Ar­bei­ter wuchs die Kluft zwi­schen dem Wirt­schafts­bür­ger­tum und den vor al­lem im Klein­ge­wer­be tä­ti­gen Schich­ten. Le­bens­be­droh­li­che Hun­ger­zu­stän­de in ei­ni­gen Mit­tel­ge­birgs­re­gio­nen der Rhein­pro­vinz lie­ßen Zeit­ge­nos­sen in An­spie­lung auf die Hun­ger­ka­ta­stro­phe in Ir­land ab 1849 von “i­ri­schen Ver­hält­nis­sen” re­den. Im Huns­rück und in der Ei­fel lit­ten die Bau­ern, Schä­fer und Heim­ar­bei­ter be­son­ders stark. Aus sol­chen Ar­muts­zu­stän­den ent­stand Ver­zweif­lung und Zorn. Die Er­he­bung von Steu­ern und Zöl­len - vor al­lem die Mahl- und Schlacht­steu­er - er­schwer­te wei­ter­hin das Le­ben des Klein­bür­ger­tums. Der­er­lei wirt­schaft­li­che Pro­ble­me bar­gen ein ho­hes po­li­ti­sches Kon­flikt­po­ten­ti­al. Früh­zei­tig zeich­ne­te sich so­mit die so­zio­öko­no­mi­sche Di­men­si­on der Re­vo­lu­ti­on von 1848/1849 ab, in der so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­re Mo­ti­ve ei­ne ent­schei­den­de Rol­le spie­len soll­ten.

5.2 Vereine

Der freie Mei­nungs­aus­tausch gleich­be­rech­tig­ter Men­schen ge­hört zu den wich­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen ei­ner bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft. Seit der Auf­klä­rung wa­ren Ver­ei­ne zu ei­ner Stät­te der Mei­nungs­bil­dung in­for­mier­ter Bür­ger ge­wor­den. Die Karls­ba­der Be­schlüs­se und die Sechs Ar­ti­kel von 1832 hat­ten Re­de- und Ver­samm­lungs­frei­heit er­heb­lich ein­ge­schränkt, die Mit­glied­schaft in nun­mehr il­le­ga­len po­li­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen war bei An­dro­hung schwers­ter Stra­fen ver­bo­ten. Doch för­der­ten auch ver­meint­lich un­po­li­ti­sche Ver­ei­ne ei­ne Öf­fent­lich­keit, die so­wohl In­ter­es­se als auch Kri­tik am Staats­le­ben weck­te.

Hun­der­te von Ver­ei­nen ent­stan­den in die­ser Zeit zu al­ler­lei Zwe­cken. Al­lein in der Stadt El­ber­feld gab es im Vor­märz über 90 Ver­ei­ne für Bil­dungs-, Wohl­fahrts-, Re­li­gi­ons-, Un­ter­hal­tungs- und Ver­wal­tungs­zwe­cke. Die­ses Ver­ein­we­sen ist ein Be­leg für die Kom­pe­tenz und den Wil­len rhei­ni­scher Stadt­bür­ger, sich selbst zu re­gie­ren (Eber­hard Ill­ner). Mit Kor­re­spon­den­zen, Ta­gun­gen und Aus­flü­gen form­ten sol­che Ver­ei­ne Netz­wer­ke, die auch Dis­kus­si­on und Or­ga­ni­sa­ti­on auf über­re­gio­na­ler Ebe­ne för­der­ten. Ge­sangs-, Turn-, Schiess- und Schutz­ver­ei­ne misch­ten Un­ter­hal­tung mit na­tio­nal­li­be­ra­len In­hal­ten. Phil­hel­le­nen- und Po­len­ver­ei­ne brach­ten die Un­ter­stüt­zung von Grie­chen­land und Po­len, aber auch li­be­ra­le und na­tio­na­le Ge­sin­nun­gen für deut­sche Ein­heit und Frei­heit un­ver­kenn­bar zum Aus­druck. Im Rhein­land ent­stan­den auch ka­ri­ta­ti­ve Or­ga­ni­sa­tio­nen. In den West­pro­vin­zen Preu­ßens bil­de­ten sich zwei Drit­tel der Lo­kal­ver­ei­ne des 1844 ge­grün­de­ten Cen­tral­ver­eins für das Wohl der ar­bei­ten­den Klas­se, des­sen Haupt­an­lie­gen die Mil­de­rung der Ver­elen­dung brei­ter Volks­schich­ten sein soll­te (Jür­gen Reule­cke).

Für die Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben im Kul­tur­be­reich und in der Ar­men­für­sor­ge wa­ren die rhei­ni­schen Städ­te und der preu­ßi­sche Staat auf das Ver­eins­we­sen an­ge­wie­sen. Selbst der Fort­bau des Köl­ner Doms wur­de von ei­nem Bau­ver­ein or­ga­ni­siert. 1823 nutz­ten Köl­ner Bür­ger das Ver­eins­we­sen, um die Tra­di­ti­on des Kar­ne­vals am Rhein zu re­for­mie­ren. Schnell ver­brei­te­te sich der neue Ver­eins­kar­ne­val auch in Düs­sel­dorf, Aa­chen, Mainz, Ko­blenz, Trier und an­de­ren Städ­ten. Ne­ben öf­fent­li­chen Fest­um­zü­gen und Spie­len ver­an­stal­te­ten die Kar­ne­vals­ver­ei­ne ge­schlos­se­ne Sit­zun­gen, wo der Brauch des Büt­ten­re­dens neu be­lebt wur­de. Die Bütt war ein al­tes Kar­ne­valsym­bol der Ehr­lich­keit. In ihr wur­de die schmut­zi­ge Wä­sche der Ge­sell­schaft ge­wa­schen. Die po­li­tisch ein­ge­färb­te Per­si­fla­ge der Büt­ten­re­de wur­de zum Wahr­zei­chen des Rhei­ni­schen Kar­ne­vals. We­gen ih­rer Ver­se, Re­den und Flug­blät­ter ge­rie­ten Kar­ne­va­lis­ten in Trier, Bonn, Düs­sel­dorf, Köln und Mainz in Schwie­rig­kei­ten mit den Be­hör­den. Die Kar­ne­vals­ver­ei­ne tru­gen wäh­rend der 1840er Jah­re ent­schei­dend zur Ver­brei­tung li­be­ra­ler und de­mo­kra­ti­scher Ide­en bei. Füh­ren­de Per­sön­lich­kei­ten der Re­vo­lu­ti­on von 1848/1849 wie Gott­fried Kin­kel, Franz Ra­veauxCarl d'Ester und Franz Zitz (1803-1877) be­gan­nen ih­re Kar­rie­re als po­li­ti­sche Red­ner im Kar­ne­val. Spä­ter als po­pu­lä­re Rhe­to­ri­ker be­kannt, er­lern­ten sie hier die Kunst der poin­tier­ten Re­de und die Fä­hig­keit, ih­re po­li­ti­sche Kri­tik öf­fent­lich­keits­wirk­sam und in hu­mo­ris­ti­scher Form vor­zu­tra­gen.

5.3 Presse und Zensur

Trotz Zen­sur­maß­nah­men von Deut­schem Bund und Preu­ßi­schem Staat ver­such­ten Tei­le des rhei­ni­schen Bür­ger­tums, auf pu­bli­zis­ti­scher Ba­sis ei­ne po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit zu ent­wi­ckeln. In den 1840er Jah­ren wan­del­te sich die Trie­rer Zei­tung zu ei­ner ra­di­ka­len, wohl der ers­ten so­zia­lis­ti­schen Zei­tung Deutsch­lands (Die­ter Do­we). Kurz da­nach ent­schie­den Lu­dolf Cam­phau­sen und an­de­re Köl­ner Wirt­schafts­bür­ger, ei­ne zeit­ge­mä­ße li­be­ra­le Zei­tung am Rhein zu grün­den. Als Chef­re­dak­teur stell­ten sie ab Ok­to­ber 1842 den 23-jäh­ri­gen Karl Marx an, der die „Rhei­ni­sche Zei­tung für Po­li­tik, Han­del und Ge­wer­be“ zu ei­nem scharf­sin­ni­gen Or­gan des rhei­ni­schen Li­be­ra­lis­mus ent­wi­ckel­te. Ein Jahr nach der ers­ten Aus­ga­be vom 1.1.1842 ent­zog die Re­gie­rung der Zei­tung die Druck­kon­zes­si­on und das Un­ter­neh­men muss­te im März 1843 ein­ge­stellt wer­den. 1845 gab der Ver­le­ger Jo­seph Du­mont der „Köl­ni­schen Zei­tun­g“, ei­ne un­ab­hän­gi­ge ka­tho­li­sche Zei­tung, ei­ne stär­ker li­be­ra­le Aus­rich­tung. Nicht we­ni­ger ein­fluss­reich wa­ren die „Düs­sel­dor­fer Zei­tun­g“ und die „Bon­ner Zei­tun­g“, die sich auch als Sprach­rohr des rhei­ni­schen Li­be­ra­lis­mus ver­stan­den. Le­se­zir­kel die­ser Zeit zei­gen deut­lich, dass Rhei­ni­sche Bür­ger auch aus­wär­ti­ge und aus­län­di­sche Zei­tun­gen be­zo­gen und mit gro­ßem In­ter­es­se la­sen.

5.4 Religion und Politik

Im Vor­märz bar­gen Kir­che und Re­li­gi­on am Rhein ein ho­hes Kon­flikt­po­ten­ti­al. Auf die Ver­kün­di­gung der Kir­chen­ord­nung von 1817 durch Fried­rich Wil­helm III., wel­che die vie­len lu­the­ri­schen und re­for­mier­ten Ge­mein­den in ei­ner Syn­ode zu­sam­men­fass­te, re­agier­ten die rhei­ni­schen Pro­tes­tan­ten mit schar­fer Kri­tik. Dar­über hin­aus ver­wei­ger­ten vie­le den neu­en Re­geln den Ge­hor­sam. Ei­ni­ge Gläu­bi­ge wan­der­ten aus. Erst mit ei­nem neu­en Ab­kom­men im Jah­re 1835 konn­ten sich die pie­tis­ti­schen Ge­mein­den ab­fin­den.

Der Köl­ner Kir­chen­streit (1837-1841) of­fen­bar­te die pro­ble­ma­ti­schen preu­ßisch-rhei­ni­schen Be­zie­hun­gen in be­son­de­rer Wei­se. Im No­vem­ber 1837 nahm die preu­ßi­sche Re­gie­rung den Köl­ner Erz­bi­schof Cle­mens Au­gust von Dros­te zu Vi­sche­ring in Haft und ent­fern­te ihn aus Köln und sei­ner Diö­ze­se. Oh­ne ge­richt­li­chen Pro­zess blieb der Erz­bi­schof für vier Jah­re in Ge­fan­gen­schaft. Die­se staat­li­che Will­kür er­reg­te die rhei­ni­schen Ka­tho­li­ken und schlug ein neu­es Ka­pi­tel in den Be­zie­hun­gen zwi­schen Preu­ßen und den Ka­tho­li­ken auf.

Aus­ge­löst wur­den die so ge­nann­ten Köl­ner Wir­ren durch den Streit um die re­li­giö­se Er­zie­hung der Kin­der in­ter­kon­fes­sio­nel­ler Ehen. Preu­ßi­sches Recht ver­lang­te, dass die Kin­der die Re­li­gi­on des Va­ters an­neh­men muss­ten, doch laut ka­tho­lisch-ka­no­ni­schem Recht muss­ten die Kin­der ka­tho­lisch er­zo­gen wer­den, wenn die Ehe durch die ka­tho­li­sche Kir­che an­er­kannt wer­den soll­te. Das Pro­blem be­stand dar­in, dass in der Re­gel aus den Ost­pro­vin­zen stam­men­de pro­tes­tan­ti­sche Män­ner aus Ar­mee und Ver­wal­tung ka­tho­li­sche rhei­ni­sche Frau­en ehe­lich­ten. De fac­to führ­te dies al­so zu ei­ner nach­hal­ti­gen Schwä­chung des Ka­tho­li­zis­mus in Preu­ßen zu­guns­ten der Pro­tes­tan­ten - was durch­aus ein­ge­plant war. Nach­dem der frü­he­re Köl­ner Erz­bi­schof Graf Fer­di­nand von Spie­gel die­sem Kon­flikt aus­ge­wi­chen und der Re­gie­rung ent­ge­gen­ge­kom­men war, fühl­te sich der 1835 er­nann­te Erz­bi­schof von Dros­te zu Vi­sche­ring die­sen Ab­ma­chun­gen sei­nes Vor­gän­gers nicht ver­pflich­tet und be­stand auf der stren­gen Be­fol­gung kirch­li­chen Rechts. Ob­wohl Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. den Köl­ner Kir­chen­streit 1841 for­mal be­en­de­te, ver­stärk­te die­ser Kon­flikt, trotz des Ent­ge­gen­kom­mens der preu­ßi­schen Re­gie­rung, nicht nur das Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Kir­che und Staat, son­dern schür­te auch die ins­ge­samt preu­ßen­feind­li­che Stim­mung in der Rhein­pro­vinz.

Für vie­le Ka­tho­li­ken ent­stand der Ein­druck, dass der preu­ßi­sche Staat die Frei­heit der Re­li­gi­on zu­neh­mend ein­schränk­te. Sie sa­hen die kon­se­quen­te Aus­übung ih­res Glau­bens in Ge­fahr. 1837 ent­stand ei­ne re­ge öf­fent­li­che Dis­kus­si­on in ganz Deutsch­land über Sinn und Recht­mä­ßig­keit der Ver­haf­tung des Erz­bi­schofs. Ton­an­ge­bend war Jo­seph Gör­res’ Schrift “At­ha­na­si­us” - ein schar­fer An­griff auf den preu­ßi­schen Staat, in der die Not­wen­dig­keit ei­ner Ver­fas­sung für die Re­li­gi­on be­tont wur­de. In der Tat ent­schie­den sich vie­le so­zi­al­kon­ser­va­ti­ve Ka­tho­li­ken, den Wert des Rechts­schut­zes ei­ner Ver­fas­sung an­zu­er­ken­nen.

Nach 1837 ent­stand ein po­li­ti­scher Ka­tho­li­zis­mus im Rhein­land, der auf zwei Fron­ten zu kämp­fen ver­such­te: Ers­tens ver­such­te die Kir­che, die neu­be­leb­te Fröm­mig­keit rhei­ni­scher Ka­tho­li­ken zu för­dern, um ih­re in­sti­tu­tio­nel­le Macht zu stär­ken. 1844 or­ga­ni­sier­te die Kir­che ei­ne sechs­wö­chi­ge Wall­fahrt nach Trier. Ei­ne hal­be Mil­li­on Ka­tho­li­ken pil­ger­ten zur Aus­stel­lung des Hei­li­gen Rocks Chris­ti.

Zwei­tens zo­gen vie­le Ka­tho­li­ken aus dem seit 1815 neu ent­stan­de­nen kirch­li­chen Ver­hält­nis zum Staat die Kon­se­quenz, für den Kon­sti­tu­tio­na­lis­mus als wich­ti­gen Schutz zur Aus­übung ih­rer Re­li­gi­on ein­zu­tre­ten. Über­haupt kann man die­sen Streit als Grün­dungs­akt des po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus an­se­hen. Die­ser Streit be­ein­fluss­te auch den jun­gen Pe­ter Rei­chen­sper­ger, sei­nem ge­mä­ßig­ten Li­be­ra­lis­mus jetzt ei­ne kon­fes­sio­nel­le Ori­en­tie­rung zu ge­ben. Das En­ga­ge­ment Rei­chen­sper­gers als Ko­blen­zer Ab­ge­ord­ne­ter im Jah­re 1848 für ka­tho­li­sche In­ter­es­sen und spä­ter bei der Grün­dung der Zen­trums­par­tei gin­gen auf sei­ne Er­fah­rung mit den Köl­ner Wir­ren zu­rück.

5.5 Populäre Politik

Lan­ge Zeit ha­ben His­to­ri­ker die Po­li­ti­sie­rung der deut­schen Ge­sell­schaft pri­mär als ein bür­ger­li­ches Phä­no­men dar­ge­stellt. Die neue­re So­zi­al­ge­schich­te zeigt aber, dass Vor­stel­lun­gen von Volks­sou­ve­rä­ni­tät und po­li­ti­schen Rech­ten auch in die un­ter­bür­ger­li­chen Schich­ten ein­ge­drun­gen wa­ren. Nicht nur ma­te­ri­el­le und wirt­schaft­li­che Fak­to­ren tru­gen zu ei­ner Po­li­ti­sie­rung der Ar­bei­ter­schicht bei. Auch kul­tu­rel­le Ele­men­te spiel­ten ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Der stei­gen­de Bil­dungs­grad der brei­ten Be­völ­ke­rung mach­te ih­re Teil­nah­me am öf­fent­li­chen Dis­kurs mög­lich. Man geht für ganz Deutsch­land von ei­ner Al­pha­be­ti­sie­rungra­te von 40 Pro­zent der Be­völ­ke­rung im Jah­re 1830 aus, doch be­le­gen For­schungs­er­geb­nis­se für das Rhein­land we­sent­lich hö­he­re Wer­te. Der ein­fa­che Le­ser lern­te die po­li­ti­schen Ide­en der Neu­zeit vor al­lem durch po­li­ti­sier­te Volks­ka­len­der, ver­bo­te­ne Flug­blät­ter, po­li­ti­sche Lie­der, Ka­ri­ka­tu­ren und li­tho­gra­phi­sche Sa­ti­ren ken­nen.

In Wirts­häu­sern war es üb­lich, Zei­tun­gen vor­zu­le­sen. Hand­wer­ker und Lohn­ar­bei­ter nah­men an po­li­ti­schen Ge­sprä­chen und De­bat­ten teil. In Rhein­hes­sen, der Pfalz und in der Rhein­pro­vinz san­gen länd­li­che und städ­ti­sche Un­ter­schich­ten Frei­heits­lie­der, pflanz­ten Frei­heits­bäu­me und or­ga­ni­sier­ten po­li­ti­sier­te Kat­zen­mu­si­ken ge­gen Ver­tre­ter der staat­li­chen Be­hör­den. Durch flie­gen­de Blät­ter und Bän­kel­lie­der er­fuh­ren sie von den die Zeit be­we­gen­den The­men, von der grie­chi­schen Un­ab­hän­gig­keit, dem pol­ni­schen Frei­heits­kampf ge­gen die rus­si­sche Fremd­herr­schaft und der fran­zö­si­schen Ju­li­re­vo­lu­ti­on im Jahr 1830, dem Ham­ba­cher Fest (1832) so­wie dem schle­si­schen We­ber­auf­stand (1844). Da We­ber und Fa­brik­ar­bei­ter aus rhei­ni­schen Grenz­ge­bie­ten re­gel­mä­ßig in Bel­gi­en und Hol­land ar­bei­te­ten, er­leb­ten sie an­de­re po­li­ti­sche Ver­hält­nis­se und tausch­ten Ide­en aus. Trotz der Be­schrän­kung der Wan­der­jah­re von Hand­wer­kern konn­ten die­se ähn­li­che Er­fah­run­gen sam­meln.

Der Ein­fluss Frank­reichs auf die po­li­ti­sche Volks­kul­tur ist kaum zu über­schät­zen, be­son­ders nach 1830, als in Bel­gi­en und Frank­reich ei­ne äl­te­re Re­vo­lu­ti­ons­kul­tur wie­der­be­lebt wur­de. Durch Me­di­en und Stät­ten der po­pu­lä­ren Kul­tur ka­men Hand­wer­ker, Lohn­ar­bei­ter und Acker­ar­bei­ter an po­li­ti­sche In­for­ma­tio­nen und bil­de­ten sich ih­re po­li­ti­schen Mei­nun­gen. Es ist da­her kei­ne Über­ra­schung, dass Ar­bei­ter­ver­ei­ne und Klubs wäh­rend der Re­vo­lu­ti­on von 1848 ent­stan­den sind und da­bei die sich ent­wi­ckeln­de par­tei­po­li­ti­sche Land­schaft er­gänz­ten.

Ne­ben die­ser Ten­denz ent­wi­ckel­te sich dar­aus auch der Ver­bands­ka­tho­li­zis­mus, vor al­lem Adolf Kol­pings Ka­tho­li­scher Ge­sel­len­ver­ein, wel­cher sich 1849 als Rhei­ni­scher Ge­sel­len­bund be­grün­de­te. Die­ses Netz­werk von Her­ber­gen bot nicht nur ge­bor­ge­ne Un­ter­kunft, son­dern war gleich­zei­tig Er­zie­hungs­stät­te für Re­li­gi­on, Po­li­tik und Fach­wis­sen­schaft.

6. Die Revolution von 1848/ 1849 im Rheinland: Eine Kurzfassung

Arbeiter vor dem Magistrat, Gemälde von Johann Peter Hasenclever, 1848/1849. (Museum Schloss Burg an der Wupper Solingen)

 

6.1 Politische Vielfalt

Die Re­vo­lu­ti­on von 1848/1849 war ein eu­ro­päi­sches Er­eig­nis mit vie­len Schau­plät­zen in Deutsch­land. Ne­ben den ver­fas­sungs­ge­ben­den Par­la­men­ten in Frank­furt und Ber­lin spiel­te das Rhein­land ei­ne Vor­rei­ter­rol­le für die Re­vo­lu­ti­on in Preu­ßen. Die neue­re For­schung be­tont die un­ter­schied­li­chen Or­te des po­li­ti­schen Han­delns, wie Trier, Aa­chen, Ko­blenz, Düs­sel­dorf und Köln. Auch die Teil­nah­me länd­li­cher Ge­mein­den an der Re­vo­lu­ti­on wird in der ak­tu­el­len For­schung stär­ker be­leuch­tet. Köln war das Zen­trum der Re­vo­lu­ti­on im Wes­ten Preu­ßens. Die dort dis­ku­tier­ten po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen grif­fen auf an­de­re rhei­ni­sche Städ­te über und be­ein­fluss­ten die po­li­ti­schen Er­he­bun­gen im ge­sam­ten Rhein­land.

Von den Zen­tren der re­vo­lu­tio­nä­ren Be­we­gung ver­brei­te­ten sich die For­de­run­gen nach ei­nem mo­der­nen Ver­fas­sungs­staat, der die Bür­ger­rech­te von Pres­se-, Re­de-, Ver­samm­lungs-, und Re­li­gi­ons­frei­heit ge­währ­te. Ei­ne na­tio­na­le Staats­form wur­de von fast al­len ge­wünscht, als de­ren Sym­bol die schwarz-rot-gol­de­ne Fah­ne von vie­len rhei­ni­schen Städ­ten ge­hisst wur­de. Um­strit­ten war die Rol­le des Vol­kes bei ge­setz­ge­be­ri­scher Ge­walt und die Be­zie­hung der Mon­ar­chie zum künf­ti­gen Na­tio­nal­staat. Das Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen Frei­han­del ei­ner­seits und dem von den De­mo­kra­ten ein­ge­for­der­ten “Schutz der Ar­beit” an­de­rer­seits wur­de im Re­vo­lu­ti­ons­jahr im­mer deut­li­cher.

Re­de-, Ver­samm­lungs- und Pres­se­frei­heit lie­ßen im Re­vo­lu­ti­ons­jahr 1848 am Rhein ei­ne in­ten­si­ve po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit ent­ste­hen. Zwi­schen 1848 and 1850 er­schie­nen über 200 Ta­ges- und Wo­chen­zei­tun­gen in 72 rhei­ni­schen Städ­ten und Ge­mein­den – 70 von ih­nen wur­den im Re­vo­lu­ti­ons­jahr ge­grün­det. Rhei­ni­sche Le­ser hat­ten al­so die Mög­lich­keit, sich aus al­len po­li­ti­schen Rich­tun­gen zu in­for­mie­ren. Die „Köl­ni­sche Zei­tun­g“ war der füh­ren­de Mei­nungs­ma­cher der Kon­sti­tu­tio­nel­len. Ih­re Auf­la­ge stieg von 9.000 En­de 1847 auf 17.000 im ers­ten Quar­tal 1848 (Heinz Bo­b­e­rach). An­de­re ein­fluss­rei­che Blät­ter wie die Düs­sel­dor­fer Zei­tung und die Trier’sche Zei­tung steu­er­ten ei­nen de­mo­kra­ti­schen Kurs, wäh­rend ei­ne Rei­he von ka­tho­li­schen Zei­tun­gen ent­stan­den, die nicht nur die In­ter­es­sen der Kir­chen ver­tra­ten, son­dern auch die dif­fe­ren­zier­ten Stel­lung­nah­men von de­mo­kra­ti­schen, kon­sti­tu­tio­nel­len und kon­ser­va­ti­ven Ka­tho­li­ken ent­hiel­ten. Ne­ben Blät­tern für hand­werk­li­che In­ter­es­sen gab es auch po­li­tisch ra­di­ka­le Zei­tun­gen. Karl Marx kehr­te aus dem Exil zu­rück, um die de­mo­kra­ti­sche Ide­en ver­brei­ten­de „Neue Rhei­ni­sche Zei­tung“ her­aus­zu­ge­ben.

Auch Pe­ti­tio­nen und Mas­sen­ver­samm­lun­gen tru­gen er­heb­lich zur öf­fent­li­chen Mei­nungs­bil­dung bei. Als im Frank­fur­ter Par­la­ment die Grund­rechts­de­bat­te ge­führt wur­de, en­ga­gier­ten sich bei­spiels­wei­se Ka­tho­li­ken für kon­fes­sio­nel­le Rech­te, vor al­lem in Be­zug auf das Schul­we­sen. Im Ju­ni 1848 wur­den in Köln 4.700, in Ko­blenz 1.300 und in Aa­chen und Um­ge­bung 7.600 Un­ter­schrif­ten für die Un­ab­hän­gig­keit der Kir­che vom Staat ge­sam­melt. Die zahl­rei­chen Volks­ver­samm­lun­gen er­reich­ten eben­falls be­acht­li­che Teil­neh­mer­zah­len: Am 17.9.1848 ka­men bei Worrin­gen un­ge­fähr 10.000 Men­schen zu­sam­men, um ge­gen die An­er­ken­nung des Mal­mö­er Waf­fen­still­stan­des zu pro­tes­tie­ren; im Mo­sel­tal bei Bern­kas­tel ver­sam­mel­ten sich am 8.10.1848 eben­falls 10.000 Män­ner und Frau­en.

Im Lau­fe des Re­vo­lu­ti­ons­jah­res ent­wi­ckel­ten sich schlie­ß­lich drei po­li­ti­sche Haupt­strö­mun­gen: der rhei­ni­sche Li­be­ra­lis­mus, der po­li­ti­sche Ka­tho­li­zis­mus und die de­mo­kra­ti­sche Be­we­gung.

Der rhei­ni­sche Li­be­ra­lis­mus trat für die Ver­wirk­li­chung der seit Jahr­zehn­ten ar­ti­ku­lier­ten For­de­run­gen nach ei­nem ge­mä­ßig­ten Ver­fas­sungs­staat ein. Im Früh­jahr 1848 be­schäf­tig­te man sich pri­mär mit den Wah­len für die kon­sti­tu­ie­ren­den Ver­samm­lun­gen, de­ren po­li­ti­sche Aus­rich­tung den wei­te­ren Ver­lauf der Re­vo­lu­ti­on be­stimm­te. Für das Rhein­land ge­wann das „Köl­ner Zen­tral­wahl­ko­mi­tee“, das im April 1848 das Wahl­pro­gramm des ge­mä­ßig­ten Li­be­ra­lis­mus ver­öf­fent­lich­te, ei­ne ent­schei­den­de Be­deu­tung. Bil­dungs­bür­ger, Kauf­leu­te und Be­am­te wa­ren ei­ne ein­fluss­rei­che Min­der­heit der Be­völ­ke­rung, die sich für ei­ne kon­sti­tu­tio­nel­le Mon­ar­chie mit un­glei­chem Wahl­recht ein­setz­ten. Li­be­ra­le wie Her­mann von Be­ckerath (Kre­feld), Gus­tav von Me­vis­sen (Köln), Ger­hard Baum (1797-1882) (Düs­sel­dorf), Au­gust von der Heydt (El­ber­feld), und Pe­ter Hein­rich Merck­ens (1777-1854) (Köln) en­ga­gier­ten sich in den Par­la­men­ten. Die zwei Re­gie­run­gen von Cam­phau­sen-Han­se­mann (März-Ju­ni 1848) und Au­er­wald-Han­se­mann (Ju­ni-Sep­tem­ber 1848) stell­ten den Hö­he­punkt des Ein­flus­ses die­ser po­li­ti­schen Sicht auf die preus­si­sche Staats­po­li­tik dar.

Nach­dem der Ver­such par­la­men­ta­ri­sche Kon­trol­le über das Mi­li­tär zu er­lan­gen, ge­schei­tert war, nahm der Ein­fluss des rhei­ni­schen Li­be­ra­lis­mus all­mäh­lich ab.

Als zwei­te be­deu­ten­de po­li­ti­sche Strö­mung or­ga­ni­sier­te sich der po­li­ti­sche Ka­tho­li­zis­mus. Am 23.3.1848 wur­de in Mainz der ers­te Pi­us-Ver­ein ge­grün­det. Die Pi­us-Ver­ei­ne, be­nannt nach Papst Pi­us IX. (Pon­ti­fi­kat 1846-1848), brei­te­ten sich rasch aus und or­ga­ni­sier­ten ei­nen po­li­ti­schen Wahl­kampf für die In­ter­es­sen der ka­tho­li­schen Kir­che. Mit Pe­ti­tio­nen, Zei­tun­gen und Ver­samm­lun­gen ver­stan­den es die Ka­tho­li­ken, ih­re kon­fes­sio­nel­len In­ter­es­sen öf­fent­lich­keits­wirk­sam zu ver­brei­ten. Die ka­tho­li­sche Kir­che, die in po­li­ti­scher Hin­sicht ge­mä­ßigt kon­sti­tu­tio­nel­le In­ter­es­sen ver­trat, en­ga­gier­te sich bei Vor­wah­len und Wah­len. Al­ler­dings hat­ten sich ei­ni­ge ge­wähl­te Pries­ter auch den ra­di­ka­len De­mo­kra­ten an­ge­schlos­sen. Der po­li­ti­sche Ka­tho­li­zis­mus ent­wi­ckel­te ei­ne un­er­war­te­te Samm­lungs­kraft. Zwi­schen Pfarr­ge­mein­den und Pi­us­ver­ei­nen - über 60 sol­che Ver­ei­ne sind er­mit­telt wor­den - form­ten die Ka­tho­li­ken ein brei­tes Netz­werk und schnit­ten da­her bei den Wah­len gut ab. 10 Pro­zent der Wahl­män­ner Kölns wa­ren Pries­ter. Ton­an­ge­bend war der po­li­ti­sche Ka­tho­li­zis­mus vor al­lem in Aa­chen und Ko­blenz.

Schlie­ß­lich ge­wan­nen auch die An­hän­ger der de­mo­kra­tisch-re­pu­bli­ka­ni­schen Rich­tung gro­ßen Ein­fluss. In Köln, Düs­sel­dorf, El­ber­feld, Trier und Kre­feld hat­ten Bür­ger, Hand­wer­ker und Ar­bei­ter Ver­ei­ne und Klubs ge­grün­det, die so­zio­öko­no­mi­sche For­de­run­gen auf die po­li­ti­sche Ta­ges­ord­nung setz­ten, vor al­lem den „Schutz der Ar­beit”. Im Ge­gen­satz zum „Köl­ner Zen­tral­wahl­ko­mi­tee“ ent­stand die „De­mo­kra­ti­sche Ge­sell­schaf­t“, ei­ne he­te­ro­ge­ne Mi­schung von Li­be­ra­len und De­mo­kra­ten, de­ren Pro­gramm Volks­sou­ve­rä­ni­tät, glei­ches Wahl­recht, die Er­rich­tung ei­nes Volks­hee­res und die Tren­nung von Kir­che und Staat ein­schloss. Ei­ni­ge rhei­ni­sche Ab­ge­ord­ne­te tra­ten auch für ei­ne re­pu­bli­ka­ni­sche Staats­form ein. Der Trie­rer Ab­ge­ord­ne­te Lud­wig Si­mon ver­fass­te 1848 ei­ne Pro­te­st­adres­se an den preu­ßi­schen Staat, in der er all­ge­mei­ne und di­rek­te Wah­len for­der­te. 1849 hielt er vor der Frank­fur­ter Na­tio­nal­ver­samm­lung ei­ne bren­nen­de Re­de für ei­ne re­pu­bli­ka­ni­sche Ver­fas­sung. Der Köl­ner Ar­bei­ter­ver­ein und die Volks­klubs in Trier und Düs­sel­dorf be­stan­den pri­mär aus Re­pu­bli­ka­nern, die sich aus­drück­lich mit den Le­bens­um­stän­den un­ter­bür­ger­li­cher Schich­ten be­fass­ten. Die­se re­pu­bli­ka­ni­schen Im­pul­se spiel­ten ei­ne ent­schei­den­de Rol­le in der End­pha­se der Re­vo­lu­ti­on im Jah­re 1849. Ne­ben der de­mo­kra­ti­schen Rich­tung gab es auch An­sät­ze ei­ner so­zia­lis­ti­schen Rich­tung. Zwar spiel­te das im Fe­bru­ar 1848 ver­öf­fent­lich­te und von Karl Marx und Fried­rich En­gels ver­fass­te „Ma­ni­fest der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei“ nur ei­ne ge­rin­ge Rol­le, doch nahm das Groß­bür­ger­tum den so­zia­lis­ti­schen und po­li­ti­schen Ra­di­ka­lis­mus als erns­te Be­dro­hung der ge­sell­schaft­li­chen Ord­nung wahr.

6.2 Ablauf der Revolution

Das Echo der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on im Fe­bru­ar 1848 fand im Rhein­land ei­nen so­for­ti­gen Wi­der­hall. Schon am 3.3.1848 ver­sam­mel­ten sich Ar­bei­ter und Hand­wer­ker vor dem Köl­ner Rat­haus, um ei­nen For­de­rungs­ka­ta­log zu über­ge­ben. Die­se For­de­run­gen stell­ten die Ba­sis der Re­vo­lu­ti­on dar: Ge­setz­ge­bung durch das Volk, Re­de- und Pres­se­frei­heit, Auf­he­bung des ste­hen­den Hee­res, frei­es Ver­ei­ni­gungs­recht, Schutz der Ar­beit und Er­zie­hung al­ler Kin­der auf öf­fent­li­che Kos­ten.

Aus­schrei­tun­gen un­ter Ar­bei­tern und Hand­wer­kern ka­men be­reits in den ers­ten Wo­chen der Re­vo­lu­ti­on vor. Am 19. und 20.3.1848 stif­te­ten ar­beits­lo­se We­ber Un­ru­hen in Kre­feld an, und am 20. und 21. März und noch­mals im April fan­den Stra­ßen­kämp­fe in Aa­chen statt, wel­che der So­zi­al­not der Fa­brik­ar­bei­ter und Hand­wer­ker ent­spran­gen. In So­lin­gen, El­ber­feld, Trier und in an­de­ren Städ­ten ka­men Tu­mul­te zwi­schen Ar­bei­tern und Fa­brik­her­ren so­wie zwi­schen Zi­vi­lis­ten und Mi­li­tär vor. Über­haupt war die so ge­nann­te so­zia­le Fra­ge ein bren­nen­des The­ma un­ter Ar­bei­tern. Ei­ne Aa­che­ner Tuch­ar­bei­ter­ver­samm­lung ver­lang­te im Mai die Er­rich­tung von Ar­bei­ter-In­va­li­den­häu­sern und die Bil­dung ei­nes Ar­beits­mi­nis­te­ri­ums. Düs­sel­dor­fer Ar­bei­ter setz­ten ein Ar­beits­be­schaf­fungs­pro­gramm durch.

Nach den blu­ti­gen Bar­ri­ka­den­kämp­fen in Ber­lin am 18.3.1848 mach­te der preu­ßi­sche Kö­nig weit­ge­hen­de Zu­ge­ständ­nis­se. Am 29. März ver­kün­de­te er die Be­ru­fung ei­nes “li­be­ra­len” Ka­bi­netts un­ter der Füh­rung der rhei­ni­schen Li­be­ra­len Da­vid Han­se­mann und Lu­dolf Cam­phau­sen. Mit der be­vor­ste­hen­den Wahl ei­nes preu­ßi­schen Par­la­ments und mit ei­ner vom Vor­par­la­ment ver­kün­de­ten Wahl ei­nes ver­fas­sungs­ge­ben­den Par­la­ments zu Frank­furt wur­den wich­ti­ge par­la­men­ta­ri­sche Ein­rich­tun­gen ge­schaf­fen.

In vie­len rhei­ni­schen Städ­ten or­ga­ni­sier­ten sich Bür­ger­weh­ren, die die Re­vo­lu­ti­on in Gren­zen zu hal­ten und ei­ne Es­ka­la­ti­on der Ge­walt zu ver­hin­dern such­ten.
Nach den im Mai statt­ge­fun­de­nen Wah­len er­gab sich im Rhein­land ein Gleich­ge­wicht zwi­schen Li­be­ra­len, Ka­tho­li­ken und De­mo­kra­ten. Über­haupt lässt sich die Pe­ri­ode zwi­schen März und Sep­tem­ber 1848 als ei­ne hoff­nungs­vol­le Zeit cha­rak­te­ri­sie­ren, die Re­form und Fort­schritt ver­sprach.

Die Er­folgs­chan­cen li­be­ra­ler und re­pu­bli­ka­ni­scher Po­li­tik min­der­ten sich je­doch in der Sep­tem­ber­kri­se, nach­dem in Re­ak­ti­on auf die Ra­ti­fi­ka­ti­on des Mal­mö­er Waf­fen­still­stands bei ei­nem Auf­stand der Lin­ken in Frank­furt zwei kon­ser­va­ti­ve Ab­ge­ord­ne­te er­mor­det wor­den wa­ren. Mit der nun ein­set­zen­den preu­ßi­schen Ge­gen­re­vo­lu­ti­on ge­rie­ten die par­la­men­ta­ri­schen Er­run­gen­schaf­ten der Re­vo­lu­ti­on in ernst­haf­te Ge­fahr. Im Zu­sam­men­hang mit der Sep­tem­ber­kri­se wur­den auch in Köln Bar­ri­ka­den ge­baut. Über­grif­fe preu­ßi­scher Sol­da­ten auf die Zi­vil­be­völ­ke­rung führ­ten zu ei­ner Zu­spit­zung der La­ge. Die Köl­ner Bür­ger­wehr stell­te sich auf die Sei­te der Be­völ­ke­rung - die Aus­ru­fung des Be­la­ge­rungs­zu­stan­des und die Auf­lö­sung der Bür­ger­wehr war die Fol­ge. Zwi­schen Mai und No­vem­ber 1848 wur­de die mi­li­tä­ri­sche Be­la­ge­rung von Trier, Mainz, Düs­sel­dorf und Frank­furt am Main fort­ge­setzt. Wäh­rend das Frank­fur­ter Par­la­ment noch über die Ver­fas­sung und die in ihr zu for­mu­lie­ren­den Grund­rech­te de­bat­tier­te, ge­wan­nen in Preu­ßen be­reits im No­vem­ber 1848 die re­ak­tio­nä­ren Kräf­te die Über­hand. Die preu­ßi­sche Re­gie­rung ver­tag­te das Ber­li­ner Par­la­ment und ver­leg­te es in die Stadt Bran­den­burg. Um ge­gen die­se staat­li­che Will­kür zu pro­tes­tie­ren, rie­fen rhei­ni­sche Li­be­ra­le und De­mo­kra­ten vie­ler­orts zum ge­setz­lich le­gi­ti­mier­ten Mit­tel der Steu­er­ver­wei­ge­rung auf. Im Mo­sel­tal ver­such­ten preu­ßi­sche Sol­da­ten, die Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten Pe­ter Jo­seph Co­blenz (1811-1854) und Edu­ard Knei­sel (ge­bo­ren 1818) in Haft zu neh­men, nach­dem sie die Ver­wei­ge­rungs­maß­nah­men öf­fent­lich un­ter­stützt hat­ten. 700-1000 be­waff­ne­ten Bern­kas­te­ler Bau­ern ge­lang es, die Fest­nah­me zu ver­hin­dern - ein selt­sa­mer Sieg po­pu­lä­rer Kräf­te über staat­li­che Ge­walt (Wal­ter Rum­mel). Die Epi­so­de un­ter­streicht die auch in länd­li­chen Ge­mein­den weit vor­an ge­schrit­te­ne Po­li­ti­sie­rung der Be­völ­ke­rung.

Im De­zem­ber ok­troy­ier­te die preu­ßi­sche Re­gie­rung ei­ne Ver­fas­sung. Ob­wohl nicht vom Par­la­ment aus­ge­hend, ga­ran­tier­te die­se Ver­fas­sung weit­ge­hen­de Bür­ger­rech­te, wel­che zwi­schen 1849 und 1854 mehr­mals ver­wäs­sert wur­den. Be­son­ders be­mer­kens­wert ist das 1849 ein­ge­führ­te Drei­klas­sen­wahl­recht, des­sen Ge­wich­tung den ge­mei­nen Mann stark be­nach­tei­lig­te: ein Stimm­zet­tel von Klas­se III be­sass nur 1/17 der po­li­ti­schen Kraft ei­ner Stim­me aus Klas­se I.

Die Rhein­län­der setz­ten ih­re Hoff­nun­gen zu Be­ginn des Jah­res 1849 noch­mals auf die in der Frank­fur­ter Pauls­kir­che ta­gen­de Na­tio­nal­ver­samm­lung, die für ganz Deutsch­land die Ver­fas­sungs- und Na­tio­nal­fra­ge lö­sen soll­te. Im März 1849 ver­ab­schie­de­te sie die Reichs­ver­fas­sung, ei­ne vor al­lem von Sei­ten der De­mo­kra­ten kri­ti­sier­te Kom­pro­miss­lö­sung, die ei­ne na­tio­nal­staat­li­che Ei­ni­gung Deutsch­lands als kon­sti­tu­tio­nel­le Erb­mon­ar­chie un­ter preu­ßi­scher Füh­rung vor­sah. Als ei­ne aus hoch­ran­gi­gen, nam­haf­ten Ab­ge­ord­ne­ten der Na­tio­nal­ver­samm­lung be­ste­hen­de De­pu­ta­ti­on dem preu­ßi­schen Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. am 3.4.1849 die Kai­ser­kro­ne an­trug, war des­sen Macht­po­si­ti­on je­doch längst wie­der ge­fes­tigt ge­nug, um das An­ge­bot, ver­ächt­lich zu­rück­wei­sen zu kön­nen.

Wäh­rend der Köl­ner De­mo­krat Franz Ra­veaux den Cen­tral­m­ärz­ver­ein, ei­nen Dach­ver­band de­mo­kra­ti­scher Ver­ei­ne, nutz­te, um ei­ne na­tio­na­le Un­ter­stüt­zung der Reichs­ver­fas­sung zu or­ga­ni­sie­ren, fand am Rhein ei­ne all­ge­mei­ne Ra­di­ka­li­sie­rung der Po­li­tik statt. Be­mer­kens­wert war vor al­lem die de­mo­kra­ti­sche Agi­ta­ti­on, die sich auf dem Land ent­fal­te­te. Kampf­be­rei­te, aber ver­zwei­fel­te Ar­bei­ter und De­mo­kra­ten tauch­ten in El­ber­feld, Düs­sel­dorf, am links­rhei­ni­schen Nie­der­rhein so­wie im Ei­fel-Mo­sel-Ge­biet auf. Am 9. und 10.5.1849 fie­len 16 Men­schen in Bar­ri­ka­den­kämp­fen. In El­ber­feld mel­de­ten sich 2.000 bis 3.000 Frei­schär­ler zur Ver­tei­di­gung der Reichs­ver­fas­sung, wäh­rend ein Si­cher­heits­aus­schuss sich als “pro­vi­so­ri­sche Re­gie­rung der neu zu bil­den­den rhei­ni­schen Re­pu­blik” aus­gab. Doch es kam nur zu we­ni­gen Ge­fech­ten. Die Kämp­fe zur Durch­set­zung der Reichs­ver­fas­sung im Früh­jahr 1849 ver­la­ger­ten sich nach Ba­den und in die bay­ri­sche Pfalz. An ih­nen nah­men zahl­rei­che Rhein­län­der, un­ter an­de­rem Fried­rich En­gels, Franz Ra­veaux, Gott­fried Kin­kel und der Bon­ner Stu­den­ten­füh­rer Carl Schurz, teil. Aus So­li­da­ri­tät rief der Eu­pe­ner Ar­bei­ter­ver­ein zu ei­nem Streik der Tuch­ar­bei­ter auf. Nach der blu­ti­gen Nie­der­schla­gung der de­mo­kra­ti­schen Be­we­gung in Ba­den im Ju­ni 1849 grif­fen die preu­ßi­schen Be­hör­den ver­stärkt zu re­pres­si­ven Maß­nah­men, um po­li­tisch op­po­si­tio­nel­le Grup­pie­run­gen zu un­ter­drü­cken.

6.3 Ergebnisse

Vom Wie­ner Kon­gress bis zur Re­vo­lu­ti­on von 1848 voll­zog sich ein al­le Ge­sell­schafts­schich­ten und Le­bens­be­rei­che um­fas­sen­der, ra­sant vor­an­schrei­ten­der Um­bruch - po­li­ti­sche und die so­zio­öko­no­mi­sche Ent­wick­lun­gen die­ser Epo­che be­ein­fluss­ten sich ge­gen­sei­tig. Die Früh­in­dus­tria­li­sie­rung brach­te so­zi­o­po­li­ti­sche Zu­stän­de her­vor, die nicht nur die Re­gie­rungs­fä­hig­keit des preu­ßi­schen Stän­de­staats in Fra­ge stell­ten, son­dern auch das po­li­ti­sche Selbst­be­wusst­sein der ver­schie­de­nen so­zia­len Schich­ten weck­te. Im Lau­fe die­ser Epo­che ent­wi­ckel­te das Rhein­land das Ge­dan­ken­gut des Zeit­al­ters der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on auf ei­ge­ne Wei­se wei­ter und trug da­mit letzt­lich ent­schei­dend zur Ent­wick­lung ei­ner auf Öf­fent­lich­keit und Par­la­men­ta­ris­mus auf­bau­en­den po­li­ti­schen Kul­tur in ganz Deutsch­land bei.

In die­sem Sin­ne war die Re­vo­lu­ti­on von 1848/1849 kein Zu­fall. Im Rhein­land, wo sich seit 1815 Ein­hei­mi­sche und Preu­ßen in na­he­zu al­len Be­rei­chen des po­li­ti­schen, re­li­giö­sen und wirt­schaft­li­chen Le­bens in ei­nem schar­fem Ge­gen­satz zu­ein­an­der be­fan­den, er­fuhr die­se ei­ne be­son­de­re Aus­prä­gung. Ob­wohl sie in ih­ren Be­stre­bun­gen mit dem Sieg der preu­ßi­schen Ge­gen­re­vo­lu­ti­on kurz­fris­tig schei­ter­te, stell­ten die Er­eig­nis­se von 1848/1849 lang­fris­tig ge­se­hen ei­nen für den wei­te­ren Ver­lauf der deut­schen Ge­schich­te ent­schei­den­den Zwi­schen­schritt auf dem Weg zum In­dus­trie-, Par­tei­en- und Ver­fas­sungs­staat dar. Der Über­gang zur bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft hat­te sich voll­zo­gen.

Quellen

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Couleurkarte der 1844 gegründeten K.d.St.V. Bavaria Bonn.

 
Zitationshinweis

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Brophy, James M., 1815 bis 1848 - Vom Wiener Kongress zur Revolution, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1815-bis-1848---vom-wiener-kongress-zur-revolution/DE-2086/lido/57ab241e7d1687.63686537 (abgerufen am 03.12.2024)