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Simon Rosenberger war während der Weimarer Republik ein berühmter Fußballfunktionär und Fußballjournalist. Er engagierte sich insbesondere für eine deutschlandweit einheitliche Ausbildung der Schiedsrichter sowie eine überregionale einheitliche Regelauslegung, woran es in den 1920er Jahren in Deutschland eklatant haperte. Durch antisemitische Damnatio memoriae seines Kollegen Carl Koppehel (1890-1975) wurde er aus der Erinnerung getilgt.
Simon Rosenberger wurde am 2.2.1885 als drittes Kind einer jüdischen Familie in München geboren. Seine Eltern Max Rosenberger (1859-1910/11) und Eva Emma, geborene Heymann (1860-1942), stammten aus Preußen beziehungsweise dem heutigen Polen. Max Rosenberger war zur Zeit von Simons Geburt Kaufmann und besaß ein Konfektionsgeschäft für Herren und Jungen in der Münchener Innenstadt. Später arbeitete er in Maxvorstadt zunächst als Immobilienagent, dann als Auktionator. Er starb bereits mit knapp 50 Jahren. Seine Frau Eva Emma wurde 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert und dort wenige Wochen später ermordet. Von Simon Rosenbergers fünf Schwestern ist von vieren bekannt, dass sie die Shoah überlebten.[1]
Simon Rosenberger war während seiner Jugend begeisterter Sportler und betrieb nach eigener Aussage Eislaufen, Schwimmen, Rudern, Segeln, Skilaufen und Fußball. Er war aber nicht nur aktiver Sportler, sondern erarbeitete sich ein vertieftes theoretisches Wissen in Sportarten und übernahm Ehrenämter in verschiedenen Vereinen und deren Vorständen. Er engagierte sich insbesondere für das Fußballschiedsrichterwesen. Sein Heimatverein war der MTV München von 1897, aus dem 1900 elf Fußballspieler austraten und in Nachbarschaft von Rosenbergers Wohnung den FC Bayern München gründeten. Rosenberger lernte 1907 Walther Bensemann (1873-1934) kennen und schrieb von Beginn an für Eugen Seybolds (1880-1943) Zeitschrift „Fußball“, die Verbandszeitung des Süddeutschen Fußballverbandes. Mit Seybold gründete er um 1912 die Bayerische Schiedsrichter-Vereinigung und 1918 die Münchener Schiedsrichter-Vereinigung.
Über den beruflichen Lebensweg Simon Rosenbergers ist bis 1913 nichts bekannt. Nach mündlichen Aussagen seiner Tochter Elisabeth war er immer ein „Lebemann“ – gut möglich, dass er die Münchener Bohème vor der heimischen Haustür genoss. 1913 machte er 28-jährig eine Ausbildung zum Buchhalter und wurde 1914 verbeamtet.
Zu dieser Zeit lernte er seine spätere Frau Margarethe (1884-1973) kennen und heiratete sie 1918. Ihre gemeinsamen Töchter waren Elisabeth (1915-1998) und Dorothea (1925-2004). Alle drei Frauen waren protestantischer Konfession und überlebten die Shoah in Südbayern.
1919 trafen sich Bensemann und Rosenberger als Journalisten beim „Fußball“ wieder, doch Bensemann blieb nur kurz, zog anschließend nach Konstanz, um seine eigene Zeitschrift „Der Kicker“ zu gründen. Die Verbindung der beiden blieb bestehen; 1921 erschien Rosenbergers erster Artikel im „Kicker“. Im Juli/August 1921 wagte Simon Rosenberger beruflich den Sprung ins kalte Wasser: Aus dem verbeamteten Buchhalter wurde ein hauptberuflicher Sportjournalist und in nur wenigen Wochen avancierte er zum Redakteur für den gesamtdeutschen Raum.[2]
Während seiner Zeit beim „Kicker“ (1921-1925) lebte Rosenberger mit seiner Familie in Stuttgart und übernahm hier zahlreiche ehrenamtliche Vorstandsarbeiten, insbesondere in Schiedsrichterverbänden. 1924 war er Mitbegründer des DFB-Bundesschiedsrichterausschusses, dem er bis zu seinem Tod 1931 angehörte. Außerdem erschien 1923 das Buch „Der Schiedsrichter“, das er mit zusammen mit Alwin Hofschneider verfasste und das sich noch im Inflationsjahr 1923 zum Standardwerk für deutschen Schiedsrichter entwickelte.
Zum 1.3.1925 wurde Simon Rosenberger Chefredakteur der Zeitung „Westdeutscher Sport“ und zog dafür mit seiner Familie nach Köln. Schon zu diesem Zeitpunkt stand es um die Wirtschaftlichkeit der Zeitung nicht gut und Rosenberger konnte den Konkurs im November 1925 nicht abwenden.
1925 unterbreitete Simon Rosenberger dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) das Angebot, eine eigene Schiedsrichterzeitung des Verbandes herauszugeben. Der DFB nahm das Angebot an, womit es zwei Schiedsrichter-Zeitungen in Deutschland gab: Die DFB-Schiedsrichter-Zeitung des kosmopolitischen Simon Rosenberger und die Deutsche Schiedsrichter-Zeitung des nationalkonservativen Carl Koppehel, mit dem Rosenberger schon zuvor mehrfach Meinungsverschiedenheiten hatte.
Von 1927 bis 1931 unternahm Simon Rosenberger von Köln aus die jährlichen Vortragsreisen in seiner Position als Beisitzer des Bundesschiedsrichterausschusses. Seine Vorträge waren äußerst beliebt, da ihm der Ruf vorauseilte, die Fußballregeln verständlich und unterhaltsam wie kein zweiter vermitteln zu können. Aber nicht nur im Bundesschiedsrichterausschuss, sondern auch in Köln und im Westdeutschen Spielverbandes (WSV) übernahm er mit seinem Umzug nach Köln verschiedene Ehrenämter.
Doch Simon Rosenberger ging es um 1930 gesundheitlich und finanziell sehr schlecht. Die Wirtschaftskrise scheint die Familie hart getroffen zu haben. Einer der Menschen, die in als letztes länger sprachen, war sein Freund und Journalistenkollege Bernhard Gnegel (1900-1957) aus Frankfurt am Main. Er veröffentlichte im November 1931 eine kurze Erinnerung und Reminiszenz an Rosenberger: „Am Tage vor seinem Tode besuchte mich Simon Rosenberger noch auf meiner Frankfurter Redaktion, um mit mir zu beraten, wie ihm eine neue Existenz zu gründen sei.“[3] Auch Walther Bensemann erwähnte Rosenbergers wirtschaftliche Lage kurz in seinem Nachruf.
Möglicherweise stand der Herzinfarkt in Zusammenhang mit einer Krankheit, die allerdings nur im Nachruf in der DFB-Schiedsrichter-Zeitung erwähnt wird. Genaueres zu seiner Krankheit ist nicht bekannt.
Im Juli 1931 wurde Rosenberger gegen seinen Willen aus der Redaktion der DFB-Schiedsrichter-Zeitung gedrängt, wenngleich es anders in der Zeitung kommuniziert wurde. Während die neue Redaktion der DFB-Schiedsrichter-Zeitung verlauten ließ, dass Rosenberger freundschaftlich im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Verlag ausgeschieden sei, schrieb Bernhard Gnegel mit Verweis auf sein Gespräch mit Rosenberger: „Die Schiedsrichter-Zeitung hatte ihm ein Berliner Verlag aus den Händen genommen, und Rosenberger war der Meinung, daß dies auf nicht ganz korrekte Weise geschehen sei.“[4]
Wenige Wochen später, am 5. und 6.9.1931, nahm er als Hauptreferent an einer Sitzung des DFB-Bundesschiedsrichterausschusses in Frankfurt am Main teil. Er kehrte noch am 6. September in sein Zuhause in Köln-Raderberg zurück und verstarb dort in der folgenden Nacht am 7. September an Herzversagen und Embolie.
Am 9.9.1931 wurde er auf dem jüdischen Friedhof in Köln-Bocklemünd beigesetzt. Unter den zahlreichen Trauerrednern war auch der Kölner Kollege Peco Bauwens.
Alle Nachrufe zeigen Rosenbergers große Beliebtheit und breite Anerkennung. Auch im Rheinland gedachte man seiner, so im Kölner Lokalanzeiger: „‚Allen die mich hören wollen, stehe ich jederzeit zur Verfügung.‘ – Diese Worte Rosenbergers kennzeichnen seine Art, für den Sport zu wirken. Er war der beste Regelkenner, der beste Lehrer am Katheder, der beste Redner über die Regeln des Fußballspiels. Und so half er in ganz Deutschland, nicht nur im DFB, sondern auch in der DJK, den Nachwuchs der Schiedsrichter mit Erfolg fördern. Die deutsche Schiedsrichtergilde aller Verbände trauert um einen Mann, der ihn so unendlich viel gegeben hat und – der als Lehrer zu ersetzen nur sehr schwer sein wird.“[5]
Im Westdeutschen Spielverband beschwor man im Nachruf das ewige Andenken an das verstorbene Vorstandsmitglied des Verbandsschiedsrichterausschusses und den Autor der Verbandszeitschrift „Fußball und Leichtathletik“. Doch das Gedenken hatte keinen Bestand. Rosenberger Berliner Kollege Carl Koppehel begann noch vor der NS-Zeit, sich Rosenbergers Werke anzueignen und als DFB-Historiograf der NS- und Nachkriegszeit ihn aus der Fußballgeschichte zu tilgen, indem er den Namen Simon Rosenberger nicht mehr erwähnte. Dafür erschien „Der Schiedsrichter“ von den 1930er Jahren bis in die jüngste Zeit unter den Autorennamen Koppehel/Hofschneider. Außerdem ließen Koppehel und DFB die beiden Schiedsrichter-Zeitungen nur eine Woche nach Rosenbergers Tod zusammenlegen. Neuer Herausgeber der neuen DFB-Schiedsrichter-Zeitung war Carl Koppehel und auch hier erwähnte er seinen Schiedsrichterkollegen nie mehr.
Simon Rosenbergers Schicksal ist nicht einzigartig, denn Carl Koppehel tilgte zwischen den 1930er und 1960er Jahren zahlreiche jüdische Sportler und Vereine aus der Erinnerung.
Schriften
[zusammen mit Alwin Hofschneider] Der Schiedsrichter, 1923.
DFB-Schiedsrichter-Zeitung 1926-1931.
Quellen
Bensemann, Walther, Simon Rosenberger +, in: Der Kicker (15.9.1931), S. 1513.
Gnegel, Bernhard, Alte Leute, in: Der Sport. Unabhängige kritische Zeitschrift (Mitte September 1931), S. 1-2.
Koppehel, Carl, Konsequenz?, in: Deutsche Schiedsrichterzeitung (April 1921), S. 31.
Koppehel, Carl, Wie steht es mit der Schaffung des Bundesschiedsrichter-Ausschusses?, in: Deutsche Schiedsrichterzeitung (April 1921), S. 9-11.
[NN], Deutsche Pfeifenmänner, in: Der Kicker (1.7.1924), S. 749-750.
[NN], Rosenbergers letzte Fahrt, in: Lokal-Anzeiger [Köln] (10.9.1931).
[NN], Simon Rosenberger +, in: Lokal-Anzeiger [Köln] (8.9.1931).
Verbands-Vorstand, Auszug aus der Niederschrift der Sitzung des Verbandsausschusses am 13. September 1931, in: Fußball- und Leichtathletik (15.9.1931).
Verlag und Redaktion der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, An unsere Leser!, in: DFB-Schiedsrichter-Zeitung (31.7.1931).
Verlag und Redaktion der DFB-Schiedsrichter-Zeitung, Simon Rosenberger +, in: DFB-Schiedsrichter-Zeitung (15.9.1931).
Welcker/Boymann, Verbands-Schiedsrichterausschuss, in: Fußball- und Leichtathletik (15.9.1931), S. 53.
Literatur
Eggers, Erik, Fußball in der Weimarer Republik, 2., stark erweiterte Auflage, Kellinghusen 2018.
Tabarelli, Petra, Simon Rosenberger. Der vergessene Fußballpionier, Berlin 2022.
Online
Eva Emma Rosenberger, in: Gedenkbuch München, zuletzt abgerufen am 14.02.2023. [Online]
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Tabarelli, Petra, Simon Rosenberger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/simon-rosenberger/DE-2086/lido/63eb77f36d4db3.29584826 (abgerufen am 07.09.2024)