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Anmerkung der Redaktion: Nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsvorwürfen und der Einsetzung der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) wird der Beitrag aktuell überarbeitet.
Franz Hengsbach war der erste Bischof des 1958 neu errichteten Bistums Essen und eine der profiliertesten Führungspersönlichkeiten der katholischen Kirche in der jungen Bundesrepublik. Angesichts des Strukturwandels im Ruhrgebiet versuchte er nicht nur durch ermutigende Worte, sondern auch durch praktische Initiativen zu helfen. Früher als andere hat er sich auch für die Weltkirche engagiert. Auf seine Initiative geht die Gründung des bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat zurück.
Franz Hengsbach wurde am 10.9.1910 als Sohn eines Landwirtehepaares im sauerländischen Velmede geboren. Er wuchs als ältestes von acht Kindern auf. Nach dem Theologiestudium in Paderborn und Freiburg wurde er 1937 in seinem Heimaterzbistum zum Priester geweiht. Seine erste Stelle erhielt er im Ruhrgebiet als Vikar der Gemeinde St. Marien in der Bergarbeitersiedlung Herne-Baukau (1937-1946). Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Seelsorge für die in Herne lebenden Polen, die er trotz Verbotes durch die Behörden auch nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen fortsetzte.
Nach dem Krieg wurde Hengsbach mit wichtigen kirchlichen Leitungsaufgaben betraut. Von 1946 bis 1948 war er Generalsekretär der Akademischen Bonifatius-Einigung. 1947 wurde er Generalsekretär des Zentralkomitees zur Vorbereitung der deutschen Katholikentage und verantwortete die Organisation der ersten Katholikentage nach dem Krieg: 1948 in Mainz und 1949 in Bochum. Er war maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Zentralkomitee ein neues Statut bekam und als Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) seit 1952 zur obersten gesellschaftlichen und kirchlichen Repräsentanz der katholischen Laienarbeit wurde. 1948-1958 leitete er das Erzbischöfliche Seelsorgeamt in Paderborn.
1953 wurde Hengsbach zum Weihbischof in Paderborn ernannt. Zum Zeichen seiner Verbundenheit mit dem Revier ließ er seinen Bischofsring nicht mit dem üblichen Edelstein, sondern mit einem Stück Ruhrkohle ausstatten.
Bereits in den 1920er Jahren gab es Überlegungen zur Gründung eines Ruhrbistums. Entsprechende Verhandlungen mit der preußischen Regierung scheiterten jedoch. Die Pläne wurden in den fünfziger Jahren wieder aufgegriffen, und nach erfolgreichen Verhandlungen des Vatikans mit dem Land Nordrhein-Westfalen kam es zur kanonischen Errichtung des Bistums Essen und zur Ernennung Hengsbachs zum Gründungsbischof. Mit seiner feierlichen Inthronisation am 1.1.1958 war die Bistumserrichtung vollendet. Nach dem Gottesdienst im Essener Münster sagte er vor rund 15.000 Menschen auf dem Essener Burgplatz: Ich bin nun vor Ort gegangen. In Gottes Namen wollen wir die erste Schicht verfahren. Glück auf!
Die Gründung des Bistums fiel mit dem Beginn der Kohlekrise und der ersten Welle des Zechensterbens im Ruhrgebiet zusammen. Als in den sechziger Jahren ein Pütt nach dem nächsten zumachte, stellte sich Hengsbach unmissverständlich an die Seite der Bergleute und ihrer Familien. Sein Motto war: „Die Kirche darf nicht wie ein stummer Hund dastehen, wenn es um die Rechte der Menschen geht.“ Er sah zwar die Notwendigkeit des Strukturwandels, protestierte aber mit den Bergarbeitern gegen die schnellen Schließungen ohne soziale Ausgleichsmaßnahmen. Rastlos eilte er von Zeche zu Zeche, besuchte die Kumpels über Tage und unter Tage und wurde zum „Ehrenbergmann“ ernannt. 1987 erhielt er den Ehrentitel „Bürger des Ruhrgebiets“, für die Menschen in seiner Diözese war er schlicht „Kumpel Franz“. Später kam zur Kohlekrise die Stahlkrise hinzu. Nach den Zechen wurden nun die Hochöfen und Stahlwerke geschlossen, und die sozialen Probleme nahmen zu. Für arbeitslose Jugendliche ging der Bischof auf die Straße, verkaufte „Ausbildungs-Aktien“, „Solidaritäts-Taler“ und „Zukunftsschlüssel“.
In seinem sozialen Engagement war Hengsbach dem Geist der Katholischen Soziallehre verpflichtet. Klassenkämpferisches Denken lehnte er entschieden ab, zur Lösung der mit dem Strukturwandel an Rhein und Ruhr verbundenen Sozialen Frage setzte er auf den bereits im 19. Jahrhundert von der Kirche verfochtenen Gedanken der Sozialpartnerschaft. In diesem Sinne suchte er immer wieder das Gespräch mit Gewerkschaftern, Managern und Politikern und versuchte im Konfliktfall die verschiedenen Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Noch im Jahr 1988 fungierte er als einer der Väter des Initiativkreises Ruhr, eines Zusammenschlusses von führenden Wirtschaftsunternehmen, die sich verpflichtet haben, die wirtschaftliche und kulturelle Zukunft des Ruhrgebietes zu fördern.
Hengsbach stellte sein Verhandlungsgeschick und seine persönliche Glaubwürdigkeit nicht nur in den Dienst der sozialen Gerechtigkeit. Maßgeblichen Anteil hatte er auch an der deutsch-polnischen Aussöhnung. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) war er Mitglied der Kontaktkommission, die den sensiblen Briefwechsel zwischen den deutschen und polnischen Bischöfen vom November und Dezember 1965 vorbereitete - ein Meilenstein der christlichen Versöhnung nach den Verbrechen des Krieges und der Vertreibung. Hier lernte Hengsbach auch den Krakauer Bischof Karol Wojtyla, den späteren Papst Johannes Paul II. (Pontifikat 1978-2005) kennen. Wir vergeben und bitten um Vergebung hieß es am Schluss des Briefes der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder.
Auch als 1971 einer der beiden Aldi-Gründer, Theodor Albrecht, entführt wurde und sich die Verhandlungen über den Modus der Lösegeldübergabe und die Freilassung Albrechts aufgrund des Misstrauens der Entführer hinzogen, war Bischof Hengsbach bereit, als Vermittler zu fungieren – ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Gefahren für das eigene Leben. Selbst die Verbrecher vertrauten offenbar dem prominenten Ruhrbischof. Hengsbach übergab auf einem dunklen Feldweg bei Düsseldorf den Entführern zwei Koffer mit sieben Millionen DM. Diese gaben im Austausch Theo Albrecht in seine Obhut.
Innerhalb des deutschen Episkopats diente Hengsbach von 1961 bis 1978 auch als Militärbischof und von 1968 bis 1990 als Vorsitzender des Verwaltungsrates und der Finanzkommission des Verbandes der Diözesen Deutschlands, des Rechtsträgers der Deutschen Bischofskonferenz. In dieser Funktion hatte er großen Einfluss auf die organisatorische Entwicklung der katholischen Kirche in Deutschland.
Aber Hengsbach wirkte auch über die Grenzen Deutschlands hinaus. Auf seine Initiative hin wurde 1961 in allen deutschen Diözesen eine Weihnachtskollekte für die Kirche in Lateinamerika veranstaltet. Aufgrund der großen Spendenbereitschaft wurde diese Aktion in den folgenden Jahren wiederholt und in dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat institutionalisiert, dem Hengsbach bis zu seinem Tod vorstand. Während des Konzils knüpfte er enge Kontakte zu verschiedenen südamerikanischen Bischöfen. 1963 wurde er zum Mitglied des Generalrates der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika berufen.
Der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung stand Hengsbach indes sehr skeptisch gegenüber. Entschieden wandte er sich gegen die theologische Rezeption der marxistischen Gesellschaftsanalyse und ihrer Hermeneutik des Klassenkampfes. Der von ihm und dem kolumbianischen Bischof Alfonso Lopez Trujillo (1935-2008) ins Leben gerufene „Studienkreis Kirche und Befreiung“ geriet allerdings 1977 seinerseits in die Kritik. Namhafte Theologen (unter anderem Karl Rahner (1904-1984) und Johann Baptist Metz (geboren 1928) warfen Hengsbach und seinen Mitstreitern vor, durch eine „militante Kampagne“ gegen die Befreiungstheologie den lateinamerikanischen Militärdiktatoren Schützenhilfe zu leisten. In diesem Zusammenhang wurde auch eine ideologisch geleitete Verteilung der Spendengelder durch Adveniat unterstellt. Genauso scharf wie die Vorwürfe waren die Reaktionen hierauf. Der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Joseph Kardinal Höffner, warf den Unterzeichnern „Skrupellosigkeit und Unsachlichkeit“ vor, sie argumentierten mit „Unterstellungen, Verdächtigungen und Diffamierungen“. Die drastische Wortwahl auf beiden Seiten zeigt die Heftigkeit der damaligen ideologischen Grabenkämpfe.
Hengsbach, im Volkskatholizismus sozialisiert, litt unter den damit verbundenen innerkirchlichen Spaltungen.
Auf europäischer Ebene diente Hengsbach seit 1977 als Vertreter des deutschen Episkopats im Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). 1980 wurde er Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE).
In Anerkennung seiner Leistungen beim Aufbau des Bistums Essen und seiner Verdienste um die deutsche Kirche und die Weltkirche wurde Bischof Hengsbach 1988 von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt.
Kurz nach seinem 80. Geburtstag wurde Hengsbach in seinem rastlosen Einsatz durch eine schwere Krankheit gestoppt. Im Februar 1991 nahm Papst Johannes Paul II. sein Rücktrittsgesuch als Bischof von Essen an. In seinem letzten Telefonat mit dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann (Episkopat seit 1983), sagte er: Ich musste noch etwas lernen. Der Herr hat mich in seine engste Schule mitgenommen, den Weg des Leidens. Jetzt habe ich verstanden, wenn Johannes der Täufer sagt: ,Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen‘. Franz Kardinal Hengsbach verstarb am 29.6.1991 in seiner Bischofsstadt Essen. Er wurde beigesetzt in der neuen Westkrypta (Adveniatkrypta) der Münsterkirche; seine Grabplatte schuf der Kölner Bildhauer Elmar Hillebrand (geboren 1925).
Werke (Auswahl)
Zeit für Gott, Köln 1971.
Zeit für den Menschen, St. Augustin 1973.
Befreiung durch Christus – wovon und wozu?, Köln 1973.
Wovon lebt der Christ?, St. Augustin 1974.
Was gilt? Kurze Darlegungen des katholischen Glaubens, St. Augustin 1974.
Veröffentlichungen des Studienkreises Kirche und Befreiung, gemeinsam herausgegeben mit Alfonso López Trujillo, Aschaffenburg 1975-1981.
Literatur
Brandt, Hans-Jürgen/Hellmich, Klaus (Hg.), Zeitzeuge Kardinal Franz Hengsbach. Zum Gedenken an den Gründerbischof des Bistums Essen, Bochum 1991.
Christuszeugnis der Kirche. Festschrift zum 60. Geburtstag, herausgegeben von Paul Werner Scheele u. Gerhard Schneider, Essen 1970.
Rauscher, Anton, Franz Kardinal Hengsbach (1910-1991), in: Aretz, Jürgen /Morsey. Rudolf/Rauscher, Anton (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern 8 (1997), S. 283-298.
Sauser, Ekkart, Artikel "Franz Kardinal Hengsbach", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 19 (2001), Sp. 652-654.
Zeugnis und Dienst. Festschrift zum 70. Geburtstag, herausgegeben vom Domkapitel zu Essen, Bochum 1980.
Zeugnis der Glaubens – Dienst an der Welt. Festschrift zum 80. Geburtstag, herausgegeben von Baldur Hermans, Mülheim/Ruhr 1990.
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Küppers, Arnd, Franz Hengsbach, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franz-hengsbach/DE-2086/lido/57c82b4564a712.69604704 (abgerufen am 03.12.2024)