Zu den Kapiteln
Die Gebrüder Johann und Aegidius Gelenius gehören zu den wichtigsten deutschsprachigen Historiographen der Frühen Neuzeit und haben mit ihren „Farragines“ ein umfangreiches Kompendium der Kölnischen Geschichte und ihrer überregionalen Vernetzung hinterlassen. Zwar handelt es sich dabei ganz überwiegend um bunt gemischte (lateinisch farrago = Mischfutter) Kopien und Abschriften, die vor allem Aegidius Gelenius mit den jeweiligen Originalen verglich; da diese jedoch vielfach nicht mehr erhalten sind, ist das dreißigbändige Gesamtwerk noch heute eine historische Quelle erster Güte, ohne die kaum eine Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Geschichte Kölns auskommt. Das Hauptwerk der Sammlung erschien 1645 als 14. Band unter dem Titel „De admiranda sacra et civili magnitudine Coloniae“ („Von der bewundernswerten heiligen und bürgerlichen Größe Kölns“).
Die beiden Brüder stammten aus dem niederrheinischen Kempen. Von ihrer Familie sind nur die Namen der Eltern, Heinrich von Harpesch und Gudula von dem Böckel, bekannt, wobei es sich um damals übliche Herkunftsbeinamen und keine Adelstitel handelte. Es waren vermutlich einfache Leute, die dennoch ihren beiden Söhnen eine höhere Ausbildung ermöglichen konnten. Der ältere, Johannes, wurde am 17.10.1585 geboren und fiel seinen Lehrern bereits früh wegen seiner guten Auffassungsgabe auf. 1603 immatrikulierte er sich an der Universität Köln, wo er ein Jahr später das Bakkalaureat und 1607 den Magistergrad erwarb. Von 1608 bis 1617 kam er einer Lehrtätigkeit an der philosophischen Fakultät nach, mit der wohl auch die Leitung der Montanerburse, eins der drei großen Kölner Gymnasien, verbunden war. 1612 promovierte er sich zum Lizenziaten der Philosophie und übernahm für ein Jahr das Dekanat der philosophischen Fakultät. Gleichzeitig setzte Gelenius aber auch seine Studien fort und widmete sich stärker der Theologie, in der er 1617 schließlich den Doktortitel erwarb. Er resignierte daraufhin seine Ämter an der Artistenfakultät und übernahm 1618 die Leitung der theologischen Fakultät.
Wie die meisten Gelehrten seiner Zeit finanzierte sich Gelenius durch kirchliche Pfründen. Bereits seit 1613 hatte er ein Kanonikat am Apostelstift innegehabt, wo er später auch die Dechanei übernehmen konnte. 1621 trat er als Priesterherr ins Kölner Domkapitel ein. Damit war er an entscheidender Stelle mitverantwortlich für die Geschicke des Erzstiftes. Schnell fiel er Erzbischof Ferdinand von Bayern auf, der während seines Episkopats die kaum effektive Gelegenheitsverwaltung Kurkölns zielstrebig und erfolgreich modernisierte. Am 30.5.1626 ernannte er Gelenius zum Generalvikar und damit zum Leiter der Diözesanverwaltung. Ganz im Sinne Ferdinands ging Gelenius die kirchliche Erneuerung des Erzbistums an. So setzte er etwa den traditionellen Archidiakonaten als gewachsenen Organisationsstrukturen, auf welche die Zentralverwaltung jedoch kaum Einfluss hatte, ein System erzbischöflicher Kommissare entgegen, die in ihren jeweiligen Teildistrikten die Interessen der Zentralbehörde vertreten sollten. In den letztlich nur fünf Jahren seines Wirkens entfaltete Gelenius eine enorme Geschäftigkeit und brachte zahlreiche Erlasse und Verordnungen heraus, die den katholischen Glauben nach den unsteten Zeiten zweiter Reformationsversuche im Land in der Bevölkerung wieder stärker verankern sollten.
Dazu gehörten beispielsweise die Vorschrift von Andachtsübungen, Prozessionen und Festtagen, aber auch die Wiederbelebung und Stärkung der Heiligen- und Reliquienverehrung. Vermutlich vor diesem Hintergrund ist sein Interesse an den Lebensläufen heiligmäßiger Personen zu sehen, über die er Material zu sammeln begann. Daraus entwickelte sich eine breitere und allgemeinere Sammeltätigkeit von Urkunden, Quellen und Notizen zur Kölner Geschichte und damit verbundener Gebiete und Menschen. Als Mitarbeiter gewann er seinen jüngeren Bruder Aegidius, dem er auf dem Sterbebett das Versprechen abnahm, das gemeinsame Werk zu vollenden. Johann Gelenius starb am 30.4.1631 in den Armen seines Bruders. Aegidius Gelenius hatte sich eigentlich gegen eine akademische Laufbahn entschieden und einer mehr seelsorgerischen Tätigkeit verpflichtet. Gleichwohl brachte auch er die intellektuellen Voraussetzungen mit, um den Wunsch seines Bruders zu erfüllen. Aegidius war zehn Jahre jünger als Johann und wurde am 10.6.1595 geboren. Seine Ausbildung begann er bei den Mainzer Jesuiten, bevor er 1614 nach Rom an das Collegium Germanicum ging. Wie sein Bruder fiel er wegen seiner guten Studienleistungen schnell auf. Nachdem er am 16.3.1619 die Priesterweihe empfangen hatte, ging er allerdings nach Perugia, um sich dort in Theologie zu promovieren. Offenbar waren die finanziellen Möglichkeiten der Familie eingeschränkt, denn in Perugia waren die Gebühren für die Abnahme akademischer Prüfungen niedriger. Insofern war es für Aegidius Gelenius ein – vermutlich vom Bruder gesteuerter – Glücksfall, dass er unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Köln das Rektorat über die Margarethenkapelle am Pfaffentor und die damit verbundenen Einnahmen erwerben konnte. 1621 folgte dann noch eine Stiftspfründe zweiter Gnade an St. Andreas; diese Pfründen waren speziell für die Finanzierung von Universitätsdozenten gedacht. Tatsächlich schloss Gelenius seine Studien erst 1623 mit dem Erwerb des theologischen Lizenziats ab.
Schnell erlangte Gelenius Anerkennung als Historiker. Immerhin brachten seine Recherchen manche Urkunde wieder zum Vorschein, mit der wichtige Vor- oder Besitzrechte verbunden waren. Oft wurde er daher von der Stadt Köln, aber auch anderen Herrschaften als Gutachter in Rechtsstreitigkeiten bestellt. Seine Sammlungsarbeit betrieb er wegen des hohen Arbeitspensums dann häufig nachts, weswegen er selbst sie gelegentlich als „lucubrationes“ („Nachtarbeiten“) bezeichnete. Als er 1645 den 30. Band abschloss, schrieb er müde, aber auch stolz: Beinahe fünfzehn Jahre lang mich Tag und Nacht mit der mir übertragenen Aufgabe beschäftigend, habe ich die Handschriften alle mit großen Kosten und Mühen aus alten Skripturen, die mir hier bereitwillig, dort nur mit Zwang aus der Stadt und Diözese mitgeteilt wurden, bis zum dreißigsten Band fortgesetzt. Jeder Band ist einem einzelnen Fach, zum Beispiel den Kirchen, Archiven, Münzen, Gemälden, Kostbarkeiten, der Universität und so weiter bestimmt. Alles, was ich an Zeit erübrigen konnte, verwendete ich auf diese Sammlung; entweder überzeugte ich mich kritisch von der Echtheit der Angaben, oder ich befasste mich mit Ausarbeitung und Teilung des herauszugebenden Hauptwerks. Am Rande dieser Arbeit entwickelte Gelenius auch ein System für die einfarbige Darstellung heraldischer Tinkturen, das sich jedoch nicht dauerhaft durchsetzte.
1625 übernahm er die Pfarrstelle an St. Christoph, der im Jahr 1806 abgerissenen Nachbarkirche von St. Gereon. Die Einkünfte daraus waren verhältnismäßig niedrig und die ganze Pfarrei in einem schlechten Zustand, so dass Gelenius Entscheidung wohl tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass er sich stärker für praktische Seelsorge interessierte als für eine Gelehrtentätigkeit. Er behielt die Stelle jedoch nur für sechs Jahre; nach dem Tod seines älteren Bruders widmete er sich ganz der Fertigstellung der von diesem initiierten, jedoch von Anfang an von beiden Brüdern betriebenen historiographischen Sammlung. Aus den fünf oder sechs Bänden, die 1631 vorlagen, machte Aegidius Gelenius innerhalb von 15 Jahren 30 umfangreiche Folianten zu den unterschiedlichsten geschichtlichen Themen.
Die „Farragines“ enthalten beispielsweise Angaben über die Geschichten der Herzöge von Geldern und Kleve, der Grafen von Mark und der Landgrafen von Thüringen, die Geschichten der Königin Richeza und der Jakobe von Baden, die „Vita Brunonis“, die „Limburger Chronik“ sowie Urkunden zum Reformationsversuch Gebhards Truchsess von Waldburg, zur Kölner Universität und zahlreichen Stiften in Köln und der Umgebung. Drei Jahre nach Gelenius‘ Tod erwarb der Kölner Rat die wertvolle Sammlung, wobei eine Revision im Jahr 1744 ergab, dass drei Bände fehlten, von denen bis heute zwei entdeckt werden konnten. An die fehlende Stelle wurde ein nicht zur eigentlichen Sammlung gehörender 31. Band gesetzt.
Nach der Fertigstellung der 30 Bände kehrte Aegidius Gelenius in den kirchlichen Dienst zurück. 1645 beauftragte ihn Herzog Wolfgang Wilhelm von Jülich mit der Visitation aller Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen seines Territoriums. Das unterstreicht wiederum, dass Gelenius sich vorwiegend mit seelsorgerischen Fragen beschäftigen wollte. Kurz vor seinem Tod ernannte Erzbischof Ferdinand Gelenius zum erzbischöflichen Kommissar für das Oberstift – ein Amt, das Johann Gelenius als Generalvikar im Sinne einer straffen kirchlichen Zentralverwaltung geschaffen hatte. Im Laufe dieser Tätigkeit beschäftigte sich Aegidius Gelenius noch einmal mit einer, diesmal jedoch weniger umfangreichen Sammlung zur Geschichte Westfalens und des Hochstifts Osnabrück.
Seine letzten Jahre verbrachte Aegidius Gelenius in verschiedenen hochrangigen Kirchenämtern. 1653 wurde er wegen seines großen Erfahrungsschatzes zum sachverständigen Auditor der Kölner Nuntiatur des Heiligen Stuhls ernannt. Ende 1655 berief ihn sein Studienfreund, der Osnabrücker Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg (1593-1661), zum Weihbischof. Am 26.3.1656 empfing Gelenius daraufhin noch die Bischofsweihe, starb jedoch bald darauf am 24. August in Osnabrück, wo er im Dom begraben liegt. Dass er dieser späten geographischen Ferne zum Trotz zu den bedeutendsten Kölner Persönlichkeiten der Frühen Neuzeit zählt, zeigt nicht zuletzt seine Figur am Kölner Rathausturm.
Werke
Farragines Gelenianae, 30 Bände im Historischen Archiv der Stadt Köln; Band 19 fehlt seit jeher, Band 23 befindet sich in der Landesbibliothek Darmstadt als Teil der dortigen Alfterschen Sammlung (Hs 2709). Band 32 und 33 sind später erworbene Schriftstücke betreffend Aegidius Gelenius.
Literatur (Auswahl)
Fellmann, Dorothea, Das Gymnasium Montanum in Köln 1550-1798. Zur Geschichte der Artes-Fakultät der alten Kölner Universität, Köln 1999.
Franzen, August, Die Kölner Archidiakonate in vor- und nachtridentinischer Zeit. Eine kirchengeschichtliche und kirchenrechtsgeschichtliche Untersuchung über das Wesen der Archidiakonate und die Gründe ihres Fortbestandes nach dem Konzil von Trient, Münster 1953.
Schrörs, Heinrich, „Fälschungen“ der Brüder Gelenius und kein Ende, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 95 (1913), S. 1-60.
Online
Franzen, August, Gelenius, Aegidius, in: NDB 6 (1964), S. 173-174.
Franzen, August, Gelenius, Johann, in: NDB 6 (1964), S. 173.
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Bock, Martin, Johann und Aegidius Gelenius, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-und-aegidius-gelenius/DE-2086/lido/57c6c71526ae52.69689649 (abgerufen am 05.11.2024)