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Laurentius Surius (Lorenz Sur), ein gebürtiger Lübecker, trat nach Abschluss seines Studiums 1540 in die Kölner Kartause St. Barbara ein und entfaltete dort eine produktive publizistische Tätigkeit. In den konfessionellen Kontroversen seiner Zeit erwies er sich als streitbarer Verfechter der katholischen Sache. Unter anderem übersetzte er gegenreformatorische Streitschriften aus dem Deutschen ins Lateinische, legte eine umfangreiche Sammlung von Heiligenviten vor und verfasste einen zeitgeschichtlichen Abriss, der allein in Köln bis 1602 fünfzehn Auflagen erlebte.
Vermutlich um 1522/23 in Lübeck geboren, entstammte er einer angesehenen und wohlhabenden Familie. Die Eltern – sein Vater Lorenz war Goldschmied, seine Mutter hieß Adelheid – ermöglichten ihren Söhnen eine standesgemäße Ausbildung: Laurentius’ Bruder Nikolaus († 1562) brachte es zum Doktor beider Rechte und zum Lübecker Domkanoniker. Laurentius selbst, über dessen Kindheit nichts bekannt ist, nahm 1534 in Frankfurt (Oder) ein Studium an der Artistenfakultät auf. Von dort wurde er möglicherweise durch eine 1536 grassierende Pest vertrieben; jedenfalls immatrikulierte er sich am 16.4.1537 an der Kölner Universität, an der er bereits am 14. November desselben Jahres das Bakkalaureat und am 8.3.1539 den Grad des Magister Artium erwarb.
Als Student in Köln fand er Anschluss an einen Kreis entschiedener Verfechter der katholischen Lehre, unter ihnen Peter de Hondt (= Petrus Canisius, 1521-1598) aus Nimwegen, der später in den Jesuitenorden eintrat und zu einem bedeutenden Vorkämpfer der Gegenreformation wurde. Mit seinen akademischen Titeln hätte Laurentius eine Universitätskarriere anstreben können, doch am 29.2.1540 gab er seinem Leben eine gänzlich neue Richtung und trat in die Kölner Kartause Sankt Barbara ein. Nach dem Noviziatsjahr legte er am 24.2.1541 die Mönchsgelübde ab, 1543 empfing er die Priesterweihe.
Dank so illustrer Namen wie Heinrich Egher oder Werner Rolevinck galt die Kölner Kartause seit dem 14. Jahrhundert als ein Zentrum monastischer Gelehrsamkeit. Auch das Talent des Laurentius Surius wurde frühzeitig erkannt und von den Oberen gefördert. Es scheint, dass man ihn bewusst von administrativen Aufgaben (Klosterämter, Visitationspflichten) freistellte, damit er sich ganz seinen wissenschaftlichen Neigungen widmen konnte. Nur einmal, im Jahre 1548, ist kurzzeitig ein auswärtiger Aufenthalt in der Mainzer Kartause belegt; ansonsten verbrachte Surius sein ganzes Mönchsleben in Sankt Barbara. Bis zu seinem Tode wirkte er dort mit großem Fleiß als Übersetzer, Herausgeber und Verfasser theologischer und (kirchen-)historischer Schriften.
Surius’ publizistische Tätigkeit lässt sich grob in drei Phasen einteilen, deren erste bis zum Jahre 1555 reicht. In dieser Zeit veröffentlichte er Gesamtausgaben großer deutscher Mystiker des Spätmittelalters: 1548 erschienen die Opera _omnia _Johannes Taulers (um 1300-1361), 1552 die des Jan van Ruysbroeck (1293-1381) und 1555 die des Heinrich Seuse (1295/1297-1366). Die herangezogenen Textvorlagen waren nicht immer von zweifelsfreier Echtheit, gelegentlich auch durch fremde Zusätze verfälscht. Doch Surius ging es nicht in erster Linie um philologische Korrektheit; die im Original deutschsprachigen Werke präsentierte er in lateinischer Übersetzung, um sie so einem europaweiten Publikum zugänglich zu machen. Zugleich wollte er zeigen, dass die von ihm edierten Mystiker rechtgläubige Katholiken waren, obwohl sie mitunter auch von den Reformatoren sehr geschätzt wurden. Bewusst ließ Surius einen Teil seiner Werksausgaben im handlichen Oktav-Format drucken. Wie er selbst betonte, sollte so der Kaufpreis ermäßigt und ein größerer Leserkreis angesprochen werden.
In einer zweiten Schaffensphase, die um 1556 begann, wandte sich Surius der konfessionalistischen Kontroversliteratur zu. Sein anerkanntes Talent als herausragender Latinist stellte er nun ganz in den Dienst der katholischen Sache. Streitschriften, die sich, ursprünglich auf Deutsch verfasst, polemisch gegen die Lehren des Protestantismus wandten, übertrug er ins Lateinische, so 1556 eine Abhandlung des Dominikaners Johann Fabri (1504-1558): Was die Evangelisch Mess sey (Dillingen 1555), und 1560 einen Traktat des bedeutenden Kölner Theologen Johannes Gropper: Vonn Warer, Wesenlicher und Pleibender Gegenwertigkeit des Leybs und Bluts Christi nach beschener Consecration (Köln 1556).
In seiner letzten Schaffensperiode konzentrierte sich Surius auf kirchenhistorische Arbeiten. 1561 legte er die Werke Papst Leos I. (Pontifikat 440-461) vor, 1567 eine umfängliche Edition der Konzilsdokumente „von den Aposteln bis zur Gegenwart“, 1569 eine Predigtsammlung, die dem frühmittelalterlichen Theologen Alkuin (735-804) zugeschrieben wurde. Auch wenn er sich damit von der Tagesaktualität entfernte, liegt der Bezug zu den konfessionellen Streitigkeiten des 16. Jahrhunderts auf der Hand: Die Reverenz an Leo I. diente zugleich der Bekräftigung des päpstlichen Primats, und die Zusammenstellung der Konzilstexte untermauerte die Autorität des soeben beendeten Konzils von Trient (1545‒1563).
Ganz auf der Linie katholischer Kirchengeschichtsschreibung lagen auch Surius’ hagiographische Arbeiten. In sechs gewichtigen Foliobänden edierte er von 1570 bis 1575 die Lebensbeschreibungen der Heiligen, geordnet nach ihren Gedenktagen im Kirchenjahr. Bei der Suche nach einschlägigen Handschriften halfen ihm die guten Kontakte zu den Jesuiten, über die er dank seiner Freundschaft mit Petrus Canisius verfügte. Die Sammlung der Heiligenviten wurde zu einem großen Publikumserfolg: Noch vor seinem Tod war bereits eine zweite Auflage in Vorbereitung, eine dritte, nunmehr in zwölf Bänden, erschien 1618, und eine deutsche Übersetzung wurde zwischen 1574 und 1580 in München veröffentlicht. Kein geringerer als Papst Pius V. (Pontifikat 1566‒1572) lobte das Unternehmen als wertvollen Beitrag, um die „Schmähungen der Ketzer“ zurückzuweisen.
Noch weitere Verbreitung erfuhr ein zeitgeschichtliches Werk, mit dem Surius die vielgelesene Weltchronik des Johannes Nauclerus (1425-1510) fortsetzte. In ihrer ursprünglichen Gestalt reichte diese Chronik nur bis zum Jahre 1501. Als Surius 1564 eine Neuausgabe veranstaltete, setzte er die Darstellung bis in die eigene Gegenwart fort. Schon zwei Jahre später erschien die Fortsetzung als separater Neudruck (Commentarius brevis). Wie es seiner konfessionellen Prägung entsprach, setzte sich Surius vehement mit den frühen Vertretern einer protestantischen Kirchengeschichtsschreibung auseinander. Vor allem polemisierte er gegen die „Kommentare“ des Johannes Sleidanus (1506-1556), der sich nach seiner Vaterstadt Schleiden in der Eifel benannte. Surius’ Commentarius wurde allein in Köln zwischen 1566 und 1602 fünfzehnmal gedruckt, zwei weitere Ausgaben erschienen 1566 und 1567 in Löwen. 1568 wurde das Werk ins Deutsche, 1571 ins Französische übertragen, und auch diese Übersetzungen erfuhren jeweils mehrere Neuauflagen.
Laurentius Surius starb am 23.5.1578; bis zuletzt arbeitete er an einer revidierten zweiten Auflage seiner Heiligenviten, deren Erscheinen er jedoch nicht mehr erleben sollte. Der Kölner Bürger Hermann Weinsberg vermerkt Surius’ Tod in seinem Hausbuch und äußerte sein Erstaunen über die schriftstellerische Produktivität des Verstorbenen. Das reiche Oeuvre des Kartäusers erschien ihm dennoch in mancherlei Hinsicht befremdlich, habe sich jener doch als ein gefangener so vil jar im Kloster eingeschlossen und sei in sinen manbarn jaren nit in der welt gewesen. Ihm, Weinsberg, habe das vil bedenkens gemacht und den Verdacht aufkeimen lassen, dass Surius womöglich nit derglichen gescheit sei. Ob er stets die Wahrheit geschrieben und nichts Falsches berichtet habe, könne man nicht wissen. Und so schließt Weinbergs Würdigung mit unverhohlener Skepsis: Es mach sin, es mach auch nit sin. Got ists bekant[1] .
Werke (Auswahl)
D. Ioannis Thavleri Praeclarissimi Viri, Svblimisqve Theologi, Tam De Tempore Qvam de Sanctis Conciones plane pijssimae, caeteraq[ue] (quae quidem in nostra peruenere manus) opera om[n]ia : diu à doctis vehementer desiderata, Köln 1548. [Online]
D. Ioannis Rvsbrochii Svmmi Atqve Sanctiss. Viri, Qvem insignis quidam Theologus alterum Dionysium Areopagitam appellat, Opera Omnia, Köln 1552. [Online]
D. Henrici Svsonis, Viri Sanctitate, Ervditione Et miraculis clari Opera (quæ quidem haberi potuerunt) omnia, nunc demùm post annos ducentos è Sueuico idiomate Latinè translata per F. Laurentium Surium Carthusianum, Köln 1555. [Online ]
De Missa Evangelica, Et De Veritate Corporis Et Sanguinis Christi in Eucharistiæ Sacramento, item[que] aliis nonnullis scitu non vtilibus tantùm, sed & necessariis, Libri V […] editi Germanicè à D. Ioanne Fabri […] iam recens Latine conuersi per F. Laurentium Surium Carthusianum, Köln 1556. [Online]
Reverend. Et Ampliss. Dn. Iohan Gropperi, Quondam Coloniensis Ecclesiae Archidiaconi [...] De Veritate corporis & sanguinis Christi in Eucharistia, De Asservatione Eucharistiae, De Christo in Eucharistia adorando, De communione alterius speciei, & aliis quibusdam lectu dignissimis, adversum hereses & sectas huius temporis: Cvm Indice Locvpletiss, Köln 1560. [Online]
D. Leonis Eivs Nominis I. Romani Pontificis, [...] Opera, quae quidem haberi potuerunt, omnia : magno studio ad manuscriptorum codicum fidem à permultis, iisq[ue] foedis mendis nunc demum repurgata, Köln 1561. [Online]
Commentarivs Brevis Rervm In Orbe Gestarvm: ab anno Salutis millesimo quingentesimo vsq[ue] ad annum LXVI., Köln 1566. [Online]
Conciliorvm Omnivm, Tvm Generalivm, Tvm Provincialivm Atqve Particvlarivm, Qvae Iam Inde Ab Apostolis vsque in praesens habita […] tomi IV, Köln 1567.
- Band 1 [Online]
- Band 4 [Online]
Homiliae, sive Conciones Praestantissimorvm Ecclesiae Catholicae Doctorvm in totius anni evangelia, ab Albino Flacco Alcvino ivssv Caroli Magni primvm acri ivdicio collectae, et svbinde ab aliis non parvm auctae […], opera F.Laurentij Surij Carthusiani ex praecipuis Patribus accuratè congestae, Köln 1569. [Online]
De Probatis Sanctorvm Historiis: Partim Ex Tomis Aloysii Lipomani, Doctissimi Episcopi, Partim Etiam Ex Egregiis Manvscriptis Codicibus, quarum permultae antehac nunquam in lucem prodiere; 6 Bände, Köln 1570‒1575. - Band 1 [Online]
- Band 2 [Online]
- Band 3 [Online]
- Band 4 [Online]
- Band 5 [Online]
- Band 6 [Online]
Literatur
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Chaix, Gérald, Réforme et Contre-Réforme catholique, Recherches sur la chartreuse de Cologne XVIe siècle, 3 Bände, Salzburg 1981.
Collins, David J., Reforming Saints: Saints' Lives and Their Authors in Germany, 1470-1530, Oxford 2008, bes. S. 133-136.
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Greven, Joseph, Die Kölner Kartause und die Anfänge der katholischen Reform in Deutschland. Aus dem Nachlasse des Verfassers mit seinem Lebensbilde herausgegeben von Wilhelm Neuß, Münster 1935, bes. S. 5, 61-62, 92-93, 110.
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Wüller, Heike, Zum Leben und Werk des Kartäusermönchs Laurentius Surius, in: Die Kölner Kartause um 1500: Eine Reise in die Vergangenheit. Führer zur Ausstellung, bearb. v. Rita Wagner und Ulrich Bock, Köln 1991, S. 60-62.
Wienand, Adam, Bedeutende Prioren in der Kölner Kartause, in: Zadnikar, Marijan/Wienand, Adam (Hg.), Die Kartäuser. Der Orden der schweigenden Mönche, Köln 1983, S. 243-287, hier S. 276-287.
Online
Haas, Reimund, Surius, Laurentius, in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 709-710. [Online]
Holt, Paul: Die Sammlung von Heiligenleben des Laurentius Surius, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 44 (1922), S. 341-364. [Online]
Reusch, Heinrich, Surius, Laurentius, in: Allgemeine Deutsche Biographie 37 (1894), S. 166. [Online]
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Kwiatkowski, Iris, Laurentius Surius, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/laurentius-surius/DE-2086/lido/5a50e3f51c1b53.89435341 (abgerufen am 28.03.2025)
Veröffentlicht am 06.01.2018, zuletzt geändert am 04.05.2020