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Leopold von Wiese war prägend für die deutsche Soziologie. Er war der erste Inhaber eines deutschen Lehrstuhls für Soziologie, gründete das Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften in Köln und die renommierte „Kölner Zeitschrift für Soziologie“. 1949 vertrat von Wiese Deutschland als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bei der Gründung der ISA (Internationale Gesellschaft für Soziologie). Unmittelbar nach dem Krieg beteiligte sich er sich engagiert an der Wiederaufnahme des akademischen Betriebes an den Universitäten Köln und Bonn.
Leopold von Wiese, mit vollem Namen Leopold Max Walther von Wiese und Kaiserswaldau, wurde am 2.12.1876 im niederschlesischen Glatz geboren. Sein Vater, Benno von Wiese, war dort als Hauptmann in der Garnison stationiert. Die Mutter brachte 13 Monate später seine Zwillingsschwestern zur Welt, insgesamt hatte die Familie vier Kinder, Leopold war der einzige Sohn. 1880 zog die Familie nach Gleiwitz in Oberschlesien, wohin das Regiment des Vaters versetzt worden war Leopold wurde bereits wenige Monate nach seinem fünften Geburtstag eingeschult und übersprang direkt mehrere Klassen. Ihm wurde eine strenge Erziehung zuteil. Der Vater starb bereits 1885; er hatte vor seinem Tod verfügt, Leopold solle zur weiteren Ausbildung ins Kadettenkorps geschickt werden. Die Mutter kam dem nach und Leopold wurde mit zehn Jahren ins Kadettenhaus Wahlstatt (heute Legnickie Pole) aufgenommen. Diese Zeit beschrieb Leopold von Wiese später in seinem Buch „Kadettenjahre“. Von Wahlstatt aus ging es einige Jahre später in die Hauptanstalt Lichterfelde bei Berlin, wo die militärische und schulische Ausbildung fortgesetzt wurde. Von dort aus konnte Leopold von Wiese jedoch an freien Sonntagen nach Berlin fahren, um dort am kulturellen Leben teilzunehmen.
Über seine Zeit im Kadettenkorps schrieb von Wiese später: Meine Lehrzeit in der Soziologie ist meine Kindheit in Wahlstatt gewesen. Was ich an Theorien heute zu geben in der Lage bin, ist in erster Linie dem Leben in jener seltsam abgeschlossenen Kadettengemeinschaft entnommen, in der die gesellschaftsbildenden und -zerstörenden Kräfte, das Verbinden und Meiden, der Kollektivgeist und die Einzelseele fast wie im Experiment zu beobachten waren. (Erinnerungen, S. 14)
Leopold von Wiese litt unter der Strenge im Kadettenkorps und sah seine berufliche Zukunft nicht im Militär, sodass er seine Entlassung aus gesundheitlichen Gründen veranlasste; seit der Zeit in Wahlstatt litt er an Magen- beziehungsweise Gallenbeschwerden. 1898 legte er am Gymnasium in Görlitz das Abitur ab.
Zum Studium der Volkswirtschaftslehre zog es ihn nach Berlin, wo er außerdem politische Versammlungen besuchte; so hörte er Vorträge von Friedrich Naumann 1860-1919), dem evangelischen Theologen und liberalen Politiker, die ihn tief geprägt haben; auch engagierte er sich im Bereich des Arbeiterbildungswesens in Zusammenarbeit mit dem evangelisch-sozialen Frauenbund. Durch die Bekanntschaft mit dem Unternehmer und Mäzen Wilhelm Merton (1848-1916) konnte er eine Ausbildung in dessen Metallurgischen Gesellschaft wahrnehmen und erhielt die Möglichkeit, sein Studium in Berlin zum Zwecke der Promotion wiederaufzunehmen.
Zum 1.10.1902 trat er auf Wunsch Mertons eine Stelle als Sekretär des Instituts für Gemeinwohl in Frankfurt am Main an. Habilitiert wurde von Wiese 1905; es folgten zwei Semester als Privatdozent in Berlin, bevor er als Dozent an die königliche Akademie zu Posen geschickt wurde.
In diese Zeit fällt seine erste Eheschließung. Weitere Ehen sollten folgen. Leopold von Wiese hatte mehrere Kinder: den späteren Germanisten Benno Georg Leopold von Wiese (1903-1987), Ursula Renate (1905-2002), Schriftstellerin, Lektorin, Schauspielerin und Übersetzerin sowie aus dritter Ehe die Tochter Ossana (geboren 1926), die Slawistin wurde. Außerdem erwähnt von Wiese in seinen „Erinnerungen“ noch eine Tochter namens Ingeborg.
Von Wiese erhoffte sich die Chance, in die USA gehen zu können, jedoch wurde nach seinen eigenen Angaben ein lediger Kollege ausgewählt und ihm selbst wurde die Posener Stelle angeboten. Die Tätigkeit dort erfüllte ihn jedoch nicht, weshalb er 1907/1908 nach Hannover wechselte und schließlich ab 1912 an der Akademie für kommunale Verwaltung in Düsseldorf unterrichtete. Im Jahr 1912 unternahm er auch eine mehrmonatige Reise durch Europa und weite Teile Asiens; eines seiner belletristischen Werke wurde von seinem Aufenthalt auf Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, inspiriert.
1915 wechselte er an die Kölner Handelshochschule und beteiligte sich an der Errichtung der Kölner Volkshochschule. Nach der Neugründung der Universität Köln im Jahre 1919 wurde er dort Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften und Soziologie. Damit hatte Leopold von Wiese den ersten deutschen Lehrstuhl für Soziologie inne. Das Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften in Köln leitete er von 1919-1935 und dann wieder ab 1945. Außerdem gründete er die „Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie“ (später „Kölner Zeitschrift für Soziologie“) und war lange Jahre deren Herausgeber (1921-1934, 1948-1954). 1934/1935 verbrachte er als Gastprofessor in den USA. Er kehrte trotz der angespannten und für ihn nicht ungefährlichen politischen Lage mit Frau und Tochter nach Köln zurück.
Nach dem Krieg bot er, schon Monate vor der offiziellen Wiederaufnahme des akademischen Betriebs an der Universität Köln am 10.12.1945, wieder Vorlesungen beziehungsweise Kollegs an. Bei der Gründung der Internationalen Gesellschaft für Soziologie 1949 war er beteiligt als Vertreter der deutschen Gesellschaft - in der unmittelbaren Nachkriegszeit für einen Deutschen keine leichte Aufgabe. 1950 wurde Leopold von Wiese emeritiert. Sein Lehrstuhl, die Herausgeberschaft der „Kölner Zeitschrift für Soziologie“ und die Leitung des Instituts für Sozialwissenschaft gingen an seinen Nachfolger René König über.
Leopold von Wiese erhielt zahlreiche Ehrungen, so 1946 die Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln, 1951 die Ehrendoktorwürde zum Dr. rer.pol. der Universität Mainz; seit 1949 war er Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. 1965 wurde er Ehrenbürger der Universität zu Köln.
Leopold von Wiese verstarb in Köln am 11.1.1969.
Werke (Auswahl)
Nava. Eine Erzählung aus Ceylon, Jena 1928.
Erinnerungen, Köln 1957.
Geschichte der Soziologie, Berlin 1971.
Kadettenjahre, Ebenhausen bei München, 1978.
Schriften. Ausgabe letzter Hand, hg. von Heine von Alemann, Band 19: Briefwechsel Bd. 1: daraus: Briefwechsel mit Leopold von Wiese, Opladen 2000.
Literatur
Festschrift, Gedenkrede
Behrend, Richard F., Leopold von Wiese. Rede an der Gedenkfeier der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln am 15. Januar 1970, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 22 (), S. 667-678.
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Acker, Hedda, Leopold von Wiese, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/leopold-von-wiese-/DE-2086/lido/602cd4e60dc318.54782701 (abgerufen am 08.12.2024)