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Der Jurist Bleibtreu wurde 1933 nach Hitlers Machtübernahme als Richter entlassen. Als Rechtsanwalt verteidigte der engagierte Protestant den Theologieprofessor Karl Barth (1886-1968) , dem die Vertreibung von seinem Bonner Lehrstuhl drohte. Nach Kriegsende war Bleibtreu als Richter in Bonn und danach in der Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. 1948 wurde er Ministerialdirektor, danach Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Justizministerium. 1956-1958 war er Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf, zugleich Mitglied der rheinischen Landessynode und stellvertretendes Mitglied der Kirchenleitung. Danach holte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt (1913-1992) den unbestechlichen Juristen als Chef der Senatskanzlei nach Berlin.
Otto Bleibtreu wurde am 19.7.1904 in Greifswald als Sohn eines Professors geboren. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten München, Heidelberg und Bonn. In der Zeit seiner Referendarausbildung in Bonn und Köln war er gleichzeitig von 1928-1930 Hilfsassistent an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Bonn. 1931 legte er das zweite juristische Staatsexamen in Berlin ab. Anschließend trat er in den juristischen Staatsdienst ein. Von 1932 bis 1935 war er Hilfsrichter an den Land- und Amtsgerichten in Köln und Bonn. 1933 engagierte sich der Protestant in der Evangelischen Kirchengemeinde Bonn – und wurde Nachbar des Theologieprofessors Karl Barth.
1934 drohte Barth, dem Sozialdemokraten und „Vater der Bekennenden Kirche“, die Vertreibung von seinem Bonner Lehrstuhl, weil er den Beamteneid auf den „Führer“ nur mit einem Zusatz („soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann“) ablegen wollte. Am 20. Dezember sollte vor der Kölner Dienststrafkammer ein Dienststrafverfahren gegen ihn eingeleitet werden. Der von Barth engagierte Gerichtsassessor Otto Bleibtreu teilte der Kammer mit, Barth habe ihn zu seinem Verteidiger bestellt. „Zur Erläuterung dieses Wunsches darf ich bemerken“, fügte er hinzu, „daß Herr Prof. D. Barth mich aus gemeinsamer kirchlicher Arbeit in der evangelischen Gemeinde in Bonn – deren größerer Gemeindevertretung ich ebenso wie er angehöre – näher kennt und aus diesem Grunde Wert darauf legt, sich am morgigen Termin meines juristischen Beistandes zu bedienen.“
Bleibtreu konnte nicht verhindern, dass Barth seines Amtes enthoben wurde. Die Wellen in der Öffentlichkeit schlugen hoch. Christliche Kreise protestierten auch in England und in den USA. Im Januar 1935 ließ der Kammervorsitzende daraufhin die „vielfach in der Presse erschienene Behauptung“, Barth sei wegen seiner Haltung gegenüber dem Beamteneid entlassen worden, offiziell als falsch erklären: „Professor Barth mußte vielmehr wegen einiger politisch bedenklicher Äußerungen, wegen Verweigerung der Leistung des deutschen Grußes in der Vorlesung an der Universität und wegen seiner für einen deutschen Beamten und Jugenderzieher nicht tragbaren Ablehnung des neuen Staates entlassen werden.“ Auch Bleibtreu wurde 1935 wegen seiner Verweigerung des Eids auf den „Führer“ und seiner Mitgliedschaft in der SPD aus dem Staatsdienst entfernt. Danach war er Hilfsarbeiter bei mehreren Rechtsanwälten in Bonn und Köln und eröffnete selbst eine Anwaltspraxis in Bonn.
Bleibtreu legte nach Rücksprache mit dem „Reichsbruderrat“ der Bekennenden Kirche Berufung gegen Karl Barths Entlassung aus dem Staatsdienst ein: In der mündlichen Verhandlung sei es ausschließlich um die Beamteneidfrage gegangen. Dem zur Erholung in der Schweiz weilenden Karl Barth teilte er mit, das Urteil in seiner schriftlichen Begründung entspreche leider der veröffentlichten Zeitungsnotiz. Barth erwiderte ihm, er habe das „mit Kopfschütteln über so viel Unredlichkeit zur Kenntnis genommen“ und sogar im ersten Moment überlegt, den Kampf aufzugeben. Die Diskussion weitete sich aus, beschäftigte Kirchenführer und Minister, sogar den „Führer“, der einen Kirchenkampf vermeiden wollte. Aus Angst vor weiterer Politisierung lehnte es die Führung der Bekennenden Kirche ab, Barths Verteidigung mit zu übernehmen. Bleibtreus Kollege Dr. Paul Schulze zur Wiesche (1905-1987), Leiter der Rechts- und Verwaltungsabteilung der Rheinischen Bekenntnissynode, bedrängte sie. Barth sei schließlich „für die Freiheit der Kirche gegenüber dem Totalitätsanspruch des Staates eingetreten“, taktische Erwägungen „müßten vollkommen ausscheiden“! Doch der Reichsbruderrat bat den nach wie vor von ihm hochgeschätzten Barth, der mittlerweile öffentliches Redeverbot hatte, seine Verteidigung „auf eigene Verantwortung“ zu führen. Bleibtreu wollte Zeit gewinnen, bat die Dienststrafkammer im Blick auf weitere Verhandlungen um Prozessverlängerung und schickte dem Berliner Oberverwaltungsgericht im März eine umfängliche Berufungsbegründung. „Es will dem Angeschuldigten schwer in den Sinn“, heißt es darin, „daß er durch gewissenhafte Erfüllung des ihm als Theologen erteilten Auftrags seine Amtspflichten verletzt, ja, daß er sich dadurch sogar der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig gezeigt haben soll.“ Bleitreu nannte Barth in seiner Berufungsbegründung „einen Gelehrten von Weltruf, der zum Ruhme der deutschen Universitäten, an denen er gewirkt hat, Großes beigetragen hat, und vor allem um einen akademischen Lehrer, zu dem sich die studierende Jugend in einer das normale Maß übersteigenden Zahl drängt und der von dem großen Kreis seiner Schüler geliebt und verehrt wird wie selten ein Hochschuldozent“.
Am 14.6.1935 geschah in Berlin das fast Unglaubliche: Das Oberverwaltungsgericht hob Barths Amtsentlassung auf. Barths Reaktion: „Es gibt noch Richter in Berlin!“ Doch der NS-Staat reagierte schnell. Der Freigesprochene wurde aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in den Ruhestand versetzt.
Von der Führung der Bekennenden Kirche, die sich mehrheitlich eher zaghaft für ihren Mentor eingesetzt und die Frage einer kircheninternen Dozentur verschleppt hatte, war Barth herb enttäuscht. Aus verschiedenen Gremien trat er aus, auch aus dem Bonner Presbyterium. Bleitreu müsse nun an seiner Stelle in das Presbyterium, schreibt er aus der Schweiz seinem treuen Freund und Anwalt.
Im Oktober 1935 wollte Bleitreu einem Vortrag seines verehrten Freundes in Wuppertal zuhören. Doch Barth kam in Polizeigewahrsam, und Bleibtreu reiste nach Köln, um dort den Schweizer Generalkonsul zu alarmieren. Er sah den Freund bei seiner Ankunft im Kölner Hauptbahnhof auf dem gegenüberliegenden Bahngleis im D-Zug in Richtung Basel fahren – in Begleitung eines Gestapo-Beamten. Ein amtliches Dokument über die Abschiebung des unerwünschten Ausländers wurde nicht erstellt.
„Sie werden sich lebenslänglich dessen freuen dürfen, daß Sie in dieser Angelegenheit eine gute und saubere Klinge geschlagen haben“, hatte Barth im Juni an den Freund und Anwalt geschrieben. Innerhalb dieser Weltordnung habe er „sein Bestes aufs Beste getan unter dem Beifall der Engel im Himmel“.
Von 1940-1945 war Bleibtreu Soldat, zuletzt Leutnant der Reserve. 1945 geriet er in amerikanische Gefangenschaft. 1946 wurde er Landgerichtsrat beziehungsweise Landgerichtsdirektor am Bonner Landgericht, 1948 Ministerialdirektor und 1953 SPD-Staatssekretär im Justizministerium von Nordrhein-Westfalen. Sein protestantisches Engagement setzte er in der Evangelischen Kirche im Rheinland fort. 1949 wurde er – bis zu seinem Tod – Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland, 1956 Mitglied der rheinischen Landessynode, ein Jahr später stellvertretendes Mitglied der Kirchenleitung. Ebenfalls 1956 wurde er Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, 1958 jedoch von der CDU-Regierung in den Wartestand versetzt. 1959 betraute ihn Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt mit der Leitung der dortigen Senatskanzlei. Otto Bleibtreu starb noch im gleichen Jahr (6.6.1959) im Alter von nur 54 Jahren in Düsseldorf.
Literatur
Prolingheuer, Hans, Der Fall Karl Barth. Chronologie einer Vertreibung 1945-1935, Neukirchen-Vluyn 1977.
Schmidt, Klaus, Karl Barths Verteidiger und Freund. Der Bonner Rechtsanwalt und BK-Jurist Otto Bleibtreu, in: Norden, Günther van/Schmidt, Klaus (Hg.), Sie schwammen gegen den Strom. Widerstand und Verfolgung rheinischer Protestanten im „Dritten Reich“, Köln 2006, S. 117-119.
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Schmidt, Klaus, Otto Bleibtreu, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/otto-bleibtreu/DE-2086/lido/5b8cf1ed9f5712.98996608 (abgerufen am 06.12.2024)