Heinrich Held

Erster Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (1948-1957)

Volkmar Wittmütz (Köln)

Heinrich Held, Porträtfoto. (Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland / Harro Bleckmann)

Hein­rich Held war als Pfar­rer der evan­ge­li­schen Ge­mein­de Es­sen-Rüt­ten­scheid ein füh­ren­der Kopf des evan­ge­li­schen Wi­der­stan­des ge­gen das NS-Re­gime. Als ers­ter Prä­ses der Evan­ge­li­schen Kir­che im Rhein­land hat­te er nach dem Krieg zu­dem her­aus­ra­gen­des zum Wie­der­auf­bau sei­ner Lan­des­kir­che bei­ge­tra­gen.

Hein­rich Held wur­de am 25.12.1897 in Saar­brü­cken ge­bo­ren. Der Va­ter, ein Schnei­der­meis­ter, kam aus dem Ober­ber­gi­schen und hat­te sich zum Ge­wer­be­leh­rer em­por­ge­ar­bei­tet und wur­de, nach Sta­tio­nen im Saar­land und in Trier, 1908 nach Köln be­ru­fen. Dort be­such­te der Sohn das Gym­na­si­um, mach­te mit­ten im Ers­ten Welt­krieg das No­ta­b­itur und mel­de­te sich dann frei­wil­lig an die Front. Er wur­de auf dem Bal­kan und nach ei­ner schwe­ren Krank­heit in Frank­reich ein­ge­setzt. Nach dem En­de des Krie­ges stu­dier­te Held – nach an­fäng­li­chen Zwei­feln – evan­ge­li­sche Theo­lo­gie in Bonn und Tü­bin­gen, be­such­te das Pre­di­ger­se­mi­nar in Wit­ten­berg und wur­de 1924 Hilfs­pre­di­ger im zwi­schen Köln und Bonn ge­le­ge­nen Wes­se­ling, da­mals noch ein Fi­lia­le der evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­de Brühl.

Erst sechs Jah­re spä­ter er­hielt Held ei­ne ei­ge­ne Pfarr­stel­le in Es­sen-Rüt­ten­scheid. Kurz vor­her hat­te 1929 mit dem Ban­ken­krach in den USA die Welt­wirt­schafts­kri­se ein­ge­setzt. Auch der wohl­ha­ben­de Es­se­ner Sü­den, in dem Helds Ge­mein­de lag, be­kam bald die Aus­wir­kun­gen der Ar­beits­lo­sig­keit und der Un­zu­frie­den­heit zu spü­ren. Pa­ro­len und De­mons­tra­tio­nen links­ra­di­ka­ler so­wie na­tio­na­ler, an­ti­se­mi­ti­scher Kräf­te be­stimm­ten zu­neh­mend das po­li­ti­sche Kli­ma, auch die evan­ge­li­sche Kir­che wur­de da­von be­ein­flusst. 1932 ge­hör­te Held zu den Grün­dern ei­ner „Kir­chen­po­li­ti­schen Ar­beits­ge­mein­schaf­t“ im Rhein­land, die sich be­müh­te, die Ver­ein­nah­mung der Kir­che für die po­li­ti­sche Pro­pa­gan­da der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, wie sie et­wa die „Deut­schen Chris­ten“ be­trie­ben, zu ver­hin­dern, aber auch den An­spruch des Evan­ge­li­ums an die Po­li­tik deut­lich zu for­mu­lie­ren.

Dem na­tio­na­len Auf­bruch 1933 stand Held von An­fang an kri­tisch ge­gen­über. Als die preu­ßi­sche Re­gie­rung un­ter Gö­ring im Ju­ni 1933 rechts­wid­rig Staats­kom­mis­sa­re für die Kir­che ein­setz­te und sie so­gar mit Lei­tungs­be­fug­nis­sen aus­stat­te­te, pro­tes­tier­te er da­ge­gen im Na­men von Es­se­ner Pfar­rern und wur­de folg­lich als ers­ter evan­ge­li­scher Pfar­rer in Deutsch­land vor­über­ge­hend ver­haf­tet. Als ei­ner der Spre­cher der rhei­ni­schen Pfar­rer­bru­der­schaft leg­te Held wei­ter Pro­test ein ge­gen Ver­ord­nun­gen der Kir­chen­be­hör­den und des Reichs­bi­schofs Mül­ler (1883-1945), die dem staat­li­chen, doch be­kennt­nis­wid­ri­gen Füh­rer- und Ari­er­prin­zip Raum auch in der Kir­che ge­ben woll­ten. Im Fe­bru­ar 1934 wur­de des­halb ge­gen Held ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren er­öff­net mit dem Ziel, ihn aus dem Pfarr­dienst zu ent­fer­nen. Da­ge­gen setz­te in der Ge­mein­de ei­ne Un­ter­schrif­ten­samm­lung ein, die schlie­ß­lich er­folg­reich war.

Held blieb Pfar­rer in Rüt­ten­scheid und wur­de Mit­be­grün­der und ei­ner der füh­ren­den Köp­fe im „Bru­der­ra­t“, dem Lei­tungs­gre­mi­um der Frei­en Evan­ge­li­schen Syn­ode im Rhein­land, die sich von der „of­fi­zi­el­len“ evan­ge­li­schen Kir­che los­sag­te. In sei­nem Pfarr­haus in Es­sen wur­de zeit­wei­se die Ge­schäfts­stel­le der Frei­en Syn­ode ein­ge­rich­tet. Held führ­te fast den ge­sam­ten Schrift­ver­kehr und gab ei­nen Nach­rich­ten­dienst her­aus, die „Grü­nen Brie­fe“, die bald ver­bo­ten wur­den und nur noch il­le­gal er­schei­nen konn­ten. Im Mai 1934 nahm Held teil an der ge­samt­deut­schen Be­kennt­nis­syn­ode in Wup­per­tal-Bar­men, auf der die Bar­mer Theo­lo­gi­sche Er­klä­rung, die Grund­la­ge der ent­ste­hen­den Be­ken­nen­den Kir­che, ver­ab­schie­det wur­de.

Po­li­zei­li­che Po­st­über­wa­chung und Haus­durch­su­chun­gen blie­ben nicht aus, auch wei­te­re Ver­haf­tun­gen folg­ten, da­zu seit 1938 ein reichs­wei­tes Re­de­ver­bot, das ihm die weit ge­spann­te Pre­digt- und Vor­trag­ar­beit un­ter­sag­te. Den­noch reis­te er wei­ter durch Deutsch­land, um die im­mer schwie­ri­ger wer­den­de Ver­bin­dung der Be­ken­nen­de Kir­che-Ge­mein­den un­ter­ein­an­der auf­recht zu er­hal­ten. We­gen „Wehr­un­wür­dig­keit“ wur­de Held nicht zum Kriegs­dienst ein­ge­zo­gen. Das Grau­en der Kriegs­jah­re im Ruhr­ge­biet war für ihn nur in Wor­ten des christ­li­chen Glau­bens zu er­fas­sen, an de­nen auch er sich ver­such­te:
Ei­ner muß wa­chen über der Welt, sonst al­les im Dun­keln zer­schellt.
Ei­ner muß steh’n über al­ler Not, sonst ver­dirbt uns al­le der Tod.
Ei­ner muß tra­gen al­les Leid, sonst ist kei­ner zum Tra­gen be­reit...

Ge­gen En­de des Krie­ges ver­steck­te Held zu­sam­men mit ei­nem Freund, dem Es­se­ner Pfar­rer Jo­han­nes Bött­cher (1895-1949), in den Ge­wöl­ben un­ter den Trüm­mern sei­ner Kir­che et­li­che Es­se­ner Ju­den, die vor der De­por­ta­ti­on un­ter­ge­taucht wa­ren. Da­für wur­de er post­hum in Is­ra­el ge­ehrt.

Un­mit­tel­bar nach der Be­set­zung des Rhein­lan­des durch die Al­li­ier­ten im Früh­jahr 1945 ver­fass­te Held ei­ne Denk­schrift „Zur La­ge der Rhei­ni­schen Kir­che“. In ihr er­hob er den An­spruch der Be­ken­nen­den Kir­che, al­lein recht­mä­ßi­ge Kir­che zu sein; je­den Kom­pro­miss mit dem Kon­sis­to­ri­um und an­de­ren Be­hör­den und Grup­pen lehn­te er ab. Kur­ze Zeit spä­ter schloss er dann doch mit eben die­sem Kon­sis­to­ri­um und an­de­ren ei­ne „Ver­ein­ba­rung zur Wie­der­her­stel­lung ei­ner be­kennt­nis­ge­bun­de­nen Ord­nung und Lei­tung der Evan­ge­li­schen Kir­che der Rhein­pro­vin­z“ und bil­de­te ei­ne „Über­gangs­kir­chen­lei­tun­g“ für das Rhein­land, in der die drei Ver­tre­ter der Be­ken­nen­den Kir­che – ne­ben Held die Pfar­rer Beck­mann und Jo­han­nes Schlin­gen­sie­pen (1896-1980) - die tra­gen­den und trei­ben­den Kräf­te wa­ren.

Die­se Kir­chen­lei­tung be­trieb un­ter an­de­rem die Los­lö­sung der rhei­ni­schen Kir­che von der evan­ge­li­schen Kir­che Preu­ßens, de­ren An­sprü­che noch von Bi­schof Di­be­li­us (1880-1967) in Ber­lin ver­tre­ten wur­den, ob­wohl der Staat Preu­ßen mit dem Kriegs­en­de prak­tisch zu exis­tie­ren auf­ge­hört hat­te. Im No­vem­ber 1948 er­klär­te sich die rhei­ni­sche Kir­che für selbst­stän­dig und wähl­te Hein­rich Held, der bald nach Kriegs­en­de Es­se­ner Su­per­in­ten­dent ge­wor­den war, ein­stim­mig zu ih­rem ers­ten Prä­ses. Zu sei­nem An­se­hen bei den Syn­oda­len trug bei, dass er schon seit 1945 als Be­voll­mäch­tig­ter des Evan­ge­li­schen Hilfs­werks im Rhein­land am­tier­te. Dass Held in Es­sen, zu­sam­men mit Gus­tav Hei­nemann, zu den Grün­dern der CDU ge­hör­te, war da­ge­gen den meis­ten Syn­oda­len wohl kaum be­kannt.

Held streb­te da­nach, die evan­ge­li­sche Kir­che mit­wir­ken zu las­sen an der po­li­ti­schen Ord­nung, die da­mals im Ent­ste­hen be­grif­fen war. An­ders als nach dem Ers­ten Welt­krieg dür­fe sie nicht wie­der in ei­ner ab­leh­nen­den Hal­tung ge­gen­über dem neu­en Staat ver­har­ren. Für ihn galt aber auch, dass die Kir­che „ih­rem We­sen nach nie Par­tei“ sein kön­ne und dass sie sich aus dem po­li­ti­schen Streit her­aus­hal­ten müs­se. Bei der Wahl zum ers­ten Bun­des­tag 1949 wur­de zum Bei­spiel im Rhein­land kei­ne kirch­li­che Be­flag­gung an­ge­ord­net.

Helds Hand­schrift in den ers­ten, mo­nat­lich statt­fin­den­den Sit­zun­gen der neu­en rhei­ni­schen Kir­chen­lei­tung ist zu­nächst kaum fest­zu­stel­len. Er muss­te aus Es­sen nach Düs­sel­dorf, zum Sitz des Lan­des­kir­chen­am­tes, an­rei­sen, kam des­halb manch­mal zu spät und war nicht von sta­bi­ler Ge­sund­heit. Erst nach sei­nem Um­zug nach Düs­sel­dorf bes­ser­te sich dies.

Der Prä­ses war kein Mann der Ak­ten, son­dern der per­sön­li­chen Be­geg­nung, auch des re­prä­sen­ta­ti­ven Auf­tritts. Er reis­te viel, früh auch zu be­nach­bar­ten Kir­chen, et­wa in den Nie­der­lan­den, in Bel­gi­en und Frank­reich, spä­ter in den USA. Auf­se­hen er­reg­te sei­ne Rei­se, zu­sam­men mit dem west­fä­li­schen Prä­ses Wilm (1901-1989), in die UdSSR 1955. Er folg­te ei­ner Ein­la­dung der or­tho­do­xen Kir­che und recht­fer­tig­te sei­nen Be­such an­ge­sichts mas­si­ver deut­scher Kri­tik mit öku­me­ni­schen Ar­gu­men­ten. Als Held und Wilm al­ler­dings glaub­ten, ih­re Kon­tak­te auch po­li­tisch nutz­bar zu ma­chen und 1956 ih­re rus­si­schen Freun­de ba­ten, ge­gen­über den auf­stän­di­schen Un­garn mil­de zu sein, er­fuh­ren die Deut­schen rasch die Gren­zen ih­res Ein­flus­ses.

Im Fe­bru­ar 1949, als die wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen im Par­la­men­ta­ri­schen Rat be­reits ge­fal­len wa­ren, er­hielt der rhei­ni­sche Prä­ses den Auf­trag der EKD, die evan­ge­li­schen In­ter­es­sen bei den Ver­fas­sungs­be­ra­tun­gen zu for­mu­lie­ren. Ver­fah­rens­fra­gen und Kon­flik­te in­ner­halb der EKD hat­ten ei­ne recht­zei­ti­ge und ef­fek­ti­ve Ein­fluss­nah­me der evan­ge­li­schen Kir­che ver­hin­dert. Held hat­te schon vor der of­fi­zi­el­len Be­auf­tra­gung durch die EKD zu drei Pro­blem­krei­sen Stel­lung be­zo­gen, er hat­te ge­gen die Aus­wei­tung der Straf­frei­heit bei Ab­trei­bun­gen, ge­gen Zwangs­ste­ri­li­sa­tio­nen und mit be­son­de­rem Nach­druck für ein um­fang­rei­ches El­tern­recht, vor al­lem in Fra­gen des Schul­be­suchs, plä­diert. Die Schu­le sei, so Held, ori­gi­nä­rer Be­stand­teil der Kir­che, des­halb müs­se die kon­fes­sio­nel­le Schu­le in der neu­en Bun­des­re­pu­blik die Re­gel­schu­le und das Fach Re­li­gi­on ein or­dent­li­ches Lehr­fach un­ter der Auf­sicht der Kir­che wer­den. Bei­de Kir­chen muss­ten al­ler­dings zur Kennt­nis neh­men, dass die Schu­le in dem fö­de­ra­len Staat der Ver­fü­gung des Grund­ge­set­zes ent­zo­gen und den Län­dern zu­ge­wie­sen wor­den war.

 

Der rhei­ni­sche Prä­ses streb­te da­nach, die evan­ge­li­sche Kir­che mit­ten in der Ge­sell­schaft zu ver­an­kern. Die­sem Ziel dien­te et­wa sei­ne Un­ter­stüt­zung der Kir­chen­ta­ge – der ers­te nach dem Krieg fand 1950 in Es­sen statt – oder die Grün­dung ei­ner Evan­ge­li­schen Aka­de­mie als „Haus der Be­geg­nun­g“ in Mül­heim/Ruhr. Zu ei­ner vor­sich­ti­gen Dis­tan­zie­rung Helds von der CDU führ­te die Auf­rüs­tungs- und West­po­li­tik Ade­nau­ers und der Rück­tritt Hei­nemanns im Ok­to­ber 1950. Die­se Po­li­tik füh­re nicht – so Held und mit ihm ein Gro­ß­teil der rhei­ni­schen Kir­che – zu Frie­den und christ­li­cher Bu­ße, son­dern ver­tie­fe die Spal­tung Deutsch­lands. Es gab aber auch an­de­re Mei­nun­gen da­zu, und Held sorg­te da­für, dass bei­de Sei­ten mit­ein­an­der im Ge­spräch blie­ben.

1956 stand sei­ne Wie­der­wahl an. Da­bei er­hielt er von den 213 an­we­sen­den Syn­oda­len nur 175 Stim­men – ein schlech­tes Er­geb­nis, das ihn sehr be­trof­fen mach­te. Er hat­te von sich aus nicht ver­mocht, die Dis­tanz, die ihn als Prä­ses von der kirch­li­chen Ba­sis trenn­te, zu ver­rin­gern. Hein­rich Held starb über­ra­schend am 19.9.1957 an den Fol­gen ei­nes Herz­in­farkts, we­ni­ge Ta­ge vor sei­nem 60. Ge­burts­tag.

Literatur

Held, Heinz Joa­chim, Hein­rich Held (1897-1957). Der Prä­ses, der Ge­mein­de­pas­tor, der Mensch und Christ, in: Mo­nats­hef­te für Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­schich­te des Rhein­lan­des 45/46 (1996/97), S. 511-528.
Witt­mütz, Volk­mar, Hein­rich Held, der ers­te Prä­ses der Evan­ge­li­schen Kir­che im Rhein­land – Ei­ne Skiz­ze, in: Mo­nats­hef­te für Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­schich­te des Rhein­lan­des 56 (2007), S. 29-42. 

Präses D. Heinrich Held (1897-1957) hält für die ersten Diakonischen Helferinnen NRWs eine Ansprache im Haus der Evangelischen Frauenhilfe. (CC-BY-SA-3.0/Hans Lachmann)

 
Zitationshinweis

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Wittmütz, Volkmar, Heinrich Held, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-held/DE-2086/lido/57c82a2c4ae697.97831028 (abgerufen am 08.12.2024)