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Stefan Hecker war als Handballtorwart ein erfolgreicher Sportler, eine Legende des deutschen Handballsports und eine Spieler-Ikone seines Vereins TUSEM Essen, für den er 21 Jahre lang spielte. Mit den Essenern wurde er dreimal Deutscher Meister (1986, 1987 und 1989) und Pokalsieger (1988, 1991 und 1992), gewann 1989 mit ihnen den Europapokal der Pokalsieger und 1994 den Euro-City-Cup. Hecker bestritt in 24 Jahren in der Handball-Bundesliga für TUSEM Essen (1979-2000) und den VfL Gummersbach (2000-2004) zusammen 561 Spiele. Damit war er bis 2006 Rekordspieler der Bundesliga. 1990 wurde er zum „Handballer des Jahres“ gewählt. Er spielte 159mal für die deutsche Handball-Nationalmannschaft und bildete mit seinem Freund, dem „Hexer“ Andreas Thiel (geboren 1960), für mehr als ein Jahrzehnt ein legendäres Ausnahmeduo internationaler Klasse. Internationale Titel gelangen ihm hier aber keine. Lediglich 1987 gewann er den Supercup, ein zwischen 1979 und 2015 ausgetragenes internationales Länderturnier. Nach seiner aktiven Laufbahn wurde Hecker im Mai 2003 im Alter von 44 Jahren als vierter Spieler neben Thiel, seinem langjährigen Mitspieler Jochen Fraatz (geboren 1963) und Schwedens Jahrhunderthandballer Magnus Wislander (geboren 1964) für sein „Lebenswerk Handball“ ausgezeichnet. Im Anschluss an seine aktive Karriere blieb er seinem Sport als Manager des VfL Gummersbach und von TUSEM Essen verbunden, bevor ihn eine Krebserkrankung zum Rückzug aus dem öffentlichen Leben zwang.
Stefan Hecker wurde am 16.4.1959 in Krefeld geboren. Sein Vater Hans (geboren 1926) war Stadtinspektor im Versicherungsamt der Stadt Krefeld, seine Mutter Salven (geboren 1929) arbeitete als Stenotypistin und Rechtsanwaltsgehilfin. Die Familie war römisch-katholisch. Nach der Trennung der Eltern lebte Stefan mit seinem fünf Jahre älteren Bruder Heribert, genannt „Harry“, bei seiner Mutter. Die Familie zog Anfang der 1960er Jahre mit dem zweiten Ehemann der Mutter von Krefeld-Verberg nach Oppum.
Wer in den 1960er und 1970er Jahren in Oppum aufwuchs, konnte in der damaligen Handball-Hochburg einen Kontakt zum Handballsport kaum vermeiden. Zu dieser Zeit gehörte der TV Oppum 1894 zur absoluten Leistungsspitze im bundesdeutschen Feldhandball. Der sportliche Wiederaufstieg der Krefelder, immerhin schon 1931 Meister der Deutschen Turnerschaft, setzte Mitte der 1960er Jahre mit der Verpflichtung von Hans Keiter (1910-2005) als Trainer ein. Der Olympiasieger von 1936 und Pionier des Feldhandballs konnte mit seiner neuen Mannschaft an eigene Erfolge als Spieler anknüpfen und in den Jahren 1966 und 1968 jeweils die Deutsche Meisterschaft holen. Der TV Oppum war 1967 Gründungsmitglied der Feldhandball-Bundesliga und spielte bis zu ihrem Ende 1973 durchgehend in dieser Klasse. Dabei zogen die Heimspiele in der legendären Grotenburg-Kampfbahn zehntausende Menschen, darunter die jungen Brüder „Harry“ und Stefan an. Der Verein schaffte in dieser Umbruchphase trotz Keiters ablehnender Haltung zwar den langfristigen Strukturwandel vom Feld- zum Hallenhandball, konnte aber nicht mehr an die sportlichen Erfolge der goldenen Feldhandball-Ära anknüpfen. In den Jahren 1969/70 und 1970/71 gehörten die Oppumer immerhin noch der Hallenhandball-Bundesliga an, ehe sie sich dank guter Jugendarbeit dauerhaft in der Regionalliga West etablieren konnten.
Bruder „Harry“ war ebenfalls Torhüter und dank des Gewinns der ersten Deutschen Feldhandball-Meisterschaft der A-Jugend mit dem TV Oppum im Jahre 1971 Stefans großes Vorbild. Vor allem durch seinen Bruder entdeckte er seine Leidenschaft für das Handballspiel. Wie viele noch in der Tradition des Feldhandballs aufgewachsene Spieler begeisterten sich die Brüder auch für die Leichtathletik.
Eine erste große Stunde schlug für den angehenden Abiturienten Anfang Januar 1979 bei einem Vorbereitungsspiel seines Stammvereins TV Oppum gegen die deutsche Nationalmannschaft in Haltern. Weil sein Bruder und der zweite Torwart der Regionalliga-Mannschaft im Urlaub waren, wurde er an ihrer Stelle mitgenommen. Die Deutsche Presse-Agentur titelte ihren Bericht über den dreimal zwanzigminütigen Test mit der Überschrift „Hecker sticht die Nationaltorhüter aus“ und vermeldete einer überraschten deutschen Sportwelt, dass der 20-jährige Oppumer Schlussmann Hecker mit einer überragenden Leistung die drei Weltmeister-Torwarte Manfred Hofmann (geboren 1948), Rudi Rauer (1950-2014) und Rainer Niemeyer (1955-2016) übertroffen habe. Damit sorgte Stefan Hecker erstmals bundesweit für Schlagzeilen, was ihn angesichts der Ende der 1970er Jahre beginnenden Professionalisierung im Handballsport sofort als potentiellen Neuzugang für andere Vereine interessant werden ließ. Bundestrainer Vlado Stenzel (geboren 1934) empfahl seinem Essener Trainerkollegen Hans-Dieter Schmitz (geboren 1947) das Torwart-Juwel. Und so wechselte Hecker nach seinem Abitur 1979 von Oppum zum Bundesligaaufsteiger TUSEM Essen. Dort begann er gleichzeitig eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann, die er Anfang der 1980er Jahre erfolgreich abschloss.
Auch Stenzel hatte den Auftritt Heckers nicht vergessen, so dass sich dieser noch im gleichen Jahr über eine Nominierung zur Junioren-Auswahl des Deutschen Handball-Bundes freuen durfte, wo er erstmals mit Andreas Thiel ein kongeniales Torwartgespann bildete. Hecker hatte es in seiner ersten Saison beim Bundesliganeuling Essen allerdings nicht leicht. Seine Spielanteile waren gering und an seinem Konkurrenten im Essener Tor, Dieter Bartke (1954-2002), kam er zunächst nicht vorbei. In so manchem Spiel wurde das Ausnahmetalent noch nicht einmal eingewechselt, immerhin gehörte Bartke zum erweiterten Kader der Nationalmannschaft. Wenn er dann wie beim 26:12 Erfolg gegen den TuS Hofweier vor 4.200 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Essener Grugahalle spielte, hinterließ er „den besten Eindruck.“ Nachdem der TUSEM sich mit Platz fünf in der eingleisigen Bundesliga etabliert und Konkurrent Bartke zu Frisch Auf Göppingen gewechselt war, sollte Hecker fortan zur Nummer Eins im Tor aufgebaut werden. Dafür holte der Verein zur Spielzeit 1980/81 seinen Bruder „Harry“, der Stefan dabei für zwei Jahre unterstützte.
Gleich zum Saisonauftakt hatte Stefan wesentlichen Anteil beim 20:15 Auswärtserfolg der Essener bei Meister Großwallstadt, der nach viereinhalb Jahren und 52 Heimerfolgen in Serie erstmals wieder als Verlierer die eigene Halle verlassen musste. Im gleichen Jahr gab er folgerichtig sein Debüt in der Nationalmannschaft, als er im Oktober 1980 erstmals für das Internationale Vier-Länder-Turnier in der damaligen CSSR in den Kader berufen wurde. Beim 14:14 Unentschieden gegen den Gastgeber stand Hecker wenige Minuten im bundesdeutschen Tor, konnte Bundestrainer Stenzel aber wegen seiner kurzen Einsatzzeit im Turnier nicht völlig von sich überzeugen. Der etwas holprige Start in seine internationale Karriere im Trikot der deutschen Handball-Nationalmannschaft sollte kennzeichnend für Heckers sportlichen Weg bis zu seinem letzten Länderspiel 1997 werden, der anders als mit acht Titeln bei TUSEM Essen, eher von Tiefen als Höhen bestimmt war. Obwohl er ein Torhüter von Weltklasse-Format war, der auch in den Länderspielen und bei großen Turnieren zumeist sein Leistungspotential tatsächlich abrufen konnte, gelang dies vielen seiner Mitspieler oft nicht oder nur zu selten. 1982 erlitt Deutschland unter Stenzel, dem „Magier“ von Kopenhagen, als Titelverteidiger und Gastgeber bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land mit Platz sieben ebenso Schiffbruch, wie vier Jahre später in der Schweiz. Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre, als Hecker zur Handvoll der weltbesten Torhüter gehörte, war die Nationalmannschaft nur noch zweit- oder gar drittklassig. Absoluter Tiefpunkt seiner internationalen Karriere bildete ausgerechnet das Jahr 1989, als Hecker unter seinem ehemaligen Essener Mentor und damaligen Bundestrainer Petre Ivanescu (geboren 1936) bei der B-WM in Frankreich drittklassig wurde.
Trotz sportlicher und menschlicher Enttäuschungen in der Nationalmannschaft war Hecker selbst mit seinem Verein TUSEM Essen auf dem Höhepunkt angelangt. 1986 gewann er erstmals eine Deutsche Meisterschaft. Im Jahr 1989 stand er endgültig auf dem Zenit, als Hecker nicht nur erneut Meister wurde, sondern auch den Europapokal der Pokalsieger nach Essen holte und zum „Handballer des Jahres“ gewählt wurde. Die größte Enttäuschung seiner Karriere war aber seine Nichtnominierung für die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles durch Bundestrainer Simon Schobel (geboren 1950). 1999 brachte Hecker zusammen mit Andreas Thiel und Dietrich Späte ein Lehrbuch unter dem Titel „Halten wie wir“ heraus, das bis heute als Standardwerk für modernes Training und kreatives Spielverständnis in der Ausbildung von jungen Torwarttalenten im Handball gilt.
Stefan Hecker war zweimal verheiratet; aus beiden Ehen ist jeweils ein Sohn hervorgegangen. 2000 schied der inzwischen 41-Jährige im Streit nach 21 Jahren bei TUSEM aus und wechselte innerhalb der Bundesliga zum rheinischen Rivalen VfL Gummersbach. Hecker, der als Nummer eins als unantastbar galt, fiel im Verlauf der Saison für vier Monate mit einer hartnäckigen Sehnenscheidenentzündung im Arm aus. Zwischen ihm und Klaus Schorn (geboren 1934), Macher und Manager des Klubs, kam es darüber zum Zerwürfnis. In Gummersbach traf Hecker auf seinen alten Freund aus Essener Tagen, Thomas Happe (geboren 1958), der inzwischen beim VfL Trainer war. Dort konnte Hecker verletzungsbedingt nicht mehr an alte Glanzzeiten anknüpfen und spielte nur noch sporadisch. Seine große Karriere als aktiver Spieler endete Mai 2003.
Mit 561 Einsätzen in der Handball-Bundesliga liegt er bis heute auf Platz fünf der Rekordspieler. Obwohl sich Hecker wegen eines instabilen Knies einer Operation unterziehen musste, hielt er sich die Option für ein mögliches Comeback in Gummersbach in der Spielzeit 2003/04 lange offen. Manager Carsten Sauer kündigte noch im Juli 2003 an, dass Hecker bei einer erfolgreichen Operation Torhüter Nummer drei werde. Ein Jahr später nahm die inzwischen 45-jährige Torwart-Legende noch einmal das Training auf, als der Gummersbacher Stammkeeper Steinar Ege (geboren 1972) verletzt ausfiel. Doch zu einem Comeback des inzwischen ins Management gewechselten Hecker kam es nicht mehr.
Im Mai 2005 wurde der Versicherungskaufmann Geschäftsführer der Handball-GmbH des VfL Gummersbach und blieb es bis September 2008. Dann kehrte er zu seiner alten Liebe TUSEM Essen zurück, um dem in die zweite Bundesliga abgestiegenen Verein aufzuhelfen. Ein letztes Mal im Handballtor stand Hecker in einem Spiel deutscher Handballlegenden gegen eine internationales Allstar-Team bei der Verabschiedung von Heiner Brand im Juni 2012.
Doch warum wurde Hecker zu einer „lebenden Handball-Legende“ und zu einem „Handball-Dino“? Angesprochen darauf, wie er in der „stärksten Liga der Welt“ so lange Spitzenleistungen abliefern konnte, meinte Hecker, dass er wie auch sein Freund Thiel von einem gewissen Abschreckungseffekt profitieren würden. Andere Torhüter würden einfach mehr Würfe auf das Tor bekommen. Von 15 Bällen, die ein junger Tormann halten müsse, blieben für ihn, Hecker, vielleicht zehn übrig. Er versuche, seinen Job kreativ auszufüllen, um ein Tor zu verhindern, sei nämlich viel Witz notwendig.
Stefan Hecker starb mit 60 Jahren an einer Krebserkrankung am 19.8.2019 in Essen.
Quellen
Telefonische Auskünfte von Heribert Hecker.
Werke
Thiel, Andreas/Hecker, Stefan/Späte, Dietrich, Halten wie wir. Von der Grundtechnik bis zur Perfektion im Handballtor. Ein Lehrbuch für Torwarte und ihre Trainer, Münster 1999.
Literatur
Ewers, Christian, Wer ist der Beste? Die Torhüter-Legenden Stefan Hecker (40) und Andreas Thiel (39) über blaue Flecken, Mannschaftsfahrten, das Altern und die Einsamkeit des Keepers beim Siebenmeter, in: Handball-Magazin Nr. 12/1999, S. 20-21.
Handball-Magazin, Jg. 1994-2005.
Hantel, Rolf, Große Vereine, TUSEM Essen, in: Eggers, Erik (Hg.), Handball. Eine deutsche Domäne, Göttingen 2007, S. 247-254.
Hantel, Rolf, Stefan Hecker, in: Eggers, Erik (Hg.), Handball. Eine deutsche Domäne, Göttingen 2007, S. 255-256.
Mindener Tageblatt, Jg. 1971-2019.
Scheele, Carsten, Nachruf Stefan Hecker, in: Süddeutsche Zeitung vom 31.8.2019.
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Koch, Philipp, Stefan Hecker, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/stefan-hecker/DE-2086/lido/5f69c432660444.21385244 (abgerufen am 15.12.2024)