Das im Aufbau befindliche Gedenkbuch soll den lange anonym gebliebenen Menschen, die im Rahmen der NS-„Euthanasie“ oder der Medizinverbrechen in Konzentrationslagern ermordet wurden, ihre Namen und ihre Geschichten zurückgeben. Dadurch werden Forschung und individualisiertes Gedenken erleichtert.

Im Mittelpunkt des Medizinverständnisses des NS-Regimes stand nicht die Heilung und das Wohlbefinden des Einzelnen, sondern das rassistisch definierte Wohl des Volks. Dieser Anschauung fielen Hunderttausende Menschen zum Opfer: Menschen mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten galten als kostenintensive „Ballastexistenzen“ und Gefahr für die deutsche „Erbgesundheit“. Deshalb wurden sie in sogenannten „Kinderfachabteilungen“, Tötungsanstalten oder regulären Kliniken durch Gas, Überdosen von Medikamenten oder gezielte Vernachlässigung umgebracht. In den Konzentrationslagern wurden kranke Häftlinge im Rahmen der sogenannten „Aktion 14f13“ getötet, während an anderen tödliche medizinische Experimente verübt wurden.

Die Rheinprovinz war kein Zentrum der Medizinverbrechen. In der Provinz befand sich nur eine der deutschlandweit 31 „Kinderfachabteilungen“ und keine Tötungsanstalt. Die als „Aktion T4“ bekannte systematischste Phase der Morde an erwachsenen Patienten und Patientinnen lief in der Rheinprovinz Ende April 1941 an, nur vier Monate vor dem offiziellen Ende der Aktion am 24. August. Trotzdem forderten die Medizinverbrechen auch in der Rheinprovinz Tausende Menschenleben: Allein in der hessischen Tötungsanstalt Hadamar starben im Rahmen der „Aktion T4“ mindestens 1.951 Menschen, die aus rheinischen Anstalten dorthin verschleppt worden waren. 

Bislang sind die zahlreichen Todesopfer der NS-Medizinverbrechen meist namenlos geblieben. Dieser Umstand ist nicht nur auf das langjährige Desinteresse von Politik und Öffentlichkeit, sondern auch auf die Archivgesetzgebung und die Rücksicht auf die Angehörigen zurückzuführen.

Es ist jedoch an der Zeit, den Todesopfern der NS-Medizinverbrechen einen gleichberechtigten Platz in unserer Erinnerungskultur einzuräumen. Das kann nur durch Kenntnis ihrer Namen und Auseinandersetzung mit ihren Geschichten gelingen. Das Forschungs- und Gedenkprojekt des LVR wird deshalb personenbezogene Basisdaten der Opfer ermitteln und in der Form eines digitalen Gedenkbuchs im Portal Rheinische Geschichte zugänglich machen. So soll individualisiertes Gedenken ermöglicht und Recherche vereinfacht werden.

Für den Landschaftsverband Rheinland selbst ist das Gedenkbuch auch Teil aktueller Bestrebungen, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Als Nachfolgeorganisation des Provinzialverbandes der Rheinprovinz ist der LVR Träger derjenigen staatlichen psychiatrischen Kliniken, die damals den Dreh- und Angelpunkt der Patientenmorde in der Rheinprovinz bildeten. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die Forschung zur Verwicklung des Provinzialverbandes in die NS-Krankenmorde voranzutreiben und öffentlichkeitswirksam aufzubereiten.

Wir respektieren, dass manche Angehörige keine Informationen über ihre ermordeten Vorfahren und Vorfahrinnen im Internet veröffentlicht wissen wollen. Wenden Sie sich in diesem Fall bitte an rheinische-geschichte@lvr.de.