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Epochen
Noch bis in die 1960er Jahre hinein nahm Paris die Rolle des Kunstzentrums in der europäisch dominierten westlichen Kunstwelt ein. Die Stadt an der Seine galt als die Welthauptstadt der Kultur schlechthin. Galerien und Künstler sowohl aus dem Osten als auch aus den USA stießen hier aufeinander. So nimmt es nicht Wunder, dass führende Museumsleute in die französische Metropole schauten. Krefeld gehörte damals neben Leverkusen zu den ersten Adressen für zeitgenössische Kunst. Während Leverkusens Kunstmuseumsdirektor Udo Kultermann nach Verwerfungen mit den Stadtoberen bald in die USA abwanderte, hielt der in Krefeld tätige Paul Wember durch. Bereits Anfang der 50er Jahre zeigte er Grafik der Moderne von Franzosen und Wahlfranzosen, darunter von Juan Miró, Pablo Picasso, Fernand Leger, richtete teils die ersten in Deutschland veranstalteten Einzelschauen zu Georges Mathieu, Jean Tinguely, Yves Klein, Arman oder Duchamp aus. Den kulturpolitischen Intentionen im Nachkriegsdeutschland, “réeducation” zu betreiben und damit lange Vorenthaltenes nachzuholen, entsprach dies ebenso wie den Absichten, einer in der westdeutschen Kunstszene vorherrschenden Orientierungslosigkeit entgegen zu steuern. Für Wember spielte der französische Beitrag zur Kunst eindeutig die Hauptrolle in der Entstehungsgeschichte der Moderne, womit er sich im Einklang mit dem seinerzeit vorherrschenden kunsthistorischen Diskursen befand. Daher wurde die französische Moderne zum Referenzpunkt für seine museumspolitischen Vorhaben. Diese bestanden unter anderem auch in der Vermittlung Krefelder Künstler nach Paris. Herbert Zangs, Paul Kamper oder der lange in Krefeld lebende Heinz Mack nahmen im Herbst 1959 im Pariser Musée d´art moderne an der ersten Biennale des Jeunes teil. Wembers Bildungs- und Vermittlungsarbeit kulminierte in so genannten “Wintervorträgen”, für die er die seinerzeit besten Fachleute zu Vorträgen ins Museum einlud, darunter Daniel Henry Kahnweiler, Will Grohmann, Professor Hans Kauffmann, Werner Schmalenbach, Willem Sandberg, Direktor des Amsterdamer Stedelijk-Museum und andere. Internationale Anerkennung blieb nicht aus: Auf der 32. Biennale in Venedig 1964 erhielten die Krefelder Kunstmuseen größte Anerkennung in der Sonderschau “Heutige Kunst in Museen”, Kritiker lobten Wember als besten Museumsdirektor. Große Unterstützung erfuhr Wember vor allem durch kunstbeflissene wie einflussreiche Persönlichkeiten aus den Reihen der einschlägig mit Moden und damit auch Kunst bewanderten Textilfabrikanten. Der Sohn des Kunstsammlers Herman Lange vermachte das von Ludwig Mies van der Rohe geplante elterliche Haus der Stadt als Ausstellungsort moderner Kunst. Der Franzose Henry Laurens stellte 1955 als erster hier aus, die in Paris lebenden Plastiker Alberto Giacometti und Berto Lardera folgten.
Dieses überaus spannende Kapitel deutscher Kunstgeschichte wird in einem neuen Band der Krefelder Adolf-Luther Stiftung lebendig anhand von Interviews, Berichten von Zeitgenossen und auf umfangreichen Archivstudien der künstlerischen Leiterin beruhenden Analysen erstmals näher aufgearbeitet als Teil eines umfassenden Forschungsprojektes zur europäischen Avantgarde. Anlässlich des diesjährigen 50-jährigen Bestehens des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages 2013 kommt dem Projekt nun besondere Aktualität zu.
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Schwanke, Hans-Peter, Broska, Magdalena, Paris-Krefeld (1947-1964), hg. von Adolf-Luther-Stiftung, Krefeld, Goch 2013, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/broska-magdalena-paris-krefeld-1947-1964-hg.-von-adolf-luther-stiftung-krefeld-goch-2013/DE-2086/lido/57d267532241f3.43072921 (abgerufen am 08.12.2024)