Anton Räderscheidt

Maler (1892-1970)

Denise Steger (Linz am Rhein)

Das Grab von Anton und Pascal Räderscheidt auf dem Melatenfriedhof in Köln, 2015. (Gemeinfrei)

An­ton Rä­der­scheidt war ein deut­scher Ma­ler der Neu­en Sach­lich­keit, der ne­ben Por­trät und Still­le­ben sich dem The­ma Paar­be­zie­hung wid­me­te und in sei­nem Spät­werk das Selbst­bild­nis zum be­vor­zug­ten Mo­tiv wähl­te. 

Hu­bert An­ton Rä­der­scheidt, Sohn von Wil­helm Rä­der­scheidt (1865-1926) und Eli­sa­beth Beck­mann (1868-1922), ka­tho­li­scher Kon­fes­si­on, wur­de am 11.10.1892 als äl­tes­tes von sie­ben Kin­dern in Köln ge­bo­ren. Sein Va­ter war ein an­ge­se­he­ner Han­dels­schul­di­rek­tor und weit­hin als Köl­ner Mund­art­dich­ter un­ter dem Pseud­onym „Ohm Wil­l“ be­kannt. Wäh­rend sei­ner Schul­zeit hat An­ton Rä­der­scheidt nach ei­ge­nen An­ga­ben drei Lieb­lings­be­schäf­ti­gun­gen: Pa­pier­vö­gel bas­teln und stei­gen las­sen, Ma­len und Le­sen.

1910, nach Ab­schluss der Re­al­schu­le, füg­te sich An­ton dem Wil­len sei­nes Va­ters, der für ihn den Be­ruf des Leh­rers vor­ge­se­hen hat­te, und nahm ein Stu­di­um an der Köl­ner Kunst­ge­wer­be­schu­le (spä­ter Werk­schu­len) auf. Ein frü­hes Bild­nis, ei­ne mit dem 25.6.1911 da­tier­te Pro­fil­an­sicht sei­ner Mut­ter, hat sich aus die­ser Zeit er­hal­ten. Ver­mut­lich noch im glei­chen Jahr be­such­te er in Düs­sel­dorf ein Zei­chen­leh­rer-Se­mi­nar und an der Düs­sel­dor­fer Kunst­aka­de­mie die Klas­se des re­li­giö­sen His­to­ri­en­ma­lers Franz von Geb­hardt (1838-1915).

Durch den Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges 1914 muss­te Rä­der­scheidt sein Stu­di­um un­ter­bre­chen, wur­de 1915 ein­ge­zo­gen und kämpf­te so­wohl an der Ost- als auch an der West­front. 1917 wur­de er vor­zei­tig aus dem Kriegs­dienst ent­las­sen, da er durch ei­nen Lun­gen­split­ter ei­ne schwe­re Ver­wun­dung er­lit­ten hat­te. Noch im glei­chen Jahr nahm er sein Stu­di­um an der Kunst­aka­de­mie in Düs­sel­dorf wie­der auf und be­stand das Ex­amen als Kunst­er­zie­her mit Aus­zeich­nung. Schon im Herbst 1917 trat er am Re­al­gym­na­si­um Köln-Mül­heim ei­ne Stel­le als Zei­chen­leh­rer an und zwei Jah­re spä­ter, 1919, schloss er sei­ne Re­fe­ren­dar­zeit er­folg­reich ab. Trotz­dem ent­schloss er sich, nur noch als frei­er Künst­ler tä­tig zu sein. Ein Ate­lier hat­te er be­reits 1913 in der Köl­ner Ri­chard-Wag­ner-Stra­ße an­ge­mie­tet und auch Aus­stel­lungs­er­fah­rung ge­sam­melt, zum Bei­spiel 1919 in der Köl­ner Herbst­aus­stel­lung der „Ge­sell­schaft der Küns­te“. Im glei­chen Jahr er­schien sei­ne Holz­schnitt­map­pe „Dra­ma­tur­gie“.

1918 war er die Ehe mit sei­ner Kol­le­gin Mar­ta He­ge­mann ein­ge­gan­gen, aus der zwei Söh­ne her­vor­gin­gen: Jo­hann Paul Fer­di­nand (1919-2008) und Karl An­ton (1924-1977). Das Ehe­paar be­zog das Haus Hil­de­bold­platz 9, das auch als Ate­lier und Aus­stel­lungs­raum dien­te. Hier traf sich die Künst­ler-Grup­pe „Stu­pi­d“, die An­ton Rä­der­scheidt zu­sam­men mit sei­ner Frau Mar­ta, Hein­rich Ho­er­le (1895-1936) und des­sen Frau An­ge­li­ka Ho­er­le (1899-1923), Franz Wil­helm Sei­wert (1894-1933), so­wie Wil­helm (Wil­ly) Fick (1893-1967) grün­de­te und die nur kurz exis­tier­te. Den Ti­tel „Stu­pi­d“ wähl­te man in An­leh­nung an den Da­da-Kreis um Max Ernst, der sich als „W/3“ (W = West­stu­pi­di­en) be­zeich­net. Die Grup­pe ver­öf­fent­lich­te 1920 ei­nen Ka­ta­log von 28 Sei­ten, „stu­pi­d1“; zu­vor, noch 1919, war auf In­itia­ti­ve von Ho­er­le ein Heft er­schie­nen, das den Ti­tel „Le­ben­di­ge“ trug und Holz­schnit­te der Künst­ler ent­hielt. Sie wa­ren den in der Re­vo­lu­ti­on er­mor­de­ten So­zia­lis­ten ge­wid­met: Jean Jau­rès (1859-1914) und Eu­ge­ne Le­vi­né (1883-1919), por­trä­tiert von An­ge­li­ka Ho­er­le, Karl Lieb­knecht (1871-1919) und Gus­tav Land­au­er (1870-1919) von Franz Wil­helm Sei­wert und Kurt Eis­ner (1867-1919) von Pe­ter Abe­len (1884-1962). An­ton Rä­der­scheidt schuf ein Bild­nis von Ro­sa Lu­xem­burg (1871-1919) und die Ver­lags­vi­gnet­te auf der letz­ten Sei­te des Hef­tes.

Wer­ke aus die­ser Zeit be­zeich­ne­te An­ton selbst als „kon­struk­ti­vis­ti­sche Auf­tei­lung der Bild­flä­che in geo­me­tri­sche und na­tur­na­he For­men“[1] – es sind sehr re­du­zier­te geo­me­tri­sche Fi­gu­ren in ei­ner an­ony­mi­sier­ten Um­ge­bung. Sein Stil dif­fe­ren­zier­te sich je­doch in den frü­hen 1920-er Jah­ren zu ei­nem „Ma­gi­schen Rea­lis­mus“, als er mit den Bil­dern der ita­lie­ni­schen Künst­ler Gior­gio de Chi­ri­co (1888-1978) und Car­lo Dal­maz­zo Car­rá (1881-1966) in Be­rüh­rung kam. Als Bei­spiel hier­für kann sein Öl­ge­mäl­de „Der Rhein“ ge­nannt wer­den – das 1920 von Paul Mult­haupt (1884-1933) er­wor­ben wur­de. Der Düs­sel­dor­fer In­dus­tri­el­le ge­hör­te zu den frü­hes­ten Samm­lern des Künst­lers. Die ge­sam­te Samm­lung von Mult­haupt, die zahl­rei­che be­rühm­te Wer­ke der Mo­der­ne ent­hielt, wur­de 1933 in der Düs­sel­dor­fer Ga­le­rie von Al­fred Flecht­heim aus­ge­stellt und gilt seit­dem als ver­schol­len. Mult­haupt nahm sich vier Wo­chen vor der Aus­stel­lung das Le­ben.

1920 ent­stan­den ers­te Bil­der mit dem Mo­tiv „das ein­sa­me Paar“, das in den fol­gen­den Jah­ren Rä­der­scheidts in­ne­re Aus­ein­an­der­set­zung mit der Frau im All­ge­mei­nen und ins­be­son­de­re mit sei­ner ei­ge­nen Frau und Kol­le­gin Mar­ta He­ge­mann deut­lich wer­den lässt. Dis­tanz und Ent­frem­dung zwi­schen den Ge­schlech­tern äu­ßern sich zum ei­nen durch Star­re, Iso­la­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­lo­sig­keit der Fi­gu­ren in­mit­ten kah­ler Räu­me und Plät­ze (zum Bei­spiel die Ge­mäl­de „Das Haus Nr. 9, 1921, „Die Ra­sen­ban­k“, 1921, „Jun­ge Ehe“, 1922, „Selbst­bild­nis mit Frau“, 1923 und an­de­rer­seits im zu­neh­mend schar­fen Kon­trast der oft un­be­klei­det dar­ge­stell­ten Frau und dem re­gungs­los da­ste­hen­den Mann in dunk­lem An­zug und stei­fer Me­lo­ne.

„Ich bin 34 Jah­re alt und in Köln ge­bo­ren. Ich ma­le den Mann mit dem stei­fen Hut und die hun­dert­pro­zen­ti­ge Frau, die ihn durch das Bild steu­ert. Mei­ne Vor­lie­be für waa­ge­rech­te und senk­rech­te ist ei­ne ver­kehrs­tech­ni­sche An­ge­le­gen­heit in mei­nen Bil­dern.“[2] Hö­he­punk­te die­ser Aus­ein­an­der­set­zung sind in den „Sport­bil­dern“ - sei­ne Frau Mar­ta war auch ex­ami­nier­te Sport­leh­re­rin – wie zum Bei­spiel „Akt am Bar­ren“ (1925), oder „Ten­nis­spie­le­rin“ (1926) und auch in dem Bild „Die Schön­heits­kö­ni­gin“ (1930) zu fin­den.

Sei­ne ver­schlüs­sel­ten Selbst­por­träts aus je­nen Jah­ren, wie zum Bei­spiel „Jun­ger Mann mit gel­ben Hand­schu­hen“ (1921), „Jüng­lin­g“ (1923) „Mann mit La­ter­ne“ (1924) ma­chen Pro­zes­se der Selbst­fin­dung und sei­ner Po­si­tio­nie­rung ge­gen­über an­de­ren deut­lich. Sie las­sen An­ton Rä­der­scheidt als kon­se­quen­ten Ein­zel­gän­ger er­schei­nen. In sei­nem Ta­ge­buch schreibt er un­ter dem Ti­tel „Freund­schaf­t“: „Der Mann ist ein Ein­zel­gän­ger. Sein Ich­be­wu­ßt­sein ist so stark, daß ihm ein zwei­ter Mann gar nicht vor­stell­bar ist. Ich und die Welt! Al­les ist ihm dienst­bar oder wird ver­nich­tet. Freund­schaft ist für ei­nen Mann un­mög­lich, weil er nie­mand als gleich­wer­tig an­er­ken­nen kann. […] Der stärks­te Zu­sam­men­schluß der Män­ner be­steht ge­gen die Frau. Die ge­lieb­te Frau ver­ei­nigt al­le Fein­de: Leh­rer, Vor­ge­setz­te, Po­li­zei und was sonst noch die All­herr­lich­keit des Man­nes be­droht […].“[3] 

Ne­ben die­sen mar­kan­ten Fi­gu­ra­tio­nen wand­te sich An­ton Rä­der­scheidt ab 1920 auch dem Still­le­ben zu und the­ma­ti­sier­te in wech­seln­dem Stil zahl­rei­che Blu­men­mo­ti­ve, zum Bei­spiel „Pa­pil­lons à la ro­se“ (1921), „Va­se mit Tul­pe“ (1923), „Blu­men­still­le­ben“ (1923), „Va­se mit Tul­pen“ (1930).

Ein wei­te­rer Schwer­punkt sei­ner Ar­beit sind zahl­rei­che Bild­nis­se sei­ner Gön­ner und Auf­trag­ge­ber, zum Bei­spiel por­trä­tier­te er 1926/1931 den Ga­le­rie-Mit­ar­bei­ter Aloys Faust, 1928 sei­nen Kol­le­gen Hein­rich Ma­ria Davring­hau­sen (1894-1970) und sei­nen Samm­ler Franz Mult­haupt, 1930 sei­nen Ga­le­ris­ten Dr. An­dre­as Be­cker (1894-1972), 1931 den ers­ten Di­rek­tor des Schnüt­gen-Mu­se­ums Prof. Dr. Fritz Wit­te (1876-1937), Jo­sef Hau­brich zu­sam­men mit sei­ner Frau Ali­ce Gott­schalk (1892-1944), 1932 den Di­rek­tor des Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­ums, Dr. Ernst Buch­ner (1892-1962), den Kunst­his­to­ri­ker Dr. Al­bert Erich Brinck­mann (1881-1958) und vie­le an­de­re mehr. Es wa­ren in der Re­gel Auf­trags­ar­bei­ten, die ihm zwar fi­nan­zi­ell zu Gu­te ka­men, und ihn in der Pres­se als den Köl­ner Por­trä­tis­ten aus­wie­sen, ihn aber zu un­ge­lieb­ten Kon­zes­sio­nen zwan­gen.

1925 ge­lang An­ton Rä­der­scheidt durch die po­si­ti­ve Er­wäh­nung des Kunst­his­to­ri­kers Franz Roh (1890-1965) der Durch­bruch zur öf­fent­li­chen An­er­ken­nung und wur­de vom Di­rek­tor der Kunst­hal­le Mann­heim, Dr. Gus­tav Fried­rich Hart­laub (1884-1963), als ein­zi­ger Köl­ner an der Aus­stel­lung „Neue Sach­lich­keit – Deut­sche Ma­le­rei nach dem Ex­pres­sio­nis­mus“ be­tei­ligt, die auch in Dres­den und an­de­ren mit­tel­deut­schen Städ­ten ge­zeigt wur­de. Au­ßer­dem nahm er an der Wan­der­aus­stel­lung „Das Jun­ge Rhein­land teil“, die von Düs­sel­dorf bis Ber­lin führ­te und in Zeit­schrif­ten wie „Das Kunst­blat­t“ und „Der Ci­ce­ro­ne“ er­wähnt wur­de.

1926 erb­te An­ton Rä­der­scheidt nach dem Tod sei­nes Va­ters Geld und fi­nan­zier­te da­mit ei­ne ers­te Rei­se nach Süd­frank­reich, un­ter an­de­rem nach Mar­seil­le und Sana­ry sur mer. Die Bil­der, die wäh­rend die­ser Rei­se ent­stan­den, wur­den zu­sam­men mit de­nen sei­ner Frau , Ho­er­le, Sei­wert und Max Ernst in der Köl­ner Rich­mod-Ga­le­rie des Post­meis­ters Ca­si­mir Ha­gen (1887-1965) aus­ge­stellt.

Im No­vem­ber 1926 nahm Rä­der­scheidt an der zwei­ten Aus­stel­lung der Köl­ner Se­zes­si­on im Köl­ni­schen Kunst­ver­ein teil und kurz dar­auf kam es zum Kon­takt mit der Ga­le­rie Dr. Be­cker & New­man, die in der ers­ten Eta­ge des Hau­ses Wall­raf­platz 2 ge­grün­det wor­den war und den wich­ti­gen Samm­ler Jo­sef Hau­brich zu sei­nen Be­su­chern zähl­te. Mit dem In­ha­ber der Ga­le­rie, dem Ju­ris­ten Dr. An­dre­as Be­cker (1894-1972), blieb An­ton sein Le­ben lang freund­schaft­lich ver­bun­den.

An­fang Mai 1927 er­folg­te ein Um­zug in die so­ge­nann­te „Sied­lung Bi­cken­dor­f“, die durch das Ar­chi­tek­tur­bü­ro Ri­phahn & Grod zwi­schen 1913 und 1938 er­rich­tet wur­de. Auf­grund der freund­schaft­li­chen Be­zie­hung zu dem Ar­chi­tek­ten Wil­helm Ri­phahn (1889-1963) konn­te die Fa­mi­lie Rä­der­scheidt dort ei­ne Woh­nung im Schleh­dorn­weg be­zie­hen, die nicht nur mehr Kom­fort, son­dern auch ein ein­ge­bau­tes Ate­lier auf­wies. Hier lern­te An­ton ein Jahr spä­ter den Kol­le­gen Hein­rich Ma­ria Davring­hau­sen ken­nen, mit dem er Freund­schaft schloss. Sie por­trä­tier­ten sich dort ge­gen­sei­tig.

1929 wur­de An­ton Rä­der­scheidt für ei­ne Be­tei­li­gung an der Aus­stel­lung des „Deut­schen Künst­ler­bun­des“ aus­ge­wählt - ein wei­te­rer Schritt, um sei­nen Er­folg aus­zu­bau­en. Den­noch blieb die fi­nan­zi­el­le Si­tua­ti­on aus­ge­spro­chen schwie­rig, er tausch­te Bil­der ge­gen Wa­re und ging mit ei­ner Map­pe sei­ner Bil­der auf „Samm­ler­be­su­ch“, in der Hoff­nung, die­se zu ver­kau­fen.

In den 1930er Jah­ren ent­stand ei­ne Rei­he von „Stra­ßen­bil­dern“, zum Bei­spiel „Auf­bruch/Män­ner auf der Stra­ße“ (1932), die ei­ne ei­ge­ne Werk­grup­pe bil­de­ten und die auf­zie­hen­de Be­dro­hung durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in sich tra­gen. In der Hoff­nung, als Sti­pen­di­at der Vil­la Mas­si­mo in Rom an­ge­nom­men zu wer­den, gab An­ton die Köl­ner Woh­nung auf und zog mit sei­ner Fa­mi­lie nach Ita­li­en. Die Rei­se wur­de von dem rei­chen Köl­ner Ehe­paar Ru­dolf Metz­ger und Il­se Metz­ger-Sal­berg (1901-1947) ge­spon­sert. An­ton lern­te die Fo­to­gra­fin Il­se ken­nen, als er sie por­trä­tier­te und ver­lieb­te sich in sie.

Da die Hoff­nung auf ein Sti­pen­di­um sich nicht er­füll­te, muss­te die Fa­mi­lie Rä­der­scheidt nach Köln zu­rück­keh­ren und zog in ei­ne klei­ne Woh­nung in Köln-Mün­gers­dorf, auf dem Hü­gel 35. In der Ehe kam es zu Span­nun­gen, es fehl­te an Geld, auch für die Me­di­ka­men­te des zu­cker­kran­ken Soh­nes An­ton. Weih­nach­ten 1934 ver­ließ An­ton Rä­der­scheidt sei­ne Fa­mi­lie und sie­del­te mit Il­se Metz­ger nach Ber­lin, in ei­ne Woh­nung an den Motz­see über. Dort wur­de er zu­sam­men mit Il­se, da er im mi­li­tä­ri­schen Sperr­ge­biet mal­te, vor­über­ge­hen­de ver­haf­tet und die bei­den ent­schlos­sen sich, auch, weil Il­se Jü­din war, Deutsch­land zu ver­las­sen. 1936 emi­grier­te er mit ihr und ih­ren bei­den Kin­dern Ernst Mey­er (1923-1945) und Bri­git­te Metz­ger über die Schweiz und Eng­land nach Frank­reich.

1936 mie­te­te An­ton Rä­der­scheidt ein Ate­lier in Pa­ris, Rue des Plan­tes, und ver­such­te sich neu zu ori­en­tie­ren, nahm Kon­tak­te zu Künst­ler­kol­le­gen auf und ge­riet sti­lis­tisch un­ter den Ein­fluss von Pa­blo Pi­cas­so (1881-1973) und Fer­nand Lé­ger (1881-1955). 1938 er­warb das Paar das Haus „Le Pa­ti­o“ in Sana­ry sur Mer, na­he Tou­lon. Das Pa­ri­ser Ate­lier wur­de auf­ge­ge­ben, die dort ge­mal­ten Bil­der ließ An­ton in Ge­wahr­sam des Haus­be­sit­zers – sie sind bis heu­te ver­schol­len.

Der Kriegs­aus­bruch 1939 mach­te auch das Le­ben in Süd­frank­reich nicht mehr si­cher, zu­sam­men mit nach dort emi­grier­ten Schrift­stel­lern, un­ter ih­nen Franz Wer­fel (1890-1945), Li­on Feucht­wan­ger (1884-1958), Wal­ter Ha­sen­cle­ver (1890-1940) und Al­fred Kan­to­ro­wicz (1899-1979), wur­den An­ton Rä­der­scheidt und sein Freund Davring­hau­sen am 21.5.1940 in dem La­ger Les Mil­les, ei­ner ehe­ma­li­gen Zie­ge­lei bei Tou­lon, in­ter­niert. Nach zwei Mo­na­ten ge­lang ihm zu­sam­men mit Davring­hau­sen und Kan­to­ro­wicz wäh­rend des Ab­trans­por­tes nach Ba­yon­ne zwecks Aus­lie­fe­rung an die Deut­schen die Flucht. An­ton tauch­te mit fal­schen Pa­pie­ren zu­sam­men mit Il­se und den Kin­dern zwei Jah­re in ei­nem Ver­steck in Bar­jols (Dé­par­te­ment Le Var in den fran­zö­si­schen See­al­pen) un­ter.

1942 wur­de Il­ses Sohn Ernst Mey­er an die Deut­schen aus­ge­lie­fert und kam in Ausch­witz um. An­ton, Il­se und Bri­git­te ge­lang mit Hil­fe von Lu­ci­en Co­quil­lats, ei­nem Metz­ger aus Bar­jols, der sie un­ter sei­ner Wa­re ver­steck­te, die Flucht in die Schweiz. Sie wur­den zu­erst in Eris­will, dem Auf­fang­la­ger des Kan­ton Berns in­ter­niert und dann ge­trennt, An­ton kam in das Emi­gran­ten­heim Magli­a­so bei Lu­ga­no und muss­te Feld­ar­beit ver­rich­ten, Il­se in das La­ger Gi­ren­bad bei Hin­wil und ih­re elf­jäh­ri­ge Toch­ter Bri­git­te lan­de­te in ei­nem Kin­der­heim in Aeugst. Be­ein­dru­cken­de Bil­der aus je­ner Zeit zei­gen die be­drü­cken­de Si­tua­ti­on, un­ter der An­ton Rä­der­scheidt zu­tiefst litt, zum Bei­spiel „Les Sur­vi­van­tes“, „Les Apa­tri­des und „Le Pri­so­nier“. Durch die In­ter­ven­ti­on des Di­rek­tors des Bas­ler Kunst­mu­se­ums, Ge­org Schmidt (1896-1965), den An­ton aus sei­ner Köl­ner Zeit kann­te, wur­de er frei ge­las­sen, wohn­te in Bern, konn­te den Samm­ler Her­mann Rupf (1880-1962) für sich ge­win­nen, sei­ne neu­es­ten Ar­bei­ten bei der Ga­le­ris­tin Hed­wig Mar­bach (1901-1988) zei­gen und dann auch in ei­ner Son­der­aus­stel­lung im Ber­ner Kunst­mu­se­um. 

1947 - Il­se Metz­ger war in­zwi­schen an Krebs ge­stor­ben - er­hielt An­ton Rä­der­scheidt ein Rück­rei­se­vi­sum nach Frank­reich; Frau Mar­bach kauf­te al­le sei­ne Bil­der auf, um ihm ei­nen Neu­start in Pa­ris zu er­mög­li­chen. Sei­ne dort zu­rück­ge­las­se­nen Bil­der wa­ren in­zwi­schen ver­schwun­den, und er konn­te in Pa­ris nicht mehr Tritt fin­den. En­de 1949 kehr­te er nach Köln zu­rück, be­glei­tet von sei­ner neu­en Freun­din Gisè­le Bou­che­rie, ge­bo­re­ne Ri­breau (ge­bo­ren 1924), die er in Pa­ris ken­nen­ge­lernt hat­te und 1963, nach sei­ner Schei­dung (1961) von Mar­ta He­ge­mann, in Köln hei­ra­te­te. Aus die­ser Be­zie­hung gin­gen zwei Söh­ne her­vor, Vin­zent (ge­bo­ren 1949) und Pas­cal (1953-2014).

In Köln ver­hal­fen ihm sei­ne frü­he­ren Ga­le­ris­ten Dr. An­dre­as Be­cker und Aloys Faust zu ei­nem Neu­start. So konn­te er in der Kunst­hand­lung von Faust am Ra­then­au­platz An­fang 1950 ei­ne ers­te Aus­stel­lung prä­sen­tie­ren. Den­noch muss­te er für sich selbst rea­li­sie­ren, dass sei­ne künst­le­ri­sche Kraft nach­ge­las­sen hat­te. In die­ser Pe­ri­ode schuf er zu sei­ner Exis­tenz­si­che­rung zahl­rei­che Auf­trags­por­träts und Pfer­de­bil­der. “Zur Exis­tenz blieb mir al­so nur die Ver­wer­tung ei­nes Hand­werks“, kon­sta­tiert er vol­ler Re­si­gna­ti­on in sei­nem Ta­ge­buch.

In den Jah­ren von 1957-1964 schaff­te er mit dem Schritt in die Abs­trak­ti­on den­noch ein um­fang­rei­ches Werk. 1963 zog er in ein neu­es Ate­lier­haus in der Köl­ner Alt­stadt, Lands­berg­stra­ße 45 um und mal­te ab 1965 ei­ne Se­rie von mar­kan­ten Schwarz-Wei­ßen Pin­sel­zeich­nun­gen, Stra­ßen­sze­nen, Men­schen­an­samm­lun­gen und das im­mer wie­der­keh­ren­de Mo­tiv „das Paar“. Am 24.9.1967, kurz nach­dem er von sei­nen Fe­ri­en bei Davring­hau­sen im fran­zö­si­schen Hauts-de-Ca­gnes zu­rück­ge­kehrt war und der für den 13. Ok­to­ber ge­plan­ten Er­öff­nung sei­ner Re­tro­spek­ti­ve im Köl­ni­schen Kunst­ver­ein ent­ge­gen­sieht, er­litt An­ton Rä­der­scheidt ei­nen zereb­ra­len Schlag­an­fall, der sein Seh­ver­mö­gen stark be­ein­träch­tig­te. Doch ihm ge­lang der künst­le­ri­sche Sieg über die­se Ein­schrän­kung: Be­reits nach zwei Mo­na­ten nahm er den Pin­sel wie­der in die Hand, setz­te sich täg­lich vor dem Spie­gel und der Staf­fe­lei ei­ner ge­nau­en Selbst­be­trach­tung aus und mal­te bis zur völ­li­gen Er­schöp­fung. Es ent­stan­den von De­zem­ber 1967- Ju­ni 1968 ei­ne Se­rie von über 60 be­ein­dru­cken­der Selbst­por­träts, die als Hö­he­punkt im Spät­werk des Ma­lers de­fi­niert wer­den kön­nen.

Am 8.3.1970 starb An­ton Rä­der­scheidt - kurz zu­vor hat­te das Rhein­hoch­was­ser sei­ne Wer­ke im Ate­lier be­droht. Er wur­de auf dem Köl­ner Me­la­ten-Fried­hof bei­ge­setzt. Nach­dem die Stadt Köln das Grab ver­se­hent­lich ab­ge­räumt hat­te, wur­de die Ur­ne 2010 in ei­nem Grab ne­ben dem des Ar­chi­tek­ten Wil­helm Ri­phan (1889-1963) neu bei­ge­setzt.

1993 wur­de An­ton Rä­der­scheidt in der Jo­sef-Hau­brich-Kunst­hal­le ei­ne gro­ße Re­tro­spek­ti­ve ge­wid­met. 

Werke (Auswahl)

Mehr als 30 Bil­der aus dem Nach­lass des Ma­lers wer­den heu­te von der Kunst­hand­lung Os­per, Köln, be­treut.

1911 – Pro­fil­an­sicht der Mut­ter, Zeich­nung, 31,5 x 23 cm, Pri­vat­be­sitz

Um 1920 - Der Rhein, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1921 – Pa­pil­lons à la Ro­se, Öl auf Holz, 48 x 31,5 cm, Pri­vat­be­sitz

1921 – Jun­ger Mann mit gel­ben Hand­schu­hen, Öl auf Holz, 27 x 18,5 cm, Pri­vat­be­sitz

1921 – Das Haus Nr. 9, Öl auf Lein­wand, 65 x 55 cm, Pri­vat­be­sitz

1921 – Die Ra­sen­bank, Öl auf Holz, ehe­mals Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um Köln, Ver­bleib un­be­kannt

1921 – Be­geg­nung, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1922 – Jun­ge Ehe, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1923 – Selbst­bild­nis mit Frau, Öl auf Pap­pe, 80,5 x 68 cm, Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um Köln

1923 – Zwei Män­ner in Blau, Öl auf Lein­wand, 58 x 37 cm, Pri­vat­be­sitz

1923 – Still­le­ben mit ro­ter Tul­pe, Öl auf Lein­wand, Pri­vat­be­sitz

1923 – Blu­men­stil­le­ben, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1923 – Jüng­ling, Öl auf Kar­ton, Ver­bleib un­be­kannt

1923 – Freun­din­nen, Öl auf Kar­ton, Ver­bleib un­be­kannt

1923 – Por­trät Dr. Ge­org Lütt­ge, Öl/Lein­wand, Pri­vat­be­sitz

1924 – Mann und La­ter­ne, Öl auf Holz, Ver­bleib un­be­kannt

1925 – Akt am Bar­ren, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1926 – Ten­nis­spie­le­rin, Öl auf Lein­wand, 100 x 80 cm, Neue Pi­na­ko­thek, Mün­chen

1926 – Por­trät ei­nes jun­gen Man­nes, Öl auf Lein­wand, 64,5 x 49 cm, Pri­vat­be­sitz

1926 – Por­trät Hein­rich Ma­ria Davring­hau­sen, Öl auf Holz, Ver­bleib un­be­kannt

1926 – Selbst­bild­nis, Öl auf Lein­wand, 100 x 80 cm, Pri­vat­be­sitz

1926 – Por­trät Aloys Faust, Öl auf Lein­wand, 81 x 61 cm, Pri­vat­be­sitz

1928 – Por­trät Paul Mult­haupt, Öl/Holz, 100 x 80 cm, Pri­vat­be­sitz

1928 – Por­trät Ger­trud Cur­jel-Lütt­ge, Öl/Lein­wand, Pri­vat­be­sitz

1929 – Fa­mi­lie am Fens­ter, Öl auf Lein­wand, ehe­mals Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um, Ver­bleib un­be­kannt

1930 – Die Schön­heits­kö­ni­gin, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1930 – Va­se mit Tul­pen, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1930 – Por­trät Carl Lin­fert, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1930 – Por­trät Dr. An­dre­as Be­cker, Öl auf Lein­wand,120 x 100 cm, Pri­vat­be­sitz

1931 – Por­trät Prof. Dr. Fritz Wit­te, Öl auf Lein­wand, 120 x 80 cm, Schnüt­gen-Mu­se­um, Köln

1931 – Por­trät Aloys Faust, Öl auf Lein­wand, 120 x 78 cm, Pri­vat­samm­lung

1931 – Por­trät Dr. jur. Fritz Hus­ten, Öl auf Lein­wand, Pri­vat­samm­lung

1932 – Stra­ßen­bild II, Öl auf Lein­wand, 100 x 80 cm, Pri­vat­be­sitz

1932 – Män­ner auf der Stra­ße, Öl auf Lein­wand, Leo­pold-Hoesch-Mu­se­um, Dü­ren
 
1933 – Auf­bruch, Aqua­rell/Gou­ache, Pri­vat­samm­lung

1933 – Stra­ßen­bild III, Öl auf Lein­wand, 100 x 80 cm, Ver­bleib un­be­kannt

1933 – Auf­bruch 33, Öl auf Lein­wand, 100 x 80 cm, Mu­sée d`Art Mo­der­ne, Pa­ris

1933 – Por­trät Prof. Her­bert Ge­ri­cke, Di­rek­tor der Vil­la Mas­si­mo Rom, Öl auf Lein­wand, Ver­bleib un­be­kannt

1939 – Fi­gu­ren, Öl auf Lein­wand, 100 x 80 cm, Pri­vat­be­sitz

1940 – Camp des femmes, Gou­ache, Pri­vat­be­sitz

1957 – Rü­cken, Öl auf Lein­wand, 100 x 80 cm, Pri­vat­be­sitz

1966 – An­samm­lung, Pin­sel­zeich­nung auf Kar­ton, 100 x 65 cm, Pri­vat­be­sitz

1967 – Frau des Künst­lers, Pin­sel­zeich­nung auf Kar­ton, 100 x 64,5 cm, Pri­vat­be­sitz

1968 – Selbst­por­trät, Tem­pe­ra auf Kar­ton, 65 x 50 cm, Pri­vat­be­sitz

Literatur

An­ton Rä­der­scheidt – das Spät­werk, Aus­stel­lungs­ka­ta­log Dü­ren 1978.

Her­zog, Gün­ter, An­ton Rä­der­scheidt, Köln 1991.

Rich­ter, Horst, An­ton Rä­der­scheidt, Reck­ling­hau­sen 1972.

Roh, Franz, An­ton Rä­der­scheidt, Öl­ge­mäl­de, Aqua­rel­le, Zeich­nun­gen 1922-1952, Aus­stel­lungs­ka­ta­log Köln und Le­ver­ku­sen 1952.

Schäf­ke, Wer­ner/Eu­ler-Schmidt, Mi­cha­el (Hg.), Aus­stel­lungs­ka­ta­log Jo­sef-Hau­brich-Kunst­hal­le, Köln 1993. 

Online

Pe­ters, Olaf, Rä­der­scheidt, Hu­bert An­ton, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 21 (2003), S. 106-107 [On­line]

An­ton Rä­der­scheidt - Der Ma­ler der Neu­en Sach­lich­keit [On­line]

Kunst­hand­lung Os­per [On­line]  

Exil Ar­chiv [On­line]

 
Zitationshinweis

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Steger, Denise, Anton Räderscheidt, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/anton-raederscheidt/DE-2086/lido/65d717715985e7.61924003 (abgerufen am 05.12.2024)