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Max Ernst war einer der vielseitigsten Künstler des 20. Jahrhunderts und einer der prägenden Vertreter des Dadaismus und des Surrealismus. Im nationalsozialistischen Deutschland als „entarteter Künstler" gebrandmarkt, erwarb er sich, in Frankreich und schließlich in den USA wirkend, noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Maler und Bildhauer eine hohe Reputation. In der Nachkriegszeit wurde ihm diese Anerkennung auch in der Bundesrepublik Deutschland zuteil.
Max Ernst wurde am 2.4.1891 als Sohn des Taubstummenlehrers Philipp Ernst (1862-1942) und seiner Frau Luise, geborene Kopp (1865-1949), als drittes von neun Kindern in Brühl geboren. Durch den Vater, der als Autodidakt künstlerisch tätig war, erhielt er seinen ersten Malunterricht. Nachdem er das Abitur bestanden hatte, immatrikulierte sich Max Ernst am 20.4.1910 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, wo er Altphilologie, Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte studierte und für den Bonner „Volksmund" Kunst- und Theaterkritiken schrieb.
Die Freundschaft mit dem Maler August Macke ermöglichte ihm im Juli 1913 die Teilnahme an der „Ausstellung Rheinischer Expressionisten" im Buch- und Kunstsalon Cohen in Bonn. Im Oktober des gleichen Jahres waren seine Werke auch auf der Gruppenausstellung „Erster Deutscher Herbstsalon" in Berlin vertreten. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges trat Max Ernst am 24.8.1914 beim Rheinischen Feldartillerie Regiment Nr. 23 in Koblenz den Militärdienst an und war sowohl an der West- als auch an der Ostfront stationiert. Einen Monat vor Ende des Ersten Weltkrieges heiratete er am 7.10.1918 in Köln die ehemalige Kommilitonin und Kunsthistorikerin Luise Straus.
Die Begegnung mit den Werken der italienischen Künstler Carlo Carrà (1881-1966) und Giorgio de Chirico (1888-1978), den Hauptvertretern der „Pittura metafisica", markierte 1919 einen Wendepunkt seines künstlerischen Schaffens und leitete seine Abkehr von der expressionistischen Malerei ein. In der Sezessions-Ausstellung „Bulletin D" des Kölnischen Kunstvereins waren seine Arbeiten neben denen seines Freundes Hans Arp (1886-1966) zu sehen. Auch die Werke der „Kölner Progressiven" Angelika Hoerle, Heinrich Hoerle, Anton Räderscheidt und Franz Wilhelm Seiwert waren Bestandteil der vielbeachteten Ausstellung.
Anfang 1920 legte Max Ernst seine Lithographienmappe „Fiat modes pereat ars" vor, die von der Stadt Köln finanziert wurde. Für die Übermalungen und Collagen der Dada-Zeit entdeckte er zur gleichen Zeit einen Lehrmittelkatalog als Hauptvorlagenbuch. Im April brachte er zusammen mit dem Bankierssohn Alfred Gruenwald (1892-1927) die Zeitschrift „Die Schammade" heraus. Zeitgleich eröffneten sie im Kölner Brauhaus Winter, nachdem sie von der juryfreien Frühjahrsausstellung der konservativen Arbeitsgemeinschaft Kölner Künstler ausgeschlossen worden waren, ihre umstrittene Ausstellung „Dada-Vorfrühling". Die Schau, bei der die Besucher unter anderem aufgefordert wurden, die ausgestellten Werke mit einem Beil zu zerstören, wurde zeitweise polizeilich geschlossen.
Mit seinen Werken und neuartigen indirekten Verfahren initiierte Ernst bereits in dieser Phase ein Hineinsehen und Ausdeuten, ein schöpferisches Zusammenspiel aus Passivität und Aktivität. Spielerische Experimentierlust verbunden mit einer Poetisierung des Banalen kennzeichneten sein gesamtes Wirken, bei dem er der rationalen Wahrnehmung vielschichtige Möglichkeitswelten entgegensetze, die jenseits der dadaistischen und surrealistischen Geisteshaltung in der Methodik der deutschen Romantik - mit Witz und Ironie ausgestattet - ihren Ursprung haben.
Vom 3.5. bis zum 3.6.1921 hatte Max Ernst in der Buchhandlung „Au Sans Pareil" seine erste Ausstellung in Paris, wohin er 1922 übersiedelte und in regem Kontakt zu bedeutenden zeitgenössischen französischen Literaten wie Paul Éluard (1895-1952) und André Breton (1896-1966) stand. Zwei Jahre später, im Oktober 1924, erschien Bretons „Manifeste du Surréalisme" etablierte. 1926 veröffentlichte die Galeristin Jeanne Bucher (1872-1946) die Mappe „Histoire naturelle" mit 34 Lichtdrucken nach Frottagen von Max Ernst und einem Vorwort von Hans Arp. Ernst entwickelte in dieser Zeit unter anderem die indirekte Technik der Grattage, mit der er das Durchreibeverfahren der Frottage auf die Malerei übertrug. Auf diese Weise entstanden in Serien Wald- und Muschelbilder, Vogeldenkmäler und Hordenbilder, die im Dezember 1928 in der Pariser Galerie Georges Bernheim sowie im Frühling des kommenden Jahres bei dem Galeristen Alfred Flechtheim (1878-1937) in Berlin und in Düsseldorf ausgestellt wurden.
Am 20.12.1929 erschien sein erster Collagenroman „La femme 100 têtes" (Die hundertköpfige/kopflose Frau). 1930 folgte das Werk „Rêve d’une petite fille qui voulut entrer au Carmel" (Traum eines kleinen Mädchens, das in den Karmeliterorden eintreten wollte) und 1934 „Une semaine de bonté ou les septs éléments capitaux" (Eine Woche der Güte oder die sieben Hauptelemente). Im Jahr 1930 übernahm Max Ernst in dem surrealistischen Film „L’âge d’or" von Luis Buñuel (1900-1983) die Rolle eines Räuberhauptmanns, womit es ihm gelang, sein facettenreiches künstlerisches Wirken um die Kunst des Schauspiels zu erweitern.
Im Privatleben durchlebte Ernst zahlreiche Turbulenzen und war insgesamt viermal verheiratet. Bereits am 5.4.1926 war die Ehe zwischen ihm und Luise Straus geschieden worden. Auch die im April 1927 mit Marie-Berthe Aurenche (1905-1960) geschlossene zweite Ehe scheiterte. Am Ende der 30er Jahre lebte Ernst einige Zeit mit der englischen Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington (1917-2011) zusammen, die er im Juni 1937 anläßlich seiner Ausstellung in der Londoner Mayor Gallery kennen gelernt hatte.
Im gleichen Zeitraum erwarb sich Ernst internationale Anerkennung. Neben zahlreichen europäischen Ausstellungen wurden seine Werke 1931 erstmals auch in den USA gezeigt. Ab 1934 begann er, seine indirekten Arbeitstechniken auch auf die Bildhauerei zu übertragen und die Bandbreite seiner künstlerischen Ausdrucksformen eindrucksvoll zu erweitern. 1937 ehrte ihn die renommierte Zeitschrift „Cahiers d’Art" mit einer Max Ernst-Sondernummer, die neben zahlreichen Abbildungen und Hommagen auch den kunsttheoretisch bedeutsamen Text „Au-delà de la peinture" enthielt.
Während seine Popularität im Ausland wuchs, galten seine Werke während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland als verfemt. Auf der diffamierenden Wanderausstellung „Entartete Kunst", die im Juli 1937 in München begann, wurden sein Gemälde „La belle Jardinière" und ein Muschelblumenbild gezeigt. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Frankreich zunächst mehrfach als feindlicher Ausländer interniert, entzog er sich dem Zugriff durch die Gestapo durch eine abenteuerliche Flucht, die ihn im Mai 1941 nach Lissabon führte. Dank der Unterstützung der Kunstsammlerin Peggy Guggenheim (1898-1979) konnte er im Juni 1941 in die USA ausreisen und sich in New York niederlassen. Die am 30.12.1941 mit Peggy Guggenheim geschlossene Ehe wurde bereits im Frühjahr 1943 geschieden, nachdem Ernst 1942 die amerikanische Künstlerin Dorothea Tanning (geboren 1910) kennen gelernt hatte, die er am 24.10.1946 heiratete. Auch im amerikanischen Exil profilierte sich Ernst als vielseitiger Künstler, beriet unter anderem die surrealistische Zeitschrift „VVV", entwickelte die Technik der Oszillation, schuf eine Serie von Gipsplastiken und wirkte 1945 als Drehbuchautor und Schauspieler an einer Episode des Films „Dreams that money can buy" von Hans Richter (1888-1976) mit. Im November 1948 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft.
1953 kehrte Max Ernst, der seit 1949 regelmäßig nach Europa gereist war, wieder in seine französische Wahlheimat zurück, deren Staatsbürgerschaft er 1958 annahm. Nachdem er sich in Paris niedergelassen und dort das Atelier von William N. Copley (1919-1996) übernommen hatte, reiste er im Oktober 1953 durch Deutschland, wo er neben Köln und Heidelberg auch seine Geburtsstadt Brühl besuchte. Im Juni 1954 wurde Max Ernst auf der 27. Biennale in Venedig der Große Preis für Malerei verliehen, eine Auszeichnung, die für ihn den endgültigen internationalen Durchbruch bedeutete. Unter seinen zahlreichen Auszeichnungen sind darüber hinaus die Verleihung des Großen Kunstpreises für Malerei des Landes Nordrhein-Westfalen (1957) sowie der Stefan Lochner-Medaille der Stadt Köln (1961) hervorzuheben. Zahlreiche Ehrungen wurden ihm auch in Frankreich zuteil, wo er 1966 zum Offizier der Ehrenlegion ernannt wurde. Retrospektiven richteten ihm das Pariser Musée d’Art Moderne (1959), das Museum of Modern Art in New York (1961) sowie das Kölner Wallraf-Richartz-Museum (1962) aus. Bereits 1951 anlässlich seines 60. Geburtstages hatte in Brühl eine erste Retrospektive stattgefunden.
Gemeinsam mit Dorothea Tanning (1910-2012) siedelte Max Ernst 1964 in das südfranzösische Seillans über und stellte im März 1964 das Mappenwerk „Maximiliana ou L’Exercice illégal de l’Astronomie" fertig, das zu den bedeutenden Künstlerbüchern des 20. Jahrhunderts gehört und das er mit einer hieroglyphenartige Geheimschrift versah, die sich auch in seinen Gemälden der folgenden Jahre wieder findet. Im Januar 1970 reiste Max Ernst erneut nach Deutschland, um in Stuttgart an der Eröffnung seiner Ausstellung im Württembergischen Kunstverein teilzunehmen. Noch im gleichen Jahr veröffentlichte er seine Schriften unter dem Titel „Écritures".
Seine vielfältige künstlerische Schaffenskraft kam auch in den letzten Lebensjahren nicht zum Erliegen. Im Mai 1971 hielt er sich für mehrere Tage im Rheinland auf und nahm an einer von den Galeristen Eva (1913-1988) und Hein Stünke (1913-1994) zu Ehren seines 80. Geburtstages veranstalteten Schiffsfahrt auf dem Rhein teil. Außerdem wohnte er der Aufstellung einer vergrößerten Version seiner Plastik „Habakuk" vor der Kunsthalle in Düsseldorf bei sowie der feierlichen Übergabe seines Brunnens vor der städtischen Berufsschule in Brühl. Am 8.5.1972 verlieh ihm die Universität Bonn die Ehrendoktorwürde. Im Februar 1975 reiste er letztmals nach New York, um an der Eröffnung einer Retrospektive im Solomon R. Guggenheim Museum teilzunehmen. Die letzte Retrospektive zu seinen Lebzeiten fand von Mai bis August 1975 im Pariser Grand Palais statt. Am 1.4.1976 – in der Nacht zu seinem 85. Geburtstag – starb Max Ernst in seiner Wohnung in Paris.
Werkverzeichnis
Spies, Werner (Hg.), Max Ernst Œuvrekatalog, 7 Bände, bearb. von Helmut R. Leppien (Band 1), Werner Spies, Sigrid und Günter Metken (Bände 2-7) und Jürgen Pech (Band 7), Köln 1975-2007.
Literatur
Fischer, Lothar, Max Ernst in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1969.
Lindau, Ursula, Max Ernst und die Romantik. Unendliches Spiel mit Witz und Ironie, Köln 1997.
Max Ernst Museum Brühl, München 2005.
Pech, Jürgen, Max Ernst – Graphische Welten. Die Sammlung Schneppenheim, Köln 2003*.
Pech, Jürgen, Max Ernst – Plastische Werke, Köln 2005.
Spies, Werner, Max Ernst – Collagen. Inventar und Widerspruch, Köln 1974.
Spies, Werner, Max Ernst. Leben und Werk, Köln 2005.
- Bestandskataloge Max Ernst Museum Brühl des LVR
Online
Der Künstler Max Ernst (Homepage des Max Ernst Museum Brühl des LVR). [Online]
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Pech, Jürgen, Max Ernst, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/max-ernst/DE-2086/lido/57c6a5aeac2ea1.63412147 (abgerufen am 10.10.2024)