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Mitunter sind historische Personen in erster Linie durch ihre überkommenen Werke bekannt, wenn schriftliche Quellen über ihr Leben fehlen. So sind auch über Anton Woensam kaum biographische Details bekannt; unter seinen Bildern, Zeichnungen und Holzschnitten macht seinen Namen jedoch die große Ansicht von Köln aus dem Jahr 1531 unvergessen, weil sie sich in zahllosen Schriften und Darstellungen zur Stadtgeschichte findet.
Anton Woensam wurde vermutlich um 1490 in Worms als Sohn des Malers Jaspar Worms (gestorben 1547/1551) und seiner Frau Elisabeth geboren. Die Familie übersiedelte vor 1510 nach Köln, wo sie das Bürgerrecht erwarb und das Haus „Zum Scherffgyn“ auf der Sandkaule besaß. Da sich die Steuerleistungen des Vaters und damit sein Vermögen günstig entwickelten, darf angenommen werden, dass seine Malerarbeiten, von denen allerdings keine bekannt ist, guten Absatz fanden. Von der Gaffel der Maler wurde er zum Bannerherrn, zum Vorsitzenden also, gewählt und konnte damit auch in das Ratskollegium der Vierundvierziger einziehen, in dem er lange Zeit tätig war.
Über Anton Woensam selbst ist darüber hinaus nur bekannt, dass er mit Margareta Doenwalt (gestorben nach 1561) verheiratet war und mit ihr einen Sohn, Jaspar den Jüngeren (gestorben 1548), und zwei Töchter mit den Namen Elisabeth und Margareta hatte. Beide wurden von Werner von Würzburg, der ein Kanonikat am Kölner Stift St. Georg innehatte, testamentarisch bedacht, weshalb eine Freundschaft zwischen ihm und Woensam angenommen wird.
Woensam erlebte Köln in der Endphase einer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte. Sein berühmtes Panoramabild beschreibt von der rechten Rheinseite aus gesehen den Halbkreis der spätmittelalterlichen Stadt, beginnend beim Bayenturm im Süden bis zur Kunibertspforte im Norden. Die Stadtmutter Agrippina und der römische Hauptmann Marsilius, der die Stadt von ihren Belagerern befreit hatte, aber auch die Heiligen Drei Könige geben dem Gemälde gleichsam Haltepunkte im Himmel. Zahlreiche kirchliche und weltliche Gebäude sind beschriftet und orientieren so den ortsunkundigen Betrachter. In äußerstem Detailreichtum hat der Künstler, dessen Monogramm, die miteinander verschmolzenen Buchstaben „AW“, sich auf einem Täfelchen vor dem aus dem Deutzer Kastell ostwärts führenden Tor findet, nicht nur die Gestalt, sondern auch das vom Rhein geprägte Wirtschaftsleben der Stadt festgehalten. Niederländer und Oberländer Schiffe, auf denen die unterschiedlichsten Waren verladen werden, Hafenarbeiter und Lagerstätten vermitteln ein lebendiges Bild des damaligen Handels, die Befestigungsanlagen entlang des Flusses zeugen von der Wehrhaftigkeit der Stadt. Die Rheinmühlen, auf dem Fluss treibende und von seiner Strömung angetriebene Mahlwerke, werden so exakt wie in keiner anderen Abbildung dargestellt.
In der Bildmitte ragen der Rathausturm und der Torso des Doms mit dem fertig gestellten Chor und den Turmstümpfen, auf deren südlichem der noch bis ins 19. Jahrhundert hinein das Stadtbild prägende Holzkran thront, empor. Dass das Rathaus so prominent abgebildet ist, lag wohl nicht nur an seiner tatsächlich sehr zentralen Situation, sondern auch daran, dass der Rat selbst Auftraggeber des rund 60 Zentimeter hohen und 350 Zentimeter breiten Holzschnittes war, den er Kaiser Karl V. (1500-1558) anlässlich der Krönung seines Bruders Ferdinand I. (1503-1564) zum Römischen König zum Geschenk machte. Dessen Wahl hatte statt wie üblich in Frankfurt in Köln stattgefunden, zu welcher Gelegenheit sich beide Fürsten in der Domstadt eingefunden hatten. Die insgesamt neun Blätter, aus denen das Gesamtwerk besteht, wurden beim Kölner Meister Peter Quentel gedruckt. Im Unterschied zu früheren Darstellungen erhält der Betrachter in Woensams Stadtansicht darauf einen sehr realitätsnahen Eindruck von Architektur und Leben in Köln im 16. Jahrhundert.
Mit dem Kölner Panorama führte Woensam ein recht neues künstlerisches Genre nördlich der Alpen ein. Erst im Jahr 1500 hatte der italienische Maler und Kupferstecher Jacobo de‘ Barbari (gestorben 1516) mit einem monumentalen und ebenfalls äußerst detailreichen Plan der Lagunenstadt Venedig die wahrheitsgetreue Darstellung eines Stadtkörpers zu Papier gebracht. Während de‘ Barbari die Vogelperspektive wählte, um diesen exakt abbilden zu können, stellte Woensam die Stadt Köln gleichsam als Fassadenaufschnitt dar, um die sich aus dem gewählten, nur leicht erhöhten Standort ergebenden perspektivischen Probleme zu vermeiden. Darin liegt freilich auch eine Einschränkung der bildlichen Wahrheit von Woensams Stadtansicht, denn es handelt sich letztlich um eine Montage verschiedener Ansichten, die insgesamt von einem einzigen Blickpunkt aus gar nicht hätte erreicht werden können. Auch die bereits erwähnte prominente Darstellung des Rathauses und der Kirchen deuten darauf hin, dass Woensam bei aller Genauigkeit letztlich auftragsgemäß die Anforderungen einer idealisierten Darstellung des ‚Heiligen Köln‘ zu berücksichtigen hatte.
Mit dem Holzschnitt als künstlerischem Verfahren griff Anton Woensam eine seit dem 15. Jahrhundert populäre Technik auf, die sich im Zusammenhang mit der Gutenbergschen Weiterentwicklung des Buchsdrucks und der Möglichkeit großer Stückzahlen schnell und weit verbreitete. Auch von der Kölner Ansicht sind mehrere Exemplare erhalten. Zwar sind einige Malereien Woensams bekannt, vorwiegend Altarbilder und Heiligendarstellungen; in erster Linie umfasst sein Gesamtwerk jedoch Holzschnitte als Einzelwerke oder als Buchillustration. Insgesamt zählt Merlo rund 600 bekannte selbständige Arbeiten und annähernd 200 Bücher, die Holzschnitte von Woensam enthalten.
Zu den bedeutendsten Illustrationsarbeiten Woensams gehört die Wormser Bibel aus dem Jahr 1529, der ersten vollständigen Bibel in deutscher Sprache, die der reformatorischen Lesart entsprach. Dass hierfür Woensam beauftragt wurde, ist wohl ein Ausdruck der Anerkennung, die er in seiner Heimatstadt genoss. Die eingebrachten Motive hatte Peter Quentel bereits für zwei Vulgata-Bibeln verwendet; Volksausgaben des lateinischen Textes und nicht zu verwechseln mit der auf Luther zurückgehenden deutschen Übersetzung. Woensam alleine wegen seiner Mitarbeit an der protestantischen Wormser Bibel Sympathien für die neue Lehre zu unterstellen, ginge daher schon deshalb fehl, weil seine Arbeiten zeitgleich in Werken des offiziellen Kanons der römischen Lehre Verwendung fanden.
Zuweilen wird Anton Woensam als einer der letzten Vertreter der Kölner Malerschule bezeichnet. Auch wenn sein Tod im Jahr 1541 tatsächlich mit dem Ende dieser Künstlergeneration, deren bedeutendster Vertreter Stefan Lochner war, zusammenfällt, unterscheidet sich seine Arbeit nicht nur der Technik, sondern auch dem Stil nach von den spätgotischen Werken der Malerschule. Vielmehr greift Woensam, nicht zuletzt durch die antikisierenden Elemente seiner Motive, die Kunstbetrachtung der Renaissance auf, aus der sich auch die sehr natürliche, exakte und harmonische Ansicht der Stadt Köln speist.
Literatur
Günther, Lutz Philipp, Die bildhafte Repräsentation deutscher Städte von den Chroniken der Frühen Neuzeit bis zu den Websites der Gegenwart, Köln 2009, S. 42-44.
Jakoby, Barbara, Der Maler und Holzschneider Anton Woensam von Worms und seine Arbeiten für die Kölner Kartause, in: Schäfke, Werner (Hg.), Die Kölner Kartause um 1500. Eine Reise in unsere Vergangenheit, Köln 1991, S. 373-389.
Roth, Ferdinand Wilhelm, Die Buchdruckereien zu Worms am Rhein im 16. Jahrhundert, Paderborn 1892.
Sotzmann, Daniel Friedrich, Ueber des Antonius von Worms Abbildung der Stadt Köln aus dem Jahre 1531, Köln 1819.
Stelzmann, Arnold/Frohn, Robert, Illustrierte Geschichte der Stadt Köln, 11. Auflage, Köln 1990, S. 190-192.
Online
Merlo, Johann Jakob, Anton Woensam von Worms, Maler und Xylograph zu Köln. Sein Leben und seine Werke, Leipzig 1864. [Online]
Schnorrenberg, Jakob, „Woensam, Anton“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 43 (1898), S. 704-706. [Online]
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Bock, Martin, Anton Woensam, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/anton-woensam/DE-2086/lido/57c93310e62248.30970721 (abgerufen am 06.12.2024)