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Christian Nees von Esenbeck war ein bedeutender Naturforscher des 19. Jahrhunderts. 1818 als Professor an die Universität Bonn berufen, zeichnete er hier maßgeblich für den Aufbau der naturwissenschaftlichen Institute und des Botanischen Gartens verantwortlich. Im Jahr 1830 übersiedelte er nach Breslau und gehörte in den 1840er Jahren zu den führenden Persönlichkeiten der schlesischen Demokratiebewegung und des Christkatholizismus.
Christian Gottfried Daniel Nees wurde am 14.2.1776 auf Schloss Reichenberg bei Reichelsheim (Odenwald) als erster Sohn des Gutsverwalters Johann Conrad Nees (1737-1817) und dessen Frau Friederike Dorothea Katharina Esenbeck (1746-1821) geboren. Von 1792 bis 1796 besuchte er das Gymnasium in Darmstadt, widmete sich bis 1799 medizinischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Studien in Jena und promovierte am 29.10.1800 in Gießen zum Doktor der Medizin.
Nachdem er sich über einen Zeitraum von zwei Jahren als praktizierender Arzt betätigt hatte, ermöglichte ihm die am 19.8.1802 mit Wilhelmine von Ditfurth (1773-1803) geschlossene Ehe ein von wirtschaftlichen Zwängen weitgehend freies Leben. Nach dem frühen Tod seiner ersten Frau am 22.9.1803 gelangte er in den Besitz des Ritterguts Sickershausen bei Kitzingen und nahm den adlige Assoziationen weckenden Namen Nees von Esenbeck an. Bereits am 5.3.1804 heiratete er ein zweites Mal: Aus der im November 1830 geschiedenen Ehe mit Jacobine Elisabeth von Mettingh (1783-1857) gingen fünf Kinder hervor.
Nees von Esenbeck nutzte die sich ihm durch die Erbschaft seiner ersten Frau bietenden ökonomischen Freiräume in den folgenden Jahren zur Vertiefung seiner botanischen Studien. Nicht zuletzt seinen grundlegenden Arbeiten zur Systematik der Kryptogamen verdankte er den Aufstieg zu einem renommierten Privatgelehrten, der in regem fachlichem Kontakt mit den bedeutenden Wissenschaftlern seiner Zeit stand. Unter anderem pflegte er zwischen 1807 und 1830 einen regen brieflichen Austausch mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), dessen persönliche Bekanntschaft er 1819 in Weimar machte.
Im Mai 1816 wurde Nees von Esenbeck in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina aufgenommen, deren Sitz seit 1788 die einstmals preußische, seit 1810 zu Bayern gehörende Universitätsstadt Erlangen war. An der Seite des Zoologen und späteren Bonner Kollegen Georg August Goldfuß bildete er hier die Spitze einer oppositionellen Gruppierung jüngerer Mitglieder, deren Ziel nicht nur eine grundlegende strukturelle Modernisierung, sondern vor allem die Rückkehr der Leopoldina auf preußisches Staatsgebiet war.
Vermutlich waren es wirtschaftliche Engpässe, die Nees von Esenbeck zur gleichen Zeit dazu bewogen, sein kostspieliges Leben als Rentier und Privatgelehrter aufzugeben und sich um eine Anstellung im Staatsdienst zu bemühen. Auf sein Betreiben hin erhielt er 1817 eine Professur für Botanik in Erlangen und wurde darüber hinaus am 8.8.1818, wenn auch nur mit knapper Mehrheit, zum Präsidenten der Leopoldina gewählt - ein Amt, das er trotz aller Widerstände bis an sein Lebensende inne haben sollte.
Nees von Esenbeck erwies sich in dem nach seiner Wahl entbrennenden und bis 1822 andauernden Machtkampf um den künftigen Sitz der Akademie als versierter Stratege und wusste sich in dem seit 1817 amtierenden preußischen Kultusminister Karl Sigmund von Altenstein (1770-1840) eines entscheidenden Verbündeten gewiss: Im Gegenzug für die Übersiedlung der Leopoldina an die neu gegründete Preußische Rhein-Universität in Bonn (ab 1828 Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität) sicherte ihm dieser eine Professur für Naturgeschichte und Botanik mit weit reichenden Einflussmöglichkeiten an gleicher Stelle zu.
Nach einigen Streitigkeiten mit der bayrischen Regierung, die seinen Weggang aus Erlangen zunächst ebenso verweigerte wie die Überführung der Bibliothek und der naturkundlichen Sammlung der Leopoldina nach Preußen, gelangte Nees von Esenbeck im Dezember 1818 nach Bonn. Sein neues Aufgabenfeld sollte sich nicht nur auf die reine Lehrtätigkeit, sondern auch auf den Aufbau und die Organisation der naturwissenschaftlichen Institute, des Naturhistorischen Museums, vor allem aber des Botanischen Gartens im Park des Poppelsdorfer Schlosses „Clemensruh" erstrecken. Nees von Esenbeck nahm seine Wohnung in der zweiten Etage des Schlosses und begann bereits im Wintersemester 1818/1819 in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Garteninspektor Wilhelm Sinning (1792-1884) mit den Planungen für die weitläufige Anlage. Innerhalb eines Jahres konnten sämtliche Erdarbeiten und die Errichtung der ersten Gewächshäuser abgeschlossen werden. Der Gesamtbestand des Botanischen Gartens lag zu diesem Zeitpunkt bereits bei 4.500 Arten.
Auch auf die Personalentscheidungen der Universität gewann Nees von Esenbeck einen nicht unerheblichen Einfluss. Die Berufung Karl Wilhelm Gottlob Kastners (1783-1857) auf den Lehrstuhl für Physik sowie die Ernennung des Internisten und Psychiaters Christian Friedrich Nasse zum Leiter der klinischen Institute erfolgten nicht zuletzt auf seine Empfehlungen hin. Es gelang ihm ferner, seinen jüngeren Bruder Theodor Friedrich Ludwig (1787-1837) im Jahr 1819 nach Bonn zu holen. Hier zunächst als Inspektor im Botanischen Garten wirkend, wurde dieser 1822 habilitiert und auf den Lehrstuhl für Pharmakologie berufen. Im Gegensatz zu seiner späteren aktiven politischen Tätigkeit in Breslau, suchte sich der bei seinen Kollegen anfangs beliebte Nees von Esenbeck während seiner Bonner Zeit von demokratisch-liberalen Strömungen an der Universität strikt zu distanzieren. Auch bei der Suspendierung von Ernst Moritz Arndt stellte er sich auf die Seite der ihn protegierenden preußischen Staatsmacht. Diese Haltung brachte ihn jedoch zunehmend in den Ruf eines gleichermaßen misstrauisch wie neidvoll beäugten „Ministergünstlings".
Allerdings sollte es schließlich sein umstrittenes, die „sittliche" Integrität der Universität konterkarierendes Privatleben sein, dass Nees von Esenbecks vorzeitigen Abschied aus dem Rheinland unausweichlich machte: Eine Anfang des Jahres 1830 öffentlich gewordene Affäre mit Marie Hüllmann (1810-1850), der Gattin des Historikers und Professorenkollegen Karl Dietrich Hüllmann, hatte einen öffentlichen Skandal zur Folge, unter dem das Ansehen der gesamten Bonner Universität langfristigen Schaden zu nehmen drohte. Noch immer unter der schützenden Hand hochrangiger preußischer Kulturpolitiker stehend, initiierte Nees von Esenbeck einen Tausch mit der Breslauer Professur des Botanikers Ludolph Christian Treviranus (1779-1864), dem auch von ministerieller Seite stattgegeben wurde: Bereits zu Beginn des Sommersemesters 1830 lehrte Nees von Esenbeck in Breslau.
Mit seinem Weggang verlor die Universität Bonn nicht nur einen profilierten Gelehrten, sondern auch die Leopoldina, deren Sitz laut Satzung an den Wohnort ihres Präsidenten gekoppelt war. Auf seinem Umzug vom Rhein an die Oder wurde Nees von Esenbeck von seiner Geliebten Marie Hüllmann begleitet, die er 1833 heiratete. Einen dauerhaften Abschied aus Bonn hatte er aber wohl nicht im Sinn gehabt, spekulierte vielmehr auf eine baldige Rückkehr. 1834 wurde er bei Altenstein vorstellig, um bei diesem mit Hinweis auf seine durch das Breslauer Klima angegriffene Gesundheit eine Rückkehr an seine alte Position in Bonn zu erwirken, die ihm jedoch verweigert wurde.
Wie zuvor in Bonn, widmete er sich in fachlicher Hinsicht neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit auch an neuer Wirkungsstätte dem Aufbau und der Betreuung des Botanischen Gartens. Mit Blick auf seine wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Leistungen tritt seine Breslauer Zeit aber deutlich hinter den Jahren in Bonn zurück. Stattdessen avancierte er nach 1840 zu einem bedeutenden Protagonisten der sich unter dem Eindruck von beginnender Industrialisierung und Massenverelendung entwickelnden schlesischen Demokratiebewegung. Seine Schriften und Vorlesungen begannen einen zunehmend philosophischen, religionskritischen und schließlich auch politischen Charakter anzunehmen. Seit 1845 war er neben dem exkommunizierten katholischen Theologen Johannes Ronge (1813-1887) maßgeblich an der Gründung der christkatholischen Gemeinde Breslaus beteiligt, zu deren Vorsteher er im gleichen Jahr gewählt wurde. Bereits in seiner Jugend von den Idealen der Französischen Revolution begeistert, setzte er sich gleichzeitig vehement für die Aufhebung der Ständeschranken und für die Belange der weitgehend rechtlosen schlesischen Arbeiter in Stadt und Land ein.
Unmittelbar nach Ausbruch der Revolution im März 1848 begründete er in Breslau den „Demokratisch-Sozialen Arbeiterverein" und wurde zwei Monate später als Abgeordneter in die preußische Nationalversammlung gewählt, wo er als führendes Mitglied der demokratischen Linken auftrat und sich unter anderem für die Errichtung einer „demokratischen Monarchie" als Staatsform eines geeinten deutschen Nationalstaates einsetzte.
Nach der Auflösung der Nationalversammlung am 5.12.1848 hatte er unter empfindlichen staatlichen Repressalien zu leiden. Wegen „gefährlicher sozialer Bestrebungen" zu Beginn des Jahres 1849 aus Berlin ausgewiesen, wurde er nach seiner Rückkehr nach Breslau aufgrund fortgesetzter politischer Aktivitäten im Januar 1851 zunächst von seinem Amt suspendiert und nach Abschluss eines Disziplinarverfahrens am 13.3.1852 im hohen Alter von 76 Jahren endgültig seiner Professur bei vollständiger Streichung aller Pensionsansprüche enthoben.
Die Folgen waren schwerwiegend. So sah sich Nees von Esenbeck dazu gezwungen, mit seiner Familie - aus der illegitimen Beziehung mit Christiane Kambach waren mittlerweile vier Kinder hervorgegangen - in eine ärmliche Dachgeschosswohnung zu übersiedeln und zur Erhaltung seines Lebensunterhaltes sowohl seine Bibliothek als auch seine umfangreiche naturkundliche Sammlung zu veräußern. Sein Schicksal ließ ihn bei seinen Anhängern, vor allem Arbeiter und Studenten, noch zu Lebzeiten zu einer Märtyrerfigur werden.
Christian Nees von Esenbeck starb in den Morgenstunden des 16.3.1858 in Breslau, wo er drei Tage später unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt wurde.
Insgesamt 173 Pflanzenarten wurden nach Nees von Esenbeck benannt. Darüber hinaus trägt das an der Universität Bonn angesiedelte „Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen" seit dem Jahr 2003 den Namen des bedeutenden Universalgelehrten.
Werke
Bibliographie der Werke Christian Gottfried Nees von Esenbecks, in: Feistauer, Daniela/Monecke, Uta/Müller Irmgard/Röther, Bastian (Hg.), Christian Gottfried Nees von Esenbeck: Die Bedeutung der Botanik als Naturwissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – Methoden und Entwicklungswege, Stuttgart 2006, S. 315-355.
Literatur
Barthlott, Wilhelm/Rafiqpoor, M. Daud, Nees von Esenbeck und die Geschichte der frühen Botanik an der Universität Bonn, Acta Historica Leopoldina 47 (2006), S. 233-249.
Parthier, Benno, Christian Gottfried Nees von Esenbeck. Ein Lebensbild, Stuttgart 2003.
Winkler, Hubert, Christian Nees von Esenbeck, in: Schlesische Lebensbilder 2 (1926), S. 203-208.
Online
Christian Gottfried Nees von Esenbeck (1776-1858) - Briefedition. Edition der Amtlichen Korresponenz (Umfangreiche Information über das Editionsprojekt der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina). [Online]
Jahn, Ilse, Artikel "Nees von Esenbeck, Christian Gottfried", in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 26-28. [Online]
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Thomann, Björn, Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/christian-gottfried-daniel-nees-von-esenbeck/DE-2086/lido/57c952f1ae2f71.69612310 (abgerufen am 06.12.2024)