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Mitte des 19. Jahrhunderts war Neuseeland eine kaum bekannte Doppelinsel am Ende der Welt. In dieser Pionierzeit nahmen einige Männer das Wagnis auf sich, diese zu erschließen. Einer von ihnen war Julius von Haast. Der naturwissenschaftlich und musisch hoch begabte Bonner betrat sein Forschungsfeld eher zufällig. Als Repräsentant einer britischen Firma sollte er die Lebensbedingungen deutscher Siedler in Neuseeland prüfen. Von da an wurde ihm die Erforschung des Landes eine Passion. Er leitete die erste geologische Untersuchung der Provinz Canterbury im Osten der Südinsel und gründete das Canterbury Museum in Christchurch. Bis heute halten die dankbaren Neuseeländer ihren Staatsgeologen Julius von Haast, der trotz seiner langen Abwesenheit die Bindungen zu seiner rheinischen Heimat nie abreißen ließ, in Erinnerung.
Johann Franz Julius Haast wurde am 1.5.1822 in Bonn geboren. Sein Geburtshaus in der Bonngasse lag schräg gegenüber der Namen-Jesu-Kirche. Seine Eltern, der Schneider und Lotterieeinnehmer Matthias Haast (1784-1852) und seine Frau Anna Eva Theodora, geborene Rüth (1788-1853), stammten ebenfalls aus der Beethovenstadt. Von den neun Kindern der Familie starben fast alle früh. Den ursprünglichen Rufnamen Johann änderte Haast später in Julius.
Bis Herbst 1835 besuchte er das heutige Beethoven-Gymnasium in Bonn, das er nach der Quinta verließ, um an die Höhere Bürgerschule in Köln (heute Gymnasium Kreuzgasse), zu wechseln, die er nach der Secunda verließ. Ein Abschluss an dieser Schule nach der Prima hätte damals nicht zu einem Universitätsstudium berechtigt. In seinem Lebenslauf, den Haast seinem Promotionsantrag 1862 an der Universität Tübingen beilegte, gab er nicht nur sein Geburtsjahr mit 1824 an, sondern schönte auch seine Schullaufbahn. Danach besuchte er das Bonner Gymnasium bis zur Secunda und die Höhere Bürgerschule bis zur Prima, um dann in Bonn zwei Jahre lang Nationalökonomie, Chemie, Mineralogie und Geologie zu studieren. Er war jedoch nie in Bonn immatrikuliert, die zwei „Studienjahre“ waren der Versuch, eine zweijährige Lehre bei einer unbekannten Firma zu kaschieren, die möglicherweise mit Chemikalien handelte. In dieser Zeit sammelte Haast wahrscheinlich Mineralien und hörte öffentliche Vorlesungen über Mineralogie und Geologie. Womöglich waren es allgemeinbildende Vorträge des Bonner Oberberghauptmanns Heinrich von Dechen, denn Haast benannte später einen Berggipfel nach ihm. Bekannt miteinander waren die beiden Männer nicht. Vielleicht versuchte Haast, sich in dieser Zeit Kenntnisse der Bergbautechnik anzueignen.
Nach der Lehre ging er auf Reisen. 1842 wurde er in der wallonischen Stadt Verviers Mitglied der Freimaurerloge Philadelphia des Grand Orient de Belgique, wo er 1843 zum Meister ernannt wurde. Diese Loge verließ er, als er in Frankfurt a. M. am 23.9.1844 der Loge Zur Einigkeit beitrat. In der Mainmetropole suchte er wohl um eine Arbeitserlaubnis nach. Hier tauchte der musische Bonner in die intellektuelle Szene der Soirées und Salons ein. Bei einer solchen Gelegenheit lernte er vermutlich seine Frau kennen: Am 26.10.1846 ehelichte er in Frankfurt Antonie Auguste Caroline Schmitt (1825-1859), Tochter des Pianisten und Komponisten Aloys Schmitt (1788-1866) aus Erlenbach am Main. Am 18.11.1846 erhielt Haast das Frankfurter Bürgerrecht und schied aus dem preußischen Untertanenverband aus.
Die nächsten Jahre waren für das Paar eine unstete Zeit. Zunächst betrieb Haast mit einem Compagnon einen Seidenhandel. Nachdem die Firma 1850 aufgelöst wurde, führte er ein Handelsgeschäft auf der Mainzer Landstraße 45. Am 10.1.1848 war bereits der Sohn Matthias Robert zur Welt gekommen. Es ist unbekannt, womit Haast seinen Lebensunterhalt bis 1857 bestritt, einiges spricht für eine Anstellung bei der Jügel´schen Buchhandlung, die hauptsächlich Reiseliteratur verlegte.
Es war wohl auch die Jügel´sche Buchhandlung, die 1857 den Auftrag erhielt, das zweibändige Werk von Charles Flinders Hursthouse (1817-1876) „New Zealand, or Zealandia, The Britain of the South“ in deutscher Übersetzung zu verlegen. Der Übersetzungsauftrag ging an Julius Haast, der das Werk auch fertigstellte, eine gedruckte deutsche Version nachweisbar ist jedoch nicht nachweisbar. Möglicherweise war es diese Übersetzungsleistung, welche die britische Reederei Willis, Gann & Co., die Auswanderer nach Neuseeland brachte, auf Haast aufmerksam machte. 1858 erteilte sie ihm einen Rechercheauftrag. Haast sollte Auswanderungswilligen aus Deutschland die Bedingungen in Neuseeland verdeutlichen. Um sich ein Bild von den örtlichen Zuständen zu machen, musste Haast nach Neuseeland reisen. In einer Art Nacht- und Nebelaktion verließ er Deutschland und erreichte am 21.12.1858 an Bord des Seglers „Evening Star“ Auckland auf der Nordinsel Neuseelands. Zurück in der Heimat ließ er seine Frau, die ein Jahr später starb, sowie seinen Sohn, der dann bei den Großeltern Schmitt aufwuchs. Erst 1886 sollte er ihn wiedersehen.
Mit der Ankunft in Neuseeland begann für Julius Haast ein neuer Lebensabschnitt. Einen Tag nach seiner Ankunft erreichte die österreichische Fregatte „Novara“ aus Sidney kommend Auckland. Im Auftrag Erzherzog Maximilians (1832-1867) führten die Wissenschaftler eine erdumspannende Expedition durch. Die Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse, welche die Kenntnisse auf den Gebieten des Erdmagnetismus, der Botanik, der Zoologie und der Völkerkunde vermehrten, wurde zu einem Bestseller. Außerdem bereicherte das Material die österreichischen Museen, besonders das Naturhistorische Hofmuseum in Wien. An Bord war auch der Esslinger Geologe Ferdinand von Hochstetter (1829-1884). Der britische Gouverneur von New South Wales in Australien, Sir William Denison (1804-1871), suchte im Auftrag der Regierung Neuseelands einen Geologen, der ein Kohlevorkommen bei Auckland begutachten sollte und fragte bei dem Kommandanten der „Novara“, Bernhard Freiherr von Wüllerstorf-Urbair (1816-1883) nach, ob er einen Wissenschaftler dafür abstellen könne. Die Aufgabe fiel an Hochstetter.
Am Abend der Ankunft des Schiffes wurden die Offiziere und Wissenschaftler in das Haus des bekannten Berliner Homöopathen Dr. Karl Fischer (gestorben 1893) eingeladen, der kurz zuvor in Auckland ein Hospital und Dispensatorium eröffnet hatte. Bei diesem gesellschaftlichen Ereignis war auch Haast anwesend, für den der Berliner Arzt die erste Anlaufstation in Neuseeland war. Hochstetter und Haast lernten sich hier kennen. Daraus erwuchs eine lebenslange Freundschaft, die nach dem Tod der Männer von ihren Witwen fortgeführt wurde. Obschon beide Männer von höchst unterschiedlichem Charakter waren, fanden sie über die gemeinsame Muttersprache schnell Draht zueinander. Hochstetter war ein akribischer Analytiker von akademischer Würde, Haast hingegen bewahrte sich Zeit seines Lebens ein jungenhaftes, enthusiastisches Gemüt und war eher ein draufgängerischer Entdecker, ein Mann der Tat.
Als Hochstetter Haast fragte, ob er ihn auf seiner Expedition begleiten wolle, zögerte dieser keine Sekunde. Auf diese Weise konnte er die nötigen Informationen für seine Arbeitgeber sammeln. Besonders aber reizte ihn das Abenteuer einer Entdeckungsreise. Gemeinsam mit seinen Brüdern im Geiste, die seinen Geschmack und seine Sprache teilten, wollte er die Natur Neuseelands erkunden und die Kultur der Maori erforschen.
In dieser Zeit war es durchaus üblich, dass die Regierung Neuseelands deutschen und österreichischen Forschungsexpeditionen besondere Privilegien einräumte. Die Gelehrten vor Ort waren begierig auf die Ergebnisse, denn es lagen keine Informationen in der Sprache der Wissenschaft, die damals Deutsch war, vor. Englische Übersetzungen deutschsprachiger Forschungsergebnisse wurden oftmals im Sinne britischer Interessen verfärbt. Atmosphärisch hatten die Deutschen den Vorteil, dass sie kein Interesse an Neuseeland als Kolonie hatten. Ihr ausschließlich wissenschaftliches Interesse bedingte auch, dass sie die Erlaubnis erhielten, die Tapu, die heiligen Orte der Maoris, aufzusuchen. Dadurch wurde die Kultur der Ureinwohner aus einer eigenständigen und vergleichsweise erfrischenden Perspektive dokumentiert.
Am 28.12.1858 setzte sich die Expedition Richtung Süden in Marsch. Der Weg führte über die Ortschaft Drury zum Tauposee, dann wieder nördlich zu der grandiosen Vulkanlandschaft um den Rotoruasee, um entlang der Bay of Plenty über die Halbinsel Coromandel wieder Auckland zu erreichen. Bereits zu Beginn der Fahrt lernte Haast den Urwald Neuseelands kennen. Die ihm fast urzeitlich erscheinende Vegetation faszinierte ihn sofort. Er erkannte während dieser ersten Erfahrungen mit der Wildnis, dass er aufgrund seiner robusten Konstitution sowie seiner Neigung zum Abenteurer gut mit den Umständen zurechtkam.
Nachdem die Expedition Auckland wieder erreicht hatte, setzte sie am 3.8.1859 auf dem Dampfer „Lord Ashley“ auf die Südinsel über, wo Hochstetter im Auftrag der Handelskammer der Provinz Nelson Gold- und Kupfervorkommen begutachten sollte. Während dieser seiner Mission nachging, unternahm Haast mit einigen Gefährten Exkursionen zum Queen Charlotte Sound und zum Wairaufluss. Gemeinsam mit Hochstetter besuchten sie den Aorerefluss in der Nähe von Collingwood auf der nordwestlichen Spitze der Südinsel. Dabei besichtigten sie eine Höhle, die in großer Zahl Moaknochen enthielt. Die Moas (Maori: Gans) waren Laufvögel (Dinornithiformes), welche bereits vor der Ankunft von James Cook (1728-1779) 1769 ausgestorben waren. Die größten Arten waren über zwei Meter groß. Haast sollte für die Erforschung dieser Riesenvögel in die Annalen eingehen. Da Hochstetter eingespannt war, barg Haast mit einigen anderen in drei Tagen und Nächten Moaknochen dreier verschiedener Arten aus der Höhle. Aufgrund seiner geologischen Erfahrung schloss Haast, dass die Vögel unfreiwillig in die Spalten im Glimmerschiefer geraten waren und sich nicht mehr hatten befreien können. Später wurde die große Schieferschicht der Südinsel nach Haast benannt. Die Knochen wurden im Triumphzug nach Collingwood gebracht. Zwei bekränzte Ochsen trugen die Beute in die Stadt, deren Einwohner zusammenliefen, um die „Moa-Diggers“ zu feiern.
Im Oktober 1859 brach Hochstetter auf nach Europa. Haast führte nunmehr selbständige geologische und geographische Expeditionen im Auftrag der Handelskammer von Nelson durch. Er bereiste die Südalpen und entdeckte am Bullerfluss brauchbare, kreidezeitliche Kohle. 1860 eröffnete sich dem umtriebigen Forscher, der in der örtlichen Presse nicht nur mit Wohlwollen beschrieben wurde, eine neue Möglichkeit. Die 1850 gegründete Stadt Christchurch wollte zur Erleichterung des Güterverkehrs mit dem Hafen Lyttleton auf der Bankshalbinsel einen Eisenbahntunnel bauen. Zunächst schreckte man angesichts des harten Basaltgesteins davor zurück. Haast wurde beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Dabei stellte er zur großen Freude der Planer fest, dass weite Strecken des Tunnels durch weichere Asche- und Schlackenschichten führten. Haast hatte gelernt, die Geologie nicht nur wissenschaftlich, sondern auch als praktisches Handwerk aufzufassen. 1861 wurde er als amtlicher Geologe der Provinz Canterbury eingestellt und nahm im gleichen Jahr die britische Staatsangehörigkeit an. Durch Protektion Hochstetters wurde Haast, der die formalen Voraussetzungen nicht erfüllte, am 11.10.1862 als „Julius Haast Bonnensis Geologicus publicus in Nova Seelanda insula“ in Tübingen promoviert.
Auch in Christchurch traf Haast einen Bruder im Geiste. Zusammen mit dem rührigen Bischof der Stadt, Henry John Chitty Harper (1804-1893), einem Oxfordabsolventen, gründete er das Philosophical Institute of Canterbury. Diese Institution ging der späteren Universität, dem Canterbury College voran, an dem Haast 1876 Professor für Geologie wurde.
Mit akademischen Ehren ausgestattet, unternahm Haast in den folgenden Jahren zahlreiche Expeditionen. Dabei kämpfte er gegen den unbarmherzigen Busch und große Gefahren an. Trotz seiner robusten Natur stellten sich zehn Jahre später Rheumaanfälle ein, die ihm weitere Forschungsreisen unmöglich machten. Aber zunächst kannte Haast keine Barrieren. Er erforschte vor allem die Flüsse, die von den 3.267 Meter hohen Südalpen zur Ostküste fließen. Als erster beschrieb er echte Gletscher auf Neuseeland. 1863 überschritt er auf einem Pass die Alpen, der nach ihm benannt wurde. Ein Jahr später entdeckte er einen Gletscher, den er nach dem österreichischen Kaiser Franz-Joseph taufte.
Am 25.6.1863 fand er ein neues Eheglück, als er in Christchurch Mary Ann Dobson (1844-1913) heiratete, Tochter des Ingenieurs und Architekten Edward Dobson (1816-1908), der seit 1850 in Neuseeland lebte. Dobson plante und errichtete Neuseelands erste Telegraphenverbindung zwischen Christchurch und Lyttleton. Ebenso kanalisierte er den wilden Waimakariri River, der nach Dobsons Sohn und nunmehr Haasts Schwager Sir Arthur Dudley (1841-1934) benannt ist. Ebenso installierte er den großen Wellenbrecher vor Lyttleton, der dessen Hafen schützte. Die Familie wohnte in einem für sie gebauten Haus im Stadtteil Avonside.
Das Glück der Familie währte nur kurz. 1868 wurde der Geologische Dienst von Canterbury aufgelöst und Haast zunächst arbeitslos. James Hector (1834-1907), schottischer Mediziner und Geologe, der den 1865 gegründeten Colonial Geological Survey in Wellington leitete, stellte Haast ein und übertrug ihm Forschungsaufträge. So konnte Haast bei der Trockenlegung eines Sumpfgebietes nördlich von Christchurch Knochen von sechs Moa-Arten freilegen. Die Tatsache, dass die meisten Knochen abgeschliffen waren, erklärte Haast mit der Lage der Fundstätte in einer vorzeitlichen Flussbettlagerung. Ebenfalls stellte Haast 1869 anhand von Fundstücken am Rakaiafluss östlich von Christchurch die bis heute umstrittene These auf, dass vor der Besiedelung Neuseelands durch die Maori eine unbekannte Kultur hier ansässig gewesen sei, die er als Moa-Jäger bezeichnete. Auf einem 8 Hektar großen Gebiet fand Haast Kochgruben, Abfallhaufen mit Moa- und anderen Knochen sowie eine große Zahl von Klingenabschlägen aus Feuerstein. Angesichts der primitiven Werkzeuge datierte Haast die Siedlung in eine altsteinzeitliche Kulturstufe. Diese Jäger seien die seit Jahrtausenden bestehende Urbevölkerung Neuseelands. Unweit gefundene, sorgfältig gearbeitete Steinbeile hingegen wies er der Maori-Kultur zu. Im März 1869 erkundete er den Mount Cook, aber seine Gesundheit war inzwischen zu stark angeschlagen, was das Ende seiner Forschungsreisen bedeutete. Während dieser Zeit verfolgte Haast neben seinen Expeditionen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen aber auch das große Ziel seines Lebens.
Bereits 1864 hatte Haast darauf hingewiesen, dass seine immense Sammlung geologischer und archäologischer Exponate mit der Zeit verloren gehen werde, wenn sie nicht in einer Dauerausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würde. Seit 1867 waren Teile der Sammlung im Provincial Council Building von Christchurch untergebracht. Ende Februar 1869 legte Haast, der voraussah, dass womöglich schon bald das Provinzsystem der Zentralisierung weichen würde – was auch 1876 geschah -, dem Provinzsekretär ein Memorandum vor. Darin beschrieb er die Funktion eines Museums, das sowohl als Bildungsstätte dienen als auch in Verbindung mit den technischen Wissenschaften stehen sollte.
Im Grunde hatte er die Idee eines Museums bereits 1862, und so kann dieses Jahr als inoffizielles Gründungsdatum des Canterbury Museums gelten. Auf der ersten regulären Versammlung des Philosophical Institute of Canterbury am 1.9.1862 wurde Haast zum Präsidenten gewählt. Das Museum war ihm eine Herzensangelegenheit. Seine Anfänge in Bonn, die Abenteuer und Expeditionen, das Sammeln, Schreiben, Forschen sowie sein Engagement in der Gesellschaft Canterburys sollten in einem Museum kulminieren, dem Monument seines Lebens.
Schon vor Haast gab es in Christchurch Überlegungen für einen Museumsbau. 1850 wurde bereits auf dem Stadtplan für das wachsende Christchurch ein Grundstück reserviert, auf dem an der Kreuzung Worcester Street und Antigua Street tatsächlich der spätere Neubau entstand. 1859 kursierte in der Colonial Society die Idee eines Naturhistorischen Museums. Zur gleichen Zeit sinnierte auch Haast über die Präsentation seiner Funde in einem Geologischen Museum. Obwohl also Haast nicht der Urheber der Idee war, so war er es doch, der das Vorhaben in das Zentrum seiner Arbeit rückte. Dabei setzte er sich an die Spitze einer bereits bestehenden Bewegung. Intuitiv verstand er es, die öffentliche Begeisterung dadurch zu steigern, dass er ankündigte, seine gesamte Sammlung der Provinz Canterbury zu schenken. Das verfing, denn das Interesse war groß. Bereits 1862 kaufte die Provinzialregierung für 100 Pfund eine geologische Sammlung aus Heidelberg und tauschte neuseeländische Flora gegen ein Herbarium aus England. Ebenso wusste Haast die ihm nun wohlgesonnene Presse einzuspannen, indem er über die Lyttleton Times verbreiten ließ, er würde im Tausch eine große Sammlung aus Australien erwerben. Ende Dezember 1868 war es soweit: Der Provinzrat genehmigte nicht nur Mittel für einen Museumsbau, sondern auch ein Gehalt für dessen Direktor. Das konnte natürlich nur einer sein: Julius Haast.
Der Museumsbau sollte wie geplant an einem Ende der Worcester Street erstehen, an deren anderem Ende der Botanische Garten lag. Formell am 30. September eröffnet, wurde das Museum der Öffentlichkeit am 1.10.1870 übergeben. Dieser ursprüngliche Bau ist nunmehr jener Teil des aktuellen Canterbury Museums, der als „Moa-Raum“ bekannt ist. Dort wurden zehn Moa-Skelette ausgestellt. Das größte der Art Dinornis maximus war in aufgerichteter Pose 3,35 Meter hoch, das kleinste der Art Dinornis didiformis wies 1,21 Meter auf. Zum Größenvergleich standen daneben ein menschliches Skelett sowie Jack, ein ausgestopftes Känguru. Insgesamt umfasste das Museum eine Sammlung von 62.000 Fundstücken und jährlich besuchten es 75.000 Menschen. Damit war das Museum auch ein starker Standortvorteil, der neue Siedler in die Provinz Canterbury brachte.
Haast war am Ziel, aber sein Eifer ließ nicht nach. Er formte durch seine exzellenten internationalen Tauschverbindungen ein Museum von Weltrang in der südlichen Hemisphäre. Daneben engagierte er sich für die Stadt Christchurch. 1874 brauchte die Stadt ein neues Drainagesystem. Der Chemiker Professor Alexander William Bickerton (1842-1929) schätzte als Gutachter die Lage so dramatisch ein, dass selbst das weltbekannte Brunnensystem von Köln nichts im Vergleich dazu wäre, was Christchurch nun bräuchte. Haast setzte sich bei der Provinzregierung dafür ein und es wurden erhebliche Mittel bewilligt, um das Problem zu lösen.
Am 15.6.1875 unterzeichnete Kaiser Franz Joseph I. (Regentschaft 1848-1916) ein Diplom, in dem er Haast den Orden „Kaiserlicher Orden der Eisernen Krone“ verlieh. Damit einher ging die Erhebung in den erblichen Ritterstand und der Namenszusatz „von“.
Haast hatte sich in Österreich große wissenschaftliche Verdienste erworben. Er publizierte viel in österreichischen wissenschaftlichen Zeitschriften und schenkte dem Naturhistorischen Hofmuseum mehrere Moa-Skelette. Durch seine Forschungen auf dem Gebiet der Moas kommunizierte er oft mit dem Ornithologischen Verein in Wien. Haasts alter Freund Hochstetter wurde nicht müde, diese Verdienste bei Hofe zu würdigen, wobei er in einer besonders günstigen Position war. Er unterrichtete zu dieser Zeit den 15-jährigen Kronprinzen Rudolf (1858-1889) in Zoologie und Naturwissenschaften. Dabei dienten Hochstetter die Schädel der Moas als besonders anschauliche Studienobjekte, und Rudolf erhielt so manche spezielle Lektion in Paläontologie und bestand sein Examen mit Bravour. Das lag dem Kaiser dann doch mehr am Herzen als Namensgeber zu sein für einen Gletscher in der Wildnis.
Haast führte den Titel „Ritter“ nie im Namen, wohl aber, der angelsächsischen Tradition entsprechend, den Namenszusatz KCMG (Knight Commander of the Order of St. Michael and St. George), der sechsthöchsten Auszeichnung der britischen Krone, die er 1885 verliehen bekam. Damit wurde er formell zum zweiten Mal geadelt.
Während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Direktor des Museums entdeckte er 1885 drei weitere Moa-Arten, den Anomalopteryx oweni – benannt nach dem ersten wissenschaftlichen Bearbeiter der Moa-Überreste, Richard Owen (1804-1892) -, den Megalapteryx sowie den Euryapteryx, deren Klassifizierung bis heute gültig ist. Überdies fand er Überreste eines bis dahin unbekannten Riesenadlers, der seinen Namen trägt und dessen Beute die Moas waren.
Haast war mittlerweile so berühmt, dass er anlässlich der großen Kolonialausstellung 1886 in England Neuseelands Kultur und Industrie zeigen sollte. Der „weiße Steinmann“, wie ihn die Maoris nannten, war dabei so erfolgreich, dass ihn die Universität Cambridge mit der Ehrendoktorwürde bedachte. Auch in England setzte sich Haast für die Gründung eines Museums ein, das als Commonwealth Museum bis heute besteht.
Im Dezember 1886 fand Haast endlich Zeit, um mit seiner Frau nach Deutschland zu reisen. Er besuchte seine Vaterstadt Bonn, wo er aber wegen eines schweren Rheumaanfalles wochenlang ans Bett gefesselt war. Im März 1887 reiste er nach Italien, um dann am 1.5.1887 in Bonn seinen 65. Geburtstag zu feiern. Eine weitere Reise nach Venedig, Wien, Berlin und Dresden schloss sich an, während der er Kontakte knüpfte, die für die Erweiterung der Sammlung in Christchurch nützlich sein konnten. Erst im Juli 1887 kehrte er mit seiner Frau nach Neuseeland zurück. Doch die Reisestrapazen waren am Ende zu groß gewesen. In der Nacht zum 16.8.1887 starb Julius von Haast KCMG in Christchurch an Herzversagen.
Julius von Haasts Ruhm fand vor allem in der angelsächsischen Welt Nachhall. Angesichts der immensen Vielfalt seiner Aktivitäten und wissenschaftlicher Erfolge stand er aber für das gelehrte Deutschland des 19. Jahrhunderts. Das Canterbury Museum überstand das starke Erdbeben in Christchurch vom 22.2.2011 mit nur geringen Schäden an der Fassade, die Sammlung blieb zu 95 Prozent unbeschädigt.
Werke
Das Schriftenverzeichnis bei Ferdinand von Haast in: The Life and Times of Sir Julius von Haast, K.C.M.G., Ph.D., D. Sc., F.R.S., Explorer, Geologist, Museum Builder, Wellington 1948, S. 1088-1100, umfasst 172 Monographien, Aufsätze, Notizen, Karten und Pläne.
Literatur
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Fischer, Rodney, Sir Julius von Haast, in: Bade, James N. (Hg.), Eine Welt für sich. Deutschsprachige Siedler und Reisende in Neuseeland im neunzehnten Jahrhundert, Bremen 1998, S. 195-202.
Gebhardt, Ludwig, Zur Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkundung Neuseelands (Der Anteil mitteleuropäischer Forscher im 19. Jahrhundert), in: Bonner Zoologische Beiträge 20 (1969), S. 219-227.
Greschat, Hans-Jürgen, Mana und Tapu. Die Religion der Maori auf Neuseeland, Berlin 1980.
Haast, Ferdinand von, The Life and Times of Sir Julius von Haast, K.C.M.G., Ph.D., D. Sc., F.R.S., Explorer, Geologist, Museum Builder, Wellington 1948.
Harrison, Oliver J., “The Paradise of the Southern Hemisphere”. German and Austrian Visitors to New Zealand 1876-1889, Auckland 2008.
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Jenkinson, S. H., New Zealanders and Science, Wellington 1940.
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Krösche, Otto, Die Moa-Strauße. Neuseelands ausgestorbene Riesenvögel, 2. unveränderte Auflage Wittenberg Lutherstadt 2006.
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Nolden, Sascha, German and Austrian Naturalists and the Avifauna of New Zealand: The Lives and Ornithological Work of Johann Reinhold Forster, Georg Forster, Ernst Dieffenbach, Julius von Haast, Ferdinand von Hochstetter, Andreas Reischek and Otto Finsch, Auckland 2002.
Nolden, Sascha, The Letters of Ferdinand von Hochstetter to Julius von Haast. An Annotated Scholarly Edition, Diss. Phil. Auckland 2007.
Rath, Gerhard vom, Denkrede auf Sir Julius von Haast, in: Sitzungsberichte der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde 1887, S. 217-233.
Online
Eine lesenswerte Kurzbiographie findet sich auf der Seite der Christchurch City Libraries. [Online]
Einen Nachruf verfasste unter anderem die Cambridge University Press. [Online]
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Kirschbaum, Markus, Julius von Haast, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/julius-von-haast/DE-2086/lido/5f9173919708a1.44704320 (abgerufen am 07.10.2024)