Eduard Hartstein

Direktor der Landwirtschaftlichen Akademie Poppelsdorf (1823-1869)

Björn Thomann (Suderburg)

Eduard Hartstein, Porträtfoto. (Universitätsarchiv Bonn)

Edu­ard Hart­stein war ein aus Sach­sen stam­men­der Agro­nom, Guts­ver­wal­ter und Päd­ago­ge, der ma­ß­geb­lich am Auf­stieg der Landwirt­schaft­li­chen Aka­de­mie in Pop­pels­dorf (heu­te Land­wirt­schaft­li­che Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bonn) zu ei­nem Zen­trum agrar­wis­sen­schaft­li­cher For­schung und Leh­re be­tei­ligt war.

Edu­ard Hart­stein wur­de am 29.7.1823 als Sohn des Ge­richts­rats Jo­hann Au­gust Hart­stein und des­sen Ehe­frau Au­gus­te Wil­hel­mi­ne Kö­nig im säch­si­schen Pretzsch (heu­te Stadt Bad Schmie­de­berg) ge­bo­ren. Er war evan­ge­li­scher Kon­fes­si­on. Sei­ne schu­li­sche Aus­bil­dung lag zu­nächst in den Hän­den ei­nes Pri­vat­leh­rers. Ab 1836 be­such­te Hart­stein das Gym­na­si­um in Wit­ten­berg und wech­sel­te im Herbst 1837 auf die re­nom­mier­te Kö­nig­li­che Lan­des­schu­le in Schul­pfor­ta. Ei­ne schwe­re Au­gen­krank­heit zwang ihn im Jahr 1840 je­doch zum vor­zei­ti­gen Ver­las­sen der An­stalt. Sein Wunsch, Phi­lo­so­phie zu stu­die­ren blieb so­mit un­er­füllt. Dies galt auch für das Ziel des Va­ters, ihn zum Ju­ris­ten aus­bil­den zu las­sen. Statt­des­sen durch­lief er auf An­ra­ten sei­nes Arz­tes ei­ne mehr­jäh­ri­ge land­wirt­schaft­li­che Lehr­zeit.

Nach­dem sich ei­ne Bes­se­rung sei­nes Ge­sund­heits­zu­stan­des ein­ge­stellt hat­te, wid­me­te sich Hart­stein ab dem Win­ter­se­mes­ter 1843/1844 dem Stu­di­um der Agrar­wis­sen­schaf­ten an der Aka­de­mie in El­de­na bei Greifs­wald. Sei­ne Ab­schluss­prü­fung leg­te er im Som­mer­se­mes­ter 1845 mit der No­te „Vor­züg­li­ch“ ab. Im An­schluss trat er als Ver­wal­ter der pom­mer­schen Do­mä­nen Pu­low und War­ne­kow in den Dienst des Rit­ter­guts­be­sit­zers Lud­wig Mey­en (1795-1856). Am 19.4.1850 hei­ra­te­te er des­sen Toch­ter Er­nes­ti­ne Frie­de­ri­ke Au­gus­te Mey­en (ge­bo­ren 1826). Un­ter den ge­mein­sa­men Kin­dern er­lang­te vor al­lem die spä­ter in Düs­sel­dorf le­ben­de Schrift­stel­le­rin Ma­rie Mors­bach-Hart­stein (ge­bo­ren 1861) über­re­gio­na­le Be­kannt­heit.

Im Herbst 1846 er­hielt Hart­stein ei­ne An­stel­lung als Gut­sad­mi­nis­tra­tor an der im Auf­bau be­find­li­chen Land­wirt­schaft­li­chen Lehr­an­stalt in Pop­pels­dorf bei Bonn. Mit Be­ginn des Lehr­be­trie­bes am 17.5.1847 fun­gier­te er an der Sei­te des Di­rek­tors Au­gust Gott­fried Schweit­zer (1788-1854) auch als zwei­ter Fach­leh­rer. Trotz um­fang­rei­cher amt­li­cher Ver­pflich­tun­gen nutz­te Hart­stein die Nach­bar­schaft zur Bon­ner Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät auch zur Er­wei­te­rung und Ver­tie­fung sei­ner ei­ge­nen na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Kennt­nis­se. Im März 1850 er­lang­te er in Je­na mit sei­ner viel­be­ach­te­ten Schrift „An­lei­tung zur land­wirth­schaft­li­chen Rech­nungs­füh­run­g“ den phi­lo­so­phi­schen Dok­tor­grad. Die Be­gut­ach­tung ob­lag dem Re­for­mer des agrar­wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­richts­we­sens Fried­rich Gott­lob Schul­ze (1795-1860).

In den Jah­ren 1851 und 1852 un­ter­nahm Hart­stein im Auf­trag des preu­ßi­schen Mi­nis­te­ri­ums für Land­wirt­schaft, Do­mä­nen und Fors­ten zwei Rei­sen nach Eng­land, um die dor­ti­gen agra­ri­schen Struk­tu­ren und Me­tho­den zu stu­die­ren. Die hier ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se bil­de­ten die Grund­la­ge sei­nes drei­bän­di­gen Haupt­wer­kes „Die Fort­schrit­te in der eng­li­schen und schot­ti­schen Land­wirt­schaf­t“, das über den deut­schen Sprach­raum hin­aus gro­ße Be­ach­tung er­lang­te. Im Jahr 1855 wur­de er in die re­nom­mier­te Roy­al Agri­cul­tu­ral So­cie­ty auf­ge­nom­men, ei­ne Eh­re, die zu­vor nur we­ni­gen deutsch­spra­chi­gen Agro­no­men zu­teil ge­wor­den war. Un­ter Hart­steins wis­sen­schaft­li­chen Wer­ken ist dar­über hin­aus die 1850 pu­bli­zier­te „Sta­tis­tisch-land­wirth­schaft­li­che To­po­gra­phie des Krei­ses Bon­n“ her­vor­zu­he­ben. Auf­grund ih­rer neue Maß­stä­be set­zen­den Prä­zi­si­on wur­de sie vom „Land­wirth­schaft­li­chen Cen­tral­ver­ein für Rhein­preu­ßen„ als bes­te To­po­gra­phie der Rhein­pro­vinz aus­ge­zeich­net.

Bin­nen we­ni­ger Jah­re hat­te sich Hart­stein über den deutsch­spra­chi­gen Raum hin­aus den Ruf ei­nes füh­ren­den agrar­wis­sen­schaft­li­chen Uni­ver­sal­ge­lehr­ten er­wor­ben. Das preu­ßi­sche Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um trug die­ser Ent­wick­lung mit der Er­nen­nung zum Pro­fes­sor am 20.4.1854 Rech­nung. Im Spät­som­mer des Jah­res 1855 folg­te er ei­ner Ein­la­dung des rus­si­schen Gro­ßgrund­be­sit­zers Graf Ale­xei Ale­xe­je­witsch Bo­b­rins­ky (1800-1868), um die­sen in der An­wen­dung mo­der­ner Be­wirt­schaf­tungs­me­tho­den zu be­ra­ten. Nach Be­en­di­gung die­ser Tä­tig­keit wur­de er am 1.4.1856 als Nach­fol­ger des aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den zu­rück­ge­tre­te­nen Fer­di­nand Wey­he (1795-1878) zum Di­rek­tor der Pop­pels­dor­fer Lehr­an­stalt er­nannt.

Hart­stein stand am Be­ginn sei­nes Di­rek­to­rats vor der Her­aus­for­de­rung, die in der Kri­tik ste­hen­de Lehr­an­stalt grund­le­gend neu zu or­ga­ni­sie­ren. Es er­wies sich als vor­teil­haft, dass er im Ge­gen­satz zu sei­nen Vor­gän­gern ein aus­ge­wie­se­ner Ver­wal­tungs­fach­mann war und sich in den Ver­hand­lun­gen mit den zu­stän­di­gen Be­hör­den als äu­ßerst durch­set­zungs­fä­hig er­wies.

So ge­lang es ihm, die in­sti­tu­tio­nel­le Ei­gen­stän­dig­keit der Lehr­an­stalt ge­gen­über der Bon­ner Uni­ver­si­tät zu stär­ken und zu­gleich die in­ter­dis­zi­pli­nä­re Zu­sam­men­ar­beit zu in­ten­si­vie­ren. Mit der Er­nen­nung zur Land­wirt­schaft­li­chen Aka­de­mie im Jahr 1861 wur­de die Lehr­an­stalt un­mit­tel­bar dem Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um un­ter­stellt und er­lang­te da­mit ih­re for­mel­le Un­ab­hän­gig­keit von der Uni­ver­si­tät. Um die­ser je­doch auch auf aka­de­mi­schem Ge­biet auf Au­gen­hö­he ge­gen­über­tre­ten zu kön­nen, lei­te­te Hart­stein ei­ne um­fas­sen­de Re­form der Lehr­plä­ne in die We­ge und setz­te beim Mi­nis­te­ri­um die Ge­neh­mi­gung drei­er etat­mä­ßi­ger Leh­rer­stel­len für die na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Fä­cher durch. Durch die­se struk­tu­rel­len Re­for­men konn­te das si­gni­fi­kan­te Leis­tungs­ge­fäl­le zwi­schen Aka­de­mie und Uni­ver­si­tät schritt­wei­se aus­ge­gli­chen wer­den.

Hart­steins Au­gen­merk rich­te­te sich auch auf ei­ne Ver­bes­se­rung der in­fra­struk­tu­rel­len Rah­men­be­din­gun­gen. Be­reits 1856 wur­de un­ter sei­ner Lei­tung ei­ne Land­wirt­schaft­li­che Ver­suchs­sta­ti­on ein­ge­rich­tet. Der stei­gen­den Be­deu­tung der Na­tur­wis­sen­schaf­ten und ih­rer Nutz­bar­ma­chung für die Land­wirt­schaft konn­te durch den Bau ei­nes zwei­ten In­sti­tuts­ge­bäu­des Ge­nü­ge ge­tan wer­den, das im Win­ter­se­mes­ter 1867/1868 ein­ge­weiht wur­de. Dar­über hin­aus wur­den die ka­ta­stro­pha­len hy­gie­ni­schen Ver­hält­nis­se durch die Er­rich­tung ei­ner Zis­ter­ne, ei­ner Was­ser­lei­tung so­wie ei­ner Be­dürf­nis­an­stalt zu­min­dest ab­ge­mil­dert.

Trotz der zahl­rei­chen Miss­stän­de nah­men die Stu­den­ten­zah­len in Pop­pels­dorf seit dem Amts­an­tritt Hart­steins kon­ti­nu­ier­lich zu. Die­se Ent­wick­lung war nicht zu­letzt sei­ner per­sön­li­chen Aus­strah­lung ge­schul­det, die ihn zum „Ma­gnet und Brenn­punk­t“ der Aka­de­mie wer­den ließ. Zu sei­nen Schü­lern zähl­ten mit Ju­li­us Kühn (1825-1910) und Theo­dor Frei­herr von der Goltz  zwei her­aus­ra­gen­de Prot­ago­nis­ten agrar­wis­sen­schaft­li­cher For­schung und Leh­re des 19. und be­gin­nen­den 20. Jahr­hun­derts. Auch der His­to­ri­ker Hein­rich von Treitsch­ke (1834-1896) wohn­te sei­nen Vor­le­sun­gen als Gast­hö­rer bei. Be­reits 1847 hat­te Hart­stein ei­nen aka­de­misch-land­wirt­schaft­li­chen Ver­ein ins Le­ben ge­ru­fen, auf des­sen wö­chent­li­chen Ver­samm­lun­gen der fach­li­che und per­sön­li­che Dia­log zwi­schen Stu­den­ten und Do­zen­ten ge­för­dert wer­den soll­te. Durch sei­ne Kon­tak­te zum preu­ßi­schen Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um ge­lang es Hart­stein, die Kar­rie­ren zahl­rei­cher Ab­sol­ven­ten auch über ih­re Stu­di­en­zeit hin­aus zu för­dern.

Als Miss­er­folg er­wies sich da­ge­gen der von ihm in­iti­ier­te Kauf des acht Ki­lo­me­ter von Pop­pels­dorf ent­fernt lie­gen­den Gu­tes An­na­berg im Jahr 1860. Auf dem 200 Hekt­ar Nutz­flä­che um­fas­sen­den Are­al woll­te er sei­ne Stu­den­ten in der Be­wirt­schaf­tung ei­nes agra­ri­schen Groß­be­trie­bes un­ter­wei­sen las­sen. Die ho­hen Un­ter­hal­tungs­kos­ten konn­ten den tat­säch­li­chen Nut­zen je­doch zu kei­nem Zeit­punkt auf­wie­gen. Hin­zu kam, dass die prak­ti­sche land­wirt­schaft­li­che Be­tä­ti­gung in­ner­halb des agrar­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­ums ste­tig an Be­deu­tung ge­gen­über der wis­sen­schaft­lich-theo­re­ti­schen Aus­bil­dung ver­lor. Im Jahr 1875 wur­de das Gut wie­der ver­äu­ßert.

Wäh­rend der 1860er Jah­re kon­zen­trier­te sich Hart­stein fast aus­schlie­ß­lich auf den Aus­bau und die Mo­der­ni­sie­rung der Aka­de­mie. In An­er­ken­nung sei­ner hier­bei er­wor­be­nen Ver­diens­te wur­de er 1863 in den Rang ei­nes Ge­hei­men Re­gie­rungs­rats er­ho­ben. In den fol­gen­den Jah­ren litt er je­doch zu­neh­mend un­ter star­ken ge­sund­heit­li­chen Be­schwer­den, die von sei­nen Zeit­ge­nos­sen als Fol­ge­er­schei­nun­gen des rast­lo­sen Wir­kens für die Aka­de­mie ge­wer­tet wur­den. Kör­per­lich be­reits stark ge­schwächt, er­krank­te Edu­ard Hart­stein im Herbst des Jah­res 1869 an Un­ter­leib­s­ty­phus. Er er­lag der Krank­heit am Abend des 14.12.1869 im Al­ter von nur 46 Jah­ren.

Werke (Auswahl)

Die Fort­schrit­te in der eng­li­schen und schot­ti­schen Land­wirth­schaft, 3 Bän­de, Bonn 1854-1860.
Die hö­he­re land­wirth­schaft­li­che Lehr­an­stalt zu Pop­pels­dorf bei Bonn, Bonn 1854.
Die land­wirth­schaft­li­che Aka­de­mie Pop­pels­dorf. Als Bei­trag zur Ge­schich­te und Be­urt­hei­lung der land­wirth­schaft­li­chen Aka­de­mi­en, Bonn 1864.
Sta­tis­tisch-land­wirth­schaft­li­che To­po­gra­phie des Krei­ses Bonn, Bonn 1850.
Ue­ber Zweck und Ein­rich­tung hö­he­rer land­wirt­schaft­li­cher Lehr­an­stal­ten, Bonn 1852.

Literatur

Ger­ber, Theo­phil, Per­sön­lich­kei­ten aus Land- und Forst­wirt­schaft, Gar­ten­bau und Ve­te­ri­när­me­di­zin. Bio­gra­phi­sches Le­xi­kon, Band 1, Ber­lin 2004, S. 269.
Kram­pitz, Gott­fried, 150 Jah­re Leh­re und For­schung in Pop­pels­dorf. Fest­schrift zum Ju­bi­lä­um am 20./21. Ju­ni 1997, Bonn 1997, S. 42-49.
150 Jah­re Rhei­ni­sche Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät zu Bonn 1818-1968. Bon­ner Ge­lehr­te. Bei­trä­ge zur Ge­schich­te der Wis­sen­schaf­ten in Bonn. Land­wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, Bonn 1971, S. 22-24.

Online

Lei­se­witz, Carl, Ar­ti­kel "Hart­stein, Edu­ard", in: All­ge­mei­ne Deut­sche Bio­gra­phie 10 (1879), S. 707-712.

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Eduard Hartstein, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/eduard-hartstein/DE-2086/lido/57c8276a367613.33097311 (abgerufen am 05.12.2024)