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Der Staatsrechtler und Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber stammte aus dem Rheinland, das lebenslang für ihn Heimat blieb. Als Schüler des Rechtsgelehrten Carl Schmitt stieg er ab 1933 zu einem der führenden Staatsrechtler im „Dritten Reich" auf. Nach 1945 als politisch belastet geltend, blieb er zunächst ohne Anstellung und konnte erst in den 1950er Jahren seine Lehrtätigkeit wiederaufnehmen. Mit der in den Jahren 1957 bis 1984 geschriebenen „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" hinterließ Huber ein bis heute unverzichtbares Standardwerk zur deutschen Rechtshistoriographie.
Geboren wurde Ernst Rudolf Huber am 8.6.1903 in Oberstein an der Nahe (heute Stadt Idar-Oberstein), das im Fürstentum Birkenfeld, einer Exklave des Großherzogtums Oldenburg, lag. Seine Eltern waren der mittelständische Kaufmann August Rudolf Huber und dessen Ehefrau Helene, geborene Wild. Huber war evangelischer Konfession.
Nach dem Besuch von Volksschule und Oberrealschule legte er 1921 sein Abitur ab. 1919 war er an der Gründung einer völkisch ausgerichteten Zweigorganisation der deutschen Jugendbewegung, dem Nerother Wandervogel, beteiligt. 1921 begann er ein Studium der Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft in Tübingen. Im Wintersemester 1922/ 1923 wechselte er nach München, wo er die Fächer Nationalökonomie und Rechtswissenschaft belegte. Das juristische Studium setzte er nach seinem Umzug an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 1924 fort. Hier traf er auf einige der einflussreichsten deutschen Staatsrechtler, unter anderem Rudolf Smend (1882-1975). Seine Mentoren wurden Erich Kaufmann (1880-1972) und Carl Schmitt. In Schmitts Umfeld bewegte sich ein Kreis jüngerer Doktoranden, zu denen auch Ernst Forsthoff (1902-1974), Ernst Friesenhahn und Werner Weber (1904-1976) zählten.
Nach der Referendarzeit am Oberlandesgericht Köln legte Huber sein Staatsexamen im Januar 1926 ab. Im gleichen Jahr reichte er seine von Carl Schmitt betreute Doktorarbeit ein, die 1927 unter dem Titel „Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung" als Buch erschien. Die Doktorprüfung schloss Huber im Mai 1927 mit dem Prädikat „sehr gut" ab. Er absolvierte zwischen 1926 und 1929 seinen juristischen Vorbereitungsdienst mit Stationen in Oberstein, Birkenfeld, Koblenz, Bonn und Köln. Im März 1929 bestand er das Assessorexamen in Oldenburg, wurde zum Beamten auf Widerruf ernannt und war vom März bis November 1930 im Oldenburger Innenministerium tätig.
Seit 1928 hatte Huber bereits als wissenschaftliche Hilfskraft am Industrierechtlichen Seminar der Universität Bonn unter Leitung von Heinrich Göppert (1867-1937) gearbeitet. Im Sommer 1931 habilitierte er sich mit einer Arbeit zum Wirtschaftsverwaltungsrecht, die erheblich erweitert 1932 als Monographie erschien. Mit einer Venia legendi für Staats- und Verwaltungsrecht, Staatskirchenrecht, Arbeits- und Wirtschaftsrecht lehrte er seit 1931 als Privatdozent in Bonn.
In den Jahren 1932/ 1933 zog ihn Carl Schmitt wiederholt für juristisch-politische Ausarbeitungen heran. So war Huber als Berater beim Prozess Preußens gegen das Reich vor dem Leipziger Staatsgerichtshof beteiligt. Mit Schmitt zusammen habe er, berichtete er später, in enger Fühlungnahme mit der Reichswehr und der Reichskanzlei einen Notstandsplan zur Verhinderung eines Staatsstreichs entworfen. In seiner Bonner Zeit veröffentlichte er regelmäßig Kolumnen und Buchbesprechungen in jungkonservativen Zeitschriften.
Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten öffneten sich für Huber, wie für viele Wissenschaftler seiner Generation, neue Karrierechancen. Am 1.5.1933 trat er der NSDAP bei. Zum Sommersemester übernahm er die Lehrstuhlvertretung für den aus politischen Gründen beurlaubten Völkerrechtler Walther Schücking (1875-1935) in Kiel. Am 28.10.1933 wurde ihm dort rückwirkend zum 1.8.1933 das Ordinariat für Öffentliches Recht übertragen. In den Folgejahren avancierte er zu einem der führenden Verfassungsrechtler im „Dritten Reich".
Nach 1933 entfaltete Huber eine umfangreiche Tätigkeit in Forschung, Lehre und Hochschulpolitik. So organisierte er mit seinen Kollegen Georg Dahm (1904-1963), Karl Larenz (1903-1993), Friedrich Schaffstein (1905-2001) und Franz Wieacker (1908-1994) eine juristische Arbeitsgemeinschaft, die unter der Bezeichnung „Kieler Schule" eine Erneuerung der Rechtswissenschaft im nationalsozialistischen Sinne anstrebte. Huber war auch an den Plänen für die seit 1935 geltende juristische Studienordnung beteiligt. Der Staatsrechtler übernahm zudem seit 1934 mit zwei Kieler Nationalökonomen die Herausgabe der angesehenen „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft". Schließlich erschienen bis 1937 wichtige Aufsätze und Broschüren Hubers zum Verfassungsrecht. Den Abschluss seiner staatsrechtlichen Veröffentlichungen nach 1933 stellte seine Monographie unter dem schlichten Titel „Verfassung" dar, die 1937 erstmals und unter dem erweiterten Titel „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" 1939 in zweiter aktualisierter und erweiterter Auflage erschien.
1937 nahm Huber den Ruf auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht in Leipzig an. Er konzentrierte sich nun stärker auf historische Arbeiten. Bereits 1938 veröffentlichte er das Buch „Heer und Staat in der deutschen Geschichte", das einen Überblick zur deutschen Militärverfassungsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart gab. Danach arbeitete er an verschiedenen Studien zur Ideengeschichte. Auch die ersten Entwürfe zu seiner „Verfassungsgeschichte" stammen aus dieser Zeit.
1941 erreichte Huber der Ruf an die neu gegründete Reichsuniversität Straßburg. Hierhin zog es ihn nicht nur, weil er das Elsass als deutsch, sondern vor allem weil er es als „rheinisch" ansah und die Aufgabe als „nationalpolitisch" und „hochschulpolitisch wichtig" einstufte. Der Staatsrechtler nahm erheblichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Lehrkörpers. Im November 1944 musste er vor den heranrückenden alliierten Truppen aus Straßburg fliehen.
Nach 1945 war Huber auf Jahre hinaus stellungslos. Der politisch belastete Hochschullehrer zog sich mit seiner Frau und den fünf minderjährigen Söhnen in den Hochschwarzwald zurück. Hier arbeitete er an seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte" und übte gelegentlich Berater- oder Redaktionstätigkeiten aus. Ein Entnazifizierungsverfahren überstand er mit der Einstufung als „Mitläufer" glimpflich. Erst 1952 erhielt er wieder einen Lehrauftrag an der Universität Freiburg: zunächst nur für Verfassungsgeschichte, später auch für Wirtschaftsrecht. 1956 ernannte man ihn dort zum Honorarprofessor, und auch die Staatsrechtslehrervereinigung nahm ihn als Mitglied auf. Nur ein Jahr später wurde Huber – nach erheblichen politischen Querelen im Hintergrund – an die winzige Hochschule für Sozialwissenschaften nach Wilhelmshaven berufen. Als diese Hochschule 1962 in die Universität Göttingen integriert wurde, kehrte Huber für seine letzten sechs Dienstjahre bis 1968 auf einen Lehrstuhl an einer renommierten Universität zurück.
Nach seiner Emeritierung widmete Huber sich ganz der Fertigstellung der 1957 begonnenen und 1984 abgeschlossenen siebenbändigen „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" und den zunächst drei begleitenden Quellenbänden. Die „Verfassungsgeschichte" gilt wegen ihrer Materialfülle, der Dichte ihrer Darstellung und der konzisen Deutung bis heute als unverzichtbares Standardwerk. Kurz nachdem er das Vorwort für den Registerband geschrieben hatte, starb Ernst Rudolf Huber im Alter von 87 Jahren am 28.10.1990 in Freiburg im Breisgau.
Huber war seit 1933 mit Tula Simons, einer Tochter des Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons, verheiratet. Ihr jüngster Sohn Wolfgang Huber (geboren 1942) war bis 2009 Landesbischof von Berlin-Brandenburg und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Werke (Auswahl)
Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975.
Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 8 Bände, Stuttgart 1957-1991.
Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, 5 Bände, 3. neubearbeitete Auflage, Stuttgart / Berlin / Köln 1978-1992/ 1997.
Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung, Dissertationschrift, Tübingen 1927.
Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Hamburg 1938.
Nationalstaat und Verfassungsstaat. Studien zur Geschichte der modernen Staatsidee, Stuttgart 1965.
Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, 5 Bände, Berlin 1973-1995.
Verfassung, Hamburg 1937, 2. erweiterte Auflage unter dem Titel: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939.
Wirtschaftsverwaltungsrecht. Institutionen des öffentlichen Arbeits- und Unternehmensrechts, Tübingen 1932, 2. erweiterte Auflage, 2 Bände, Tübingen 1953/1954.
Literatur
Grothe, Ewald, Über den Umgang mit Zeitenwenden. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und seine Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart 1933 und 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53 (2005), S. 216-235.
Grothe, Ewald, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900-1970, München 2005.
Grothe, Ewald, „Strengste Zurückhaltung und unbedingter Takt." Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und die NS-Vergangenheit, in: Schumann, Eva (Hg.), Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im "Dritten Reich" und in der Nachkriegszeit, Göttingen 2008, S. 327-348.
Jürgens, Martin, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber. Sein Leben und Werk bis 1945 aus rechtsgeschichtlicher Sicht, Frankfurt am Main 2005.
Maetschke, Matthias, Ernst Rudolf Huber, Im Schatten Carl Schmitts – Ernst Rudolf Hubers Bonner Jahre 1924-1933, in: Schmoeckel, Mathias (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im Dritten Reich, Köln 2004, S. 368-386.
Norpoth, Marie-Theres, Norm und Wirklichkeit. Staat und Verfassung im Werk Ernst Rudolf Hubers, Hamburg 1998.
Walkenhaus, Ralf, Konservatives Staatsdenken. Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber, Berlin 1997.
Online
Prof. Dr. jur. Ernst Rudolf Huber (Professorenkatalog der Universität Leipzig). [Online]
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Grothe, Ewald, Ernst Rudolf Huber, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ernst-rudolf-huber/DE-2086/lido/57c8345586e8e9.99187498 (abgerufen am 06.12.2024)