Zu den Kapiteln
Friedrich Graeber gehörten zu jener um die Mitte des 19. Jahrhunderts geborenen Generation die in der Wissenschaft außergewöhnliche Leistungen vollbrachte. In Deutschland kamen viele aus dieser Generation über den Wunsch, Baumeister zu werden, zur Archäologie. Wilhelm Dörpfeld und Richard Bohn (1849-1898) wurden zu Legenden dieser Wissenschaft. Friedrich Greaeber gehörte ebenfalls diesem Kreise an. Er war einer der ersten, die systematisch die Wasserversorgung antiker Städte erforschten. Jedoch blieb er bei seiner Liebe für die Archäologie stets dem Beruf des Architekten treu.
Friedrich Graeber wurde am 13.10.1848 in Meiderich (heute Stadt Duisburg) geboren. Er stammte aus einer rheinisch-westfälischen Pfarrersfamilie. Sein Vater Hermann Johann (geboren 1814) aus Düsseldorf war Spross einer regelrechten Pfarrersdynastie, die Mutter Emilie geborene Jonghans (geboren 1817) stammte aus Barmen (heute Stadt Wuppertal). Friedrichs Großvater Franz Friedrich Graeber (1784-1857) aus dem niederrheinischen Wertherbruch (heute Stadt Hamminkeln) war ein bedeutender evangelischer Theologe und 1846-1856 Generalsuperintendent der evangelischen Kirchenprovinz Westfalen. Die Großmutter Henriette (gestorben 1855) stammte aus einer der einflussreichsten Familien der deutschen Erweckungsbewegung und war die Tochter des Predigers Elias Christoph Krafft (1748-1798).
Das gebildete Umfeld seines pietistischen Elternhauses prägte Friedrich Graeber ebenso wie die Traditionen seiner Meidericher Heimat. Nach dem Besuch des Gymnasiums wollte er Baumeister werden. An der Berliner Bauakademie, der seinerzeit ersten Adresse für einen solchen Berufswunsch, begann Graeber 1870 ein Studium und hörte unter anderem die Vorlesungen über die Geschichte der Baukunst des Architekten und Bauforschers Friedrich Adler (1827-1908). Adler weckte in dem jungen Rheinländer das Interesse für die antike Architektur und den Kirchenbau.
Friedrich Adler hatte 1871 auf Anweisung des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (1831-1888, 1888 als Friedrich III. Deutscher Kaiser) zusammen mit dem Archäologen Ernst Curtius (1814-1896) eine dreimonatige Reise nach Kleinasien unternommen, um die Möglichkeit zur Erforschung antiker Stätten zu erkunden. Dieses Unternehmen schuf die Grundlagen für die späteren Ausgrabungen Carl Humanns in Pergamon, der ein Jahrzehnt zuvor sein Studium bei Adler aufgenommen hatte. Des Weiteren hatte Adler die Aufgabe, nach Jerusalem zu reisen, um dort Vorbereitungen zum Bau der protestantischen Erlöserkirche zu leisten, die über der Ruine einer alten Kreuzfahrerkirche errichtet werden sollte.
Während des Studiums 1870-1874 traf Graeber auf zwei Kommilitonen, mit denen er viele Abenteuer unternehmen und berufliche Verbindungen eingehen sollte: auf Karl Siebold (1854-1937) und den aus Barmen stammende Wilhelm Dörpfeld, die ebenfalls an der Bauakademie studierten.
Nach Abschluss des Studiums fand Graeber 1874 durch den Stadtplaner James Hobrecht (1825-1902), der einer seiner Lehrer an der Akademie gewesen war, Anstellung. Hobrecht arbeitete seit 1869 an einem Plan zur Entwässerung der Stadt Berlin. Die Abwasserentsorgung war in den Metropolen der Welt seinerzeit ein dringendes Problem. Das Berliner Unternehmen begann 1873 und dauerte bis 1893. Hobrecht teilte die Stadt in zwölf Gebiete ein, die über eigene unterirdische Kanäle und Abwassersammler verfügten. Diese führten jeweils zu einer Pumpstation, von wo aus das Hausabwasser und das Regenwasser über Druckleitungen zu den neuangelegten Rieselfeldern gepumpt wurden. Dieses moderne Entwässerungssystem machte Berlin gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur saubersten Stadt der Welt. Graeber, der bis 1878 an der Kanalisation mitarbeitete, schloss aus seiner praktischen Erfahrung und seinem Wissen über archäologische Bauforschung, dass antike Metropolen die gleichen Probleme gehabt haben müssen wie moderne Großstädte. Die Arbeit an dem Berliner Großprojekt stellte somit die Weichen dafür, dass Graeber zu einem Pionier der Erforschung der Wasserversorgung antiker Städte wurde.
1880 begann für Graeber seine abenteuerliche Zeit als archäologischer Bauforscher. Dörpfeld, inzwischen technischer Grabungsleiter bei der Ausgrabung in Olympia, kehrte für kurze Zeit nach Berlin zurück. Dort überzeugte er Adler, der mit Curtius die Grabungsleitung innehatte, für die sechste Grabungskampagne Friedrich Graeber hinzuzuziehen. Dieser sollte den Auftrag erhalten, die Wasserleitungen und Kanäle zu untersuchen. Adler anerkannte Graebers Leistungen in Berlin und hatte keine Einwände, also folgte Graeber Dörpfeld nach Olympia zur sechsten Kampagne 1880/1881. Graeber verfolgte die aufgedeckten Wasserleitungen bis zu ihrem Endpunkt und untersuchte besonders genau ihre Kreuzungspunkte sowie die Anschlüsse an Gebäude oder andere Kanäle. So konnte Graeber die Wasserversorgung Olympias in ihren Hauptzügen nachvollziehen. Überdies erbrachte die Arbeit wichtige konstruktive Erkenntnisse über die antike Wassertechnik überhaupt. Die jungen Architekten der Berliner Bauakademie, die in Olympia auch wieder mit Karl Siebold vereint waren, errangen hier große Erfolge.
Zunächst begaben sie sich nach dem Ende der Kampagne mit dem vierten im Bunde, Richard Borrmann (1852-1931), auf die neuntägige Reise von Olympia nach Athen. Von hier aus machten sie sich am 22.4.1881 auf zu einer Studieneise in die Magna Graecia, also nach Sizilien und Unteritalien. Besonders die dortigen Olympischen Schatzhäuser erregten ihr Interesse, aber auch die berühmten, gut erhaltenen Tempel. Zu deren Erforschung genehmigte die Berliner Bauakademie 900 Mark. Die Ergebnisse dieser Reise legten die vier 1881 im 41. Programm zu Winckelmann-Fest der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin vor.
Am 27.2.1884 heiratete Friedrich Graeber Sophie Huyssen (geboren 1858). Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor, Lili (geboren 1885), Margaretha (1887-1963) und Sophie (1889-1961). Margaretha, genannt Marga, brachte es zu einiger Berühmtheit. 1917 heiratete sie in Krefeld den Bildhauer und Kunsthändler Bernhard A. Böhmer (1892-1945), einen Vertrauten des Bildhauers Ernst Barlach (1870-1938). 1927 ließ sich Marga von Bernhard scheiden und lebte fortan mit Barlach zusammen.. Sie arbeitete für Barlach als Vorbildnerin und kümmerte sich bis zu ihrem Tod um die Bewahrung und Ausstellung von Barlachs Werk.
Im September 1886 reiste Graeber mit Dörpfeld nach Pergamon, wo die zweite große Grabung des Deutschen Reiches unter der Leitung von Carl Humann ein großer Erfolg war. Graeber untersuchte auch hier die Wasserleitungen, die vom Gebirge her in die Stadt verliefen. Sein Befund zeigte, dass die Leitungen nicht aufgrund eines einheitlichen Planes entstanden, sondern nach dem steigenden Wasserbedarf der wachsenden Stadt erbaut worden waren. Die einzelnen Leitungen führten das Wasser aus Quellgebieten von bis zu 40 Kilometer Entfernung in die Stadt. Graeber konnte gleichfalls nachweisen, dass - entgegen der Meinung einiger Autoritäten - bereits in hellenistischer Zeit eine Hochdruckleitung einen Höhenunterschied von 160 Metern überwunden und so die Burg mit Wasser versorgt hatte. Sein Augenschein und seine Erfahrungen mit dem Großprojekt in Berlin verrieten ihm, dass die Zisternen auf der Burg sowie die wenigen Quellen außerhalb der Mauer nicht ausreichend gewesen sein konnten, um eine so große Stadt zu versorgen. Seine Ergebnisse publizierte Graeber in einem vorläufigen Bericht 1888 und etablierte sich damit als Experte für die Wasserversorgung antiker Städte. Das veranlasste Dörpfeld immer wieder, Graeber zu seinen Forschungen hinzuzuziehen. Zunächst jedoch wandte sich Graeber seinem eigentlichen Beruf als Architekt zu.
1872 berief die Innere Mission den Theologen Friedrich von Bodelschwingh d. Ä. (1831-1910) als Leiter der in der Gemeinde Gadderbaum-Sandhagen bei Bielefeld neu gegründeten „Evangelischen Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische“, der Anstalt Bethel (heute v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel). Zwischen 1887 und 1891 entstand neben der Anstalt ein gleichnamiges, staatlich anerkanntes Bauamt, dessen Leitung 1891 Karl Siebold übernahm. Dieser wiederum nahm seinen alten Kommilitonen und Olympia-Kameraden Friedrich Graeber unter Vertrag. Bis 1898 bearbeitete Graeber einige Kirchenbauprojekte, vorzugsweise Umbauten und Renovierungen. Anfang 1893 übernahm er die Planung, dann bis 1894 die Leitung bei der Erweiterung der romanischen Kirche zu Brockhorst (heute Stadt Versmold) und ebenfalls 1893 die Planung zum Umbau der gotischen Dorfkirche in Dielingen (Gemeinde Stemweder). Graebers architektonischer Standpunkt war es dabei, bereinigte, einheitliche und den Vorstellungen der Zeit entsprechende Kirchenbauten zu schaffen. Planerisch war Graeber auch an anderen Bauvorhaben beteiligt. 1895/1896 entstand das Schul-, Bet- und Lehrerwohnhaus in Altenhundem-Grevenbrück (heute Lennestadt). 1896 wurde nach Graebers Plänen das Gymnasium Gütersloh umgebaut.
1899 verließ er das Bauamt Bethel und eröffnete als Königlicher Baurat ein Büro in Bielefeld. In dieser Zeit war Graeber verantwortlich für zwei weitere Kirchenbauten. 1901 plante und baute er die Dreifaltigkeitskirche in Hagen-Eppenhausen, einen Ziegelbau in neugotischen Formen mit romanisierenden Details. 1903 erhielt er von der Industriegemeinde Schalke (heute Stadt Gelsenkirchen) den Zuschlag für das Projekt eines Kirchenneubaus: 1906 entstand mit der Kreuzkirche ein neugotischer Ziegelbau in zentralisierender Anlage.
Auch in dieser Zeit blieb Graeber ein geschätzter Experte in der archäologischen Forschung. 1891-1898 nahm Dörpfeld am Westabhang der Akropolis von Athen Ausgrabungen vor, weil er dort die Enneakrunos, den neunrohrigen Stadtbrunnen des Peisistratos (Tyrann von Athen, um 600-528/27 v. Chr.) vermutete. Tatsächlich wurde ein weitverzweigtes Netz von Wasserleitungen aufgedeckt. 1902 rief Dörpfeld, inzwischen Leiter des Archäologischen Instituts in Athen, Graeber für mehrere Monate zu seiner Ausgrabung auf der Agora. Graebers Befund bestätigte das bislang nur aus schriftlichen Quellen bekannte Faktum, wonach Peisistratos beim Ausbau Athens Wasser aus dem Bett des Ilissos in die Stadt leiten wollte.
Graeber wurde sogleich von Dörpfeld für weitere Projekte eingespannt. In Megara sollte er ebenfalls ein Wasserbauprojekt aus der Antike untersuchen. Hier waren die Verhältnisse ähnlich wie in Athen. Megara hatte zwei Akropolen. Zwischen den beiden Hügeln ließ der Tyrann Theagenes (6.-5. Jhd. v. Chr.) einen Wasserspeicher errichten. Die Ausgrabungen von Graeber und Dörpfeld ergaben ein spektakuläres Bild: Ein unterirdischer Wasserkanal stieg in die Ebene hinter Megara langsam an, um sich in etwa drei Kilometern Entfernung in drei Röhren zu verzweigen. Diese Röhren lagen acht Meter unter der Erde, durchzogen die Ebene, saugten das Wasser auf und leiteten es zum Wasserspeicher. Die bei der Grabung entdeckten antiken Wartungsschächte ermöglichten ein leichtes Reinigen der 1,20 Meter hohen unterirdischen Gänge. Eine dritte Grabung auf der Insel Ägina deckte eine ähnliche Konstruktion auf. Dort wurde mehrere Kilometer weit ein Stollen unter einem Flussbett hinauf ins Gebirge angelegt. Hier wurde ein Talkessel angestochen, in dem sich Wasser sammelte. Diese drei Grabungen festigten Graebers Ruf als profiliertesten Experten auf dem Gebiet der antiken Hydrotechnik.
Ein letztes Mal ging Graeber 1906 mit Dörpfeld nach Pergamon. Bei dieser sechsten Kampagne führte Graeber seine Forschungen über die pergamenischen Wasserleitungen von 1888 fort. Publiziert wurde das Ergebnis 1913. Seit 1907 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, weshalb er bis zu seinem Tod 1917 keine Aufträge mehr annehmen konnte. Er zog sich nach Bethel zurück, wo er am 18.8.1917 starb.
Als Architekt war Friedrich Graeber eher konservativ, obwohl die Schalker Kirche ein durchaus moderner evangelischer Kirchenraum ist. Als archäologischer Bauforscher erschloss er der Wissenschaft bedeutende Hinweise auf Technik und Funktion antiker Wasserversorgung. Sein Verdienst war es, die Hydrotechnik in die großen archäologischen Entdeckungen seiner Zeit eingebettet zu haben.
Werke
[zusammen mit] Borrmann, Richard/Dörpfeld, Wilhelm/Siebold, Karl, Über die Verwendung von Terrakotten am Geison und Dache griechischer Bauwerke, Berlin 1881.
Die Wasserleitungen von Pergamon. Vorläufiger Bericht, Berlin 1888.
Die Wasserleitungen. In: Curtius, Ernst/Adler, Friedrich (Hg.), Olympia. Die Ergebnisse der von dem Deutschen Reich veranstalteten Ausgrabung, Textband 2: Die Baudenkmäler, Berlin 1892, S. 170–180.
Die Enneakrunos, in: Mitteilungen des Kaiserlichen Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 30 (1905), S. 1–64.
Die Wasserleitung des Peisistratos und die Wasserversorgung des alten Athen,in: Zentralblatt der Bauverwaltung 25 (1905), S. 557–560.
Vorläufiger Bericht über Untersuchung der Pergamenischen Wasserleitungen, Berlin 1906.
Die Wasserleitungen, in: Conze, Alexander (Hg.), Altertümer von Pergamon. Stadt und Landschaft, Band 1, Text 3, Berlin 1913, S. 365-412.
Literatur
Althöfer, Ulrich, Der Architekt Karl Siebold (1854–1937). Zur Geschichte des evangelischen Kirchenbaus in Westfalen, Bielefeld 1998.
Clemens, Ditte, Marga Böhmer. Barlachs Lebensgefährtin, Schwerin 1996.
Goessler, Peter, Wilhelm Dörpfeld. Ein Leben im Dienst der Antike, Stuttgart 1951.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Kirschbaum, Markus, Friedrich Graeber, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-graeber/DE-2086/lido/5e1f0998273690.42268651 (abgerufen am 05.12.2024)