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Friedrich Wilhelm Dörpfeld war Volksschullehrer in Barmen (heute Stadt Wuppertal). Er verfasste zahlreiche Aufsätze zu Fragen der Schule und des Lehrens und gilt als einer der maßgeblichen Schulpädagogen Deutschlands im 19. Jahrhundert.
Dörpfelds an äußeren Höhepunkten armes Leben blieb in seinem Rahmen im Wesentlichen auf das Bergische Land beschränkt. Geboren wurde er am 8.3.1824 in Sellscheid, einem Weiler in der Nähe der Stadt Wermelskirchen. Der Vater, Johann Wilhelm Dörpfeld (1796-1863) war von Beruf Hammerschmied, die Mutter Anna Wilhelmine Jung (1800-1873) Bäuerin. Eine kleine Landwirtschaft brachte der Familie, die vom bergischen Pietismus geprägt war, zusätzliche Einkünfte.
Als Sechsjähriger bezog Dörpfeld die einklassige Elementarschule, zuerst im benachbarten Flecken Pohlhausen, dann in Burg an der Wupper (heute Stadt Solingen), von 1838 bis 1840 als Gehilfe des Lehrers. Er wollte ebenfalls Lehrer werden und trat deshalb in die private „Präparandenanstalt“ ein, eine Art „Vorschule“ für das Lehrerseminar. Nach nur einem Jahr nahm Dörpfeld eine Hilfslehrerstelle in seiner Heimat an, bevor er 1842 die zweijährige Ausbildung zum Elementarschullehrer im Seminar in Moers bei Franz Ludwig Zahn begann und 1844 abschloss. Darauf bekam er eine Lehrerstelle in der Präparandenanstalt, die er selbst wenige Jahre vorher noch besucht hatte.
1847 wurde sein erster Aufsatz „Etwas über die Seminarbildung von einem ehemaligen Seminaristen“ veröffentlicht. Ein Jahr später wählte man ihn zum Lehrer an der einklassigen Elementarschule in Heidt bei Ronsdorf (heute Stadt Wuppertal), einer Schule mit 170 Kindern. Doch diese Stelle bekleidete er nur acht Monate, denn noch im selben Jahr entschied sich der Schulvorstand in Barmen-Wupperfeld, ihn zum „Hauptlehrer“ – das heißt Rektor - der dortigen vierklassigen Elementarschule zu ernennen. Für die übrigen drei Klassen hatte er Hilfslehrer zu beschäftigen „und zu freier Kost und Wohnung ins Schulhaus aufzunehmen“, wie es in seiner Berufungsurkunde heißt. 30 Jahre lang leitete und unterrichtete Dörpfeld an dieser Schule.
In Wupperfeld schloss sich Dörpfeld der konservativen (Wuppertal-)Barmer Bürgerwehr an, die ein Übergreifen der revolutionären Unruhen, die im Mai 1849 im benachbarten Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) ausgebrochen waren, auf Barmen verhinderte. Damals begann er auch, sich in der evangelischen Vereins- und Lehrerbewegung zu engagieren. So gehörte er zu den Gründern des „Vereins evangelischer Lehrer und Schulfreunde für Rheinland und Westphalen“, des Wupperfelder Jünglingsvereins und einer Bibelkonferenz in seinem Wohnort. Später wurde er Mitglied im deutschen Schulverein, in der bergischen Lehrerkonferenz und im Verein für Herbartische Pädagogik.
1851 heiratete er die Tochter Christine (1825-1871) seines Konfirmators, des Wermelskirchener Pfarrers Johann Wilhelm Keller. 1852 wurde das erste Kind Anna (1852-1924) geboren, dem fünf weitere Kinder, drei Töchter und zwei Söhne folgten, darunter der 1853 geborene älteste Sohn Wilhelm, der ein bedeutender Archäologe werden sollte.
Dörpfelds weit über seine engere Heimat hinausreichende Wirkung beruhte vor allem auf seiner Tätigkeit in der Redaktion des „Evangelischen Schulblattes“, des Organs des „Vereins evangelischer Lehrer und Schulfreunde“. Zunächst teilte er sich die Arbeit mit einem weiteren Kollegen, von 1861 bis kurz vor seinem Tode war er allein für das Blatt verantwortlich. Hier veröffentlichte er zahlreiche bemerkenswerte Aufsätze, etwa 1859 die Serie „Beiträge zur Theorie des Schulwesens“, die 1863 unter dem Titel „Die freie Schulgemeinde und ihre Anstalten auf dem Boden der freien Kirche im freien Staate“ in Gütersloh auch als Buch erschien und von keinem Geringeren als Adolph Diesterweg überschwänglich gelobt wurde, oder später Aufsätze zur Theorie des Lehrplans, zum Realien- und Sprachunterricht und zur „Leidensgeschichte der Volksschule“. 1872 erfuhr Dörpfeld eine äußere Würdigung seines Engagements für die Schule: Vom preußischen Kultusminister Adalbert Falk (1827-1900) wurde er, zusammen mit weiteren Experten, aber als einziger wirklicher „Schulmann“, zu einer Konferenz zur Neuordnung der preußischen Volksschule nach Berlin eingeladen. Zwar war er nur „Ersatzmann“, denn ein anfänglich vorgesehener Regierungs- und Schulrat war durch Krankheit am Erscheinen verhindert, aber das beeinflusste Dörpfelds tatkräftige Teilnahme an der Konferenz nicht. Diese fand vom 11.-20.6.1872 statt und erarbeitete die „Allgemeinen Bestimmungen“ für die preußische Volksschule, die mit der im Kulturkampf eingerichteten, staatlichen Schulaufsicht notwendig schienen und mit der Lösung der Schule von der Kirche liberalere Lehrpläne brachten und die Lehrerbildung verbesserten.
Mit dem Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand 1879 – der damals erst 55-jährige kränkelte häufig – zog Dörpfeld nach Gerresheim (heute Stadt Düsseldorf), in die Nähe seiner Schwiegereltern. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Ronsdorf (heute Stadt Wuppertal), im Haus seiner Tochter Anna Carnap, die 1897 eine Biographie ihres Vaters veröffentlichte. Dort starb er am 12.3.1893.
Dörpfeld hinterließ ein umfangreiches publizistisches Werk. Seine „Gesammelten Schriften“ erschienen in zwölf Bänden bei Bertelsmann in Gütersloh, in dem bereits zuvor einige seiner Abhandlungen als Einzelveröffentlichungen herausgekommen waren.
Den Schwerpunkt seiner schulpädagogischen Veröffentlichungen bilden – nach Dörpfelds eigenem Urteil – die Schriften zur Schulverfassung. Diesem Thema schenkte die traditionelle Pädagogik im 19. Jahrhundert nur wenig Aufmerksamkeit. Wer sollte über die Schule verfügen? Jahrhunderte lang war sie ein wichtiger Bestandteil der Kirche gewesen. Dagegen hatte der aufgeklärte absolutistische Staat sie als Gegenstand seiner Verfügungsgewalt beansprucht. Dörpfeld nun entwickelte eine Theorie der Schulverfassung, die diese wichtige Institution weder ausschließlich dem Staat noch der Kirche überantworten, sondern sie allen wichtigen gesellschaftlichen Kräften gemeinsam anvertrauen wollte. Die in der Schule stattfindende Erziehung und Bildung bereite die jungen Menschen auf das Leben in der Gesellschaft in ihrer von vielen Kräften bestimmten Ganzheit und nicht nur einseitig auf Staat oder Kirche vor.
Zur Organisation einer derartigen Schule plante Dörpfeld die Bildung einer „Schulgemeinde“, in der die Interessen der gesellschaftlichen Kräfte aufeinander treffen würden, sodass in dem Zusammenwirken „so vieler Kräfte zu hoffen steht, dass es an den nötigen Mitteln zur Unterhaltung der Schule wie an der nötigen Einsicht zur Verwaltung derselben nicht fehlen wird.“ Zu diesen gesellschaftlichen Kräften zählte Dörpfeld in erster Linie die Eltern, dann die bürgerliche Gemeinde, aber auch den Staat und die Kirche, dazu die Lehrer, und er ließ durchaus Raum für weitere Mächte, etwa die Wissenschaften.
Diese Schulgemeinde war nun allerdings kein Kampfplatz der Interessen um Form und Inhalt der Schule, sondern ein Ort, an dem vor allem die pädagogische Wissenschaft im „herrschaftsfreien Diskurs“ allen Beteiligten Einsichten in das Vernünftige, sachlich Richtige einer Schule ermöglichte. Dahinter steht die Auffassung, dass es im Rahmen einer naturrechtlichen Ordnung für alle Schulprobleme wie überhaupt für alle Fragen des gesellschaftlichen Lebens eine von der Vernunft geprägte Lösung gibt.
Die Schulgemeinde sei, so Dörpfeld, eine Institution genossenschaftlicher Selbstverwaltung. Auch andere öffentliche Angelegenheiten könnten in ähnlicher Weise geregelt werden. Neben jedem „ausführenden Amt“ müsse ein „beratendes Kollegium“ der betroffenen Interessenten gebildet werden, die auf diese Weise auf alle Entscheidungen Einfluss nehmen könnten. Eine derartige genossenschaftliche Selbstverwaltung sei insbesondere in der Lage, den im Gefolge der Industrialisierung aufgetretenen scharfen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit zu überwinden. Denn „Genossenschaft ist nur ein anderer Ausdruck für Brüderschaft; es ist – begrifflich genau gefasst – die Idee der Brüderlichkeit angewandt auf socialwirtschaftliche Verhältnisse“. Trotz gegenteiliger Erfahrungen als Lehrer nahm Dörpfeld nicht wahr, dass in einer auch von gegensätzlichen Interesse bestimmten Gesellschaft viele Entscheidungen nicht durch wissenschaftlich vermittelte Einsichten in das „Vernünftige“ einer natürlichen Ordnung, auch nicht durch genossenschaftlichen Diskurs, sondern nur von einer mit Macht ausgestatteten Instanz, dem Staat, getroffen werden können.
Neben der Verfassung der Schule hat Dörpfeld im Gefolge Herbarts Überlegungen zur Methodik des Lehrens angestellt und Lehrinhalte analysiert. In seiner Lehrplantheorie geht der Unterricht nicht von Zeit- oder Gruppeninteressen, sondern von den fundamentalen Lebensbezügen der Menschen aus. Das sind die Bereiche Natur – Mensch – Gott. Sie sind das eigentlich Substantielle des Unterrichts in allen Schulen, und entsprechend diesen Lebensbezügen sollten die aus den drei Bereichen entwickelten Fächer möglichst wenig aufgespalten werden. Dörpfeld gibt aber auch formunterrichtlichen Fächern ihre Rang, etwa dem Rechnen, Schreiben und Zeichnen, und zwischen diesen beiden Fächergruppen steht der Sprachunterricht. Eigentlich sollte der Unterricht überhaupt nicht aufgeteilt, sondern ein organisches Ganzes bilden, das letztlich in der Einheit der menschlichen Existenz wurzelt.
Dieser Gedanke mutet durchaus modern an, aber insgesamt kann die heutige Pädagogik wohl nur begrenzt an Dörpfeld anknüpfen. Seine Bedeutung liegt vielmehr darin, dass er zeitgenössische Gedanken über Schule und Unterricht widerspiegelt, sie teilweise auch fortgeschrieben hat.
Werke
Gesammelte Schriften von Friedrich Wilhelm Dörpfeld, 12 Bände, Gütersloh 1894-1896.
Goebel, Klaus (Hg.), Dein dankbarer und getreuer F. W. Dörpfeld. Gesamtausgabe der Briefe Friedrich Wilhelm Dörpfelds mit Erläuterungen und Bilddokumenten, Wuppertal 1976.
Literatur
Bautz, Friedrich Wilhelm, Friedrich Wilhelm Dörpfeld, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Hamm 1975, Sp. 1349–1350.Beeck, Karl-Hermann, Friedrich Wilhelm Dörpfeld - Anpassung im Zwiespalt, Neuwied und Berlin 1975.
Beeck, Karl-Hermann (Hg.), Politische Bildung – Friedrich Wilhelm Dörpfeld, ein Partner unseres Gesprächs?, Ratingen/Kastellaun 1975.
Carnap, Anna, Friedrich Wilhelm Doerpfeld. Aus seinem Leben und Wirken 2. Auflage, Gütersloh 1903.
Goebel, Klaus, Biobibliographie Friedrich Wilhelm Dörpfeld, Wuppertal 1975.
Tenorth, Heinz-Elmar, Schulmänner, Volkslehrer und Unterrichtsbeamte: Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg, Friedrich Wilhelm Dörpfeld, Friedrich Dittes, in: Tenorth. Heinz-Elmar (Hg.): Klassiker der Pädagogik, Band 1, München 2003.
Online
Schoelen, Eugen, Dörpfeld, Friedrich Wilhelm, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 4, Berlin 1959, S. 35. [Online]
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Wittmütz, Volkmar, Friedrich Wilhelm Dörpfeld, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-wilhelm-doerpfeld-/DE-2086/lido/57c695a2a3a353.32611419 (abgerufen am 03.12.2024)