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Goddert Hittorp gehörte zu den einflussreichsten Persönlichkeiten Kölns im 16. Jahrhundert. Als angesehener Buchhändler, Autor und Verleger stand er mit den führenden gelehrten Kreisen Kölns und des Rheinlands in Verbindung. Als interessierter und gebildeter Initiator förderte er die Herausgabe klassisch-humanistischer Schriften, als geschäftstüchtiger Kaufmann brachte er es zu einem beträchtlichen Vermögen. Als Ratsherr und Bürgermeister der Stadt Köln erwarb er sich politische Verdienste und hatte zahlreiche Ehrenämter inne. Dem raschen beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg folgte der ebenso rasche Niedergang der Familie nach dem Tod Hittorps.
Goddert Hittorp entstammte einer angesehenen Kölner Familie. Während sein Vater Goswin erst 1485 das Bürgerrecht erworben hatte, gehörte seine Mutter Elisabeth zu der alteingesessenen Kölner Familie Schlössgen (Schlossgin). Godderts Geburtsjahr ist nicht eindeutig gesichert. Als zuverlässigste Quelle gilt ein Zeitgenosse, Heinrich Pantaleon (1522–1595). Dieser widmete ihm in seiner Gelehrtenbiographie „Prosopographia herorum atque illustrum virorum totius Germaniae ..." 1566 noch zu dessen Lebzeiten einen eigenen Artikel und gibt als Geburtsjahr 1485 an, wobei offensichtlich Hittorps Kölner Verlegerkollege Arnold Birckman II (um 1525–1576) der Gewährsmann war. Johann Jacob Merlo hingegen nahm 1490 als Geburtsjahr an, wohl aufgrund der Jahres- und Altersangabe auf einem Porträtdiptychon, das Hittorp 1547 im Alter von 57 Jahren zeigt.
1498 wurde Hittorp als 13- oder 14jähriger an der Artistenfakultät der Laurentianerburse der Kölner Universität immatrikuliert. 1503 wurde er zum Lizentiaten promoviert. 1511 ist Hittorp erstmalig als Verleger nachweisbar, und zwar als Teilhaber an einer Verlagsgemeinschaft in Paris, die er mit seinem Studienkollegen Ludwig Horncken (gestorben 1521) im Hause „Zu den drei Kronen des glücklichen Köln" unterhielt.
In Paris wird Hittorp sich weniger zu Studien- als zu Geschäftszwecken aufgehalten haben, der Titel „Magister" taucht jedenfalls erst in Verlagswerken ab 1521, nach seiner endgültigen Rückkehr nach Köln, auf. Unsicher ist, ob der Titel als ehrende Floskel aufzufassen ist oder ob Hittorp den Grad des „Magister Artium" um diese Zeit in Köln erworben hat. Seit 1512 unterhielt Hittorp eine zweite Verlagsbuchhandlung mit Sortiment in Köln, und zwar im Hause „Zum weißen Kaninchen", welches zugleich sein Wohnsitz war.
Das Haus muss nahe dem Dom gegenüber der Pfarrkirche St. Paul am Anfang der Marzellenstraße gelegen haben. Hittorp ließ sich damit nahe dem Klerikerviertel und der Straße „Unter Fettenhennen" nieder, dem Geschäftssitz der bedeutenden Kölner Buchhändlerfamilie Birckman-Mylius. 1530 kaufte Hittorp in derselben Lage zwei weitere Häuser, „Zum Strauß" und „Zur Henne" – ein Indiz für die auf wachsenden Geschäftserfolg gründende erhebliche Ausweitung des Verlags. Davon zeugen auch die Einrichtung weiterer Dependancen in Prag und Wittenberg sowie seine weitreichenden Kontakte, unter anderem nach Leipzig und Basel. Hittorp unterhielt keine Druckerei, sondern ließ seine Verlagserzeugnisse bei zahlreichen in- und ausländischen Lohndruckern herstellen; in Köln vor allem bei dem dort zwischen 1517 und 1543 ansässigen Drucker Eucharius Cervicornus.
Sein verlegerischer Schwerpunkt lag zunächst in der Edition klassisch-humanistischer Schriften. So veranlasste er Konrad Heresbach 1528 zur Herausgabe seiner Übertragung der „Geschichte des Peloponnesischen Krieges" des Thukydides (460-396 vor Christus) vom Griechischen ins Lateinische. Ferner verlegte er neben zahlreichen anderen Schriften des Erasmus von Rotterdam (1465/ 1469–1536) 1527 dessen „Epitome chiliadum adagiorum".
Zu Hittorps bedeutendsten antiken, durch die Humanisten rezipierten Werken gehört die erste vollständige Ausgabe der Flavius-Josephus-Schriften in Deutschland. Vielleicht ist der in die 1520er Jahre zu datierende Holzschnitt mit dem Bildnis des jungen Buchhändlers Goddert Hittorp als Endblatt einer solchen Klassikerausgabe zuzuordnen. Er zeigt ihn in typisch humanistischer Gelehrtenpose, ein Blatt in den Händen haltend, hinter einer aufwändig verzierten Brüstung vor einer reich mit Renaissanceornamenten dekorierten Nischenarchitektur stehend. Es diente als wirkungsvolle Demonstration seiner verlegerischen und herausgeberischen Urheberschaft des Buches, zugleich auch als Illustration seiner literarischen Bildung, seines gelehrten Standes und nicht zuletzt als Beleg für seinen modernen Kunstgeschmack.
So lieferte Anton Woensam, der produktivste Kölner Graphiker seiner Zeit, neben diesem Holzschnitt nicht nur zahlreiche weitere Buchillustrationen, sondern zeichnete auch für verschiedene Entwürfe des Verlagssignets des Hauses Hittorp-Horncken, ein weißes Kaninchen, verantwortlich. Hittorp war auch schriftstellerisch als Verfasser von Vorreden und Widmungen der von ihm betreuten Editionen tätig. Seiner Quintilian-Ausgabe von 1521 gab er eine selbstverfasste Widmung an Philipp Melanchthon (1497–1560) bei, seiner Aulus Gellius-Ausgabe von 1526 eine eigene Vorrede.
Ab 1525 richtete Goddert Hittorp sein Interesse zunehmend auf die Herausgabe liturgisch-theologischer Schriften. Dies ist im Zusammenhang mit den in diesen Jahren in Köln einsetzenden Auseinandersetzungen um die Einführung der Reformation zu sehen. Dabei kam dem Buchdruck eine wichtige Rolle zu. Die Furcht, wegen des Drucks verdächtiger Schriften als Anhänger der Reformation erkannt zu werden und den Zensurbestimmungen des Kölner Rates zum Opfer zu fallen, spielte für Hittorp jedoch kaum eine Rolle. Er gehörte zu den Befürwortern einer inneren Reform der katholischen Kirche, die für eine Beseitigung von Missständen nach humanistischen Grundsätzen unter Beibehaltung der alten Ordnung eintraten.Ende der 1530er Jahre schränkte Hittorp seine verlegerische Tätigkeit stark ein: 1543 scheint er sein letztes Buch verlegt zu haben. Stattdessen widmete er sich, zu Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen gekommen, ganz der Wahrnehmung öffentlicher Ehrenämter.
1530 wurde er erstmals in den Rat der Stadt gewählt; dem Gebrech gehörte er bis 1539 an. Von 1542 bis 1548 vertrat er im Rat die Gaffel Aren, deren Bannerherr er später (1571) wird. Zwischen 1557 und 1570 war er fünfmal Bürgermeister. Daneben bekleidete er weitere Ehrenämter, unter anderem seit 1552 das des Provisors der Universität auf Lebenszeit. Im Rahmen seiner Amtsfunktionen unternahm er zahlreiche Reisen: 1551 wurde er als Gesandter des Rates zu Herzog Wilhelm V.von Jülich-Kleve-Berg geschickt, 1563 nach Aachen zur französischen Königin-Regentin Katharina di Medici (1519–1589); 1554, 1558 und 1559 traf er mit den Kölner Kurfürsten Adolf III. von Schaumburg beziehungsweise Johann Gebhard von Mansfeld zusammen; in den Jahren 1558, 1561, 1565 und 1566 nahm er an Kreistagen des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises teil.
Mit dem Rückzug aus der verlegerischen Tätigkeit und dem Beginn der öffentlichen Laufbahn Hittorps fällt um 1547 die Hochzeit mit der über 30 Jahre jüngeren Gertrud von Bergen (geboren 1521), zusammen. Gertrud entstammte einer bekannten Kölner Familie; ihr Vater, der Ratsherr Heinrich von Bergen II, war 1492 bereits in dritter Generation Inhaber der Apotheke im Haus „Zum Regenbogen" am Altermarkt. Wohl aus Anlass der Eheschließung wird Hittorp das Ehepaardiptychon bei Bartholomäus Bruyn dem Älteren, dem führenden Kölner Porträtisten seiner Zeit, in Auftrag gegeben haben. Die Bildnisse zeigen ein wohletabliertes Paar, prächtig ausgestattet und mit aufwendigen Familienwappen versehen.
Hittorp starb am 29.6.1573, laut Hermann Weinsberg unter Hinterlassung vielen Geldes und wurde in seiner Pfarrkirche St. Paul beerdigt. Nach seinem Tod, 1575, wird das ungewöhnliche klappbare Diptychon bei Bartholomäus Bruyn dem Jüngeren in Auftrag gegeben worden sein, das auf der Innenseite des linken Flügels in ganzer Figur den hochbetagten Goddert Hittorp, gekleidet in seine (vorn vertikal farblich geteilte) Mi-Parti-Amtstracht der Kölner Bürgermeister, in der Rechten den Amtsstab haltend, zeigt. Zu Seiten des Kopfes ist links das Wappen der Stadt Köln, rechts sein Familienwappen angebracht. Auf der rechten Innenseite ist ein umfangreiches, in humanistischen Distichen verfasstes lateinisches Lobgedicht auf den Verstorbenen mit dem Titel „FASCES AD VIATOREM" („Ehrungen an den Wanderer") zu lesen.
Es enthält neben einem ausschweifenden Elogium (lateinisch für Grabschrift) über den tugendhaften Lebenswandel, den rechten religiösen Glauben, die Verdienste Hittorps für die Stadt und seine herausragende Rolle als Redner und Gelehrter auch eine moralisierende Stellungnahme zu den aktuellen politischen Wirren im Ringen um die von Hittorp unterstützte „katholische Reformation", die eine gemäßigte Alternative zu den als zerstörend erscheinenden Kräften der Reformation suchte. „Das Lobgedicht verknüpft ... die Verantwortung Hittorps als Humanist, als Bewahrer der katholischen Einheit und damit als Retter der sozialen und politischen Friedens" (Heinen). Obwohl, laut Inschrift, in privatem Auftrag von Jaspar Hittorp, Godderts ältestem Sohn, gestiftet, „damit das Bild des Vaters die Erinnerung rühre", erhielt Hittorp mit seinem Amtsporträt darüber hinaus eine öffentliche Exempelfunktion für seine Amtsnachfolger im Rat und Bürgermeisteramt. Wie eine weitere zeitgleiche Stiftung des Sohnes, ein ebenfalls bei Bartholomäus Bruyn dem Jüngeren in Auftrag gegebener Passionsaltar mit den Stifterbildnissen der Eltern und Jaspars, wird auch das Diptychon, als Gemäldeepitaph und vielleicht unter Beteiligung des Rates der Stadt, für die Pfarrkirche St. Paul angefertigt worden sein.
Jaspar Hittorp erbte zusammen mit seinem jüngeren Bruder Melchior (gestorben 1591) das umfängliche Vermögen des Vaters. Wenige Jahre später, spätestens 1578, erkrankte Jaspar an der Lepra, war uissetzich und neman wolt in zur ehe haben. Gab alle sin gutter zum eigentum hinwech, beheilt allein die leibzucht (Weinsberg). Trotz seiner Krankheit hat er noch geheiratet und eine Reihe von Jahren gelebt. Zusammen mit seiner Frau, Mechthild von Huls, ist er zwischen 1579 und 1591 urkundlich bezeugt. 1591 musste sich das Ehepaar vor Gericht für seine hohen Schulden verantworten.Die Verdienste des Vaters fanden dabei, wie im Ratsprotokoll vermerkt ist, Berücksichtigung. Aufgrund seiner gehobenen sozialen Stellung dürfte Jaspar Hittorp, so er denn Insasse eines Leprosenheims war, eine gewisse Bevorzugung genossen haben, zumal sein Vater von 1555 bis zu seinem Tod Provisor des Leprosoriums Melaten, des größten und bedeutendsten der vier Kölner Leprosorien, gewesen war.
Auch Melchior Hittorp, Amtmann von St. Martin, dem jüngeren der beiden Hittorpschen Kinder, war kein besseres Schicksal beschieden: er finge den 20. aprilis 1578 im heirathstande an zu dollen und wart wahnsinnich (Weinsberg), wohl aus Überforderung durch die große Erbschaft. Er war verheiratet mit Catharina Krufft, genannt Crudener; aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor. Melchior starb am 20.6.1590. Zu der Zeit lebte seine Witwe noch im Hause „Zum Strauß" vor St. Paul, dem vom Schwiegervater ererbten Besitz.
Die Geschäftsnachfolge des Hittorpschen Verlagsbuchhandels, sofern nach 1545 noch bestehend, ist ungeklärt. Beide Söhne, über deren berufliche Tätigkeit wir kaum informiert sind, scheinen „die Leidenschaft ihres Vaters für den Humanismus und seine Liebe zu den Büchern nicht geerbt" (Franz J. Kühnen) zu haben. Vielleicht bietet Weinsbergs Hinweis auf eine un- oder vorehelich geborene Tochter Goddert Hittorps, Agnes (gestorben 1595), einen Hinweis: Diese Tochter war mit dem Buchhändler Johann Birckman I (gestorben 1565) verheiratet, mit dem sie „Unter Fettenhennen" wohnte und der mit seinem Schwiegervater zeitweilig eine Handelsgemeinschaft führte. Das Geschäft der Eheleute scheint jedoch nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein.
Das wenig erfreuliche Schicksal der drei Kinder Hittorps zog den Niedergang der Familie im 17. Jahrhundert bis zur Bedeutungslosigkeit nach sich: Von den fünf Kindern Melchior Hittorps trat als einziger Melchior Hittorp II (gestorben 1661) hervor. 1626 ist er als verheiratet mit Catharina Krantz bezeugt. Er war als juristischer Professor an der Kölner Universität und als Hochgerichtsschöffe tätig. 1646 bis 1658 als Ratsherr sowie als Kirchmeister seiner Pfarre St. Peter bezeugt, war dieser Enkel Goddert Hittorps der einzige bedeutendere Nachfahre.
Literatur (Auswahl)
Benzing, Josef, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung in: Archiv für die Geschichte des Buchwesens 18 (1977), Sp. 1171.
Kühnen, Franz J., Gottfried Hittorp. Untersuchungen zu Leben und Werk eines Kölner Verlegers im 16. Jahrhundert, Köln 1966.
Löw, Annekatrein, Altarstiftungen und Bildnisaufträge des Bürgermeisters Goddert Hittorp (1485/90–1573), in: Schäfke, Werner (Hg.), Coellen eyn croyn. Renaissance und Barock in Köln, Köln 1999, S. 9–78 .
Schmitz, Wolfgang, Hittorp, Gottfried, in: Lexikon des gesamten Buchwesens, Band 3 (1991), S. 485.
Online
Blum, Hans, Artikel "Hittorp, Goddert", in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 270-272.
Die Familie Hittorp in den Aufzeichnungen des Kölner Bürgers Hermann Weinsberg (Digitale Lesefassung mit Suchfunktion/Projekt Weinsberg: Interdisziplinäres DFG-Forschungsprojekt der Abteilungen für Rheinische Landesgeschichte und Sprachforschung am Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn).
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Löw, Annekatrein, Goddert Hittorp, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/goddert-hittorp/DE-2086/lido/57c8309b9c2977.65313709 (abgerufen am 05.12.2024)