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Die Absicherung dynastischer Interessen durch Heirat und eine ausreichende Zahl Nachkommen kann als wesentliches Merkmal der Familienpolitik des frühneuzeitlichen Adels gesehen werden. Durch geschickt geplante und teilweise aufwändig arrangierte Verbindungen brachten es manche ursprünglich kleine Fürstenhäuser, allen voran die Habsburger, zu einer immensen Einflusssphäre. Insbesondere im Umfeld dynastischer Brüche, beim Aussterben einer Familie im Mannesstamm etwa, verdichteten sich die Bemühungen von formal oder vermeintlich anverwandten Linien, um ein Herrschaftsgebiet übernehmen zu können.
Das Herzogtum Jülich-Kleve Berg galt im 16. Jahrhundert als geostrategisch äußerst wertvolles Herrschaftsgebiet, und die Chancen der Einflussnahme standen nicht schlecht, weil Herzog Wilhelm V. „der Reiche“ bei insgesamt sieben Kindern fünf Töchter und nur zwei Söhne hatte, von denen einer, Karl Friedrich (1555-1575) früh starb, der andere, Johann Wilhelm, bereits seit frühester Jugend Anzeichen einer sich im Erwachsenenalter potenzierenden Geisteskrankheit zeigte, die ihn ebenso regierungsunfähig machte wie auch trotz zweier Ehen die Geburt von Nachkommen verhinderte. Johann Wilhelm war damit nicht nur persönlich eine tragische Gestalt der Zeit um 1600; sein Tod und der folgende Streit um das Erbe markieren auch einen ersten Vorboten des Dreißigjährigen Kriegs ebenso wie den beginnenden Aufstieg Brandenburg-Preußens im Machtgefüge des Reiches.
Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg wurde am 29.5.1562 als Sohn des regierenden Herzogs Wilhelm und dessen zweiter Frau Maria von Habsburg (1531-1581), einer Tochter Kaiser Ferdinands I. (1503-1564) geboren. Schon in dieser Konstellation ist zu erkennen, dass das Kaiserhaus eine Brücke an den Niederrhein schlagen und seine niederländischen Besitzungen absichern wollte. Als zweitgeborener Sohn wurde Johann Wilhelm zunächst für den geistlichen Stand bestimmt und am Xantener Stift St. Viktor erzogen. In der Folge erhielt er zur finanziellen Absicherung mehrere Pfründen, darunter 1573 eine Domherrenstelle in Köln. Außerdem wurde er zum Bischof von Münster designiert und im Jahr 1574, also im Alter von knapp zwölf Jahren, gewählt. Im folgenden Jahr starb jedoch sein älterer Bruder Karl Friedrich während eines Romaufenthaltes an den Pocken. Johann Wilhelm wurde damit zum Erbprinzen der Vereinigten Herzogtümer. In dieser Rolle hätte er eigentlich seinen durch mehrere Schlaganfälle geschwächten Vater unterstützen müssen; es deutet hingegen auf einen bereits in diesem Alter auch geistig schlechten Zustand des körperlich ohnehin kränklichen Jungen, dass er die nächsten Jahre in ziemlicher Abgeschiedenheit und wenig standesgemäß auf einem Landgut in Horstmar bei Münster verbrachte und weder in die Regierungs- und Repräsentationsgeschäfte einbezogen noch durch entsprechenden Unterricht darauf vorbereitet wurde.
Während des zwischenzeitlichen Streites um seine Nachfolge im Bistum Münster trat Johann Wilhelm nur passiv in Erscheinung und blieb, da das Münsteraner Domkapitel Ernst von Bayern zu wählen nicht bereit war, zunächst weltlicher Administrator des Hochstifts. Als Ernst 1585 schließlich doch gewählt wurde, resignierte Johann Wilhelm umgehend.
Den bayrischen Einfluss am Niederrhein stärken sollte auch die Verbindung, die 1584 zwischen Johann Wilhelm und der Markgräfin Jakobe von Baden geschlossen wurde. Jakobe war eine Nichte Herzog Albrechts von Bayern (1528-1579), an dessen Hof sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern erzogen worden war. Allerdings profitierte die katholische Partei nicht unmittelbar von diesem Arrangement, denn sowohl Jakobe als auch Johann Wilhelm fügten sich zunächst der via media, der am Düsseldorfer Hof etablierten, konfessionspolitisch vermittelnden und gemäßigten Position Herzog Wilhelms. Johann Wilhelm schwankte allerdings zwischen den Extremen; war er zunächst der katholischen Reform zugetan und suchte Anschluss an Spanien, veranlasste er ab 1586 die Verfolgung von Protestanten in Jülich, was ihn mit seinem Vater nachhaltig entzweite.
Zu einer Versöhnung kam es nicht mehr, bis Wilhelm 1592, selbst von schweren Krankheiten gezeichnet und von Misstrauen in seine Umgebung erfüllt, starb. In diesen Jahren der offenen Feindseligkeiten zwischen Vater und Sohn brach Johann Wilhelms als Wahnsinn bezeichnetes Leiden endgültig aus. Zunächst litt er seit dem Frühjahr 1589 unter Depressionen und Angstzuständen, wenig später kamen Tobsuchtsanfälle hinzu. Insofern war an eine Übernahme der Regentschaft nicht zu denken, die an seiner Stelle seine Gemahlin Jakobe auszuüben gedachte. Johann Wilhelm wurde in Schutzhaft genommen. Ohne die zumindest äußere Legitimation ihres Mannes und infolge einiger ungeschickter Maßnahmen und nicht zuletzt einer angeblichen außerehelichen Liaison konnte die Herzogin nicht auf die Unterstützung des Hofes und der Räte setzen, zumal sie wegen der wahrscheinlichen Zeugungsunfähigkeit ihres Mannes keinen Nachfolger zur Welt brachte. So gab es offenbar schon um die Jahreswende 1594/1595 Pläne, sie zu ermorden, was schließlich im Herbst 1597 gelang.
Einen Versuch, die herzogliche Dynastie doch noch zu sichern, stellte die Verheiratung Johann Wilhelms mit Antonie von Lothringen (1568-1610) dar. Zumindest verlautbart wurde, dass der Gesundheitszustand Johann Wilhelms sich dank der Fähigkeiten eines englischen Arztes gebessert habe, so dass er nach Jakobes Tod aus seiner Haft entlassen werden und 1599 die lothringische Herzogstochter heiraten konnte. Allerdings hatten schon früher mehrere Ärzte, darunter der Leibarzt Wilhelms V., Reiner Solenander, die Unheilbarkeit Johann Wilhelms gutachterlich festgestellt.
Tatsächlich blieb auch die Ehe zwischen Johann Wilhelm und Antonie von Lothringen kinderlos. Die zahlreichen Exorzismen, die man an beiden vornahm, dürften die Angstzustände des Herzogs noch verstärkt haben. Er verfiel jedenfalls mehr und mehr eine im zeitgenössischen Sprachgebrauch als Stumpfsinn bezeichnete katatonische Phase, aus der er bis zu seinem Tod am 25.3.1609 nicht mehr erwachte.
Der Leichnam wurde erst fast zwei Jahrzehnte später im Oktober 1628 in der Düsseldorfer Lambertuskirche beigesetzt. Bis dahin war der Sarg Johann Wilhelms in der Schlosskapelle aufbewahrt worden, weil über das Zeremoniell der Bestattungsfeier zwischen den rivalisierenden Erbanwärtern keine Einigkeit erzielt werden konnte. Hier standen sich Brandenburg-Preußen und Pfalz-Neuburg gegenüber, die ihre Ansprüche jeweils aus ehelichen Verbindungen von Schwestern Johann Wilhelms ableiteten. Beide Prätendenten hatten angesichts des sich abzeichnenden Erlöschens der Jülichschen Dynastie bereits zu Lebzeiten versucht, die Vormundschaft über Johann Wilhelm zu erhalten, während das Kaiserhaus mit dem Heimfall des Herzoglehens liebäugelte, um das Territorium dem eigenen Herrschaftsbereich einzuordnen. Da der Erbstreit auch eine konfessionelle Dimension hatte – der Pfälzer war katholisch, der Brandenburger reformiert –, zeichneten sich die Fronten, die den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges bestimmen sollten, hier schon ab. So sind etwa die Gründungen von protestantischer Union und katholischer Liga in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zum Jülich-Klevischen Erbfolgestreit zu sehen.
Erst im Jahr 1666 konnte im Vertrag von Kleve die Koexistenz Brandenburgs und Pfalz-Neuburgs am Niederrhein durch endgültige Aufteilung des Herzogtums erreicht werden. Mit dem Erlöschen des Herzoghauses Jülich-Kleve-Berg konnte das einstmals nur auf märkischen Sand gebaute, eher unbedeutende Brandenburg-Preußen weit nach Westen ausgreifen und sich unter den deutschen Fürstentümern zur führenden Macht im Reich neben Habsburg erheben.
Literatur
Graumann, Sabine, „So ist die Haubtesblödigkeit nit besser“. Medizinische Consilia für Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg (1562-1609), in: Hildener Museumshefte 5 (1993), S. 83-107.
Groten, Manfred/von Looz-Corswarem, Clemens/Reininghaus, Wilfried (Hg.), Der Jülich-Klevische Erbstreit. Seine Voraussetzungen und Folgen. Vortragsband, Düsseldorf 2011.
Mostert, Rolf-Achim, Der jülich-klevische Regiments- und Erbfolgestreit – ein Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg, in: Ehrenpreis, Stefan (Hg.), Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und seinen Nachbarregionen, Neustadt/Aisch 2002, S. 26–64.
Ollmann-Kösling, Heinz, Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve (1609–1614). Ein Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg, Regensburg 1996.
Online
Stieve, Felix, Artikel „Johann Wilhelm, Herzog von Jülich-Cleve“, in: ADB 14 (1881), 228-230. [online]
Wolf, Manfred, Artikel „Johann Wilhelm von der Mark“, in: NDB 10 (1974), 491 f. [online]
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Bock, Martin, Johann Wilhelm, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-wilhelm/DE-2086/lido/5da47e1bd80984.16109357 (abgerufen am 05.12.2024)