Zu den Kapiteln
Dem Düsseldorfer Rechtsanwalt Karl Müller gelang es 1945 zusammen mit Aloys Odenthal (1912-2003) und Karl August Wiedenhofen (1888-1958), eine erneute Bombardierung Düsseldorfs durch die Alliierten abzuwenden und entgegen den Befehlen des NS-Regimes die Stadt kampflos an die heranrückenden amerikanischen Truppen zu übergeben.
Karl Müller wurde am 7.4.1893 in Gerresheim (heute Stadt Düsseldorf) als Sohn des Gerichtsvollziehers Theodor Müller (1854-1930) und seiner Frau Anna Winkelius (1859-1937) geboren. Zusammen mit seiner Schwester Else (1890-1986) wuchs er in einem streng katholischen Elternhaus auf. Nach Besuch der Volksschule in Düsseldorf, des Progymnasiums in Eupen sowie des Gymnasiums in Dorsten legte Müller 1914 in Bocholt die Reifeprüfung ab.
Ab August 1914 nahm er am Ersten Weltkrieg teil. Ab Sommer 1916 studierte er an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Jura, zum Sommersemester 1917 wechselte er an die Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit Januar 1920 besuchte Müller die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, wo er am 2.3.1921 mit seiner Dissertation „Nationale und internationale Amtsprache" promoviert wurde.
Zwischen 1921 und 1928 lebte Karl Müller in Köln, Saarbrücken und Düsseldorf, bevor er 1932 mit seiner Frau Charlotte Berger nach Frankreich auswanderte. Die Ehe wurde jedoch 1935 geschieden und Müller kehrte nach Düsseldorf zurück, wo er sich als Rechtsanwalt nieder ließ und eine tiefe Abneigung gegen die totalitäre Weltanschauung der Nationalsozialisten entwickelte. Deshalb traf er sich seit Ende der 1930er Jahre regelmäßig in Gerresheim mit dem Architekten Aloys Odenthal und dem ehemaligen Amtsgehilfen des Düsseldorfer Polizeipräsidiums, Theodor Winkens (1897-1967), um über die politische Lage zu diskutieren. Da er ungeachtet der nationalsozialistischen Propaganda die Kontakte zu seinen französischen Freunden aufrecht hielt, geriet er schon früh ins Visier der Gestapo. In Odenthal, der aufgrund seiner christlichen Überzeugung öffentlich gegen das NS-Regime auftrat und bereits mehrfach verhört worden war und Winkens, der wegen seiner Weigerung, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen, vom Dienst suspendiert worden war, fand Karl Müller zwei Gleichgesinnte. Sie planten keine aktiven Widerstandsaktionen, sondern trafen sich lediglich zu Gesprächen und Diskussionsrunden.
1943 entstand über Karl Müller der Kontakt zu dem Rechtsanwalt Karl August Wiedenhofen, der in der Düsseldorfer Innenstadt einen kleinen Widerstandskreis um sich geschart hatte. Die beiden Gruppen trafen sich von nun an ein- bis zweimal monatlich, um über eine Neugestaltung Deutschlands und die Befreiung vom nationalsozialistischen Regime zu diskutieren, ohne jedoch konkrete Aktionen zu planen oder durchzuführen. Im Sommer 1944 wurde der Kreis um den stellvertretenden Polizeipräsidenten Otto Goetsch (1900-1962) erweitert. Obwohl ein hoher Beamter und Mitglied der NSDAP, stand Goetsch dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber und versorgte Müller und seine Mitstreiter mit Informationen. Im Februar 1945 erreichten alliierte Truppen die Stadt Düsseldorf, die zu einer hart umkämpften Frontstadt wurde. Während Gauleiter Friedrich Karl Florian nach dem Beginn der Belagerung am 3.3.1945 noch mit den Worten „Am Rhein pflanzen wir die Fahne des Widerstands auf" zur Verteidigung der Stadt aufgerufen hatte, wurde die Lage für die Bewohner Ende März 1945 immer bedrohlicher. Am 24.3.1945 rief Kreisleiter Karl Walter (1901-1957) Frauen und Kinder zum Verlassen der Stadt auf. Seit Anfang März stand Düsseldorf unter Dauerbeschuss, alle Straßen, die meisten Rheinbrücken, Hochwasserdeiche, Unter- und Überführungen sowie das städtische Wassernetz waren größtenteils zerstört. Am 28.3.1945 gab Friedrich Karl Florian daher den Räumungsbefehl: Die gesamte Stadt sollte zerstört werden, um den Alliierten bei ihrem Vormarsch lediglich „verbrannte Erde" zu hinterlassen.
In dieser Situation entschlossen sich Karl Müller und die anderen Widerständler zum Handeln. Am 15.4.1945 traf sich Müller mit Wiedenhofen und weiteren Mitgliedern aus dessen Widerstandskreis, um die nun folgenden Schritte zu beraten. Einigkeit herrschte darüber, dass die NS-Führung ausgeschaltet werden müsse, um eine kampflose Übergabe der Stadt an die alliierten Truppen zu erreichen und weitere Bombardierungen zu verhindern. Zu diesem Zweck sollte der Oberstleutnant der Schutzpolizei Franz Jürgens (1895-1945), der sich vehement gegen die Zerstörungsbefehle Florians gestellt hatte, in die Pläne eingeweiht werden. Dieser hatte Anfang April 1945 die von Polizeipräsident August Korreng (1878-1945) befohlene Übernahme des Kommandos über die „Kampfgruppe Mitte", die Düsseldorf vor den heranrückenden Alliierten verteidigen sollte, verweigert. Mit seiner Hilfe beabsichtigte man, Korreng gefangen zu nehmen und die Kontrolle über die Stadt zu erlangen. Über Müller wurden auch Odenthal und Winkens in die Pläne eingeweiht.
Am Morgen des 16.4.1945 trafen sich Müller, Odenthal und Wiedenhofen mit den Widerstandskämpfern Theodor Andresen (1907-1945), Josef Knab (1894-1945), Karl Kleppe (1889-1945) und Hermann Weill (1924-1945). Da die Amerikaner bereits vor den Toren der Stadt standen und gegen die Befehle Florians eine Kapitulation aussichtslos erschien, entschloss sich die Gruppe, noch am selben Tag aktiv zu werden.
Müller, Odenthal und Wiedenhofen fanden sich gegen Mittag bei Franz Jürgens im Polizeipräsidium ein, wo die letzten Details der „Aktion Rheinland" besprochen wurden. Müller, Wiedenhofen und Odenthal sollten mit einem von Jürgens unterzeichneten Passierschein zu den amerikanischen Truppen durchdringen und über eine kampflose Übergabe der Stadt verhandeln, während Jürgens für eine Festnahme Korrengs sorgen und das Kommando über die Polizei übernehmen sollte. Ausgestattet mit Waffen der Schutzpolizei stürmten die Männer das Büro des Polizeipräsidenten und nahmen ihn gefangen. Neben zwei Polizeibeamten fungierte zunächst Karl Müller bis zum Nachmittag als Wache.
Während Odenthal und Wiedenhofen in der Stadt die Ablösung für Karl Müller organisierten, wurde die Aktion jedoch von einem Mitarbeiter des Polizeipräsidiums verraten. Müller konnte gerade noch fliehen, während seine mittlerweile eingetroffenen Mitstreiter Kleppe, Knab, Andresen, Weill und später auch Jürgens festgenommen wurden. Am Nachmittag des 16.4.1945 wurden die fünf Widerstandskämpfer unter anderem wegen Feindbegünstigung zum Tode verurteilt. Die Urteile wurden noch in der Nacht zum 17.4.1945 vollstreckt.
Inzwischen war es Odenthal und Wiedenhofen gelungen, bis zu den amerikanischen Truppen durchzudringen und die alliierten Kommandeure von einer kampflosen Übergabe Düsseldorfs zu überzeugen. Währenddessen versteckten sich Müller und Goetsch in Müllers Gerresheimer Wohnung, wo sie am 17.4.1945 den Einmarsch der Amerikaner erlebten. Durch den Einsatz der Widerstandsgruppe war ein für die Nacht auf den 17.4.1945 geplanter Bombenangriff gerade noch verhindert worden.
Nach 1945 arbeitete Müller in Düsseldorf als Rechtsanwalt; 1948 heiratete er in zweiter Ehe Elisabeth Regine Krüll (geboren 1924). Aus seinen beiden Ehen sind keine Kinder hervorgegangen.
Karl Müller starb am 18.10.1949 im Alter von 56 Jahren in Düsseldorf. Sein Grab befindet sich auf dem dortigen Nordfriedhof; an ihn erinnert eine nach ihm benannte Straße in Düsseldorf-Düsseltal.
Literatur
Görgen, Hans-Peter, Düsseldorf und der Nationalsozialismus. Studie zur Geschichte einer Großstadt im „Dritten Reich", Düsseldorf 1969.
Schabrod, Karl, Widerstand gegen Flick und Florian, Frankfurt am Main 1978.
Steinacker, Olaf, Bombenkrieg über Düsseldorf, Gudensberg-Gleichen 2003.
Weidenhaupt, Hugo (Hg.), Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jarhundert, Band 3, Düsseldorf 1989, S. 229-237.
Zimmermann, Volker, In Schutt und Asche. Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Düsseldorf, Düsseldorf 1995.
Online
Dönecke, Klaus-Fr., Die Ereignisse des 16. und 17. April in Düsseldorf "Aktion Rheinland" (PDF-Datei auf der Homepage der Geschichtswerkstatt Düsseldorf e. V.). [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Striewski, Jennifer, Karl Müller, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/karl-mueller/DE-2086/lido/57c950dd615972.64558134 (abgerufen am 09.12.2024)