Lothar II.

König des Mittelreiches (um 835-869)

Letha Böhringer (Bonn)

Siegelabdruck Lothars II., Original in der Französischen Nationalbilbiothek Paris, Foto: Kornbluth Photography. (Kornbluth Photography)

Der Ka­ro­lin­ger Lo­thar II. war ein Ur­en­kel Karls des Gro­ßen und wur­de 855 Kö­nig des (nörd­li­chen) Mit­tel­rei­ches, das sich von Fries­land bis zu den Al­pen er­streck­te. Sei­ne Herr­schaft wur­de do­mi­niert von ver­geb­li­chen Be­mü­hun­gen, sich von sei­ner Ehe­frau Theut­ber­ga zu tren­nen, um ei­ne zwei­te Part­ne­rin na­mens Wald­ra­da und den ge­mein­sa­men Sohn Hu­go als Kö­ni­gin be­zie­hungs­wei­se Thron­er­ben an­er­ken­nen zu las­sen. Sein Tod be­deu­te­te das po­li­ti­sche En­de des Mit­tel­rei­ches, das un­ter den Nach­bar­rei­chen auf­ge­teilt wur­de.

Kai­ser Lo­thar I. (Re­gie­rungs­zeit 814-855) hat­te bei sei­nem Tod am 29.9.855 die Auf­tei­lung des (Ge­samt-) Mit­tel­rei­ches, wie es durch den Ver­trag von Ver­dun 843 ge­bil­det wor­den war, un­ter sei­ne drei Söh­ne ver­fügt. Lud­wig, der äl­tes­te Sohn, erb­te Ita­li­en mit dem Kai­ser­tum (Re­gie­rungs­zeit 840-875), nörd­lich der Al­pen trat der et­wa zwan­zig­jäh­ri­ge Lo­thar II. die Herr­schaft an, und der jüngs­te Bru­der Karl (Re­gie­rungs­zeit 855-863) er­hielt die Pro­vence und den Du­kat Ly­on. Die­se Auf­tei­lung stieß nicht auf das Wohl­wol­len der Söh­ne. Lud­wig for­der­te ei­nen An­teil am nord­al­pi­nen Reichs­ge­biet, und Lo­thar zeig­te Be­gehr­lich­kei­ten hin­sicht­lich der Pro­vence.

In die­ser an­ge­spann­ten Si­tua­ti­on – dem ers­ten Re­gie­rungs­wech­sel nach dem Ver­trag von Ver­dun – zeig­te sich, wie ab­hän­gig der jun­ge Kö­nig von den Gro­ßen sei­nes Rei­ches war. An­ge­hö­ri­ge sei­nes Adels führ­ten Lo­thar wohl An­fang Ok­to­ber 855 nach Frank­furt, wo sie ihn vor dem ost­frän­ki­schen Herr­scher Lud­wig dem Deut­schen aus­drück­lich als ih­ren Kö­nig an­er­kann­ten, nicht zu­letzt, um auch die Zu­stim­mung und Un­ter­stüt­zung Lud­wigs zu ge­win­nen. Bald dar­auf, En­de Ok­to­ber, be­fand sich Lo­thar in Aa­chen. Dort wur­de er auf­ge­sucht von Abt Huk­bert von Saint-Mau­rice d’Agau­ne (ge­stor­ben 864), dem An­ge­hö­ri­gen ei­ner Fa­mi­lie, die im Ju­ra um Saint-Mau­rice d‘Au­gau­ne und den Al­pen­päs­sen Macht aus­üb­te – das hei­ßt im Grenz­raum zu den Rei­chen der Brü­der. Huk­bert führ­te Lo­thar sei­ne Schwes­ter Theut­ber­ga zu, die er als­bald hei­ra­te­te – noch in den Ta­gen der Trau­er um den Va­ter, wie ei­ne Quel­le ver­merkt. Die­sem Ehe­bünd­nis konn­te sich Lo­thar wohl nicht ent­zie­hen. Doch ent­pupp­te sich der ver­meint­li­che Ver­bün­de­te Huk­bert als un­zu­ver­läs­sig und über­dies bald als ent­behr­lich, weil Papst Be­ne­dikt III. (Pon­ti­fi­kat 855-858) 856 zwi­schen den Brü­dern ver­mit­tel­te, so dass die Erb­tei­lung ih­res Va­ters Be­stand hat­te.

Schon im fol­gen­den Jahr 857 un­ter­nahm Lo­thar den ers­ten Ver­such, die po­li­ti­sche Ehe mit Theut­ber­ga zu lö­sen. Er tat dies in ei­ner Wei­se, die nicht nur sei­ne Ehe­frau, son­dern auch de­ren Fa­mi­lie dif­fa­mier­te. Lo­thar be­schul­dig­te Theut­ber­ga, vor der Ehe ein in­zes­tuö­ses Ver­hält­nis mit ih­rem Bru­der ge­habt zu ha­ben, aus dem ein Kind her­vor­ge­gan­gen sei, das Theut­ber­ga mit­tels ei­nes Tran­kes ab­ge­trie­ben ha­be – ei­ne An­schul­di­gung, die selbst nach mo­der­nen Kri­te­ri­en in­fam ist und die ei­ne Ver­sto­ßung Theut­ber­gas ge­recht­fer­tigt hät­te. Doch wie­der­um zeigt sich die star­ke Po­si­ti­on des lo­tha­ri­ni­gi­schen Adels, des­sen Ver­tre­ter die Ver­sto­ßung ih­rer Stan­des­ge­nos­sin nicht ein­fach hin­nah­men. So wur­de ein Got­tes­ur­teil ein­ge­holt. Dies ge­schah durch den so ge­nann­ten Kes­sel­fang, das hei­ßt ein Ver­tre­ter der Kö­ni­gin griff in ei­nen Kes­sel mit sie­den­dem Was­ser; da die Brand­wun­den ver­heil­ten, be­stand er die Pro­be. Lo­thar muss­te sei­ne Frau wie­der auf­neh­men; er ließ sie in­des in Ge­wahr­sam neh­men, denn er woll­te sich ih­rer un­be­dingt ent­le­di­gen.

Lo­thar leb­te näm­lich noch in ei­ner zwei­ten Part­ner­schaft, und zwar mit ei­ner el­säs­si­schen ad­li­gen Da­me na­mens Wald­ra­da. Ihr Na­me be­geg­net erst­mals En­de 861, als sie mit Lo­thar und mit drei der vier ge­mein­sa­men Kin­der an­läss­lich ei­nes Be­su­ches in das Me­mo­ri­al­buch von Re­mi­re­mont ein­ge­tra­gen wur­de. Lo­thar hielt bis zu sei­nem Tod 869 un­be­irrt an die­ser Be­zie­hung fest, aus der drei Töch­ter und ein Sohn her­vor­gin­gen.

Die ju­ris­ti­sche Be­wer­tung die­ser Be­zie­hung ist in der For­schung um­strit­ten. Rechts­his­to­ri­ker be­müh­ten sich um ein­deu­ti­ge Kri­te­ri­en und un­ter­schie­den die „Munte­he“, bei der die Ehe­frau von ih­rem Vor­mund förm­lich dem Gat­ten über­ge­ben und mit ei­ner Mit­gift (Dos) aus­ge­stat­tet wur­de, von der „Frie­de­le­he“ (von Frie­del = Freun­din, Ge­lieb­te), die un­do­tiert ge­we­sen sei und auf dem Kon­sens der Gat­ten be­ruht ha­be. Der­art kla­re ju­ris­ti­sche und ter­mi­no­lo­gi­sche De­fi­ni­tio­nen gel­ten je­doch in­zwi­schen als ana­chro­nis­tisch, denn im 9. Jahr­hun­dert wa­ren die pro­fan- und kir­chen­recht­li­chen Kon­zep­te von Ehe bei wei­tem nicht ein­deu­tig um­ris­sen oder gar aus­for­mu­liert. Zu­dem ha­ben meh­re­re Un­ter­su­chun­gen der letz­ten Jahr­zehn­te dar­ge­legt, dass die ver­meint­li­chen Quel­len zur „Frie­de­le­he“ fehl­in­ter­pre­tiert wur­den; die­se ist ein weit­ge­hend ein Kon­strukt der For­schung. Grund­sätz­lich wa­ren Ehe­schlie­ßung und Ehe­schei­dung im 9. Jahr­hun­dert An­ge­le­gen­hei­ten der Lai­en; kir­chen­recht­li­che Kri­te­ri­en für die gül­ti­ge Schlie­ßung ei­ner Ehe und für ih­re Auf­he­bung wur­den erst nach und nach for­mu­liert und durch­ge­setzt. In der Pra­xis ist von ver­schie­de­nen Aus­ge­stal­tun­gen der ehe­li­chen Ver­bin­dun­gen aus­zu­ge­hen; flie­ßen­de Über­gän­ge in ei­nem wei­ten Spek­trum er­ge­ben das Bild „stär­ke­rer“ und „schwä­che­rer“ Be­zie­hun­gen. Der Grad ih­rer Ver­bind­lich­keit war ab­hän­gig von ver­mö­gens­recht­li­chen As­pek­ten, das hei­ßt in­wie­weit die be­tei­lig­ten Fa­mi­li­en die Ehe mit Gü­tern aus­stat­te­ten, und vor al­lem von der tat­säch­li­chen Macht­po­si­ti­on der Ehe­leu­te be­zie­hungs­wei­se der hin­ter ih­nen ste­hen­den Fa­mi­li­en­ver­bän­de.

Lo­thars Ver­bin­dung mit Wald­ra­da war kei­ne un­ver­bind­li­che „Af­fä­re“ mit ei­ner „Ge­lieb­ten“. Wald­ra­da war ei­ne vor­neh­me Da­me, und die drei Töch­ter Ber­ta, Gi­se­la und Irm­gard tru­gen Na­men ka­ro­lin­gi­scher Kö­ni­gin­nen. Al­ler­dings er­hielt der ein­zi­ge Sohn kei­nen dy­nas­ti­schen Na­men. Er wur­de Hu­go ge­nannt, wie ei­ni­ge we­ni­ge Ka­ro­lin­ger hie­ßen, die nicht für die Thron­fol­ge vor­ge­se­hen wa­ren. Die­se Na­mens­wahl kenn­zeich­net ihn als Sohn min­de­ren Rechts und zeigt, dass auch die Ver­bin­dung sei­ner El­tern an­fecht­ba­rer Qua­li­tät war. In kir­chen­recht­li­chen Quel­len wur­den der­lei „Ne­ben­ver­bin­dun­gen“ oh­ne­hin als „Kon­ku­bi­na­te“ miss­bil­ligt, de­nen je­de Ver­bind­lich­keit ab­ge­spro­chen und de­ren Nach­kom­men als au­ßer­ehe­lich dif­fa­miert und als Er­ben aus­ge­schlos­sen wur­den. In ju­ris­ti­scher Hin­sicht war die Si­tua­ti­on in vie­ler Hin­sicht un­klar (auch im Hin­blick auf ein an­er­kann­tes Ver­fah­ren), und der Aus­gang der An­ge­le­gen­heit war folg­lich of­fen.

Nach dem für Lo­thar so un­er­wünsch­ten Aus­gang des Got­tes­ur­teils von 857 be­müh­te er sich zu­nächst um die po­li­ti­sche Kon­so­li­die­rung sei­ner Herr­schaft und schloss mit den Herr­schern der Nach­bar­rei­che, sei­nen On­keln und Brü­dern, ver­schie­de­ne Ab­kom­men, die ihm Rü­cken­de­ckung bei der wei­te­ren Ver­fol­gung sei­ner Schei­dungs­plä­ne ver­schaf­fen soll­ten. An­fang 860 nahm er die­se wie­der auf; das nun­mehr ge­wähl­te Ver­fah­ren wur­de im We­sent­li­chen von der Geist­lich­keit ge­tra­gen.

In Aa­chen tra­ten am 9. Ja­nu­ar und er­neut Mit­te Fe­bru­ar 860 zwei Ver­samm­lun­gen von Bi­schö­fen des Mit­tel­reichs zu­sam­men, de­ren Pro­to­kol­le den Ein­druck ei­ner sorg­fäl­ti­gen In­sze­nie­rung we­cken, wo­bei Erz­bi­schof Gunthar (Epis­ko­pat 850-863) von Köln ei­ne pro­mi­nen­te Rol­le spiel­te. Auf der ers­ten Ver­samm­lung trat Lo­thar als reui­ger Bü­ßer auf und be­rich­te­te, dass sei­ne Gat­tin er­klärt ha­be, der Ehe nicht wür­dig zu sein und ins Klos­ter ge­hen zu wol­len. Dar­auf­hin trat Theut­ber­ga selbst hin­zu und er­mäch­tig­te Gunthar als ih­ren Beicht­va­ter, den An­we­sen­den das ihm ge­beich­te­te Ver­ge­hen zu ent­hül­len. Ei­nem zwei­ten Be­richt zu­fol­ge be­rich­te­te Theut­ber­ga selbst da­von; Gunthar und wei­te­re Prä­la­ten ge­stat­te­ten ihr dar­auf hin, in ei­nem Klos­ter Bu­ße zu leis­ten. Auf der zwei­ten Aa­che­ner Ver­samm­lung über­gab Theut­ber­ga ein schrift­li­ches Ge­ständ­nis ih­res In­zest­ver­ge­hens. Dar­auf­hin ver­ur­teil­ten die Bi­schö­fe sie zu öf­fent­li­cher Bu­ße, die sie in ei­nem Klos­ter ab­leis­ten soll­te. So­mit war die ehe­li­che Ge­mein­schaft mit Lo­thar auf­ge­ho­ben, die Ehe aber noch nicht auf­ge­löst wor­den.

En­de 860 floh Theut­ber­ga zu ih­rem Bru­der, der sich im West­fran­ken­reich Kö­nig Karls des Kah­len auf­hielt. Sie wi­der­rief ihr Ge­ständ­nis und ap­pel­lier­te schlie­ß­lich an Papst Ni­ko­laus I. (Pon­ti­fi­kat 858-867). Doch schon zu­vor hat­te das Vor­ge­hen Lo­thars und der ihn un­ter­stüt­zen­den Bi­schö­fe für er­heb­li­chen Un­mut un­ter ho­hen Geist­li­chen und Lai­en ge­sorgt. Ei­ne Grup­pe Op­po­si­tio­nel­ler rich­te­te im Lau­fe des Jah­res 860 zwei de­tail­lier­te Fra­gen­ka­ta­lo­ge an den theo­lo­gisch wie ka­no­nis­tisch glei­cher­ma­ßen ver­sier­ten Erz­bi­schof Hink­mar von Reims (Epis­ko­pat 845-882), der die Fra­gen in Form ei­nes um­fäng­li­chen Gut­ach­tens über das Schei­dungs­be­geh­ren Lo­thars II. be­ant­wor­te­te. Da Hink­mar so­wohl die Ak­ten­stü­cke aus Aa­chen als auch die kri­ti­schen Fra­gen sei­ner Auf­trag­ge­ber im Wort­laut in sei­ne Stel­lung­nah­me auf­nahm, sind wir über die Ar­gu­men­te der Geg­ner und Be­für­wor­ter der Schei­dung recht gut in­for­miert. Hink­mar kri­ti­sier­te zahl­rei­che As­pek­te des Ver­fah­rens, gei­ßel­te Lo­thars Ehe­bruch mit sei­ner „Kon­ku­bi­ne“ (Wald­ra­da wird na­ment­lich nicht er­wähnt) und dräng­te auf ei­ne gro­ße Ver­samm­lung der Gro­ßen al­ler Reichs­tei­le, um das Pro­blem ein­ver­nehm­lich mit Lai­en und Geist­lich­keit zu lö­sen – wo­bei er als ei­ner der ma­ß­geb­li­chen Prä­la­ten ei­ne her­vor­ra­gen­de Rol­le spie­len wür­de.

An­ge­sichts der sich for­mie­ren­den Op­po­si­ti­on und der Ein­schal­tung des Paps­tes durch Theut­ber­ga schuf Lo­thar Fak­ten. Im April 862 trat er­neut ei­ne Bi­schofs­ver­samm­lung in Aa­chen zu­sam­men. Die­se Syn­ode ge­stat­te­te Lo­thar die Ehe mit Wald­ra­da, die noch im sel­ben Jahr zur Kö­ni­gin ge­krönt wur­de. In ei­ner Ur­kun­de vom 18. Mai, die ei­ne Schen­kung für das Frau­en­klos­ter Saint-Pier­re-les-Non­nains zum In­halt hat, wird Wald­ra­da als „sehr ge­lieb­te Ehe­frau“ zu­sam­men mit Hu­go, je­doch oh­ne die Töch­ter, er­wähnt.

863 er­schie­nen zwei päpst­li­che Le­ga­ten im Mit­tel­reich: Sie soll­ten die An­ge­le­gen­heit un­ter­su­chen, doch be­stä­tig­ten sie Mit­te des Jah­res auf ei­ner Syn­ode in Metz – an­geb­lich auf­grund von Be­ste­chung – die Aa­che­ner Be­schlüs­se und die Ehe Lo­thars mit Wald­ra­da. Zur Le­gi­ti­ma­ti­on tru­gen die Par­tei­gän­ger Lo­thars un­ter an­de­rem vor, dass die Ehe mit Wald­ra­da die zu­erst gül­tig ge­schlos­se­ne und die zwei­te Ver­bin­dung mit Theut­ber­ga er­zwun­gen und da­mit un­gül­tig ge­we­sen sei. Die Me­tro­po­li­ten Gunthar von Köln und Theut­gaud von Trier (Epis­ko­pat 847-863) zo­gen mit dem Pro­to­koll nach Rom, wo der Papst selbst von der Recht­mä­ßig­keit der Vor­gän­ge über­zeugt wer­den soll­te. Doch in Rom kam es En­de Ok­to­ber 863 auf ei­ner La­ter­an­syn­ode zum Eklat. Ni­ko­laus kas­sier­te die Met­zer Be­schlüs­se, ex­kom­mu­ni­zier­te bei­de Erz­bi­schö­fe und setz­te sie ab. Der Papst brach­te in ei­ner bis da­hin un­er­hör­ten Wei­se zum Aus­druck, dass er das höchs­te Rich­ter­amt in der Kir­che in­ne hat­te (Ju­ris­dik­ti­ons­pri­mat) und be­din­gungs­lo­se Un­ter­wer­fung un­ter sei­ne Au­to­ri­tät ver­lang­te.

Das Vor­ge­hen des Paps­tes schwäch­te Lo­thars Po­si­ti­on er­heb­lich. Sei­ne bei­den wich­tigs­ten geist­li­chen Be­ra­ter wa­ren fort­an prak­tisch oh­ne Ein­fluss; bei­de wur­den nicht wie­der in ih­re Äm­ter ein­ge­setzt. Zu­dem ver­dich­te­te sich mehr und mehr der Ein­druck, es könn­te ihm letzt­end­lich nicht ge­lin­gen, Hu­go als Thron­er­ben zu eta­blie­ren, so dass er bei sei­nem Tod das Mit­tel­reich oh­ne le­gi­ti­men Er­ben hin­ter­las­sen wür­de. Hin­zu kam, dass Karl von der Pro­vence be­reits 863 starb, und Kai­ser Lud­wig II. eben­falls kei­nen männ­li­chen Er­ben hat­te, der das Reich Lo­thars hät­te be­an­spru­chen kön­nen. 865 schlos­sen Karl der Kah­le (Re­gie­rungs­zeit 838-877) und Lud­wig der Deut­sche (Re­gie­rungs­zeit 817-876) ein förm­li­ches Bünd­nis, das Lo­thar fürch­ten ließ, sie woll­ten ihm sein Reich ent­rei­ßen und auf­tei­len. Bei­de Herr­scher be­trie­ben in den fol­gen­den Jah­ren ei­ne Art Schau­kel­po­li­tik: Sie un­ter­stütz­ten Lo­thar und sug­ge­rier­ten ihm Wohl­wol­len für sei­ne Plä­ne, doch ver­stän­dig­ten sie sich 867 auf die Tei­lung der Rei­che ih­rer Nef­fen.

Zu die­sem Zeit­punkt war be­reits deut­lich ge­wor­den, dass sich Lo­thar den For­de­run­gen des Paps­tes nach Ver­söh­nung mit Theut­ber­ga nicht beu­gen wür­de. Ein päpst­li­cher Le­gat hat­te Theut­ber­ga 865 zu Lo­thar zu­rück­ge­führt, doch wur­de die ehe­li­che Ge­mein­schaft nicht wie­der auf­ge­nom­men. Viel­mehr stat­te­te Lo­thar 866 sei­ne „hoch­ge­schätz­te“ (das Wort Gat­tin wird ver­mie­den) Theut­ber­ga in ei­ner Ur­kun­de mit rei­chem Gü­ter­be­sitz aus, ei­ne Schen­kung, die den Cha­rak­ter ei­ner Ab­fin­dung hat­te; sie wur­de 868 mit Er­wei­te­run­gen wie­der­holt. Theut­ber­ga schrieb En­de 866 an Ni­ko­laus I., um selbst den Ver­zicht auf ih­re kö­nig­li­chen Wür­den an­zu­bie­ten. Nun­mehr wur­de auch das Ar­gu­ment ih­rer Kin­der­lo­sig­keit vor­ge­bracht. Der Papst war in­des nicht be­reit, in die Schei­dung ein­zu­wil­li­gen.

Der Tod des Paps­tes am 13.11.867 ließ die Hoff­nung kei­men, sein Nach­fol­ger Ha­dri­an II. (Pon­ti­fi­kat 867-872) könn­te eher zu Zu­ge­ständ­nis­sen be­reit sein. Theut­ber­ga zog nach Rom, um in ei­ge­ner Per­son um die Schei­dung nach­zu­su­chen. Lo­thar ver­han­del­te mit Lud­wig dem Deut­schen und Karl dem Kah­len (Mai und Ju­ni 868), be­vor er es wag­te, sein Reich zu ver­las­sen und eben­falls nach Rom zu zie­hen, wo er im Som­mer 869 ein­traf. Nach fros­ti­gem Emp­fang ver­lie­fen ers­te Ge­sprä­che mit Papst Ha­dri­an II. er­mu­ti­gend, und Lo­thar zog in sein Reich zu­rück in der Hoff­nung auf Wie­der­auf­nah­me der Ver­hand­lun­gen. Doch er er­krank­te auf dem Rück­weg und starb am 8.8.869 in Pia­cen­za. Sei­ne bei­den Frau­en tra­ten in vor­neh­me Klös­ter ein: Theut­ber­ga in die Met­zer Ab­tei Sain­te-Gloss­in­de, Wald­ra­da in Re­mi­re­mont. Ein tra­gi­sches En­de fand der Sohn Hu­go. Er ver­such­te 885, An­hän­ger zu ei­nem Auf­stand ge­gen Kö­nig Karl den Di­cken zu mo­bi­li­sie­ren, doch er schei­ter­te und wur­de ge­blen­det.

Un­mit­tel­bar nach dem Tod Lo­thars II. be­setz­te Karl der Kah­le das Mit­tel­reich und ließ sich am 9. Sep­tem­ber von Erz­bi­schof Hink­mar von Reims zu des­sen Kö­nig krö­nen. Lud­wig der Deut­sche war auf­grund ei­ner schwe­ren Er­kran­kung au­ßer Stan­de, in die Ge­scheh­nis­se ein­zu­grei­fen, und konn­te erst nach sei­ner Ge­ne­sung sei­nen An­teil am Mit­tel­reich for­dern. Im Ver­trag von Meers­sen 870 teil­ten Karl und Lud­wig das Reich Lo­thars II. un­ter sich auf. Die Be­zeich­nung „re­gnum Lo­tha­rii“ blieb in der Wahr­neh­mung der Zeit­ge­nos­sen und ih­rer Nach­fah­ren mit ver­schie­de­nen Be­deu­tungs­fa­cet­ten er­hal­ten. Es wird nach in der For­schung kon­tro­vers dis­ku­tiert, ob und in­wie­weit es ein lo­tha­ri­sches „Ei­gen­be­wusst­sein“ be­reits im 9. Jahr­hun­dert ge­ge­ben hat und wie es sich ma­ni­fes­tier­te. Die Be­woh­ner ei­nes nur  va­ge um­schrie­be­nen Ge­bie­tes wur­de all­mäh­lich als „Lo­tha­ri­en­ses“ be­zeich­net und schlie­ß­lich ne­ben den Sach­sen, Bay­ern, Ale­man­nen und Schwa­ben als ei­ge­ne „gen­s“ (Stamm) auf­ge­fasst, die in „Loth­rin­gen“ be­hei­ma­tet war.

Das Schei­dungs­be­geh­ren und die Durch­set­zung sei­ner Ehe mit Wald­ra­da do­mi­nier­te die po­li­ti­sche Agen­da der knapp 14-jäh­ri­gen Re­gent­schaft Lo­thars II. Wei­te­re Ak­ti­ons­fel­der tre­ten nur ge­le­gent­lich her­vor; so zog Lo­thar im Früh­jahr 863 ge­gen die Nor­man­nen, die bis Neuss vor­ge­drun­gen wa­ren und schlie­ß­lich ab­zo­gen. Im fol­gen­den Jahr konn­te Lo­thar sie durch Tri­but­zah­lun­gen an Geld und Le­bens­mit­teln ru­hig­stel­len, bis ihm im Ju­li 867 ein er­folg­rei­cher Feld­zug in Fries­land ge­lang.

Ei­ne für Köln und die rhei­ni­schen Stifts­kir­chen be­deut­sa­me Ur­kun­de stell­te Lo­thar II. 866 aus, als er dem ab­ge­setz­ten Gunthar ei­ne (ver­lo­re­ne) Gü­ter­auf­tei­lung be­stä­tig­te. Gunthar wird hier als „ehr­wür­di­ger Lei­ter und from­mer Len­ker“ des Erz­bis­tums be­zeich­net, nicht je­doch als Erz­bi­schof. Die so ge­nann­te Gunthar­sche Gü­ter­um­schrei­bung („Um­schrei­bun­g“ ist aus dem la­tei­ni­schen „con­scrip­ti­o“ über­setzt und be­deu­tet „Be­schrei­bun­g“ im Sin­ne von „recht­lich bin­den­de Zu­wei­sun­g“) wies erst­mals be­stimm­te Län­de­rei­en und Ein­künf­te ein­zel­nen Stifts­kir­chen zu, und zwar dem Dom­stift, St. Ge­re­on, St. Se­ve­rin, St. Ku­ni­bert, der Kir­che der hei­li­gen Jung­frau­en (spä­ter St. Ur­su­la), St. Cas­si­us und Flo­ren­ti­us in Bonn und St. Vik­tor in Xan­ten so­wie der Kir­che St. Pan­ta­le­on.

Das Ur­teil der His­to­ri­ker über Lo­thar II. ist ab­hän­gig von de­ren Ein­schät­zung sei­ner Rol­le in der Schei­dungs­af­fä­re. Im 19. Jahr­hun­dert galt er als schwäch­li­cher Ver­sa­ger, do­mi­niert von ei­ner in­tri­gan­ten „Buh­le­rin“ so­wie pflicht­ver­ges­se­nen und skru­pel­lo­sen Prä­la­ten. In der 2. Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts wur­de er in­des als ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter, je­doch glück­lo­ser Kö­nig ge­se­hen, der sei­nem Reich mit Hu­go un­be­dingt ei­nen Nach­fol­ger si­chern woll­te und nicht vor­aus­se­hen konn­te, dass er bei Erz­bi­schof Hink­mar von Reims und Papst Ni­ko­laus I. auf eher­nen Wi­der­stand sto­ße wür­de. Doch war Lo­thar nicht ein­fach ein Herr­scher oh­ne po­li­ti­sche For­tü­ne. Er und sei­ne Be­ra­ter brach­ten im­mer neue und kaum über­zeu­gen­de Sach­vor­hal­te vor, über­schätz­ten die ei­ge­nen Hand­lungs­spiel­räu­me und ver­kann­ten die rea­len Macht­ver­hält­nis­se. Wie die Schei­dungs­geg­ner 860 an Hink­mar von Reims be­rich­te­ten, be­geg­ne­te man in der Um­ge­bung Lo­thars der Kri­tik am bis­he­ri­gen Ver­fah­ren mit voll­mun­di­gen po­li­ti­schen An­sprü­chen. Be­haup­tet wur­de bei­spiels­wei­se, dass der Kö­nig über dem Ge­setz ste­he und nicht an Vo­ten von Bi­schö­fen und Syn­oden ge­bun­den, son­dern al­lein Gott ver­ant­wort­lich sei. Der­lei An­ma­ßun­gen wa­ren we­der kon­sens­fä­hig noch durch­setz­bar, und sol­che Fehl­ein­schät­zun­gen wa­ren we­sent­lich ver­ant­wort­lich für das Schei­tern Lo­thars, des­sen Mit­tel­reich von der eu­ro­päi­schen Land­kar­te ver­schwand.

Quellen

Re­ges­ta Im­pe­rii I: Die Re­ges­ten des Kai­ser­reichs un­ter den Ka­ro­lin­gern (751-918), be­arb. v. Jo­hann Fried­rich Böh­mer u. En­gel­bert Mühl­ba­cher, 2. Auf­la­ge, Inns­bruck 1908. [On­line]
Die Ur­kun­den Lo­thars I. und Lo­thars II., be­arb. v. Theo­dor Schief­fer (MGH Di­plo­ma­ta Ka­ro­li­n­o­rum 3), Ber­lin-Zü­rich 1966. [On­line]
Die Kon­zi­li­en der ka­ro­lin­gi­schen Teil­rei­che 860-874, hg. v. Wil­fried Hart­mann (MGH Con­ci­lia 4), Han­no­ver 1998. [On­line]
Hink­mar von Reims, De di­vor­tio Lo­tha­rii re­gis et Theut­ber­gae re­gi­na, hg. v. Le­tha Böh­rin­ger (MGH Conc. 4 Sup­pl. 1), Han­no­ver 1992. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Böhringer, Letha, Lothar II., in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/lothar-ii./DE-2086/lido/57c943a7f37ea7.34457744 (abgerufen am 12.10.2024)