Zu den Kapiteln
Der Karolinger Lothar II. war ein Urenkel Karls des Großen und wurde 855 König des (nördlichen) Mittelreiches, das sich von Friesland bis zu den Alpen erstreckte. Seine Herrschaft wurde dominiert von vergeblichen Bemühungen, sich von seiner Ehefrau Theutberga zu trennen, um eine zweite Partnerin namens Waldrada und den gemeinsamen Sohn Hugo als Königin beziehungsweise Thronerben anerkennen zu lassen. Sein Tod bedeutete das politische Ende des Mittelreiches, das unter den Nachbarreichen aufgeteilt wurde.
Kaiser Lothar I. (Regierungszeit 814-855) hatte bei seinem Tod am 29.9.855 die Aufteilung des (Gesamt-) Mittelreiches, wie es durch den Vertrag von Verdun 843 gebildet worden war, unter seine drei Söhne verfügt. Ludwig, der älteste Sohn, erbte Italien mit dem Kaisertum (Regierungszeit 840-875), nördlich der Alpen trat der etwa zwanzigjährige Lothar II. die Herrschaft an, und der jüngste Bruder Karl (Regierungszeit 855-863) erhielt die Provence und den Dukat Lyon. Diese Aufteilung stieß nicht auf das Wohlwollen der Söhne. Ludwig forderte einen Anteil am nordalpinen Reichsgebiet, und Lothar zeigte Begehrlichkeiten hinsichtlich der Provence.
In dieser angespannten Situation – dem ersten Regierungswechsel nach dem Vertrag von Verdun – zeigte sich, wie abhängig der junge König von den Großen seines Reiches war. Angehörige seines Adels führten Lothar wohl Anfang Oktober 855 nach Frankfurt, wo sie ihn vor dem ostfränkischen Herrscher Ludwig dem Deutschen ausdrücklich als ihren König anerkannten, nicht zuletzt, um auch die Zustimmung und Unterstützung Ludwigs zu gewinnen. Bald darauf, Ende Oktober, befand sich Lothar in Aachen. Dort wurde er aufgesucht von Abt Hukbert von Saint-Maurice d’Agaune (gestorben 864), dem Angehörigen einer Familie, die im Jura um Saint-Maurice d‘Augaune und den Alpenpässen Macht ausübte – das heißt im Grenzraum zu den Reichen der Brüder. Hukbert führte Lothar seine Schwester Theutberga zu, die er alsbald heiratete – noch in den Tagen der Trauer um den Vater, wie eine Quelle vermerkt. Diesem Ehebündnis konnte sich Lothar wohl nicht entziehen. Doch entpuppte sich der vermeintliche Verbündete Hukbert als unzuverlässig und überdies bald als entbehrlich, weil Papst Benedikt III. (Pontifikat 855-858) 856 zwischen den Brüdern vermittelte, so dass die Erbteilung ihres Vaters Bestand hatte.
Schon im folgenden Jahr 857 unternahm Lothar den ersten Versuch, die politische Ehe mit Theutberga zu lösen. Er tat dies in einer Weise, die nicht nur seine Ehefrau, sondern auch deren Familie diffamierte. Lothar beschuldigte Theutberga, vor der Ehe ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Bruder gehabt zu haben, aus dem ein Kind hervorgegangen sei, das Theutberga mittels eines Trankes abgetrieben habe – eine Anschuldigung, die selbst nach modernen Kriterien infam ist und die eine Verstoßung Theutbergas gerechtfertigt hätte. Doch wiederum zeigt sich die starke Position des lotharinigischen Adels, dessen Vertreter die Verstoßung ihrer Standesgenossin nicht einfach hinnahmen. So wurde ein Gottesurteil eingeholt. Dies geschah durch den so genannten Kesselfang, das heißt ein Vertreter der Königin griff in einen Kessel mit siedendem Wasser; da die Brandwunden verheilten, bestand er die Probe. Lothar musste seine Frau wieder aufnehmen; er ließ sie indes in Gewahrsam nehmen, denn er wollte sich ihrer unbedingt entledigen.
Lothar lebte nämlich noch in einer zweiten Partnerschaft, und zwar mit einer elsässischen adligen Dame namens Waldrada. Ihr Name begegnet erstmals Ende 861, als sie mit Lothar und mit drei der vier gemeinsamen Kinder anlässlich eines Besuches in das Memorialbuch von Remiremont eingetragen wurde. Lothar hielt bis zu seinem Tod 869 unbeirrt an dieser Beziehung fest, aus der drei Töchter und ein Sohn hervorgingen.
Die juristische Bewertung dieser Beziehung ist in der Forschung umstritten. Rechtshistoriker bemühten sich um eindeutige Kriterien und unterschieden die „Muntehe“, bei der die Ehefrau von ihrem Vormund förmlich dem Gatten übergeben und mit einer Mitgift (Dos) ausgestattet wurde, von der „Friedelehe“ (von Friedel = Freundin, Geliebte), die undotiert gewesen sei und auf dem Konsens der Gatten beruht habe. Derart klare juristische und terminologische Definitionen gelten jedoch inzwischen als anachronistisch, denn im 9. Jahrhundert waren die profan- und kirchenrechtlichen Konzepte von Ehe bei weitem nicht eindeutig umrissen oder gar ausformuliert. Zudem haben mehrere Untersuchungen der letzten Jahrzehnte dargelegt, dass die vermeintlichen Quellen zur „Friedelehe“ fehlinterpretiert wurden; diese ist ein weitgehend ein Konstrukt der Forschung. Grundsätzlich waren Eheschließung und Ehescheidung im 9. Jahrhundert Angelegenheiten der Laien; kirchenrechtliche Kriterien für die gültige Schließung einer Ehe und für ihre Aufhebung wurden erst nach und nach formuliert und durchgesetzt. In der Praxis ist von verschiedenen Ausgestaltungen der ehelichen Verbindungen auszugehen; fließende Übergänge in einem weiten Spektrum ergeben das Bild „stärkerer“ und „schwächerer“ Beziehungen. Der Grad ihrer Verbindlichkeit war abhängig von vermögensrechtlichen Aspekten, das heißt inwieweit die beteiligten Familien die Ehe mit Gütern ausstatteten, und vor allem von der tatsächlichen Machtposition der Eheleute beziehungsweise der hinter ihnen stehenden Familienverbände.
Lothars Verbindung mit Waldrada war keine unverbindliche „Affäre“ mit einer „Geliebten“. Waldrada war eine vornehme Dame, und die drei Töchter Berta, Gisela und Irmgard trugen Namen karolingischer Königinnen. Allerdings erhielt der einzige Sohn keinen dynastischen Namen. Er wurde Hugo genannt, wie einige wenige Karolinger hießen, die nicht für die Thronfolge vorgesehen waren. Diese Namenswahl kennzeichnet ihn als Sohn minderen Rechts und zeigt, dass auch die Verbindung seiner Eltern anfechtbarer Qualität war. In kirchenrechtlichen Quellen wurden derlei „Nebenverbindungen“ ohnehin als „Konkubinate“ missbilligt, denen jede Verbindlichkeit abgesprochen und deren Nachkommen als außerehelich diffamiert und als Erben ausgeschlossen wurden. In juristischer Hinsicht war die Situation in vieler Hinsicht unklar (auch im Hinblick auf ein anerkanntes Verfahren), und der Ausgang der Angelegenheit war folglich offen.
Nach dem für Lothar so unerwünschten Ausgang des Gottesurteils von 857 bemühte er sich zunächst um die politische Konsolidierung seiner Herrschaft und schloss mit den Herrschern der Nachbarreiche, seinen Onkeln und Brüdern, verschiedene Abkommen, die ihm Rückendeckung bei der weiteren Verfolgung seiner Scheidungspläne verschaffen sollten. Anfang 860 nahm er diese wieder auf; das nunmehr gewählte Verfahren wurde im Wesentlichen von der Geistlichkeit getragen.
In Aachen traten am 9. Januar und erneut Mitte Februar 860 zwei Versammlungen von Bischöfen des Mittelreichs zusammen, deren Protokolle den Eindruck einer sorgfältigen Inszenierung wecken, wobei Erzbischof Gunthar (Episkopat 850-863) von Köln eine prominente Rolle spielte. Auf der ersten Versammlung trat Lothar als reuiger Büßer auf und berichtete, dass seine Gattin erklärt habe, der Ehe nicht würdig zu sein und ins Kloster gehen zu wollen. Daraufhin trat Theutberga selbst hinzu und ermächtigte Gunthar als ihren Beichtvater, den Anwesenden das ihm gebeichtete Vergehen zu enthüllen. Einem zweiten Bericht zufolge berichtete Theutberga selbst davon; Gunthar und weitere Prälaten gestatteten ihr darauf hin, in einem Kloster Buße zu leisten. Auf der zweiten Aachener Versammlung übergab Theutberga ein schriftliches Geständnis ihres Inzestvergehens. Daraufhin verurteilten die Bischöfe sie zu öffentlicher Buße, die sie in einem Kloster ableisten sollte. Somit war die eheliche Gemeinschaft mit Lothar aufgehoben, die Ehe aber noch nicht aufgelöst worden.
Ende 860 floh Theutberga zu ihrem Bruder, der sich im Westfrankenreich König Karls des Kahlen aufhielt. Sie widerrief ihr Geständnis und appellierte schließlich an Papst Nikolaus I. (Pontifikat 858-867). Doch schon zuvor hatte das Vorgehen Lothars und der ihn unterstützenden Bischöfe für erheblichen Unmut unter hohen Geistlichen und Laien gesorgt. Eine Gruppe Oppositioneller richtete im Laufe des Jahres 860 zwei detaillierte Fragenkataloge an den theologisch wie kanonistisch gleichermaßen versierten Erzbischof Hinkmar von Reims (Episkopat 845-882), der die Fragen in Form eines umfänglichen Gutachtens über das Scheidungsbegehren Lothars II. beantwortete. Da Hinkmar sowohl die Aktenstücke aus Aachen als auch die kritischen Fragen seiner Auftraggeber im Wortlaut in seine Stellungnahme aufnahm, sind wir über die Argumente der Gegner und Befürworter der Scheidung recht gut informiert. Hinkmar kritisierte zahlreiche Aspekte des Verfahrens, geißelte Lothars Ehebruch mit seiner „Konkubine“ (Waldrada wird namentlich nicht erwähnt) und drängte auf eine große Versammlung der Großen aller Reichsteile, um das Problem einvernehmlich mit Laien und Geistlichkeit zu lösen – wobei er als einer der maßgeblichen Prälaten eine hervorragende Rolle spielen würde.
Angesichts der sich formierenden Opposition und der Einschaltung des Papstes durch Theutberga schuf Lothar Fakten. Im April 862 trat erneut eine Bischofsversammlung in Aachen zusammen. Diese Synode gestattete Lothar die Ehe mit Waldrada, die noch im selben Jahr zur Königin gekrönt wurde. In einer Urkunde vom 18. Mai, die eine Schenkung für das Frauenkloster Saint-Pierre-les-Nonnains zum Inhalt hat, wird Waldrada als „sehr geliebte Ehefrau“ zusammen mit Hugo, jedoch ohne die Töchter, erwähnt.
863 erschienen zwei päpstliche Legaten im Mittelreich: Sie sollten die Angelegenheit untersuchen, doch bestätigten sie Mitte des Jahres auf einer Synode in Metz – angeblich aufgrund von Bestechung – die Aachener Beschlüsse und die Ehe Lothars mit Waldrada. Zur Legitimation trugen die Parteigänger Lothars unter anderem vor, dass die Ehe mit Waldrada die zuerst gültig geschlossene und die zweite Verbindung mit Theutberga erzwungen und damit ungültig gewesen sei. Die Metropoliten Gunthar von Köln und Theutgaud von Trier (Episkopat 847-863) zogen mit dem Protokoll nach Rom, wo der Papst selbst von der Rechtmäßigkeit der Vorgänge überzeugt werden sollte. Doch in Rom kam es Ende Oktober 863 auf einer Lateransynode zum Eklat. Nikolaus kassierte die Metzer Beschlüsse, exkommunizierte beide Erzbischöfe und setzte sie ab. Der Papst brachte in einer bis dahin unerhörten Weise zum Ausdruck, dass er das höchste Richteramt in der Kirche inne hatte (Jurisdiktionsprimat) und bedingungslose Unterwerfung unter seine Autorität verlangte.
Das Vorgehen des Papstes schwächte Lothars Position erheblich. Seine beiden wichtigsten geistlichen Berater waren fortan praktisch ohne Einfluss; beide wurden nicht wieder in ihre Ämter eingesetzt. Zudem verdichtete sich mehr und mehr der Eindruck, es könnte ihm letztendlich nicht gelingen, Hugo als Thronerben zu etablieren, so dass er bei seinem Tod das Mittelreich ohne legitimen Erben hinterlassen würde. Hinzu kam, dass Karl von der Provence bereits 863 starb, und Kaiser Ludwig II. ebenfalls keinen männlichen Erben hatte, der das Reich Lothars hätte beanspruchen können. 865 schlossen Karl der Kahle (Regierungszeit 838-877) und Ludwig der Deutsche (Regierungszeit 817-876) ein förmliches Bündnis, das Lothar fürchten ließ, sie wollten ihm sein Reich entreißen und aufteilen. Beide Herrscher betrieben in den folgenden Jahren eine Art Schaukelpolitik: Sie unterstützten Lothar und suggerierten ihm Wohlwollen für seine Pläne, doch verständigten sie sich 867 auf die Teilung der Reiche ihrer Neffen.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits deutlich geworden, dass sich Lothar den Forderungen des Papstes nach Versöhnung mit Theutberga nicht beugen würde. Ein päpstlicher Legat hatte Theutberga 865 zu Lothar zurückgeführt, doch wurde die eheliche Gemeinschaft nicht wieder aufgenommen. Vielmehr stattete Lothar 866 seine „hochgeschätzte“ (das Wort Gattin wird vermieden) Theutberga in einer Urkunde mit reichem Güterbesitz aus, eine Schenkung, die den Charakter einer Abfindung hatte; sie wurde 868 mit Erweiterungen wiederholt. Theutberga schrieb Ende 866 an Nikolaus I., um selbst den Verzicht auf ihre königlichen Würden anzubieten. Nunmehr wurde auch das Argument ihrer Kinderlosigkeit vorgebracht. Der Papst war indes nicht bereit, in die Scheidung einzuwilligen.
Der Tod des Papstes am 13.11.867 ließ die Hoffnung keimen, sein Nachfolger Hadrian II. (Pontifikat 867-872) könnte eher zu Zugeständnissen bereit sein. Theutberga zog nach Rom, um in eigener Person um die Scheidung nachzusuchen. Lothar verhandelte mit Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen (Mai und Juni 868), bevor er es wagte, sein Reich zu verlassen und ebenfalls nach Rom zu ziehen, wo er im Sommer 869 eintraf. Nach frostigem Empfang verliefen erste Gespräche mit Papst Hadrian II. ermutigend, und Lothar zog in sein Reich zurück in der Hoffnung auf Wiederaufnahme der Verhandlungen. Doch er erkrankte auf dem Rückweg und starb am 8.8.869 in Piacenza. Seine beiden Frauen traten in vornehme Klöster ein: Theutberga in die Metzer Abtei Sainte-Glossinde, Waldrada in Remiremont. Ein tragisches Ende fand der Sohn Hugo. Er versuchte 885, Anhänger zu einem Aufstand gegen König Karl den Dicken zu mobilisieren, doch er scheiterte und wurde geblendet.
Unmittelbar nach dem Tod Lothars II. besetzte Karl der Kahle das Mittelreich und ließ sich am 9. September von Erzbischof Hinkmar von Reims zu dessen König krönen. Ludwig der Deutsche war aufgrund einer schweren Erkrankung außer Stande, in die Geschehnisse einzugreifen, und konnte erst nach seiner Genesung seinen Anteil am Mittelreich fordern. Im Vertrag von Meerssen 870 teilten Karl und Ludwig das Reich Lothars II. unter sich auf. Die Bezeichnung „regnum Lotharii“ blieb in der Wahrnehmung der Zeitgenossen und ihrer Nachfahren mit verschiedenen Bedeutungsfacetten erhalten. Es wird nach in der Forschung kontrovers diskutiert, ob und inwieweit es ein lotharisches „Eigenbewusstsein“ bereits im 9. Jahrhundert gegeben hat und wie es sich manifestierte. Die Bewohner eines nur vage umschriebenen Gebietes wurde allmählich als „Lotharienses“ bezeichnet und schließlich neben den Sachsen, Bayern, Alemannen und Schwaben als eigene „gens“ (Stamm) aufgefasst, die in „Lothringen“ beheimatet war.
Das Scheidungsbegehren und die Durchsetzung seiner Ehe mit Waldrada dominierte die politische Agenda der knapp 14-jährigen Regentschaft Lothars II. Weitere Aktionsfelder treten nur gelegentlich hervor; so zog Lothar im Frühjahr 863 gegen die Normannen, die bis Neuss vorgedrungen waren und schließlich abzogen. Im folgenden Jahr konnte Lothar sie durch Tributzahlungen an Geld und Lebensmitteln ruhigstellen, bis ihm im Juli 867 ein erfolgreicher Feldzug in Friesland gelang.
Eine für Köln und die rheinischen Stiftskirchen bedeutsame Urkunde stellte Lothar II. 866 aus, als er dem abgesetzten Gunthar eine (verlorene) Güteraufteilung bestätigte. Gunthar wird hier als „ehrwürdiger Leiter und frommer Lenker“ des Erzbistums bezeichnet, nicht jedoch als Erzbischof. Die so genannte Guntharsche Güterumschreibung („Umschreibung“ ist aus dem lateinischen „conscriptio“ übersetzt und bedeutet „Beschreibung“ im Sinne von „rechtlich bindende Zuweisung“) wies erstmals bestimmte Ländereien und Einkünfte einzelnen Stiftskirchen zu, und zwar dem Domstift, St. Gereon, St. Severin, St. Kunibert, der Kirche der heiligen Jungfrauen (später St. Ursula), St. Cassius und Florentius in Bonn und St. Viktor in Xanten sowie der Kirche St. Pantaleon.
Das Urteil der Historiker über Lothar II. ist abhängig von deren Einschätzung seiner Rolle in der Scheidungsaffäre. Im 19. Jahrhundert galt er als schwächlicher Versager, dominiert von einer intriganten „Buhlerin“ sowie pflichtvergessenen und skrupellosen Prälaten. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde er indes als verantwortungsbewusster, jedoch glückloser König gesehen, der seinem Reich mit Hugo unbedingt einen Nachfolger sichern wollte und nicht voraussehen konnte, dass er bei Erzbischof Hinkmar von Reims und Papst Nikolaus I. auf ehernen Widerstand stoße würde. Doch war Lothar nicht einfach ein Herrscher ohne politische Fortüne. Er und seine Berater brachten immer neue und kaum überzeugende Sachvorhalte vor, überschätzten die eigenen Handlungsspielräume und verkannten die realen Machtverhältnisse. Wie die Scheidungsgegner 860 an Hinkmar von Reims berichteten, begegnete man in der Umgebung Lothars der Kritik am bisherigen Verfahren mit vollmundigen politischen Ansprüchen. Behauptet wurde beispielsweise, dass der König über dem Gesetz stehe und nicht an Voten von Bischöfen und Synoden gebunden, sondern allein Gott verantwortlich sei. Derlei Anmaßungen waren weder konsensfähig noch durchsetzbar, und solche Fehleinschätzungen waren wesentlich verantwortlich für das Scheitern Lothars, dessen Mittelreich von der europäischen Landkarte verschwand.
Quellen
Regesta Imperii I: Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern (751-918), bearb. v. Johann Friedrich Böhmer u. Engelbert Mühlbacher, 2. Auflage, Innsbruck 1908. [Online]
Die Urkunden Lothars I. und Lothars II., bearb. v. Theodor Schieffer (MGH Diplomata Karolinorum 3), Berlin-Zürich 1966. [Online]
Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 860-874, hg. v. Wilfried Hartmann (MGH Concilia 4), Hannover 1998. [Online]
Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Theutbergae regina, hg. v. Letha Böhringer (MGH Conc. 4 Suppl. 1), Hannover 1992. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Böhringer, Letha, Lothar II., in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/lothar-ii./DE-2086/lido/57c943a7f37ea7.34457744 (abgerufen am 15.12.2024)