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Martin Bucer war der „große Theologe des Dialogs" (Martin Greschat). Prägend war für ihn unter anderem 1518 die Heidelberger Disputation Martin Luthers (1483-1546). In den Jahren 1542/1543 beteiligte er sich auf Geheiß des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied mit Predigten und Vorlesungen in Bonn an dem Versuch, die Reformation in Kurköln einzuführen. Zusammen mit Philipp Melanchthon (1497-1560) entwarf er in Bonn zu diesem Zweck eine Reformationsordnung.
Martin Bucer wurde am 11.11.1491 im elsässischen Schlettstadt geboren. Sein Vater Claus war Küfer, die Mutter Eva eventuell Hebamme. Als die Eltern 1501 nach Straßburg übersiedelten, blieb Martin bei seinem Großvater und besuchte wohl die bekannte Schlettstädter Lateinschule, die „ein betont kirchlicher und entschieden ethisch ausgerichteter Humanismus" auszeichnete (Greschat). Sein Großvater veranlasste ihn 1507, in das Dominikanerkloster der Stadt einzutreten und bot dem 15-jährigen damit die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. 1508 legte Bucer die ewigen Gelübde ab, zwei Jahre später wurde er zum Diakon geweiht. Bereits während dieser Zeit widmete sich Bucer dem philosophischen Grundstudium. Da die Begabung des jungen Mannes bald erkannt wurde, wurde er für die akademische Laufbahn bestimmt: Ab 1515 studierte er zunächst im Heidelberger Kloster und im Anschluss in Mainz, wo er auch zum Priester geweiht wurde. Am 31.1.1517 immatrikulierte er sich an der Heidelberger Universität, um den theologischen Doktorgrad zu erwerben und selbst lehren zu können.
Die Begegnung mit Martin Luther am 26.4.1518 (Heidelberger Disputation) war für Bucer einschneidend. Anfang 1521 brach er sein Studium ab, nachdem er seit 1520 alles daran setzte, aus dem Kloster entlassen zu werden. Als die Entscheidung auf sich warten ließ, fand er auf der Ebernburg Franz von Sickingens Zuflucht. Er wirkte dort als eine Art Sekretär für Ulrich von Hutten (1488-1553), bis er am 29.4.1521 durch den Speyrer Bischof von den Ordensgelübden entbunden wurde. Mitte Mai trat er als Hofkaplan in den Dienst von Pfalzgraf Friedrich II. (Regierungszeit 1520-1556), doch im Frühjahr 1522 kehrte er enttäuscht zu Sickingen zurück, der ihm die Pfarrei Landstuhl übertrug. Dort heiratete Bucer die ehemalige Nonne Elisabeth Silbereisen. Nachdem diese 1541 einer Pestepidemie zum Opfer gefallen war, ging Bucer 1542 mit der Witwe Wibrandis Rosenblatt (1504-1564) eine zweite Ehe ein, die zuvor mit den Reformatoren Johannes Oekolampad (1482-1531) und Wolfgang Capito (1478-1541) verheiratet gewesen war.
Als Sickingen gegen Kurtrier rüstete, entließ er Bucer, der in Wittenberg weiterstudieren wollte. Auf dem Weg nach Straßburg, wohin er seine Frau bringen wollte, bat ihn der Weißenburger Pfarrer Heinrich Motherer um Unterstützung bei der Einführung der Reformation. Bucer blieb, predigte täglich und forderte am 8.4.1522 die Franziskaner und Dominikaner Weißenburgs vergeblich zu einer Disputation. Bucers Auftreten veranlasste den Speyrer Bischof, diesen zu exkommunizieren und beim Rat die Entlassung des Aufwieglers zu fordern. Nach der Niederlage Sickingens rückten kurpfälzische Truppen Richtung Weißenburg, woraufhin Motherer und Bucer in der Nacht vom 13. auf den 14.5.1522 mit ihren schwangeren Frauen flohen. Wenig später erreichten sie weitgehend mittellos Straßburg.
Dort wirkte Bucer zunächst als Kaplan des seit 1521 reformatorisch tätigen Münsterpfarrers Matthias Zell (1477-1548). Zudem hielt er vom Rat genehmigte lateinische Vorlesungen. Zugleich verfasste er drei Bücher, in denen er Grundzüge seiner Theologie darlegte. Die 1523 publizierte Schrift „Das ym selbs niemant … leben soll" thematisierte unter anderem Christus als den, „der das neue Leben und Sein des Menschen möglich" mache, wobei Bucer besonderen Wert auf das Prinzip „des Dienstes und der Nächstenliebe" legte (Greschat).
Am 29.3.1523 wählten die Mitglieder der Gartner-Zunft Bucer zum Pfarrer an St. Aurelien. Nach seiner Bestätigung durch den Rat im September beteiligte sich Bucer intensiv an der Durchsetzung der Reformation. Ende September legte er dem Rat ein Gutachten zu den strittigen Fragen vor und fasste in zwölf Punkten die entscheidenden Elemente zusammen: Mittelpunktstellung der Bibel, Rechtfertigung allein aus Glauben, Ablehnung der Messe, der menschlichen Zeremonien, der Klostergelübde, der Heiligenverehrung, des Fegefeuers und der traditionellen Liturgie.
Während die Herrschaft des Papstes und der Konzile über die Kirche zurückgewiesen wurde, erfuhr die Gehorsamspflicht der Glaubenden gegenüber der Obrigkeit eine Bekräftigung. Eine weitere Ausarbeitung Bucers beschäftigte sich mit notwendigen Veränderungen im Gottesdienst („Grund und Ursach" 1524) und polemisierte gegen die Messe (Verbot Frühjahr 1529). Im Gefolge des Bauernkrieges wurde Straßburg zum Zufluchtsort von Täufern, Spiritualisten und anderen Nonkonformisten. Bucer stellte sich entschieden gegen diese Gruppen und suchte deren Ansichten zu widerlegen.
Zunehmend entwickelte sich Bucer zum Wortführer der Straßburger Kirche, was sich auch daran zeigte, dass ihm 1529 die Pfarrei an der St. Thomas-Kirche übertragen wurde. 1530 erarbeitete er die „Confessio Tetrapolitana", die dem Kaiser auf dem Augsburger Reichstag vorgelegt wurde. 1533 wurde in Straßburg eine Synode zusammengerufen, die 16 Artikel mit den Glaubensgrundlagen der Straßburger Kirche diskutierte und Abweichler wie Melchior Hoffmann (1500-1543) oder Caspar Schwenkfeld (1490-1561) verhörte. Eine Kirchenordnung, die dem Rat einen beherrschenden Einfluss einräumte, wurde auf den Weg gebracht. Am 13.4.1534 wurden alle Täufer zum Verlassen der Stadt aufgefordert. Bucer war an alledem maßgeblich beteiligt, was Wolfgang Capito im September 1534 zu der Äußerung veranlasste: „Bucer ist der Bischof unserer Kirche".
Nachzutragen ist, dass Bucer seit 1524 in die zunehmend schärfer werdenden Auseinandersetzungen zum Verständnis des Abendmahls involviert war. Dabei stand er zunächst eher auf der Seite Ulrich Zwinglis (1484-1531), der die Anwesenheit Christi in den Abendmahlselementen spirituell erklärte, während Luther die leibliche Gegenwart Christi entschieden verteidigte. Da Bucer zwischen diesen Positionen zu vermitteln trachtete, geriet er bei den Wittenbergern in den Verdacht der Unzuverlässigkeit. Erst unter dem Druck der politischen Verhältnisse kam 1536 eine Einigung zustande („Wittenberger Konkordie") – freilich ohne die Schweizer.
Doch nicht nur in Straßburg, auch an vielen anderen Orten wurde Bucer aktiv. Nach Greschat hat er allein zwischen 1534 und 1539 circa 12.000 Kilometer zu Pferd zurückgelegt (zum Beispiel Beteiligung an der Einführung der Reformation in Ulm 1531 oder in Augsburg 1534; 1538 Mitwirkung an einer Kirchenordnung in Hessen, wo erstmals eine Konfirmation vorgesehen wird).
Anfang der 1540er Jahre suchte Kaiser Karl V. (Regierungszeit 1519-1556) eine Einigung von Altgläubigen und Protestanten durch Religionsgespräche herbeizuführen, an denen auch Bucer mitwirkte. Ein „Wormser Buch", das Bucer – teilweise nach Geheimgesprächen – mit dem Kölner Rat Johannes Gropper im Dezember 1540 erarbeitet hatte, sollte Basis für weitere Gespräche sein, doch der Text stieß nicht nur in Kursachsen auf Ablehnung. Bucers Hoffnung, den Papst ausschalten und eine Lösung der Probleme in Deutschland herbeiführen zu können, hatte sich als Illusion erwiesen.
In dieser Situation schien sich die Chance zu bieten, die Sache der Reformation im Westen und Nordwesten des Reiches voranzubringen: Der Kölner Erzbischof Hermann von Wied nahm – nachdem ein erster Reformvorstoß 1536 erfolglos geblieben war – die Forderung des Regensburger Reichsabschieds auf, der den geistlichen Herren ausdrücklich Reformen auferlegt hatte. Mitte März 1542 beauftragten alle vier Stände – also auch das mächtige Domkapitel – des Kölner Landtags den Erzbischof, Reformen einzuleiten. Als er jedoch Bucer herbeirief, der unmittelbar nach seiner Ankunft in Bonn am 14.12.1542 zu predigen begann und Vorlesungen über den 1. Korintherbrief hielt, sah sich dieser einer strikten Abwehrfront des Domkapitels gegenüber; entscheidende Figur seitens der Altgläubigen wurde Gropper. Mit einer ersten Schrift verteidigte sich Bucer im März 1543 gegen laut gewordene Vorwürfe und eine zweite Verteidigungsschrift folgte bereits Ende Juli. Wichtigster Ertrag seiner Tätigkeit war freilich der Entwurf einer Reformationsordnung, zu deren Entstehung auch der Anfang Mai zur Unterstützung nach Bonn gekommene Philipp Melanchthon beigetragen hatte.
Das „Einfältige Bedenken" bot in 60 Kapiteln „eine eigenartige Mischung aus theologischen Grundsätzen und erbaulichen Besinnungen, kirchenrechtlichen Bestimmungen und agendarischen Anleitungen" (Greschat). Während die weltlichen Stände den Text auf einem Landtag im Juli akzeptierten, widersprach das Domkapitel kategorisch. Die politischen Ereignisse stützten die Opponenten: Nach dem Sieg Kaiser Karls V. über Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg im August 1543 setzte er den Kölner Erzbischof unter Druck. Als Bucer im September 1543 Bonn verließ, war das Scheitern der Kölner Reformation schon abzusehen. Hermann von Wied wurde abgesetzt und exkommuniziert. Im Februar 1547 trat er von seinen Ämtern zurück.
Da die Religionsgespräche keine Ergebnisse gebracht hatten, suchte Kaiser Karl eine militärische Lösung. Die rasch besiegten Protestanten hatten sich 1548 dem Augsburger Interim zu beugen, das die Rückkehr zu katholischen Gebräuchen und Glaubensgrundlagen oktroyierte und den Protestanten lediglich die Priesterehe und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zugestand. Der in Augsburg anwesende, dem Interim gegenüber zunächst durchaus positiv eingestellte Bucer äußerte sich zunehmend kritisch und wurde daher in Hausarrest und später in kaiserliche Haft genommen, bis er schließlich am 20. April das Interim zwangsweise unterschrieb. Zurück in Straßburg stellte er sich sofort entschieden gegen die Annahme des Interims, doch der Stadtrat akzeptierte es aus politischen Gründen. Bucer erhielt daraufhin am 1.3.1549 die Entlassung. In der Nacht vom 5. auf den 6. April verließ er die Stadt.
Bucer ging nach England und erhielt in Cambridge eine Professur. Er verfasste – trotz Schwierigkeiten mit Klima und Essen – sein neben dem Römerbriefkommentar von 1536 wichtigstes Werk: „De regno christi" – ein Entwurf zur Reform der anglikanischen Kirche. Auch angesichts einiger Verleumdungen schwanden seine Kräfte rasch. Er verstarb in der Nacht zum 1.3.1551. Doch selbst als Toter sollte er keine Ruhe finden. Die katholische Königin Maria I. (Regierungszeit 1553-1558) ließ nach einem posthumen Ketzerprozess Bucers Sarg ausheben und ihn zusammen mit den Büchern Bucers am 6.2.1556 auf dem Marktplatz von Cambridge verbrennen. Unter Elisabeth I. (Regierungszeit 1558-1603) wurde Bucer im Juli 1560 rehabilitiert.
Der europaweit wirkende Martin Bucer und seine durchaus eigenständige, auf Ausgleich bedachte Theologie gerieten im Zuge der einsetzenden Konfessionalisierung bald in Vergessenheit. Signifikant für das Wirken Bucers sind Gespräche und Disputationen, öffentlich oder im kleinem Kreis (unter anderem 1526 Diskussion mit den Täufern Sattler und Denk; 1528 Berner Disputation; 1529 Marburger Religionsgespräch; 1536 Gespräche in Wittenberg über das Abendmahl; 1540/1541 Religionsgespräche von Hagenau, Worms und Regensburg). Selbst in seinen zahlreichen Schriften griff Bucer verschiedentlich auf das Stilmittel des Gesprächs zurück (1528 „Vergleichung", 1535 „Dialogi oder Gesprech"; 1539 „Vom Nürnbergischen friedestand"). Seit den 1950er Jahren werden seine Schriften ediert: Bucers Bestrebungen um Dialog können dadurch nachvollzogen und die Impulse seiner Theologie fruchtbar gemacht werden.
Werke
Martini Buceri Opera omnia, Deutsche Schriften, 16 Bände, Gütersloh/Paris 1960-2008.
Opera latina, 5 Bände, Leiden/Boston/Köln 1954-2000.
Rott, Jean u.a., Martin Bucer Briefwechsel/Corespendence, 6 Bände, Leiden/Boston/Köln 1979-2006.
Bibliographie
Pils, Holger/Ruderer, Stephan/Schaffrodt, Petra, Martin Bucer – Bibliographie, Gütersloh 2005.
Literatur (Auswahl)
Bautz, Friedrich Wilhelm, Artikel "Bucer (Butzer), Martin", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1990), Sp. 782-785. Greschat, Martin, Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit, München 1990, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Münster 2009. Lange, Albert de/Wilhelmi, Thomas, Martin Bucer (1491–1551). Auf der Suche nach Wiederherstellung der Einheit, Ubstadt-Weiher 2001.
Online
Bucers deutsche Schriften (Information der Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften). [Online]
Martin Bucer. Edition seines Briefwechsels (Information der Bucer Forschungsstelle Erlangen). [Online]
Stupperich, Robert, Artikel "Bucer(us), Martin", in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 695-697. [Online]
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Hermle, Siegfried, Martin Bucer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/martin-bucer-/DE-2086/lido/57c58a8e083458.53591656 (abgerufen am 07.12.2024)