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Rudolf Carnap war analytischer Philosoph und gilt als einer der wichtigsten Vertreter des logischen Empirismus und einflussreicher Vordenker des Wiener Kreises.
Paul Rudolf Carnap wurde am 18.5.1891 in Ronsdorf (heute Stadt Wuppertal) in eine tiefreligiöse Familie hineingeboren. Der Vater, Johannes S. Carnap, entstammte einer armen Weberfamilie, die Mutter, Anna Carnap, war Tochter des Lehrers und pädagogischen Autors Friedrich Wilhelm Dörpfeld. Es war das Bestreben seiner Mutter, Leben und Werk ihres Vaters zu Papier zu bringen, das in Carnap nach eigenen Angaben seine Liebe zum Schreiben weckte.
1898, nach dem Tod des Vaters, zog die Familie nach Barmen (heute Stadt Wuppertal), wo Carnap ein Gymnasium mit dem Schwerpunkt klassische Sprachen besuchte. Obwohl er schon in jungen Jahren seine religiösen Überzeugungen aufgab, blieb er doch den humanistischen Grundidealen von Wahrheit, Toleranz und Solidarität zeitlebens verpflichtet, die auch seine spätere vehemente Ablehnung sowohl des Nationalsozialismus wie auch jedes anderen totalitären Systems begründeten. Seine Faszination für die innere Logik von Sprachsystemen zeigte sich schon früh: So lernte er mit 14 Jahren Esperanto, von dessen Kombination von innerer Ordnung mit gleichzeitigem Erfindungsreichtum er sich beeindruckt zeigte und er zudem in dieser internationalen Sprache (er nahm im Laufe seines Lebens an einigen Kongressen teil) das humanistische Ideal einer verbesserten Verständigung zwischen den Völkern verwirklicht sah.
1909 übersiedelte die Familie nach Jena, wo Carnap auch sein Studium begann. Er studierte von 1910 bis 1914 zunächst in Jena und später in Freiburg Mathematik, Philosophie und Physik. In dieser Zeit wurde er zudem in der Wandervogelbewegung aktiv und schloss sich dem Sera-Kreis, einem elitär-studentischen Kulturkreis um den Verleger Eugen Diederichs (1867-1930) an.
Nach seinen eigenen Aussagen faszinierten ihn schon damals in der Philosophie besonders die Zweige Philosophie der Wissenschaft und Erkenntnistheorie, während ihm als Schüler Gottlob Freges (1848-1925), den er 1913 hörte, die Ausführungen in Logik völlig veraltet schienen. Im selben Jahr folgten auch im Rahmen eines Dissertationsvorhabens in Physik experimentelle Forschungen. Aber schon zu Kriegsbeginn gab er das Projekt auf und diente bis 1917 an der Front. Im Sommer desselben Jahres nach Berlin verlegt, befasste er sich bis zum Kriegsende mit der Entwicklung eines drahtlosen Telegraphen für die Forschungsabteilung des Heeres
Nach dem Krieg erfolgte die Rückkehr nach Jena und zu seinen Studien, die er 1921 mit einer Promotion beim Neukantianer Bruno Bauch (1877-1942) zum Thema „Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre" abschloss. Ausschlaggebend waren unter anderem die Ausführungen Bauchs über „Die Kritik der reinen Vernunft", die Carnap mit der Auffassung Immanuel Kants (1724-1804) in Berührung brachte, wonach die geometrische Struktur des Raumes wesentlich durch die Form unserer Auffassung bestimmt sei.
Nach der Promotion zog es Carnap nach Buchenbach in der Nähe von Freiburg, wo er in den Folgejahren auch Vorlesungen bei Edmund Husserl (1859-1938) besuchte, dessen Phänomenologie ihn neben dem Neukantianismus nachhaltig prägte. Schließlich war es schon Husserls Anliegen gewesen, Philosophie und Wissenschaft wieder zusammenzuführen, indem er versuchte, die Phänomenologie als prima philosophia und erste Wissenschaft zu etablieren. Auf Vermittlung des Philosophen und Physikers Hans Reichenbach (1891-1953), den er 1923 erstmals traf und mit dem ihm bis zu dessen Tod eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, lernte Carnap Moritz Schlick (1882-1936), den Begründer des Wiener Kreises, kennen, der ihn einlud, als Dozent für Philosophie an die Universität Wien zu kommen. Wien erwies sich für Carnap als äußerst fruchtbare Zeit, was wesentlich mit dem Wiener Kreis zusammenhing, einer Gruppe von Philosophen, Natur- und Sozialwissenschaftlern, Logikern und Mathematikern, die sich einmal wöchentlich unter der Leitung von Schlick zusammenfanden, um Probleme aus Philosophie und Wissenschaft, unter anderem den Tractatus von Ludwig Wittgenstein (1889-1951) zu diskutieren und zu dessen linken Flügel Carnap in den folgenden Jahren zusammen mit Hans Hahn (1879-1934), Philipp Frank (1884-1966) und Otto Neurath (1882-1945) zählte. Die enge Zusammenarbeit von Logikern, Naturwissenschaftlern und Mathematikern hatte zur Folge, dass die wissenschaftliche Strenge auch Eingang in die philosophische Argumentation fand. Diese wissenschaftliche Grundüberzeugung sollte aber nicht auf die Theorie beschränkt bleiben. Vielmehr etablierte sich die Idee, die entwickelten Ideen dergestalt an die Lebenswirklichkeit rückzubinden, dass auch die Basis für ein gesellschaftspolitisches Programm gegeben war.
Carnap musste ein solcher Ansatz in vielerlei Hinsicht entgegenkommen: Sein Philosophieideal war ohnehin geprägt vom wissenschaftlichen Denken. Gelingen sollte die Umsetzung dieses Ideals im Rahmen von logischem Empirismus und Konstruktivismus. In seiner Habilitationsschrift „Der logische Aufbau der Welt" aus dem Jahr 1928 versuchte Carnap in Anschluss an Frege und Bertrand Russel (1872-1970) erstmals, den Logischen Positivismus auch als Programm umzusetzen, indem er meinte zeigen zu können, dass sich alle wissenschaftlichen Begriffe und Aussagen auf die Grundrelation einzelner Elementarerlebnisse zurückführen lassen und sich daraus ein entsprechendes begriffliches Konstitutionssystem entwickeln lässt.
Überhaupt berief sich das sein gesamtes Denken und Persönlichkeit prägende Toleranzprinzip darauf, konträre oder gar kontradiktorische Gegensätze auf verschiedene, aber dennoch gleichberechtigte Sprachsysteme zurückzuführen. Logik musste für Carnap keiner Moral folgen, sondern vielmehr seine genauen syntaktischen Bestimmungen festlegen. Aus diesen Gründen gehörten für ihn Philosophie, Mathematik und Logik stets eng zusammen. Für metaphysische Überlegungen blieb damit in seinem Denksystem kein Raum. Die deutlichen Stellungnahmen, die er unter anderem in seinem ebenfalls 1928 erschienen Werk „Scheinprobleme der Philosophie" ausführte, in dem er die metaphysikkritischen Implikationen des Logischen Empirismus aufzuzeigen suchte, brachten ihm sogar den Ruf eines vehementen Antimetaphysikers ein.
Im Jahr 1931 erhielt Carnap einen Ruf für den Lehrstuhl für Naturphilosophie in Prag, der auf Vorschlag Franks hin neu geschaffen worden war, und den er bis zu seiner Emigration im Jahr 1935 innehatte. In dieser Zeit wandte er sich unter dem Einfluss von Otto Neurath einer physikalistischen Sprachauffassung zu und hielt jene Vorlesungen, die im Jahr 1934 unter dem Titel „Logische Syntax der Sprache" veröffentlicht wurden.
Im Dezember 1935 holte der Philosoph Charles Morris (1903-1979) Carnap, der aufgrund der politischen Situation Prag verlassen wollte, nach Chicago, im Wintersemester 1935/1936 zunächst als Gast- und ab Oktober 1936 als ordentlicher Professor. 1940/1941 erhielt er eine Gastprofessur in Harvard und ebenfalls 1941 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Dozenturen in Illinois (Frühjahrssemester 1950) und Princeton (1952-1954), wo er diverse Gespräche mit Albert Einstein (1879-1955) führte, folgten. 1954 ging Carnap nach Los Angeles, um die Stelle seines verstorbenen Freundes Reichenbach zu übernehmen, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1961 behielt.
Die letzte Schaffensphase Carnaps war von seinem Streben geprägt, eine Theorie des induktiven Schließens und der Wahrscheinlichkeit zu entwickeln, überschattet vom Selbstmord seiner seit Jahren an schweren Depressionen leidenden Frau Ina im Jahr 1964. Die Pläne, in Deutschland seinen Lebensabend zu verbringen, konnte er nicht mehr umsetzen. Nachdem schon alle Vorbereitungen getroffen worden waren, verstarb Carnap nach kurzer Krankheit am 14.9.1970 in Santa Monica (Kalifornien).
Am Geburtshaus der Villa Carnap in Wuppertal-Ronsdorf erinnert noch heute eine Gedenktafel an den Philosophen. In Bornheim ist eine Straße nach ihm benannt.
Werke
Der logische Aufbau der Welt, Habilitationsschrift, Berlin 1928.
Logische Syntax der Sprache, Wien 1934.
Meaning and Necessity, Chicago 1947.
Mein Weg in die Philosophie (1963), Stuttgart 1993.
Der Raum. Ein Beitrag zur Wissenschaftslehre, Dissertationsschrift, Berlin 1922.
Scheinprobleme der Philosophie, Berlin 1928.
Eine Gesamtausgabe wird vom Verlag Open Court (Chicago/LaSalle) vorbereitet.
Literatur
Krauth, Lothar, Die Philosophie Carnaps, Wien 1970.
Mormann, Thomas, Rudolf Carnap, München 2000.
Schilpp, Paul Arthur (Hg.), The Philosophy of Rudolf Carnap, Lasalle 1991.
Online
Sammlung Rudolf Carnap (Information des Philosophischen Archivs der Universität Konstanz). [Online]
The Rudolf Carnap Collection (Carnap-Kollektion in der digitalen Bibliothek der Universität Pittsburgh). [Online]
A page of information about Rudolf Carnap (1891-1970) (Sammlung von Links zu Carnap). [Online]
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Gottlöber, Susan, Rudolf Carnap, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/rudolf-carnap-/DE-2086/lido/57c6888d009eb4.35926884 (abgerufen am 15.10.2024)