Alfred Philippson

Geograph (1864-1953)

Astrid Mehmel (Bonn)

Alfred Philippson bei einer Exkusion, 1924. (Archiv des Geographischen Instituts der Universität Bonn)

Al­fred Phil­ipp­son war ein be­deu­ten­der Geo­graph zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts. In sei­nen jun­gen Jah­ren war er ei­ner der krea­ti­ven und weg­wei­sen­den Geo­mor­pho­lo­gen, sei­ne Län­der­kun­den ha­ben Be­deu­tung weit über das Fach hin­aus. In Bonn eta­blier­te Phil­ipp­son ei­nes der sei­ner­zeit mo­derns­ten geo­gra­phi­schen In­sti­tu­te.

Als jüngs­ter Sohn des Rab­bi­ners und Pu­bli­zis­ten Lud­wig Phil­ipp­son (1811–1889) am 1.1.1864 in Bonn ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen, be­such­te er das dor­ti­ge Beet­ho­ven-Gym­na­si­um und stu­dier­te seit 1882 Geo­gra­phie, Geo­lo­gie, Mi­ne­ra­lo­gie und Na­tio­nal­öko­no­mie in Bonn und Leip­zig. Dort wur­de er 1886 mit der Ar­beit “Stu­di­en über Was­ser­schei­den” von Fer­di­nand von Richt­ho­fen (1833–1905) pro­mo­viert. An­schlie­ßend er­forsch­te er auf meh­re­ren Rei­sen das grie­chi­sche Fest­land.

 

Al­fred Phil­ipp­son war im­mer mit der Tat­sa­che kon­fron­tiert, dass er als Ju­de mit an­de­ren Maß­stä­ben ge­mes­sen wur­de. Mit dem Auf­kom­men des „Mo­der­nen An­ti­se­mi­tis­mus“ in den 1870er Jah­ren, als Re­ak­ti­on auf die recht­li­che Gleich­stel­lung der Ju­den mit der Ver­fas­sung des Deut­schen Rei­ches von 1871, er­fuhr er dies gleich zu Be­ginn sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Lauf­bahn. Meh­re­re deut­sche Uni­ver­si­tä­ten lehn­ten mit for­mal­recht­li­chen Ar­gu­men­ten, die den An­ti­se­mi­tis­mus nur schwer ver­deck­ten, die An­nah­me sei­ner Ha­bi­li­ta­ti­on ab. Ehe er sich 1891 in Bonn mit ei­ner Ar­beit über den Pe­lo­pon­nes ha­bi­li­tie­ren konn­te, muss­te sich Fried­rich Alt­hoff, Mi­nis­te­ri­al­di­rek­tor im preu­ßi­schen Kul­tus­mi­nis­te­ri­um, in das Ver­fah­ren ein­schal­ten.

Als Pri­vat­do­zent in Bonn sam­mel­te Phil­ipp­son auf For­schungs­rei­sen im Mit­tel­meer­raum Ma­te­ri­al für sei­ne Lan­des­kun­den über Grie­chen­land und das west­li­che Klein­asi­en, die in ih­rer Viel­sei­tig­keit und Dar­stel­lung Grund­la­gen­wer­ke wur­den, be­son­ders auch für His­to­ri­ker und Ar­chäo­lo­gen. Sein 1904 er­schie­ne­nes Werk “Das Mit­tel­meer­ge­biet”, wel­ches bis 1922 vier Mal auf­ge­legt wur­de, er­fuhr weit über die Fach­gren­zen hin­aus gro­ße An­er­ken­nung. Zu­sam­men mit sei­nen Ar­bei­ten über Russ­land und Eu­ro­pa zählt es zu den Klas­si­kern der Län­der­kun­de in der deut­schen Geo­gra­phie.

Alfred Philippson, 1931. (Archiv des Geographischen Instituts der Universität Bonn)

 

Phil­ipp­son blieb ver­gleichs­wei­se lan­ge, näm­lich 13 Jah­re, Pri­vat­do­zent. 1899 er­hielt er zwar den Ti­tel Pro­fes­sor, wur­de je­doch erst 1904 auf den geo­gra­phi­schen Lehr­stuhl an die Uni­ver­si­tät Bern be­ru­fen. Be­reits 1906 folg­te ein Ruf als Or­di­na­ri­us an die Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg. Zum Som­mer­se­mes­ter 1911 konn­te er dann den Lehr­stuhl für Geo­gra­phie in sei­ner ge­lieb­ten Hei­mat­stadt Bonn über­neh­men. Es folg­te ei­ne Zeit un­er­müd­li­chen Schaf­fens. Ne­ben sei­nen wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­schwer­punk­ten Grie­chen­land und Klein­asi­en wid­me­te er sich be­son­ders der Stadt Bonn und den Rhein­lan­den, wie zahl­rei­che Pu­bli­ka­tio­nen, die Be­treu­ung meh­re­re Dok­tor­ar­bei­ten zur rhei­ni­schen Lan­des­kun­de so­wie al­lein zwi­schen 1921 und 1927 fünf Hef­te „Bei­trä­ge zur Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de“ be­le­gen.

1912 ver­lieh ihm die Uni­ver­si­tät Athen ei­nen Eh­ren­dok­tor­ti­tel und die Ar­chäo­lo­gi­sche Ge­sell­schaft von Athen er­nann­te ihn zum Eh­ren­mit­glied. Seit 1913 war er or­dent­li­ches Mit­glied des Deut­schen Ar­chäo­lo­gi­schen In­sti­tuts in Athen und er­hielt die Eh­ren- be­zie­hungs­wei­se Mit­glied­schaft in vie­len deut­schen und vor al­lem in­ter­na­tio­na­len Geo­gra­phi­schen Ge­sell­schaf­ten. In Wür­di­gung sei­ner Ver­diens­te wur­de er 1915 zum „Ge­hei­men Re­gie­rungs­rat” er­nannt. Als Vor­sit­zen­der des Zen­tral­aus­schus­ses des Deut­schen Geo­gra­phen­ta­ges (1921-1925) und des Fach­aus­schus­ses der Geo­gra­phie bei der „Not­ge­mein­schaft der Deut­schen Wis­sen­schaft” (1920-1928) war Phil­ipp­son ma­ß­geb­lich an der Ent­wick­lung der deut­schen Hoch­schul­geo­gra­phie be­tei­ligt. Mit sei­nem Leh­rer Fer­di­nand von Richt­ho­fen ge­hört Phil­ipp­son zu den Be­grün­dern der be­zie­hungs­wis­sen­schaft­li­chen Geo­mor­pho­lo­gie. Weg­wei­send wur­de sein zwi­schen 1921 und 1924 er­schie­ne­nes drei­tei­li­ges, bis heu­te le­sens­wer­te Lehr­buch „Grund­zü­ge der All­ge­mei­nen Geo­gra­phie”.

Bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung 1929 konn­te Phil­ipp­son auf ei­ne weit­hin an­er­kann­te Lehr- und For­scher­tä­tig­keit zu­rück bli­cken. Doch als sich En­de der 1920er Jah­re ein of­fe­ner Dis­put um die wis­sen­schaft­li­che Län­der­kun­de ent­wi­ckel­te, zeich­ne­te sich be­reits ab, was spä­tes­tens An­fang Mai 1933 of­fen­kun­dig wur­de: Es han­del­te sich kei­nes­wegs al­lein um ei­ne wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung, be­schwer­te sich doch Ewald Ban­se (1883–1953), Pro­fes­sor der Geo­gra­phie an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le in Braun­schweig und Re­fe­rent im Wehr­po­li­ti­schen Amt der NS­DAP, bei der Ge­sell­schaft für Erd­kun­de zu Ber­lin und beim Kul­tus­mi­nis­te­ri­um ge­gen die Ver­lei­hung des re­nom­mier­ten Fach­prei­ses der “Gol­de­nen Fer­di­nand-von-Richt­ho­fen-Me­dail­le” an den „Ju­den Phil­ipp­son, dem Soh­ne ei­nes Rab­bi­ner­s“ (Brief von Ewald Ban­se an die Ge­sell­schaft für Erd­kun­de in Ber­lin vom 10.5.1933 im Ar­chiv des Geo­gra­phi­schen In­sti­tuts Bonn, NL Troll 150.)

Mit der po­li­ti­schen Um­set­zung der NS-Ideo­lo­gie seit 1933 und der da­mit ver­bun­de­nen Aus­gren­zung der jü­di­schen Deut­schen aus der Ge­sell­schaft, er­fuhr auch Al­fred Phil­ipp­son mit sei­ner Fa­mi­lie grö­ß­te Er­nied­ri­gung. Durch die ras­sis­ti­schen „Nürn­ber­ger Ge­set­ze” von 1935 aus der „Reichs­bür­ger­schaft” aus­ge­schlos­sen, war er kein Bür­ger des Deut­schen Rei­ches mehr. Als die Fa­mi­lie sei­nes Kol­le­gen, des Ori­en­ta­lis­ten Paul Kah­le, Phil­ipp­son und sei­ner zwei­ten Frau, der Geo­gra­phin Dr. Mar­ga­re­te Kirch­ber­ger (1882–1953) wäh­rend des No­vem­ber­po­groms, der in Bonn 10.11.1938 am hell­lich­ten Tag statt fand, Schutz in ih­rem Hau­se in der Kai­ser­stras­se ge­währ­ten, äu­ßer­te Phil­ipp­son er­schüt­tert: „Daß ich fünf­und­sieb­zig Jah­re alt ge­wor­den bin, um das jetzt zu er­le­ben!” (Ma­rie Kah­le, Was hät­ten Sie ge­tan? S. 17).

En­de 1938 wur­de Phil­ipp­son der Rei­se­pass ent­zo­gen. Zum 1.1.1939 muss­te er sei­nen Vor­a­men in Al­fred „Is­ra­el“ än­dern und be­kam ei­ne „Ju­den-Kenn­kar­te“. Mit Kriegs­be­ginn gab es kein öf­fent­li­ches Le­ben für Ju­den mehr: Be­su­che von Thea­tern, Kon­zer­ten, Aus­stel­lun­gen, Ki­nos und Schwimm­bä­dern wa­ren ver­bo­ten; die Be­nut­zung von öf­fent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln nur in Aus­nah­me­fäl­len ge­stat­tet. Sie durf­ten nicht te­le­fo­nie­ren, kei­ne Zei­tun­gen kau­fen, Aus­gangs- und Ein­kaufs­zei­ten wa­ren vor­ge­schrie­ben. Sie wur­den in der höchs­ten Steu­er­klas­se be­steu­ert und zahl­rei­che an­de­re Ein­schrän­kun­gen wur­den ih­nen auf­er­legt. Phil­ipp­son durf­te we­der Vor­trä­ge hal­ten noch wis­sen­schaft­li­che In­sti­tu­te oder Bi­blio­the­ken be­nut­zen. Er ver­ließ kaum noch das Haus und schrieb an sei­nem Ma­nu­skript der „Grie­chi­schen Land­schaf­ten”. Im Ju­li 1941 be­schlag­nahm­te die Ge­sta­po das seit 1863 im Be­sitz der Fa­mi­lie Phil­ipp­son be­find­li­che Haus in der Kö­nig­stras­se 1. Al­fred Phil­ipp­son, sei­ne Frau Mar­ga­re­te und sei­ne Toch­ter Do­ra Phil­ipp­son wur­den ge­zwun­gen, in das Haus in der Gluck­stra­ße 12, wel­ches zu ei­nem „Ju­den­haus“ be­stimmt wor­den war, zu zie­hen und Mie­te zu zah­len. An­fang Mai 1941 hat­te sich Phil­ipp­son an sei­nen in den USA le­ben­den Vet­ter, Ernst Al­fred Phil­ipp­son (1900-1992), und an den seit 1939 dort im Exil le­ben­den Bon­ner Geo­gra­phen Leo Wai­bel (1888-1951) ge­wandt und die­se ge­be­ten, her­aus­zu­fin­den, ob es für ihn, sei­ne Frau und für Toch­ter Do­ra ei­ne Mög­lich­keit gä­be, sich in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ei­ne be­schei­de­ne Exis­tenz auf­zu­bau­en. Ein Wett­lauf ge­gen die Zeit und die Be­hör­den be­gann – doch al­le Ver­su­che Phil­ipp­sons, jetzt noch Deutsch­land zu ver­las­sen, schei­ter­ten. Am 8.6.1942 muss­ten sie sich in dem von der Ge­sta­po zum In­ter­nie­rungs­la­ger um­funk­tio­nier­ten Klos­ter in Bonn-En­de­nich ein­fin­den, um an­schlie­ßend in die Mes­se­hal­len nach Köln-Deutz ver­frach­tet zu wer­den. Am 14.6.1942 wur­den sie von dort zu­sam­men mit an­de­ren Ju­den aus Köln, Bonn und Um­ge­bung in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger The­re­si­en­stadt de­por­tiert.

Un­ter ka­ta­stro­pha­len hy­gie­ni­schen Be­din­gun­gen ge­fan­gen ge­hal­ten, kam Phil­ipp­son we­gen sei­nes schlech­ten Ge­sund­heits­zu­stands häu­fig ins La­ger­kran­ken­haus. Ge­drängt von Kol­le­gen und Ver­wand­ten Al­fred Phil­ipp­sons setz­te sich der mit dem NS-Re­gime sym­pa­thi­sie­ren­de schwe­di­sche Asi­en­for­scher Sven He­din (1865-1952) bei den deut­schen Macht­ha­bern für sei­nen Ber­li­ner Stu­di­en­kol­le­gen Phil­ipp­son ein. Die­se In­ter­ven­ti­on führ­te da­zu, dass Phil­ipp­sons Haft­er­leich­te­rung er­hiel­ten und zu­nächst nicht in ein Ver­nich­tungs­la­ger wei­ter de­por­tiert wer­den soll­ten. Sie be­ka­men ein Zim­mer mit Bet­ten, ei­nem Tisch und Bü­cher­re­ga­len. Dort be­gann Al­fred Phil­ipp­son am 13.10.1942 mit den Auf­zeich­nun­gen sei­ner Le­bens­er­in­ne­run­gen. Beim Schrei­ben er­leb­te er noch ein­mal sei­ne Kind­heit, die Stu­di­en­zeit, sei­ne For­schun­gen und sei­ne Rei­sen. Er be­geg­ne­te Men­schen, die er lieb­te und ver­ehr­te. Die be­son­de­re Ver­bun­den­heit zum Rhein­land und zu Bonn wird im­mer wie­der in den Ka­pi­teln deut­lich, die er in den bio­gra­phi­schen Auf­zeich­nun­gen mit lie­be­vol­ler De­tail­treue sei­ner ge­lieb­ten Hei­mat­stadt wid­me­te. In der Vor­be­mer­kung die­ses Wer­kes, das er „Wie ich zum Geo­gra­phen wur­de“ nann­te, schrieb er im März 1945:

"Die Schil­de­rung des Mi­lieus, in dem ich leb­te, wur­de zu ei­ner Ma­le­rei in Wor­ten der Städ­te und Land­schaf­ten, in de­nen ich mich auf­hielt und reis­te, wie ich sie in da­ma­li­ger Zeit ge­schaut ha­be. Ins­be­son­de­re ha­be ich ein­ge­hend mei­ne Hei­mat, die Stadt Bonn und ih­re Um­ge­bung, be­schrie­ben, wie sie in mei­ner Kin­der­zeit, vor et­wa 75 Jah­ren, gwe­sen ist und wie sie sich in den Fol­ge­jah­ren ent­wi­ckelt hat. Das lässt sich nicht nur mit der Be­deu­tung die­ser mei­ner Hei­mat für mei­ne per­sön­li­che Ent­wick­lung recht­fer­ti­gen, son­dern auch da­mit, dass ich ei­ner der we­ni­gen Über­le­ben­den bin, die das Bonn des En­des der sech­zi­ger und des An­fangs der sie­ben­zi­ger Jah­re noch ge­se­hen ha­ben, ehe das mo­der­ne Wachs­tum der Stadt ein­setz­te. Aber auch das spä­te­re Bonn mei­ner Do­zen­ten­jah­re ge­hört nun­mehr der Ver­gan­gen­heit an; schon die Ver­än­de­rung der so­zia­len Ver­hält­nis­se und die mo­der­ne Tech­nik ha­ben die­ser ein­zig­ar­ti­gen Stadt be­hag­li­chen Le­bens­ge­nus­ses nach dem „Welt­krie­ge“ ei­nen an­de­ren In­halt und ein an­de­res Ge­sicht ge­ge­ben; voll­ends ist sie in den letz­ten Mo­na­ten, be­vor ich die­se "Vor­be­mer­kung" des fer­ti­gen Ma­nu­skrip­tes schrei­be, durch die eng­lisch-ame­ri­ka­ni­schen Flie­ger­bom­ben zum gros­sen Teil zer­stört wor­den. Wie na­he mir das geht, ver­mag ich nicht aus­zu­spre­chen. Denn ich ge­hö­re zu den in der mo­der­nen Zeit un­ter den Aka­de­mi­kern und hö­he­ren Be­am­ten sel­te­nen Leu­ten, die mit ih­rer en­ge­ren Hei­mat durch das gan­ze Le­ben ver­bun­den ge­blie­ben sind; ich war froh mei­nes herr­li­chen Ge­burts­lan­des und stolz dar­auf! Es war schon ein schwe­rer Kum­mer, im höchs­ten Grei­sen­al­ter von die­ser ge­lieb­ten ver­trau­ten Um­ge­bung ge­trennt zu wer­den und nun erst das Be­wusst­sein, dass die Va­ter­stadt ge­ra­de in ih­ren al­ten Tei­len zer­stampft und zer­schüt­tet ist …“ (2. Auf­la­ge 2002, S. 5-6).

Al­fred Phil­ipp­son über­leb­te das La­ger nicht zu­letzt, weil ihm das Schrei­ben sei­ner Le­bens­er­in­ne­run­gen die in­ne­re Flucht in die Ver­gan­gen­heit er­mög­lich­te. Phil­ipp­sons ka­men am 10.7.1945 nach Bonn zu­rück. Trotz der Jah­re in The­re­si­en­stadt, der Er­mor­dung vie­ler Ver­wand­ter und Freun­de und ob­wohl sei­nes Ei­gen­tums be­raubt, lehn­te Al­fred Phil­ipp­son An­ge­bo­te, Deutsch­land zu ver­las­sen, ab. Er ver­stand sich als wah­rer Ver­tre­ter deut­scher Kul­tur und Tra­di­ti­on, nicht zu­letzt als „ech­ter“ Rhein­län­der und Bon­ner. Mit Hil­fe sei­ner Toch­ter Do­ra setz­te er sich da­für ein, Rech­te und sei­nen Be­sitz zu­rück zu er­hal­ten – was ihm frei­lich nicht im­mer ge­lang. Er nahm die Ar­bei­ten an sei­ner Lan­des­kun­de Grie­chen­lands wie­der auf und lehr­te er­neut an der Uni­ver­si­tät, die ihn 1946 mit ei­nem Eh­ren­dok­tor aus­zeich­ne­te. Be­reits 1947 ver­öf­fent­lich­te er „Die Stadt Bonn, ih­re La­ge und räum­li­che Ent­wick­lun­g“. Als er sich am 21.12.1947 in das Gol­de­ne Buch der Stadt Bonn ein­tra­gen durf­te, schrieb er dort hin­ein:

Die Lie­be zur Hei­mat ist das köst­li­che Band, das uns
mit der Er­de und der Mensch­heit ver­bin­det.
Der Ver­traut­heit mit der Hei­mat ent­sprie­ßt das Ver­hält­nis
Für Län­der und Völ­ker.
Die einst be­zau­bern­de, auch heu­te in ih­ren Trüm­mern noch
schö­ne Stadt Bonn und ih­re reiz­vol­le und man­nig­fal­ti­ge
Um­ge­bung ha­ben in mir in der Ju­gend das Ver­lan­gen er­weckt,
Land­schaf­ten und Städ­te zu se­hen und zu ver­ste­hen, kurz,
ein Geo­graph zu wer­den!

Al­fred Phil­ipp­son starb am 28.3.1953 im Al­ter von 89 Jah­ren. Er ist auf dem Jü­di­schen Fried­hof in Bonn an der Ecke Rö­mer­stras­se/Au­gus­tus­ring be­er­digt.

Al­fred Phil­ipp­son er­hielt im Lau­fe sei­nes Le­bens vie­le Aus­zeich­nun­gen. Seit 1901 fin­det man über ihn Ein­trä­ge in Le­xi­ka und Nach­schla­ge­wer­ken. Er war Trä­ger der sil­ber­nen Carl-Rit­ter-Me­dail­le der Ge­sell­schaft für Erd­kun­de zu Ber­lin, Mit­glied der Leo­pol­di­na und des deut­schen Ar­chäo­lo­gi­schen In­sti­tuts in Athen, Eh­ren­mit­glied der Ar­chäo­lo­gi­schen Ge­sell­schaft Athen, Eh­ren­dok­tor der Uni­ver­si­tä­ten Athen und Bonn so­wie Mit­glied be­zie­hungs­wei­se Eh­ren­mit­glied zahl­rei­cher deut­scher und in­ter­na­tio­na­ler Geo­gra­phi­scher Ge­sell­schaf­ten. 1952 er­hielt er ei­nes der ers­ten Gro­ßen Bun­des­ver­dienst­kreu­ze.

Sei­ne in The­re­si­en­stadt ver­fass­ten Le­bens­er­in­ne­run­gen wur­den erst 1996 (2. Auf­la­ge 2000) ver­öf­fent­licht. In Bonn er­in­nert ei­ne Ta­fel am Haus der Fa­mi­lie in der Kö­nig­stras­se 1 an Al­fred Phil­ipp­son. Auch in der Dau­er­aus­stel­lung der Ge­denk­stät­te für die Bon­ner Op­fer des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in der Fran­zis­ka­ner­stras­se 9 wird sei­ner ge­dacht. 2006 wur­de der Hör­saal im Geo­gra­phi­schen In­sti­tut der Uni­ver­si­tät Bonn in der Me­cken­hei­mer Al­lee 166 nach ihm be­nannt. Vor dem Hör­saal sind Ta­feln mit ei­nem Por­trät und bio­gra­phi­schen Hin­wei­sen an­ge­bracht.

Quellen

Ein aus­führ­li­cher Be­richt von Do­ra Phil­ipp­son, den sie kurz nach der Be­frei­ung 1945 noch in The­re­si­en­stadt über die De­por­ta­ti­on und das Über­le­ben in The­re­si­en­stadt ver­fasst hat­te, ist ab­ge­druckt in: Kuhn, An­net­te (Hg.): Frau­en­le­ben im NS-All­tag, S. 303-320. Der Be­richt wird auch in der Dau­er­aus­stel­lung der Ge­denk­stät­te Bonn do­ku­men­tiert.

Werke (Auswahl)

Stu­di­en über Was­ser­schei­den, Leip­zig 1886.
Der Pe­le­pon­nes. Ver­such ei­ner Lan­des­kun­de auf geo­lo­gi­scher Grund­la­ge. Nach Er­geb­nis­sen ei­ge­ner Rei­sen. Nebst ei­ner geo­lo­gi­schen und to­po­gra­phi­schen Kar­te mit Iso­hyp­sen, Ber­lin 1892.
Das Mit­tel­meer­ge­biet, sei­ne geo­gra­phi­sche und kul­tu­rel­le Ei­gen­art, Leip­zig 1904, 2. Auf­la­ge 1907, 3. Auf­la­ge 1914, 4. Auf­la­ge 1922.
Grund­zü­ge der All­ge­mei­nen Geo­gra­phie, 2 Bän­de in 3 Tei­len, Leip­zig 1921-1924.
Das By­zan­ti­ni­sche Reich als geo­gra­phi­sche Er­schei­nung, Lei­den 1939.
Die Stadt Bonn, ih­re La­ge und räum­li­che Ent­wick­lung, Bon­ner Geo­gra­phi­sche Ab­hand­lun­gen, Bonn 1947, 2. Auf­la­ge 1951.
Die Grie­chi­schen Land­schaf­ten. Ei­ne Lan­des­kun­de in vier Bän­den, hg. un­ter Mit­wir­kung von Her­bert Leh­mann und Ernst Kirs­ten, Frank­furt am Main 1950-952 und nach dem Tod des Ver­fas­sers hg. von Ernst Kirs­ten, Frank­furt am Main 1956–1959.
Wie ich zum Geo­gra­phen wur­de. Auf­ge­zeich­net im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger The­re­si­en­stadt zwi­schen 1942 und 1945, hg. von H. Böhm u. As­trid Meh­me, Bonn 1996, 2. Auf­la­ge 2000 [dar­in S. 788-805 Schrif­ten­ver­zeich­nis von Al­fred Phil­ipp­son].

Literatur

Blau, Bru­no (Hg.), Das Aus­nah­me­recht für die Ju­den in Deutsch­land 1933-1945, 2. Auf­la­ge, Düs­sel­dorf 1954. Böhm, Hans, Al­fred Phil­ipp­son, in: Böhm, Hans (Hg.), Bei­trä­ge zur Ge­schich­te der Geo­gra­phie an der Uni­ver­si­tät Bonn. Col­lo­qui­um Geo­gra­phi­cum 21, Bonn 1991, S. 205-225.
Böhm, Hans/Meh­mel, As­trid, Phil­ipp­son, Al­fred, in: Le­xi­kon der Geo­gra­phie, Band 3, Hei­del­berg/Ber­lin 2002, S. 44-45.
Bran­den­burg, Bea­te/Meh­mel, As­trid, Mar­ga­re­te Kirch­ber­ger, ver­hei­ra­te­te Phil­ipp­son, in: Kuhn, An­net­te u.a. (Hg.), 100 Jah­re Frau­en­stu­di­um: Frau­en der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn, Dort­mund 1996, S. 156-159.
Kah­le, Ma­rie, Was hät­ten Sie ge­tan? Die Flucht der Fa­mi­lie Kah­le aus Na­zi-Deutsch­land, hg. von John H. Kah­le und Wil­helm Bleek, 3. Auf­la­ge, Bonn 2006.
Meh­mel, As­trid, Al­fred Phil­ipp­son – Bür­ger auf Wi­der­ruf, in: Wie­gan­dt, Claus-Chris­ti­an (Hg.), Col­lo­qui­um Geo­gra­phi­cum 29. Bei­trä­ge zum Fest­kol­lo­qui­um aus An­lass der Be­nen­nung des Hör­saals in „Al­fred . Phil­ipp­son – Hör­saal“, Geo­gra­phi­sches In­sti­tut der Uni­ver­si­tät Bonn, Sankt Au­gus­tin 2007, S. 9-44.
Meh­mel, As­trid, Al­fred Phil­ipp­son (1.1.1864-28.3.1953) – ein deut­scher Geo­graph, in: Asch­ke­nas. Zeit­schrift für Ge­schich­te und Kul­tur der Ju­den 8, Heft 2 (1998), S. 353-379.
Meh­mel, As­trid, Do­ra Phil­ipp­son, in: Kuhn, An­net­te u.a. (Hg.), 100 Jah­re Frau­en­stu­di­um: Frau­en der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn. Dort­mund 1996, S. 200-204.
Meh­mel, As­trid, Wie ich zum Geo­gra­phen wur­de – As­pek­te zum Le­ben Al­fred Phil­ipp­sons, in: Geo­gra­phi­sche Zeit­schrift 82 (1994), S. 116-132.
Meh­mel, As­trid/Sei­der, San­dra, Sie brann­ten am hell­lich­ten Tag. Der No­vem­ber­po­grom in Bonn am 10. No­vem­ber 1938, Bonn 2009.
Ri­ch­arz, Mo­ni­ka (Hg.), Bür­ger auf Wi­der­ruf. Le­bens­zeug­nis­se deut­scher Ju­den 1780-1945, Mün­chen 1989.

Online

Meh­mel, As­trid, "Phil­ipp­son, Al­fred", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 20 (2001), S. 399f. [On­line]

Alfred Philippson, 1951. (Archiv des Geographischen Instituts der Universität Bonn)

 
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Mehmel, Astrid, Alfred Philippson, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/alfred-philippson/DE-2086/lido/57c95a2b8ced45.60009634 (abgerufen am 05.12.2024)