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Organisationstalent und strategisches Denken ließen Duisberg bis 1914 vom einfachen Bayer-Chemiker zum prominentesten Vertreter der erfolgsgewohnten deutschen Chemie- und Pharmaindustrie aufsteigen. In der Weimarer Republik vollendete er die Konzentration des Industriezweigs und widmete sich verstärkt ehrenamtlichen Aufgaben als Verbandsführer sowie in der Wissenschafts- und Studienförderung.
Friedrich Carl Duisberg wurde am 29.9.1861 in Barmen (heute Stadt Wuppertal) geboren. Die Familie war evangelisch. Sowohl sein Vater Carl (1827-1896) als auch seine Mutter Wilhelmine, geborene Weskott (1832-1920), gehörten dem örtlichen Bandwirkergewerbe an. Mit mütterlicher Hilfe gelang es dem einzigen Sohn aus dieser Familientradition auszubrechen. Nach Oberrealschule (Abitur 1878) und acht Monaten Fachunterricht an der Elberfelder Gewerbeschule schrieb er sich 1879 mit den Fächern Fach Chemie, Geologie und Nationalökonomie an der Univerität Göttingen ein, wechselte dann nach Jena, wo für die Promotion kein Latinum verlangt wurde. 1882 schloss er sein Studium mit einer Arbeit über Acetessigester ab.
Auf eine vorübergehende Tätigkeit als schlecht bezahlter Privatassistent folgte der Militärdienst. Der Einjährig-Freiwillige beim Ersten Bayerischen Leibregiment in München konnte neben seinen Dienstpflichten am Institut des Chemikers und späteren Nobelpreisträgers Adolf von Baeyer (1835-1917) mitarbeiten. Der eigentliche Berufsanfang führte den Leutnant der Reserve ins Wuppertal zurück, wo Carl Rumpff (1839-1889), Leiter der Elberfelder Farbenfabriken, junge Chemiker suchte: Das Unternehmen litt an den Folgen der Gründerkrise und benötigte dringend neue, marktfähige Produkte. Duisberg nahm zunächst einen Forschungsauftrag an der Reichsuniversität Straßburg wahr. Kurz nach seiner Festanstellung an seinem 23. Geburtstag wurde das erste Patent auf seinen Namen angemeldet. Bereits 1888 erhielt der junge Laborleiter als erster Nichtkaufmann bei Bayer Prokura. Im selben Jahr heiratet er Johanna Seebohm (1864-1945), die Nichte des Vorstandsvorsitzenden Carl Rumpff. Dem Paar wurden drei Söhne und eine Tochter geboren.
Ein Vierteljahrhundert später stand Duisberg als Generaldirektor von Bayer an der Spitze eines gründlich veränderten Unternehmens. Aus dem handwerklich geprägten Farbenhersteller im Wuppertal war ein Weltkonzern mit einer breiten Produktpalette und fast 8.000 Mitarbeitern geworden. Grundlagen dieses Aufstiegs waren profitable Farbstofferfindungen, eine enge Verzahnung von Forschung und Produktion, eine erfolgreiche Patentpolitik, vor allem die durch persönliche Freundschaft unterstützte Zusammenarbeit mit Friedrich Bayer (1851-1920), dem Sohn des gleichnamigen Firmengründers und dem kaufmännischen Leiter Henry Theodor von Böttinger (1848-1920). In Duisbergs Ressort fiel die Aufnahme der Arzneimittelherstellung und die Entscheidung für die Eigenproduktion von Grundchemikalien. Zur höchsten Entfaltung gelangten seine Voraussicht und sein planerisches Talent bei Entwicklung und Ausbau des neuen Standortes Leverkusen.
Eine weitere Ausdehnung des Unternehmens war im engen Wuppertal nicht möglich, aber angesichts des weltwirtschaftlichen Wachstums in den beiden letzten Friedensjahrzehnten zwingend. Ab 1895 entstand bei Wiesdorf (nördlich von Mülheim am Rhein) auf unerschlossenem Gelände aus dem Besitz des Apothekers Carl Leverkus ein neues Werk für die Hauptproduktion. In seiner wegweisenden Denkschrift entwarf Duisberg das Grundschema eines flexiblen, erweiterungsfähigen chemischen Großbetriebes. Obwohl formell nur einfaches Vorstandsmitglied, leitete er nach 1900 praktisch den Konzern. Die Pracht der 1912 nach seiner Ernennung zum Generaldirektor errichteten Dienstvilla spiegelt die hohe Stellung des Hausherrn wider. Wohnluxus, aufwändige Festlichkeiten und teure Ferienreisen konnte sich die Familie ebenso leisten wie die großzügige Dotierung zahlreicher Stiftungen: Der Industrielle versteuerte allein 1911 über eine halbe Million Goldmark aus Gehalt, Tantiemen und Wertpapiereinkünften.
Den Ersten Weltkrieg hat Duisberg weder gewollt noch vorausgesehen. Exportverbote ließen den Absatz der Farbenfabriken zusammenbrechen, so dass selbst eine durch Einberufungen stark reduzierte Belegschaft unterbeschäftigt war. Erst die Produktion von Sprengmitteln, nach einigem Zögern aufgenommen, jedoch wirtschaftlich ungleich bedeutender als die 1914 begonnene Herstellung von Giftgas, führte 1915 zurück zur Vollbeschäftigung. Wenn Duisberg sich über die Belange seiner Firma hinaus in der Organisation der deutschen Kriegswirtschaft (Hindenburg-Programm) engagierte und die konsequente Führung des Kampfes einschließlich der Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges forderte, so tat er dies vor allem aus tiefem Ressentiment gegenüber einem britischen Gegner, dem er kleinliche ökonomische Motive für den Kriegseintritt unterstellte.
Novemberrevolution und Waffenstillstand 1918 lösten in Leverkusen keine Schockstarre aus. Nach eigener Aussage vollzog Duisberg “als Nichtpolitiker und Opportunist einen großen Sprung nach links” und versuchte, durch Kooperation mit der erstarkten Arbeiterschaft das Werk aus den Wirren des Umbruchs herauszuhalten. Die frühe Einführung des Neunstundentages bei Bayer und eine großzügige betriebliche Sozialpolitik machten diesen Kurswechsel glaubhaft. Auch im Reichsverband der deutschen Industrie, dem er von 1925 bis 1931 vorstand, förderte er eine Annäherung an Positionen der SPD und der Freien Gewerkschaften. Persönlich tendierte er zum konservativen Milieu. Versuche der wirtschaftsfreundlichen Deutschen Volkspartei, sich den profilierten Industriellen politisch zu verpflichten, wehrte er wiederholt ab. Aus der Zusammenarbeit mit Paul von Hindenburg (1847-1934) im Weltkrieg erwuchs sein Engagement für den späteren Reichspräsidenten, zunächst bei der Geldsammlung für den Erwerb des Gutes Neudeck, 1932 als Koordinator der industriellen Wahlkampfspenden für die Wiederwahl zum Staatsoberhaupt.
Duisbergs Rückzug aus der operativen Leitung fiel zeitlich mit dem Aufgehen “seines” Unternehmens in der 1925 gegründeten I.G. Farbenindustrie AG zusammen, deren erster Aufsichtsratsvorsitzender er wurde. Das Projekt eines Zusammenschlusses der deutschen Großchemie hatte der Industrielle seit der Jahrhundertwende verfolgt und in mehreren Etappen verwirklicht. Seit Anfang 1905 arbeiteten im “Dreibund” die Firmen BASF, Bayer und AGFA eng zusammen, traten nach außen einheitlich auf und verteilten die Gewinne im Verhältnis 43 Prozent zu 43 Prozent zu 14 Prozent. 1916 kam es unter dem Druck des Krieges und der Sorge um die angestammten Exportmärkte zur Erweiterung des Kartells unter dem Namen “Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenfabriken”.
Unter den zahlreichen gemeinnützigen Projekten, die Duisberg außerhalb seiner unternehmerischen Verantwortung initiierte oder förderte, sind besonders sein Einsatz für das Deutsche Museum in München, dessen Vorstandsrat er von 1912 bis 1916 leitete, und sein Mitwirken an der Gründung der “Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft” (1920) sowie einer Darlehnskasse für die deutsche Studentenschaft hervorzuheben. Acht deutsche Universitäten, unter ihnen Bonn (1919) und Köln (1921), verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. Aus Anlass des 70. Geburtstages richteten sowohl die I.G. Farben AG als auch der Reichsverband der Deutschen Industrie große Feiern aus. Carl Duisberg starb am 19.3.1935 in Leverkusen. Die Beisetzung am Rande eines Parks gegenüber dem Werksgelände fand drei Tage später unter großer öffentlicher Beteiligung statt.
Quellen
Duisberg, Carl, Meine Lebenserinnerungen, Leipzig 1933.
Kühlen, Kordula (Bearb.), Carl Duisberg (1861-1935). Briefe eines Industriellen, München 2012.
Literatur
Flechtner, Hans-Joachim, Carl Duisberg. Eine Biographie, Düsseldorf 1981.
Greiling, Walter, Duisberg, Friedrich Carl, in: Neue Deutsche Biographie 4, 1959, S. 181-182.
Plumpe, Werner, Carl Duisberg und der Erste Weltkrieg, in: Gilgen, David u.a. (Hg.), Deutschland als Modell? Rheinischer Kapitalismus und Globalisierung seit dem 19. Jahrhundert, Bonn 2010, S. 171-193.
Portz, Thomas, Großindustrie, Kriegszielbewegung und OHL, Siegfrieden und Kanzlersturz: Carl Duisberg und die deutsche Außenpolitik im Ersten Weltkrieg, Lauf a.d. Pegnitz 2000.
vom Berg, Carl, Geschichte der Familie Duisberg, Düsseldorf 1933.
Online
Informationen zu Carl Duisberg auf der Homepage der Bayer AG. [Online]
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Vogt, Helmut, Carl Duisberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-duisberg/DE-2086/lido/57c698f6ce4650.37086121 (abgerufen am 06.12.2024)