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Carl Leverkus entwickelte in den 1830er-Jahren ein Verfahren zur Herstellung künstlichen Ultramarins. Dieses beinahe unlösliche Pigment fand breite Verwendung in der Malerei, bei der Herstellung von Lacken und Farben sowie beim „Bläuen" von Papier, Garnen und allen anderen Stoffen, die durch die komplementären Pigmente optisch „geweißt" wurden. Als „Waschblau" wurde es weltweit bis zur Verbreitung moderner Waschmittel in der Mitte des 20. Jahrhunderts zum Aufhellen weißer Wäsche verwendet. Mit der Verlegung seiner Fabrik von Wermelskirchen nach Wiesdorf am Rhein begründete Leverkus den Chemiestandort und die spätere Stadt Leverkusen.
Carl Leverkus wurde am 5.11.1804 in Wermelskirchen als zweites Kind des Wilhelm Leverkus und seiner Frau Alexandrine Jaeger geboren. Sein Vater war Apotheker, seine Großmutter stammte aus der alten, ursprünglich in Solingen ansässigen Apothekerfamilie Lohe. Alexandrine Jaeger war die Tochter eines Remscheider Fabrikanten und Großhändlers für Stahlwaren.
Nach dem Elementarunterricht in Wermelskirchen besuchte Leverkus 1816 bis 1818 die Bürgerschule in Remscheid. Einer pharmazeutischen Ausbildung in der väterlichen Apotheke folgte der Besuch einer privaten Handelsschule in Burg an der Wupper, wo er die Söhne zahlreicher rheinischer und bergischer Unternehmer kennenlernte. Er absolvierte eine kurze Lehrzeit bei dem Apotheker Joseph Krahe in Winningen an der Mosel. 1822/1823 besuchte er die Universität Marburg, wo er Vorlesungen in Chemie, Pharmazie und Medizin, Botanik, Mineralogie und Mathematik hörte. Weitere Praxis erwarb er sich als Gehilfe in der Apotheke seines Vaters und in Trier. 1826 ging er nach Paris, dem damaligen Zentrum der wissenschaftlichen Chemie.
In Paris verfolgte Leverkus den Prioritätenstreit, der über die Synthese von Ultramarin entbrannt war. Gleichzeitig, jedoch unabhängig voneinander, hatten die Chemiker Gmelin (Tübingen) und Guimet (Toulouse) ein Verfahren zur Herstellung künstlichen Ultramarins entwickelt. Das leuchtend blaue, ungiftige, licht-, hitze- und laugenbeständige Pigment ersetzte das gesuchte und sehr kostspielige Pulver, das aus dem Halbedelstein Lapis Lazuli gewonnen wurde. Die „Société d’encouragement pour l’industrie nationale" hatte 1824 einen Preis für die Entwicklung eines solchen Verfahrens ausgeschrieben, der 1828 Guimet zuerkannt wurde, dessen Verfahren sich als das wirtschaftlichere herausstellte.
1829 immatrikulierten sich Carl und sein jüngerer Bruder Wilhelm an der Berliner Universität, wo Carl am 10.10.1829 das Apotheker-Examen erster Klasse ablegte. Wilhelm setzte sein Studium der alten Sprachen und der Geschichte fort, er wurde später Archivar und Geheimer Staatsrat des Herzogtums Oldenburg.
Carl Leverkus kehrte nach Wermelskirchen zurück. Da seine Bemühungen um eine Apothekenkonzession vergeblich waren, fasste er den Plan zum Bau einer eigenen kleinen Fabrik. Damit gehörte er zu den Pharmazeuten, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wegen des erschwerten Zugangs vom Apothekerberuf ab- und der Forschung und der Chemikalienfabrikation zuwandten. Darüber hinaus reichte Leverkus bei der Universität Gießen eine zehnseitige „Abhandlung über das Silber: Sein Vorkommen; seine Reinigung und Eigenschaften" als Dissertation ein. In absentia wurde er im November 1830 promoviert, auch wenn der Gutachter Justus Liebig (1803-1873, seit 1845 von Liebig) in der Arbeit „von etwas neuem ... keine Spur" zu finden vermochte. Gleichwohl befürwortete Liebig die Promotion, da „Herr L. durch sein Examen zu Berlin sich das beste Zeugnis seiner Kenntnisse erworben hat, da er ferner ein Ausländer ist und es hier mehr um den Titel als um die Sache geht."
Nach der für ihn unbefriedigenden Tätigkeit als Betriebsleiter der Sodafabrik von Hösch & Langenbeck in Barmen (heute Stadt Wuppertal) kehrte Leverkus 1833 nach Wermelskirchen zurück und errichtete unter großen finanziellen Anstrengungen 1834 ein Fabrikgebäude mit eigenem Laboratorium. Während die „Chemische Fabrik Dr. Carl Leverkus" Chemikalien für unterschiedliche Anwendungsgebiete produzierte, entwickelte Leverkus ein auf der Basis der Forschungen Guimets modifiziertes und verbessertes Verfahren zur Synthese von Ultramarin. 1838 gelang es ihm, für den Bereich des Königreichs Preußen ein auf zehn Jahre befristetes Patent zu erhalten.
Die internationale Anerkennung blieb nicht aus. Auf der ersten Weltausstellung 1851 in London wurde das Ultramarin als das hervorragendste Erzeugnis der deutschen Industrie gerühmt, 1855 erhielt Leverkus die silberne Medaille der Pariser Weltausstellung. Allerdings war auf dem Ultramarinmarkt zu dieser Zeit bereits ein heftiger Konkurrenzkampf entstanden. Aus dem Jahr 1856 ist ein Briefkonzept Leverkus’ überliefert, in dem der Unternehmer Überlegungen zur Erweiterung und zur Verlegung der Fabrik anstellt: „Die Einrichtung hierzu kann aber in Wermelsk[irchen] nicht geschehen, da zum Bezug und zum Versenden die Entfernung des fahrbaren Wassers und die der Eisenbahn zu groß ist, sondern nur in der Gegend von Cöln. Überhaupt kann auch nur eine großartige Einrichtung getroffen werden, um eine Rentabilität zu sichern."
Diese Standortvorteile bot die Gemeinde Wiesdorf. Sie lag nicht nur am Rhein, sondern verfügte mit dem Bahnhof Küppersteg seit 1845 auch über einen Anschluss an die Köln-Mindener Eisenbahn. Die ersten Grundstücke in der Flur Kahlberg der Gemeinde Wiesdorf erwarb Leverkus im Juli 1860. Der Fabriksiedlung, die ab 1861 dort gebaut wurde, gab er nach dem Stammsitz seiner Familie den Namen „Leverkusen". Bald wurde die Bezeichnung offiziell. Ab 1862 firmierte die Fabrik als „Rheinische Ultramarin – Fabrik von Dr. C. Leverkus, Leverkusen bei Coeln a/Rhein", im Volksmund hieß die Anlage nur die „Bläu".
Im Frühling 1862 nahm die neue Fabrik ihren Betrieb auf. Leverkus beschäftigte 78 Arbeiter, viele von ihnen waren aus Wermelskirchen an den Rhein gekommen und wohnten in den auf dem Kahlberg errichteten Arbeiterhäusern. Diese erste werkseigene Arbeitersiedlung im Leverkusener Stadtgebiet umfasste mehr als 30 Wohnungen. 1872 arbeiteten 162 Menschen in der „Bläu". Die isolierte Lage der Fabriksiedlung, die mit Konsumanstalt, evangelischer Privatschule und einer wohl auch der Geselligkeit dienenden Werksfeuerwehr mit Musikkapelle ihre eigene Infrastruktur aufbaute, führte dazu, dass man von ihr auch als dem „Staate Leverkusen" sprach.
Angesichts des Preiskampfes auf dem Ultramarinmarkt beantragte Leverkus die Konzession für eine zweite Fabrik, in der er 1874 die Produktion der chemischen Verbindung Alizarin aufnahm. Die Nachfrage nach dem neuen Farbstoff, der die Textilfärbereien von den vor allem aus Frankreich importierten natürlichen Krappstoffen unabhängig machte, war enorm. Zwischen 1871 und 1874 war die deutsche Alizarinproduktion von 15.000 auf 400.000 Kilogramm pro Jahr gestiegen. Das seit 1874 als „Rheinische Ultramarin- und Alizarin-Fabrik von Dr. C. Leverkus & Söhne" firmierende Unternehmen beschäftigte 1891 276 Arbeiter.
Seit 1838 war Leverkus mit Juliane Auguste Küpper aus Wermelskirchen verheiratet. Das Ehepaar hatte elf Kinder. Die Schwiegerkinder des Firmengründers entstammten fast ausnahmslos bergischen und rheinischen Unternehmerfamilien. Drei der vier Söhne wurden 1869 bzw. 1874 Teilhaber des Unternehmens. Carl Leverkus wurde 1873 zum Kommerzienrat, anlässlich des 50-jährigen Geschäftsjubliläums und seines 80. Geburtstages 1884 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt. Die Heimatstadt Wermelskirchen machte ihn 1884 zum Ehrenbürger. Bereits 1876 hatte Leverkus den preußischen Kronenorden III. Klasse erhalten. Die Nobilitierung lehnte er einer Familienüberlieferung zufolge ab.
Zeit seines Lebens engagierte Leverkus sich für seine Arbeiter und die Gemeinde. Er war unter anderem unbesoldeter Beigeordneter in Wermelskirchen und Mitglied der Handelskammer in Lennep (heute Stadt Remscheid). Der Sohn Carl setzte diese Tradition fort und übernahm öffentliche Ämter in der Gemeinde Wiesdorf und im Kreis Solingen-Land.
Carl Leverkus starb am 1.2.1889 in Leverkusen. Er wurde in Wermelskirchen beigesetzt.
1890 kam es in der deutschen Ultramarinproduktion zu großen Veränderungen. Preis- und Produktionsabsprachen ab 1872 hatten den Markt nicht „beruhigen" können. Unter der Führung der drei „Großen" (Leverkus, Zeltner in Nürnberg und Curtius in Duisburg) fusionierten nun 14 der 19 deutschen Ultramarinfabriken mit einem Marktanteil von 95 Prozent zur „Vereinigten Ultramarinfabriken AG vormals Leverkus, Zeltner & Consorten" (V.U.). Firmensitz war zunächst Nürnberg, ab 1899 Köln, den Vorstandsvorsitz übernahm mit der Verlegung Carl Leverkus jun. Nicht einbezogen in die Fusion war die Leverkus’sche Alizarinfabrik. Die Familie entschloss sich vielmehr, sie den Elberfelder Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. zum Kauf anzubieten, die auf der Suche nach einem geeigneten Standort am Rhein waren. Der erste Kaufvertrag wurde am 5.12.1891 unterzeichnet. Dabei blieb es nicht: Bis 1924 übernahmen die Farbenfabriken nach und nach nicht nur den weiteren Grundbesitz mit Fabrikanlagen, Fabrikantenvillen und Arbeiterwohnhäusern, sondern auch die Ortsbezeichnung „Leverkusen".
Literatur
Friedrich, Christoph, Apotheker Carl Leverkus, in: Pharmazeutische Zeitung 149 (2004), S. 3864-3866.
Leverkus, Erich, Carl Leverkus 1804-1889, hg. von der Stadtgeschichtlichen Vereinigung e.V. Leverkusen, Leverkusen 2004.
Mertens, Joost, The History of Artificial Ultramarine (1787-1844): Science, Industry and Secrecy, in: Ambix Vol. LI, No. 3, November 2004, S. 219-244.
Pohl, Hans u.a., Die chemische Industrie in den Rheinlanden während der industriellen Revolution, Band 1: Die Farbenindustrie, Wiesbaden 1983.
Stadt Leverkusen (Hg.), Das ultramarinblaue Wunder. Zum Gedenken an Carl Leverkus 1804-1889, Leverkusen 1989.
Online
Schumacher, Karl, „Leverkus, Carl", in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 389-391. [Online]
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John, Gabriele, Carl Leverkus, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-leverkus/DE-2086/lido/57c94078da7448.71917790 (abgerufen am 03.12.2024)