Zu den Kapiteln
Schlagworte
Der Jurist Hans Freiherr von Berlepsch war ein preußischer Spitzenbeamter, zeitweilig Minister im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen, kurzzeitig Oberpräsident der Rheinprovinz und schließlich preußischer Minister für Handel und Gewerbe. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit als preußischer Minister stand vor allem die Arbeiterschutzgesetzgebung der frühen 1890er Jahre. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt blieb von Berlepsch der Sozialpolitik verbunden.
Hans Hermann Freiherr von Berlepsch wurde am 30.3.1843 in Dresden als Sohn des sächsischen Oberlandforstmeisters August Gottlob Freiherr von Berlepsch (1790–1867) und seiner Frau Adolfine Auguste geborene Gräfin von der Schulenburg auf Liberose (1803–1878) geboren. Die Familie entstammte dem Uradel aus dem niedersächsischen Leingau und war evangelisch.
Berlepsch besuchte die traditionsreiche Klosterschule Roßleben in Thüringen, legte dort 1861 die Reifeprüfung ab und studierte 1861-1864 Rechtswissenschaften in Göttingen und Berlin. Seine juristische Ausbildung begann er als Auskultator beim Kammergericht Berlin. Am 23.3.1867 wurde er als Regierungsreferendar an die Regierung Erfurt versetzt. Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870 wurde er im Oktober 1870 vom Bundeskommissar zur Bekämpfung der Rinderpest am Rhein reklamiert; ab November 1870 leistete er freiwillige Krankenpflege im Johanniterorden in Chartres. Später wurde er als Unterpräfekt bei der dortigen Zivilverwaltung verwendet.
Seit dem 6.1.1872 Regierungsassessor, war Berlepsch ab 25.3.1872 als Hilfsarbeiter beim Landratsamt Beuthen (heute Polen) tätig, bis er am 12.6.1873 kommissarisch mit der Verwaltung des Landratsamts in Kattowitz (heute Polen) beauftragt wurde. Am 21.6.1874 wurde er definitiv ernannt und in die Stelle des Landrats in Kattowitz eingewiesen. Dort erwarb er sich eine genaue Kenntnis der oberschlesischen Großindustrie und Arbeiterschaft.
Am 15.5.1876 heiratete er in Mischlowitz (heute Tschechische Republik) Franziska Marie Adelheid Eva von Tiele-Winckler (1855–1927) aus einem Geschlecht mecklenburgischer Grundbesitzer. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor.
Nach knapp vier Jahren Tätigkeit in Kattowitz schied Berlepsch am 30.5.1877 aus dem preußischen Staatsdienst aus, nachdem er am 8.5.1877 zum Chef des Ministeriums (Staatsminister) im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen und Vorstand der Abteilung I (Fürstliches Haus und Auswärtiges) ernannt worden war. Zugleich wurde ihm der Charakter Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat „Exzellenz“ beigelegt. Ab dem 1.10.1877 amtierte Berlepsch zudem als Bevollmächtigter für Schwarzburg-Sondershausen im Bundesrat, nahm an dessen Arbeit aber nur sporadisch teil, weil er sich für die laufenden Geschäfte durch bestimmte Bevollmächtigte eines anderen Bundesstaates vertreten lassen konnte. Im Übrigen war die Tätigkeit eines Vertreters des kleinsten deutschen Bundesstaates ohnehin recht eingeschränkt. Anlässlich eines Regierungswechsels in Schwarzburg-Sondershausen schied Berlepsch am 16.7.1880 auf eigenes Ansuchen aus der Regierung aus und erhielt einen ehrenvollen Abschied. Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) bedauerte in einem Schreiben vom 27.10.1880 an Berlepsch, daß ich Ihre Betheiligung an den Arbeiten des Bundesrats fernerhin zu entbehren habe werde. Ich gebe deshalb die Hoffnung nicht auf, Ihnen in Zukunft wieder auf dem Wege gemeinsamer amtlicher Thätigkeit zu begegnen.[1]
Berlepsch kehrte in den preußischen Staatsdienst zurück und war ab 18.5.1881 zunächst Oberregierungsrat beim Regierungspräsidenten in Koblenz als dessen ständiger Vertreter. Am 31.10.1883 wurde er als Regierungspräsident nach Düsseldorf versetzt. Durch Erlass vom 7.10.1889 wurde er Oberpräsident der Rheinprovinz, trat das Amt am 19. Oktober an, verblieb aber nur gut ein Vierteljahr in Koblenz, denn bereits am 1.2.1890 wurde er zum preußischen Staatsminister und Minister für Handel und Gewerbe ernannt. In diesem Amt war er Nachfolger Bismarcks, der das Ministerium seit 1881 inne gehabt hatte und dessen Aufgaben dieser angesichts seiner durch Alter und Krankheit verminderte[n] Arbeitskraft [...] neben denen der übrigen mir obliegenden Aemter nicht mehr zu leisten vermochte, wie er am 27.1.1890 Kaiser Wilhelm II. (Regentschaft 1888-1918) mitteilte. Bismarck hielt die Berufung eines besonderen Ministers für Handel und Gewerbe im Interesse des Allerhöchsten Dienstes für geboten. Als geeigneten Kandidaten für das Amt schlug er im Einverständnis mit dem Staatsministerium den rheinischen Oberpräsidenten von Berlepsch vor mit der Begründung: Derselbe hat als Regierungs-Präsident zu Düsseldorf Gelegenheit gehabt, nicht nur sich als ein in jeder Beziehung tüchtiger Verwaltungsbeamter zu bewähren, sondern speziell in diesem gewerbreichen Bezirke Einsicht und Geschick für die Behandlung derjenigen Fragen an den Tag zu legen, welche für einen Gewerbeminister im Vordergrunde stehen. Schon durch seine Beförderung zum Oberpräsidenten haben Ew. pp. seine in dem Bergwerkstrike bewährte Befähigung anerkannt, und aus dem von Ew. pp. in der Sitzung des Kronraths über ihn gethanen Aeußerungen hat das Staatsministerium entnommen, daß er auch Allerhöchstdero persönliches Vertrauen gewonnen hat.[2]
In dem erwähnten Bergarbeiterstreik im Mai 1889 waren Berlepsch die Verhandlungen mit den Arbeitervertretern zugefallen, die er zu einem befriedigenden Abschluss geführt hatte. Im Sinne einer versöhnlichen Richtung hatte er auch den Kaiser beraten. Durch unmittelbare Berührung mit der Arbeiterbewegung festigte sich in ihm die Überzeugung, daß es sich bei ihr um eine jener großen historischen Bewegungen handelt, die nicht mit Gewalt zu unterdrücken sind.[3]
Im Mittelpunkt von Berlepschs Tätigkeit als Minister für Handel und Gewerbe stand, neben der Unterstützung der Handelspolitik von Reichskanzler Leo von Caprivi (Amtszeit 1890-1894), die Arbeiterschutzgesetzgebung zu Beginn der 1890er Jahre, die mit der Gewerbeordnungsnovelle vom 1.7.1891 sogleich einen Höhepunkt erreichte. Auf der internationalen Arbeiterschutzkonferenz in Berlin im März 1890 führte er den Vorsitz. In den folgenden Jahren, nicht zuletzt angesichts der wankelmütigen Politik des Kaisers, aber insbesondere wegen der massiven Gegenstimmung auf der Arbeitgeberseite, erkannte er, dass er seine Sozialpolitik nicht nach seinen Vorstellungen fortsetzen konnte, vor allem den Gewerkschaften einen besseren Rechtsstaus zu gewähren. Ein erstes Entlassungsgesuch vom 6.6.1895 nahm Kaiser Wilhelm II. nicht an, auf das zweite von Juni 1896 gewährte er ihm am 27.6.1896 jedoch den Abschied, allerdings nicht ohne die Randbemerkung: „Die Achtung des Parlaments und des Landes spielt anscheinend eine große Rolle! Etwas konstitutionell angekränkelt! Meine Zufriedenheit genügt und ist wichtiger als alles andere."[4]
Frei von amtlichen Verpflichtungen widmete Berlepsch sich in der Folgezeit unter anderem der Bewirtschaftung der eigenen Güter (Fideikomissherr auf Kloster Seebach mit Groß-Welsbach, - 1892 gestiftet, seit 1546 im Besitz der Familie -, auf Roßdorf und Mitherr auf Hambach) sowie der Verwirklichung der Sozialreform auf nationaler und internationaler Ebene. Er war 1901 an der Gründung der „Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz“, der er bis 1920 als Vorstandsmitglied angehörte, maßgeblich beteiligt und wurde gleichzeitig Vorsitzender der deutschen „Gesellschaft für soziale Reform“.
Berlepsch starb am 2.6.1926 in Kloster Seebach bei Mühlhausen in Thüringen.
Nach ihm wurde die 1880 von Diedrich Uhlhorn junior (1843-1915) gezüchtete und bis heute beliebte Apfelsorte Berlepsch benannt. In Berlin-Zehlendorf trägt eine Straße seinen Namen (nach 1920 benannt).
Quellen
Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung von Jürgen Kocka und Wolfgang Neugebauer (Acta Borussica NF Reihe 1), Band 8, 1 u. 2: 21. März 1890 bis 9. Oktober 1900, bearb. von Hartwin Spenkuch, Hildesheim [u.a.] 2003.
Literatur
Bär, Max, Die Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815, Bonn 1919, ND Düsseldorf 1998.
Bismarck, Otto von, Schriften 1888–1890, bearb. v. Andrea Hopp (Otto von Bismarck – Gesammelte Werke – Neue Friedrichsruher Ausgabe – Abteilung III/8), Paderborn [u. a.]. 2014.
Lilla, Joachim, Föderalismus in historisch-vergleichender Perspektive, Band 1: Der Bundesrat 1867–1919, Baden-Baden 2014.
Poschinger, Heinrich von, Fürst Bismarck und der Bundesrat, Band 3: Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1874–1878), Stuttgart/Leipzig 1898, S. 344, 414-422.
Röhl, John C. G., Deutschland ohne Bismarck. Die Regierungskrise im Zweiten Kaiserreich 1890–1900, Tübingen 1969.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816–1945, Düsseldorf 1994, S. 355-356.
Online
Bußmann, Walter, Berlepsch, Hans Freiherr von in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 96. [online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Lilla, Joachim, Hans Freiherr von Berlepsch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-freiherr-von-berlepsch-/DE-2086/lido/5b977f6ee61bc2.85465402 (abgerufen am 06.12.2024)