Clemens Freiherr von Schorlemer

Oberpräsident der Rheinprovinz (1856-1922)

Joachim Lilla (Krefeld)

Clemens Freiherr von Schorlemer, Porträt eines unbekannten Malers. (Schlossverwaltung Lieser)

Die klas­si­sche Lauf­bahn des preu­ßi­schen Ver­wal­tungs­be­am­ten ab­sol­vier­te Cle­mens Frei­herr von Schor­le­mer von der Pi­ke bis zu ei­ner der höchs­ten Stel­le der preu­ßi­schen Be­am­ten­hier­ar­chie, dem Ober­prä­si­den­ten. Aber auch im Ver­bands­we­sen wie in der Po­li­tik mach­te er ei­ne gu­te Fi­gur: gleich zwei­mal be­klei­de­te er das Amt des Vor­sit­zen­den der Land­wirt­schafts­kam­mer für die Rhein­pro­vinz, von 1909 bis 1917 war er zu­dem preu­ßi­scher Staats­mi­nis­ter und Mi­nis­ter für Land­wirt­schaft, Do­mä­nen und Fors­ten. In die­ser Stel­lung ge­lang es ihm aber nicht, die Er­näh­rungs­pro­ble­me wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges in den Griff zu be­kom­men.

Cle­mens Au­gust Mi­cha­el Hu­ber­tus An­to­ni­us Aloy­si­us Ma­ria Frei­herr von Schor­le­mer wur­de am 29.9.1856 als Sohn des ka­tho­li­schen Rit­ter­guts­be­sit­zers und „West­fä­li­schen Bau­ern­kö­nigs“ Burg­hard von Schor­le­mer-Alst (1825–1895) und sei­ner Frau Grä­fin An­na von Imb­sen zu We­wer, ver­wit­we­te von Dros­te zu Vi­sche­ring (1820–1891), auf Haus Alst bei Horst­mar, Kreis Burg­stein­furt, ge­bo­ren. Er er­hielt zu­nächst Haus­un­ter­richt, be­such­te das Gym­na­si­um Dio­ny­sia­num in Rhei­ne, leg­te dort am 27.7.1874 die Rei­fe­prü­fung ab und stu­dier­te von 1874 bis 1877 Rechts­wis­sen­schaf­ten in Würz­burg und Göt­tin­gen. Am 8.3.1878 wur­de er mit ei­ner von Ru­dolf von Ihe­ring (1818-1892) be­treu­ten Dis­ser­ta­ti­on „Die An­er­ken­nung ei­nes nich­ti­gen Tes­ta­men­tes von Sei­ten des be­ru­fe­nen In­te­stat­er­ben in ih­rer Wir­kung für den nach­be­ru­fe­nen In­ter­stat­er­ben und den he­res scrip­tus“ in Göt­tin­gen pro­mo­viert. Nach Ab­le­gung der ers­ten Ju­ris­ti­schen Prü­fung wur­de er am 30.11.1878 als Ge­richts­re­fe­ren­dar ver­ei­digt und ab­sol­vier­te den ju­ris­ti­schen Vor­be­rei­tungs­dienst in Os­na­brück, Göt­tin­gen und Cel­le. Vom 1.10.1878 bis 30.9.1879 leis­te­te er sei­nen Mi­li­tär­dienst als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger bei der rei­ten­den Ab­tei­lung des in Müns­ter und Min­den gar­ni­so­nier­ten 1. West­fä­li­schen Feld­ar­til­le­rie-Re­gi­ments Nr. 7 (am 16.11.1880 wur­de er zum Se­con­de-Lieu­ten­ant der Re­ser­ve er­nannt).

 

Für sei­nen wei­te­ren Le­bens­weg von her­aus­ra­gen­der Be­deu­tung wur­de die am 28.1.1880 in Trier ge­schlos­se­ne Ehe mit Ma­ria He­le­na Hen­ri­et­ta Bri­git­ta Pu­ricel­li (1855–1936), die ein­zi­ge Toch­ter und Er­bin des In­dus­tri­el­len und Guts­be­sit­zers Edu­ard Pu­ricel­li (1826–1893) und sei­ner Frau Hya­zin­the ge­bo­re­ne Reck­ling (1832–1899). Edu­ard Pu­ricel­li hat un­ter an­de­rem die Gas­wer­ke in Kre­feld und Trier ge­grün­det und zeit­wei­se auch be­trie­ben. Aus der Ehe gin­gen acht Kin­der her­vor.

Im März 1884 be­stand Frei­herr von Schor­le­mer die Gro­ße ju­ris­ti­sche Staats­prü­fung und wur­de am 29. März zum Ge­richt­s­as­ses­sor er­nannt. In der Fol­ge­zeit wur­de er als Hilfs­ar­bei­ter bei den Staats­an­walt­schaf­ten in Bonn und Düs­sel­dorf ver­wen­det, bis er am 29.12.1886 als Re­gie­rungs­as­ses­sor in die all­ge­mei­ne Staats­ver­wal­tung über­nom­men und der Re­gie­rung Mag­de­burg zu­ge­teilt wur­de. Am 18.3.1888 wur­de er zum kom­mis­sa­ri­scher Land­rat des Krei­ses Neuss er­nannt und ab 1.12.1888 de­fi­ni­tiv be­stallt. Aus sei­nen Ak­ti­vi­tä­ten in Neuss sei­en ex­em­pla­risch er­wähnt ei­ne In­itia­ti­ve für die Fe­ri­en­ko­lo­ni­en (1889), die Grün­dung des Ver­eins für Ge­mein­wohl (1890, ab 1891 Neus­ser Ge­mein­nüt­zi­ger Bau­ver­ein), die Grün­dun­gen der Neus­ser Prä­mi­en­spar­kas­se (1892) und der Volks­ba­de­an­stalt AG in Neuss (1893) so­wie der Neus­ser Kra­wat­ten-Fach­schu­le (zum 1.4.1894). Ge­wiss ein Hö­he­punkt sei­ner Neus­ser Jah­re war das in Neuss be­son­ders pres­ti­ge­träch­ti­ge Amt des Schüt­zen­kö­nigs (1893).

Nach dem Tod von Edu­ard Pu­ricel­li En­de 1893 kam das Ehe­paar Schor­le­mer in den Ge­nuss des be­trächt­li­chen Er­bes, zu dem un­ter an­de­rem das Schloss Lie­ser an der Mo­sel ge­hör­te, das dann der Wohn­sitz der Fa­mi­lie wur­de und sie zu­gleich im Rhein­land dau­er­haft ver­wur­zel­te. Der seit­dem ge­führ­te Na­mens­zu­satz Lie­ser war in­of­fi­zi­ell; erst in den 1990er Jah­ren wur­de er amt­li­cher Be­stand­teil des Fa­mi­li­en­na­mens.

Clemens Freiherr von Schorlemer, Porträt. (Stadtarchiv Neuss)

 

En­de 1897 über­sie­del­te Frei­herr von Schor­le­mer aber zu­nächst nach Bres­lau, nach­dem ihm am 6. De­zem­ber des Jah­res ver­tre­tungs­wei­se die Ver­wal­tung der Stel­le des Ober­prä­si­di­al­rats in Bres­lau, al­so des all­ge­mei­nen Ver­tre­ters des Ober­prä­si­den­ten der Pro­vinz Schle­si­en, über­tra­gen wor­den war. Am 29.8.1898 de­fi­ni­tiv er­nannt, ließ er sich be­reits ein gu­tes Jahr spä­ter aus die­ser Stel­lung be­ur­lau­ben, um sich der Ver­wal­tung des Fa­mi­li­en­be­sit­zes und der von sei­ner Frau er­erb­ten Pu­ricel­li'schen In­dus­trie­be­trie­be und Wein­gü­ter an der Mo­sel zu wid­men. Au­ßer­dem war er am 16.11.1899 zum Vor­sit­zen­den der neu er­rich­te­ten Land­wirt­schafts­kam­mer für die Rhein­pro­vinz (mit Sitz in Bonn) ge­wählt wor­den. Die­ses Amt hat­te er bis zu sei­ner Er­nen­nung zum Ober­prä­si­den­ten 1905 in­ne. Am 26.3.1900 schied er of­fi­zi­ell aus dem Staats­dienst aus und fir­mier­te fort­an als Ober­prä­si­di­al­rat a.D. in Lie­ser an der Mo­sel. Kai­ser Wil­helm II. (Re­gent­schaft 1888-1918) be­rief ihn am 18.1.1901 „aus be­son­de­rem kö­nig­li­chen Ver­trau­en“ in das Preu­ßi­sche Her­ren­haus, in das er am 29. März ein­trat. 1901 und noch­mals 1918 wur­de er in den Rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­land­tag ge­wählt.

Sei­ner Be­kannt­schaft mit Wil­helm II., der ihn of­fen­bar sehr schätz­te und mehr­fach in Lie­ser be­such­te, ver­dank­te Frei­herr von Schor­le­mer mut­ma­ß­lich die Er­nen­nung zum Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz am 1.9.1905. Be­son­ders er­wäh­nens­wert ist die Tat­sa­che, dass er der ers­te Ka­tho­lik in die­ser Stel­lung war. Im Ge­gen­satz zu sei­nem Va­ter, der sich für das Zen­trum po­li­tisch en­ga­giert hat­te, stand Schor­le­mer dem po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus eher zu­rück­hal­tend ge­gen­über und be­tä­tig­te sich in der 1908 ge­grün­de­ten Deut­schen Ver­ei­ni­gung, ei­nem Zu­sam­men­schluss na­tio­nal­ka­tho­li­scher Krei­se, die un­ter an­de­ren den in das Zen­trum na­ment­lich vom „Volks­ver­ein für das ka­tho­li­sche Deutsch­land“ hin­ein­ge­tra­ge­nen so­zi­al­po­li­ti­schen Re­form­kurs ab­lehn­te. Vor die­sem Hin­ter­grund ließ die Tat­sa­che, dass Schor­le­mer im No­vem­ber 1908 an­läss­lich der Fei­er­lich­kei­ten zum 50-jäh­ri­gen Pries­ter­ju­bi­lä­um von Papst Pi­us X. (Pon­ti­fi­kat 1903-1914) durch den Kai­ser zum Lei­ter der deut­schen De­le­ga­ti­on er­nannt wur­de, in ka­tho­li­schen Krei­sen auf­hor­chen. Von 1909 bis 1910 war er Mit­glied der Im­me­di­at­kom­mis­si­on Ver­wal­tungs­re­form.

Vom Ober­prä­si­di­um in Ko­blenz wech­sel­te er im Ju­ni 1910 nach Ber­lin, nach­dem er am 18. Ju­ni zum preu­ßi­schen Staats­mi­nis­ter und Mi­nis­ter für Land­wirt­schaft, Do­mä­nen und Fors­ten er­nannt wor­den war; in die­ser Ei­gen­schaft war er zu­gleich ei­ner der 17 preu­ßi­schen Be­voll­mäch­tig­ten zum Bun­des­rat. Schwer­punk­te der Ar­beit als Staats­mi­nis­ter wa­ren die Voll­endung des seit 1893 be­ar­bei­te­ten Was­ser­ge­set­zes (1913) so­wie Lan­des­kul­tur- und Sied­lungs­ge­set­ze, die auf ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich der Land­wirt­schaft mit der In­dus­trie und der städ­ti­schen Be­völ­ke­rung ge­rich­tet wa­ren. Wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs wirk­te er (oh­ne gro­ßen Er­folg) bei der Or­ga­ni­sa­ti­on der Kriegs­er­näh­rungs­wirt­schaft mit. Am 6.8.1917 trat er im Rah­men der Um­bil­dung von Reichs­lei­tung und preu­ßi­schem Staats­mi­nis­te­ri­um zu­rück; die Amts­ge­schäf­te über­gab er ei­nen Tag spä­ter an sei­nen Nach­fol­ger Paul von Ei­sen­hart-Ro­the (1857-1923).

Am 17.7.1918 wur­de er er­neut zum Vor­sit­zen­den für die Land­wirt­schafts­kam­mer der Rhein­pro­vinz ge­wählt, im fol­gen­den Jahr über­nahm er auch den Vor­sitz im Deut­schen Land­wirt­schafts­rat, der zen­tra­len In­ter­es­sen­or­ga­ni­sa­ti­on der Land­wirt­schaft auf der Reichs­ebe­ne. 1920 und 1921 wur­de Schor­le­mer im staat­li­chen Auf­trag bei der Fest­set­zung der deut­schen Viehlie­fe­run­gen ge­mäß Ver­sailler Ver­trag so­wie bei der An­er­ken­nung von Be­sat­zungs­schä­den in Bel­gi­en tä­tig. Dem 1920 er­rich­te­ten Vor­läu­fi­gen Reichs­wirt­schafts­rat ge­hör­te Schor­le­mer für die Grup­pe I (Land­wirt­schaft) als Ar­beit­ge­ber-Ver­tre­ter an. Au­ßer­dem war er seit 1918 Vor­sit­zen­der des Deut­schen Land­kreis­ver­ban­des. Im April 1920 wur­de er zum Kreis­de­pu­tier­ten des Krei­ses Bern­kas­tel ge­wählt.

Frei­herr von Schor­le­mer starb nach län­ge­rer Krank­heit wäh­rend ei­nes Be­suchs in Ber­lin am 6.7.1922 im dor­ti­gen Hed­wigs­kran­ken­haus und wur­de am 11.7.1922 in der Fa­mi­li­en­gruft in Lie­ser bei­ge­setzt. Er war Eh­ren­bür­ger der Städ­te Neuss (1905, Ko­blenz (1910) und St. Wen­del (1910)

Quellen

Ge­rin­ge Nach­lass­res­te be­fin­den sich im Lan­des­haupt­ar­chiv Ko­blenz (Be­stand 700, 234).
Nie­der­rhei­ni­sche Volks­zei­tung (Kre­feld) Nr. 928, 14.11.1908 (Stadt­ar­chiv Kre­feld).
Mit­tei­lun­gen von R. Kil­laars, Lie­ser, und Pro­fes­sor Dr. Ru­dolf Mor­sey, Neu­stadt/Wein­stra­ße.Lieb­mann, Ot­to, „Ue­ber­weg", in: All­ge­mei­ne Deut­sche Bio­gra­phie 39 (1895), S. 119-121. [On­line]

Literatur

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Che­hab, Clau­dia, "Die schöns­te und glück­lichs­te Zeit mei­nes Le­bens". Ober­prä­si­dent Cle­mens Frei­herr von Schor­le­mer und das Kreis­fest am 26. Sep­tem­ber 1907, in: Jahr­buch für den Rhein-Kreis Neuss 2007, S. 86–93.
Deut­sches bio­gra­phi­sches Jahr­buch, hg. vom Ver­ban­de der Deut­schen Aka­de­mi­en, Band 4: Das Jahr 1922, Stutt­gart/Ber­lin 1929, S. 250–255 (Fritz Eh­ren­forth).
Erns­bach, Karl, Dr. Cle­mens Frei­herr von Schor­le­mer (1856-1922), in: Kreis­ge­schich­te im Spie­gel der Bio­gra­fie. Die Land­rä­te und Ober­kreis­di­rek­to­ren des Rhein-Krei­ses Neuss und sei­ner Rechts­vor­gän­ger von 1816 bis zur Ge­gen­wart, Neuss 2019, S. 214-225. 
Ger­hold, Die­ter, Cle­mens Frei­herr von Schor­le­mer (1856–1922). Preu­ßi­scher Mi­nis­ter für Land­wirt­schaft, Do­mä­nen und Fors­ten der Jah­re 1910–1917, phil. Diss. Müns­ter 2002.
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Ro­meyk, Horst, Ver­wal­tungs- und Be­hör­den­ge­schich­te der Rhein­pro­vinz 1914-1945, Düs­sel­dorf 1985.

Online

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Saar­län­di­sche Bio­gra­phie, Cle­mens Frei­herr von Schor­le­mer [feh­ler­haft]. [On­line]
Zilch, Rein­hold „Schor­le­mer-Lie­ser, Cle­mens Frei­herr von“, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 23 (2007), S. 480-482. [On­line]
Stat­dt­ar­chiv Neuss, Bio­gra­phie. [On­line]

Clemens Freiherr von Schorlemer bei Papst Pius X., Bild eines unbekannten Malers, 1908. (Schlossverwaltung Lieser)

 
Zitationshinweis

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Lilla, Joachim, Clemens Freiherr von Schorlemer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/clemens-freiherr-von-schorlemer/DE-2086/lido/57c9498a4a42a2.64224221 (abgerufen am 08.12.2024)