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Hans Thuar war ein impressionistischer und expressionistischer bildender Künstler und Kleinunternehmer, der durch Vermittlung seines besten Freundes August Macke in den frühen 1910er Jahren ein Mitglied der rheinischen Avantgarde wurde. Nach Mackes Tod 1914 trugen Thuars psychische Probleme, seine körperliche Behinderung sowie finanzielle Nöte dazu bei, dass sein Schaffen wiederholt jahrelang stagnierte und Ausstellungsbeteiligungen nur noch auf regionaler Ebene stattfanden.
Hans Thuar wurde am 29.10.1887 als ältester Sohn von Reinhold Thuar (1856-1916) und seiner Frau Hedwig, geborene Raetsch (1868-1917), im brandenburgischen Treppendorf (heute Stadt Lübben) geboren. Thuars Vater, der eine Lehre in einem Notariat gemacht hatte und danach beruflich schnell aufstieg, stammte aus einfachen Verhältnissen. Die Vorfahren der Familie waren im Spreewald als Handwerker und Bauern tätig. Die Familie war evangelisch.
Bedingt durch die Anstellung des Vaters als Leiter der Generalagentur der Viktoria-Versicherungs-Gesellschaft in Köln zog die Familie Thuar 1892 in die Rheinmetropole, wo Hans im Folgejahr eingeschult wurde. 1896 bezog die Familie ein neuerbautes Haus in Köln, Brüsseler Straße 59. 1897 wechselte Thuar auf das städtische Gymnasium und lernte den in der Nachbarschaft wohnenden August Macke kennen, der für seinen weiteren Lebensweg und sein künstlerisches Schaffen von maßgeblicher Bedeutung werden sollte. Die innige Freundschaft dauerte bis zu Mackes Tod an.
Der 12.5.1899 markiert eine einschneidende Zäsur in Thuars Leben: An diesem Tag wurde der Elfjährige am Habsburgerring in Köln von einer Pferdebahn überfahren und verlor dabei beide Beine. Während der fast einjährigen Genesungsphase war es sein Freund Macke, der durch seine fast täglichen Besuche im Krankenhaus in dem depressiven Jungen neuen Lebenswillen zu wecken vermochte. War ein künstlerisches Interesse in beiden Kindern bereits durch die japanische Holzschnitt-Sammlung von Thuars Vater entfacht, prägte die Zeit im Krankenhaus, während der Macke am Krankenbett Aquarelle und Karikaturen für den Rekonvaleszenten malte, ihr Verhältnis zur Kunst nachhaltig. Der Umzug der Familie Macke nach Bonn im Jahr 1900 bedeutete einen schweren Verlust für Thuar, dem somit eine wichtige Stütze in der Lebenskrise genommen wurde. Die eigene Familie zog im gleichen Jahr an den Königsplatz in Köln. Der Kontakt zu Macke blieb in den folgenden Jahren dennoch bestehen. So besuchte dieser den Freund wiederholt in der Domstadt. Das gesteigerte Interesse an der Malerei führte dazu, dass Thuar ab 1903 privaten Malunterricht von dem mit der Familie befreundeten Professor Hermann Wegelin erhielt. Dabei reifte in dem Schüler der Entschluss, Maler zu werden, weshalb er gegen den Willen des Vaters 1907 das Gymnasium abbrach, um erste Berufserfahrungen als Dekorationsmaler bei Professor Koch zu sammeln. Im gleichen Jahr begann er ein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf, welche Freund Macke um diese Zeit schon wieder verlassen hatte, um sich an einer privaten Kunstschule in Berlin bei Lovis Corinth (1858-1825) weiterzubilden. Um Thuars Mobilität und Sicherheit im städtischen Alltag zu gewährleisten, erhielt er einen Diener, der ihm noch später in Bonn-Endenich im Haushalt half. Die traditionellen Lehrmethoden und die Vernachlässigung von aktuellen Kunstentwicklungen im Lehrplan führten, wie schon im Falle seines Freundes Macke dazu, dass Thuar die Ausbildung bereits 1908 abbrach, um sich stattdessen autodidaktisch weiterzubilden. Seine körperliche Behinderung erschwerte eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst jedoch erheblich, da Studienreisen und damit Kontaktaufnahmen mit anderen jungen Künstlern fast unmöglich waren. In dieser Phase fungierte Macke zunehmend als Mittler, der den an den Rollstuhl gefesselten Freund mit gewonnenen Kenntnissen und Literatur versorgte. Macke war daher für Thuar bis 1914 das Bindeglied zur Kunstwelt. Als Macke 1910 zur Vertuschung der unehelichen Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin Elisabeth (1888-1978) mit dieser für mehrere Monate an den Tegernsee zog, verfiel Thuar zeitweise erneut in eine depressive Phase.
1911 lernte der Künstler in Düsseldorf seine Freundin Elsa kennen, mit der er im gleichen Jahr nach Bonn-Endenich zog, wo das gemeinsame Kind Hilde-Vera geboren wurde. Der Aufenthalt in Bonn läutete Thuars erste große Schaffensperiode ein, was zum einen der neuen Lebens- und Wohnsituation als auch Kurzreisen in die Eifel und nach Belgien geschuldet war, die ihm neue Impulse und Motive lieferten. Zum anderen hatte sich Macke Ende 1910 wieder in Bonn niedergelassen. Mit diesem traf sich Thuar nun häufig zu regem Gedankenaustausch und gemeinsamen Malstunden. Macke war schließlich der Treibende, der Thuars Werk in die Kunstszene integrierte. Bereits im Januar 1912 waren drei Gemälde des Malers in der 1. Ausstellung der Kölner Secession vertreten. In den folgenden Jahren ermöglichte Mackes kunstpolitische Stellung dem Freund die Teilnahme an einigen der wichtigsten Ausstellungen zur Etablierung der europäischen Avantgarde in Deutschland, wie der Kölner Internationalen Sonderbundausstellung 1912 oder dem Deutschen Herbstsalon der Berliner Galerie „Der Sturm“ 1913. Als einer von 16 Künstlern der bedeutenden von Macke initiierten Schau in der Bonner Kunsthandlung Cohen 1913, erhielt Thuar einen festen Platz in der rheinischen Kunstszene. Gleichzeitig boten die in räumliche Nähe rückenden Ausstellungen dem Künstler die Möglichkeit, die Neuerungen der europäischen Kunstszene mit eigenen Augen zu sehen, um somit Anregungen für die eigene Arbeit zu erhalten. Waren seine frühen Werke noch impressionistisch geprägt, zeugen die Arbeiten dieser Zeit von der Auseinandersetzung mit modernen Stilrichtungen, wie dem deutschen Expressionismus, dem französischen Kubismus und Fauvismus sowie dem italienischen Futurismus.
1912 kam es zur Trennung von der Freundin Else, woraufhin Thuar wieder in das Elternhaus in Köln zog und im gleichen Jahr eine Reise in seine ehemalige Heimat, den Spreewald, unternahm. Bereits am 31. Oktober des folgenden Jahres heiratete er die Hamburgerin Henriette Rasch (1890-1977), genannt Henny, welche er durch den mit Macke befreundeten Arzt Arthur Samuel (1890-1974) kennengelernt hatte. Nach vorherigem Briefkontakt war Thuar zuvor im April 1913 nach Hamburg gereist, wo er sich bis September aufhielt. Nach der Hochzeit bezog das Paar ein Haus in Üsdorf (heute Stadt Köln), wo 1914 die Tochter Gisela zur Welt kam. Diese heiratete 1937 Mackes zweitgeborenen Sohn Wolfgang (1913-1975).
Der Tod August Mackes am 26.9.1914 stürzte Thuar in eine erneute depressive Phase und beendete vorerst jegliche künstlerischen Tätigkeiten, bedeutete der Tod doch nicht nur den Verlust des besten Freundes, sondern auch des Mannes, der für ihn Inspirations- und Informationsquelle wie Zugang zum Kunstgeschäft gewesen war. Die Unmöglichkeit der eigenen Teilnahme am Ersten Weltkrieg rief in Thuar in der Folgezeit ein Gefühl von Nutzlosigkeit hervor, welches ihn auch später zeitweise begleitete. In dieser Krise wurde 1915 die zweite Tochter, Anneliese, geboren. Seit 1916 wohnte die Familie in Bad Salzuflen, von wo sie 1919 durch Arthur Samuels Hilfe illegal ins besetzte Bonn zurückkehren konnte. Nach einem kurzen Aufenthalt bei Elisabeth Erdmann-Macke (1888-1978) - diese hatte 1916 den Journalisten Lothar Erdmann (1888-1939) geheiratet -, zogen die Thuars noch 1919 in eine Wohnung der sogenannten Wilhelmsburg in Schwarzrheindorf (heute Stadt Bonn), welche dem befreundeten Arzt Samuel gehörte. Kurz nach Weihnachten dieses Jahres musste die Familie einen weiteren Schicksalsschlag verkraften, als der einzige Sohn Jürgen kurz nach der Geburt verstarb. Der alte Hof in Schwarzrheindorf wurde in den folgenden Jahren schnell zum Treffpunkt für Freunde aus Kunst und Wissenschaft, die den Künstler und sein Werk finanziell durch Auftragsarbeiten - vor allem Porträts - und den Kauf seiner Arbeiten unterstützten. Während der Inflationszeit geriet die Familie dennoch wiederholt in finanzielle Nöte, die beinahe in einer Zwangsvollstreckung endeten. Dies hatte zur Folge, dass Thuar sich nach einer Arbeit umsah, die ihm ein sicheres Gehalt garantierte. Eine Beschäftigung fand er gegen Herbst 1921 in der Bonner Fahnenfabrik, wo er als Entwurfszeichner tätig war. Im gleichen Jahr wurde die jüngste Tochter, Jane, geboren.
1919 und 1920 waren Thuars Werke bereits wieder in Ausstellungen in Köln und Bonn vertreten, doch besaßen diese Schauen nicht mehr die kunstpolitische und mediale Wirkung der Vorjahre. Das Jahr 1920 markiert gleichzeitig den Beginn von Thuars zweiter Schaffensphase, die bis 1926 anhielt. Ähnlich wie zwischen 1911-1914 experimentierte der Maler in dieser Zeit mit den stilistischen Möglichkeiten expressiver Bildkompositionen und begann 1921 mit der Arbeit an Holzschnitten. Darüber hinaus unterrichtete er seit den frühen 1920er Jahren Walter Mackes Schulfreund Heinz Pfeiffer (1907-1994), der spätere Begründer der Chromatologie, in Farbenlehre und Maltechnik. In der gleichen Phase vermittelte Thuar der Fotografin Käthe Augenstein (1899-1981) auf Malausflügen und bei Atelierbesuchen künstlerische Kompositionsmöglichkeiten. 1926 nahm er die gebürtige Amerikanerin La Vera Pohl (1900-1981) als Schülerin an, die fünf Jahre bei ihm lernte.
Wohl aufgrund erneuerter finanzieller Schwierigkeiten ließ Thuar 1928 seine Unfallrente kapitalisieren. Nach wiederholten Streitigkeiten mit dem befreundeten Vermieter Samuel bezüglich des Zustands der Wilhelmsburg zog die Familie 1930 in ein Eigenheim in Ramersdorf (heute Stadt Bonn), auf dessen Grundstück man auch ein Atelier errichten ließ. Die finanzielle Sicherheit der Familie sollte jedoch durch kaufmännische Unternehmungen, wie eine neben dem Wohnhaus eröffnete Tankstelle, ein Café und einen Laden gewährleistet werden, die aufgrund von Thuars gesundheitlichen Zustand vorwiegend von seiner Frau und den Töchtern betrieben wurden. Eine weitere Einnahmequelle erschloss der Künstler zu Beginn der 1930er Jahre durch den Vertrieb von medizinischen Salben, die er mit Arthur Samuel entwickelte. Nachdem die Tankstelle im Zuge der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1931 schließen musste, wandte sich Thuar zunehmend dem Kunstgewerbe zu, woraufhin seine Frau 1936 einen Laden eröffnete, in dem vor allem kunsthandwerkliche Holz-Produkte angeboten wurden. Thuars künstlerisches Schaffen stagnierte aufgrund der kaufmännischen Bemühungen in dieser Zeit fast vollkommen. Eine kurze Phase hoher Produktivität erreichte er auch später nur noch während eines Besuchs bei Maria Marc (1876-1955) in Ried im Sommer 1938. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs verschlechterte sich sein psychischer und physischer Zustand zusehends. Nachdem bei einem Bombenangriff 1944 das Haus in Ramersdorf zerstört worden war, ließ er sich alleine ins thüringische Schwarza evakuieren, wo er in einem Altenheim untergebracht wurde. 1945 nahm seine älteste Tochter Hilde-Vera ihn bei sich in Aschara (heute Stadt Bad Langensalza) auf. Am 24.10.1945 starb Hans Thuar in Bad Langensalza.
Im Bonner Norden erinnert seit 1954 die Thuarstraße an den Maler. Das Kunstmuseum Bonn vergibt jährlich den 1987 von Gisela Macke, Thuars Tochter, gestifteten Hans-Thuar-Preis an in der Region lebende Künstler.
Werke
Erinnerungen an August Macke, in: Hanns Thuar - August Macke. Freunde fürs Leben. Schilderung einer Jugendzeit, Bonn 1992, S. 27-90.
Werkverzeichnis
Eggeling, Ute, Hans Thuar 1887-1945. Ein rheinischer Expressionist, Recklinghausen 1984.
1908/09 - Frühes Selbstportrait, Gemälde, Privatbesitz
1911 - Kopf eines Türken, Gemälde, Kunstmuseum Bonn
1911 - Messdorf, Gemälde, Kunstmuseum Bonn
1911 - Blühende Obstbäume (Endenich), Gemälde, Privatbesitz
um 1911 - Drei Frauen im Grünen, Gemälde, Kunstmuseum Bonn
1912 - Gefällter Baum (Flodeling), Gemälde, Kunstmuseum Bonn
1912 - Rheinische Landschaft (Bahnstrecke), Gemälde, Kunstmuseum Bonn
1914 - Reh in Berglandschaft, Gemälde, Privatbesitz
1920 - Häuser (Garten in Schwarzrheindorf), Privatbesitz
1921 - Begegnung im Park, Gemälde, Privatbesitz
1921 - Mutter und Kind, Holzschnitt, Privatbesitz
1923 - Raddampfer unter Brücke, Gemälde, Kunstmuseum Bonn
1923 - Giebel, Gemälde, Privatbesitz
1923 - Portrait Willy Hahn, Gemälde, Privatbesitz
1925 - Haus am Kanal, Gemälde, Kunstmuseum Bonn
um 1933 - Phyllokaktus, Gemälde, Privatbesitz
um 1935 - Stillleben mit Kapuzinerkresse, Privatbesitz
1943 - Gewitter über dem See, Gemälde, Privatbesitz
Literatur
Eimert, Dorotha, Hans Thuar, in: Die Rheinischen Expressionisten. August Macke und seine Malerfreunde, Recklinghausen 1979, S. 392-409.
Hanns Thuar - August Macke. Freunde fürs Leben. Schilderung einer Jugendzeit, Schriftenreihe des Vereins August Macke Haus e.V. 2, Bonn 1992.
Im Garten der Kunst. Hommage zum 125. Geburtstag von Hans Thuar. In: Schriftenreihe des Vereins August Macke Haus e.V. 57, Bonn 2012.
Macke, Gisela, Zum Andenken an Hans Thuar, Bonn 1977.
Macke, Wolfgang, Hans Thuar, in: Monographien der rheinisch-westfälischen Kunst der Gegenwart 39, Recklinghausen 1969.
Schmidt,Hans-Georg, Hans Thuar (1887–1945) ein rheinischer Expressionist, in: Lübbener Heimatkalender (1995), S. 70–75.
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Pesch, Martin, Hans Thuar, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-thuar-/DE-2086/lido/5e304479da8190.32007149 (abgerufen am 03.12.2024)