Zu den Kapiteln
Schlagworte
Hans Welzel war von 1952 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1972 Professor an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. In dieser Zeit übte er einen wesentlichen Einfluss auf die 1975 in Kraft getretene Reform des Strafgesetzbuchs aus, vor allem aber wurde durch ihn Bonn zu einem in vielen Ländern der Erde anerkannten Mittelpunkt der Strafrechtswissenschaft.
Welzels Bedeutung beruht auf seinem neuen System der strafrechtlichen Zurechnung, das nach seinem Grundbegriff als finale Handlungslehre oder Finalismus bezeichnet zu werden pflegt. Diese Lehre stand nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 60er Jahre im Mittelpunkt der strafrechtswissenschaftlichen Diskussion in Deutschland, hatte aber auch erheblichen Einfluss auf die Strafrechtswissenschaft in den europäischen Mittelmeerländern, in Ostasien und in Südamerika. Seine Werke wurden ins Italienische, Spanische, Griechische, Japanische und Koreanische übersetzt, was in der damals noch stark nationalstaatlich geprägten Rechtswelt außergewöhnlich war.
Der Erfolg beruhte vor allem darauf, dass Welzel mit dem Anspruch auftrat, vorrechtliche „sachlogische Strukturen" zu identifizieren, die in ganz unterschiedlichen Rechtsordnungen Gültigkeit haben. Zentral ist die Aussage, dass menschliches Handeln ein bewusstes Steuern von Abläufen in der Außenwelt ist und dass an diese Steuerungsfähigkeit jede rechtliche Normierung notwendigerweise anknüpfen muss. Dieser Ansatz hat nichts mit einem materialen (inhaltlichen) Naturrecht zu tun, was durch die Entwicklung des Welzelschen Handlungsbegriffs von frühen philosophischen Färbungen zu einem eher (psychologisch- oder soziologisch-) empirischen Verständnis verdeutlicht wurde. Aufgrund dieser Lehre fasste Welzel das generelle Unrecht (für alle Menschen als falsch gekennzeichnetes Verhalten), das von der Schuld als individueller Vorwerfbarkeit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschen Strafrechtswissenschaft getrennt worden war, als verfehlte Handlungssteuerung. Demgegenüber wird die Schuld als notwendige zusätzliche Bestrafungsvoraussetzung als individuelle verfehlte Antriebssteuerung gekennzeichnet. Diese Auffassung hat sich für die im Zentrum des Strafrechts stehenden Vorsatzdelikte weitgehend durchgesetzt, während für die Fahrlässigkeitsdelikte Zweifel bestehen geblieben sind, ob die Konzeption ausreichend ist. Für die Vorsatzdelikte entwickelte Welzel aufgrund der vorstehend dargestellten von ihm sogenannten personalen Unrechtslehre Folgelehrstücke unter anderem zum finalen Täterbegriff und zur Teilnahmelehre, die zum Teil in dem erneuerten Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs von 1975 Eingang gefunden haben (zum Beispiel §§ 26, 27 Strafgesetzbuch zur Teilnahmelehre). In der gegenwärtigen deutschen Strafrechtswissenschaft spielt auch noch eine andere Begriffsbildung, die vor allem Welzel zu verdanken ist, eine erhebliche Rolle - die soziale Adäquanz. Danach sind Verhaltensweisen, die sich im Rahmen der normalen sozialen Ordnung des Lebens bewegen, nicht strafbares Unrecht; man spricht insoweit von einem Fall des Ausschlusses der objektiven Zurechnung. Über die Einzelabgrenzung, deren Schwierigkeit schon Welzel betont hatte, besteht Streit.
Zu der Frage, ob die Annahme von Willensfreiheit eine Voraussetzung strafrechtlicher Schuld (als Strafbarkeitsvoraussetzung) ist - eine durch die moderne Hirnforschung wieder besonders aktuell gewordene alte Streitfrage -, hat Welzel eine ungewöhnliche Auffassung entwickelt, die Kritik aber auch Interesse ausgelöst hat. Für ihn ist der schuldige Täter durch seine Antriebe determiniert (unfrei bestimmt) geblieben, gerade das Ausbleiben des Aktes freier Selbstbestimmung durch ein der freien Orientierung am Richtigen und damit der Ablösung von Antrieben fähiges Subjekt begründet seine Schuld.
Welzels Einfluss auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich ausdrücklich oder der Sache nach in grundlegenden Entscheidungen auf seine Argumente bezog, und auf die nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland eingeleitete Strafrechtsreformgesetzgebung verdankte sich vor allem dem in elf Auflagen (zwischen 1947 und 1969) erschienenen Strafrechtslehrbuch (vorausgegangen war ein in drei Auflagen erschienenes Lehrbuch des Allgemeinen Teils) und seiner wichtigen Rolle in der Strafrechtsreformkommission in den 1950er Jahren. Seine in vielen Ländern verbreiteten Schriften, aber auch bedeutende ausländische Strafrechtslehrer, die als junge Wissenschaftler in Bonn gewesen waren, bildeten die Grundlage seiner internationalen Wirksamkeit.
Während Welzel in der gegenwärtigen strafrechtswissenschaftlichen Diskussion nach wie vor präsent ist, ist die rechtsphilosophische Entwicklung von ihm abgerückt. Nach den in manchem dem politischen Zeitgeist verhafteten Anfängen in seiner Habilitationsschrift von 1935, die der metaphysischen Deutung Immanuel Kants (1724-1804), aber teilweise auch dem Neuhegelianismus folgte, profilierte er sich im neuen westdeutschen Staat durch sein rechtsphilosophisches Hauptwerk „Naturrecht und materiale Gerechtigkeit" (1951) als (politisch liberaler) Kritiker der damals auch in die Rechtspraxis hineinwirkenden Naturrechtsrenaissance; dem Naturrecht warf er vor, vorgängige Wertungen im Naturbegriff zu verschleiern. Welzel kritisierte aber auch den Rechtspositivismus, den er ebenfalls als verdeckt metaphysisch einschätzte. Seine Position, die als Minimalnaturrecht gekennzeichnet werden kann, postuliert ein objektives Sollen, dessen Korrelat (Entsprechung) die durch ihr Gewissen ausgezeichnete menschliche Person ist. Ergänzt wird diese - sehr abstrakte postulatorische (als Annahme gekennzeichnete) - Position durch eine Theorie der Demokratie, die institutionelle Voraussetzungen für einen friedlichen geistigen Kampf zwischen den konkurrierenden Sozialordnungsentwürfen schaffen soll. Diese sich vom Wertskeptizismus nicht weit entfernende Auffassung wird in der gegenwärtigen Diskussion, in der weniger zurückhaltende inhaltliche Wertbehauptungen, wenn auch auf unterschiedlichen Voraussetzungen beruhend, aufgestellt werden, nur noch als Kontrapunkt wahrgenommen.
Als Rechtsphilosophiehistoriker („Naturrecht und materiale Gerechtigkeit" ist philosophiehistorisch angelegt) spielt Welzel dagegen immer noch eine erhebliche Rolle. Seine Geschichte des abendländischen Naturrechts in der Konfrontation rational-idealistischer und voluntaristischer Richtungen (Vernunft oder Wille als jeweilige Naturrechtsquelle) ist nach wie vor eine inspirierende Informationsquelle. An dem genannten Leitfaden idealistisch/ voluntaristisch analysiert Welzel kritisch die großen abendländischen Philosophen von den alten Griechen bis zu seiner Gegenwart.
Nachlass
Teilnachlass Hans Wenzel in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn. [Online]
Werke (Auswahl)
Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, Berlin 1975.
Das deutsche Strafrecht, Berlin 1969.
Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göttingen 1962.
Literatur
Hirsch, Hans Joachim, Der Streit um Handlungs- und Unrechtslehre, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 93 (1981), S. 831, 94 (1982), S. 239.
Loos, Fritz, Hans Welzel (1904-1977). Die Suche nach dem Überpositiven im Recht, in: Loos, Fritz (Hg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, Göttingen 1987, S. 486.
Sticht, Oliver, Sachlogik als Naturrecht? Zur Rechtsphilosophie Hans Welzels 1904-1977, Paderborn 2000.
Online
Findbuch zum Teilnachlass von Hans Welzel in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Loos, Fritz, Hans Welzel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-welzel/DE-2086/lido/57c92cf3775603.23352034 (abgerufen am 09.10.2024)