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In den Jahren des Kulturkampfes entwickelte sich der Historiker und Publizist Hermann Cardauns zu dem führenden Redakteur des liberaleren rheinisch-katholischen Zentrumsflügels, dessen Ideen und Ideale er in der Kölnischen Volkszeitung als Redaktionsleiter maßgeblich in den folgenden Jahrzehnten des Kaiserreiches mitformte und dabei eine wichtige intellektuelle Vorreiterrolle bei der späteren Neuausrichtung der Zentrumspartei unter den Vorzeichen der parlamentarischen Weimarer Demokratie spielte.
Bernhard Hermann Cardauns wurde am 8.8.1847 in Köln in eine angesehene Juristenfamilie hineingeboren. Der Vater, Alexander Ernst Jacques Toussant Cardauns (1808-1887), dessen mütterliche Seite wallonischen Ursprungs war, hatte sich 1843 als Notar in Köln niedergelassen. Er hatte 1831 Sophia Katharina Caroline Forst (1809-1874) geheiratet, die ihm zwölf Kinder schenkte, von denen Hermann das jüngste war.
Sein nach eigenem Bekunden behütetes Aufwachsen in einer vom katholischen Glauben geprägten Großfamilie korrelierte mit der bildungsbürgerlichen Traditionslinie der Cardauns-Familie, die bereits seit drei Generationen angesehene Rechtsgelehrte und Richter hervorgebracht hatte. Die schulische Ausbildung des jüngsten Sohnes lenkte dessen Interessen allerdings früh in eine andere Richtung, die ihn zeitlebens nicht mehr loslassen sollte: nach dem Besuch der Pfarrschule von Sankt Aposteln wechselte Cardauns mit neun Jahren 1856 auf das katholische Gymnasium in der Marzellenstraße, das auch „Jesuitengymnasium“ genannt wurde. Besonderes Gewicht lag hier auf den alten Sprachen, der Mathematik und dem Fach Geschichte. Mit der Neugründung des Apostelgymnasiums 1860 wechselte der als fleißig beurteilte Schüler wohl aus Gründen des kürzeren Schulweges auf diese Schule, an der er 1864 die Reifeprüfung bestand.
Mit dem Studium der klassischen Philologie und Geschichte begann Hermann Cardauns schon im Herbst 1864 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, wo er dem katholischen Studentenverein „Arminia“ im KV beitrat. Die mittelalterliche Geschichte fesselte Cardauns und der katholische Historiker Franz Wilhelm Kampschulte (1831-1872) beeindruckte ihn in den frühen Studienjahren mit seinen Vorlesungen über die Reformationszeit am meisten. In dieser Zeit traf er auf den zwei Jahre älteren Jurastudenten Julius Bachem, mit dem er wenige Jahre später fast sein ganzes Berufsleben verbringen sollte.
Cardauns früh verstorbener akademischer Lehrer Kampschulte beschäftigte sich mit dem Reformator Johannes Calvin (1509-1564) und war in den Jahren vor seinem Tod ein Kritiker des während des Ersten Vatikanischen Konzils formulierten Unfehlbahrkeitsdogmas des Papstes. Ebenso stand er zuletzt den Ideen der altkatholischen Bewegung nahe. Dies verband ihn mit dem Münchener Kirchenhistoriker Carl Adolph Cornelius (1819-1903), der sich ebenfalls mit Calvin auseinandersetzte. Ihm empfahl Kampschulte 1866 seinen Schüler Cardauns und so setzte dieser sein Studium in der bayerischen Metropole fort. Cornelius schickte den angehenden Historiker gleich im Frühjahr 1867 in die Schweiz zum Archivstudium mit Blick auf die Zeit der beginnenden Reformation. Die Früchte dieser auswärtigen Semester mündeten schließlich nach der Rückkehr an die Bonner Universität im Wintersemester 1867/1868 in seine Dissertationsschrift „De reformatione Bernensi“, die im Sommer 1868 mit der Note „summa cum laude“ angenommen wurde. Im November desselben Jahres folgte das philologische Staatsexamen. Für ein weiteres Jahr wechselte Cardauns anschließend nach Göttingen, wo er bei dem bekannten Mediävisten Georg Waitz (1813-1886) die mittelalterliche Geschichte seiner Geburtsstadt Köln studierte.
Nach Köln zurückgekehrt, edierte er zunächst für die große mittelalterliche Quellensammlung der „Monumenta Germaniae Historica“ die „Annales monasterii S. Pantaleonis Coloniensis“. Mit dem langjährigen Gründungspräsidenten Georg Heinrich Pertz (1795-1876) überwarf er sich aber nach kurzer Zeit, so dass Cardauns weder längerfristigere Pläne bei den „Monumenta“ in die Tat umsetzen konnte noch eine Neigung verspürte, dem möglichen Beruf eines Gymnasiallehrers nachzugehen. Stattdessen erhielt er eine – wenn auch nicht hoch dotierte – Anstellung bei der „Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften“ in München, die Georg Waitz ihm vermitteln konnte. Cardauns übernahm dort die Herausgabe der Kölner Chroniken, die er für die Reihe „Die Chroniken der deutscher Städte“ beisteuerte. Nach dreijähriger Arbeit konnte er das Werk vorlegen, dessen Qualität so hoch einzuschätzen war, dass Cardauns damit im Dezember 1872 sein Gesuch um Einleitung des Habilitationsverfahrens an der Bonner Universität einreichte.
Zwei ungünstige Faktoren begleiteten allerdings dieses Unterfangen: Cardauns akademischer Mentor Kampschulte war gerade mit 41 Jahren gestorben und während der Anfangsjahre der Bismarckschen Reichsgründung tobte der Kulturkampf nicht zuletzt an den preußischen Fakultäten. Hermann Cardauns hatte sich nicht überzeugen lassen und er war nach dem Ersten Vatikanischen Konzil auch nicht Anhänger der altkatholischen Bewegung geworden, die im Köln-Bonner Raum auf fruchtbaren Boden fiel. Es kann nur für seine wissenschaftlichen Qualitäten sprechen, wenn ausgerechnet der nationalliberale Bonner Ordinarius Heinrich von Sybel (1817-1895), dessen Ablehnung des Ultramontanismus bekannt war, Cardauns Habilitation befürwortete, jedoch die Aussichten des frisch habilitierten Historikers auf eine Professur als gering einschätzte.
Zwischen 1873 und 1876 lehrte der Privatdozent Cardauns an der Bonner Universität, erkannte aber zunehmend die Aussichtslosigkeit seines weiteren akademischen Aufstiegs und so verzichtete er 1876 nicht einmal schweren Herzens auf seine Lehrbefugnis, denn ihm eröffnete sich unverhofft ein Angebot, das ihm zur Lebensaufgabe werden sollte. Der Kölner Verleger Joseph Bachem hatte nach vielen Versuchen 1860 eine große katholische Tageszeitung etabliert, die seit 1869 den Namen „Kölnische Volkszeitung“ trug. Doch im Umfeld des Ersten Vatikanums hatte es eine Zerreißprobe zwischen Verleger und Redaktion gegeben, Bachem hatte sich von seinen wichtigsten Redakteuren getrennt, die wiederum nach 1870 zu den führenden Köpfen der altkatholischen Bewegung gehörten, die von der Regierung Preußens und den Liberalen im Reich in ihren antirömischen Affekten unterstützt wurde.
Im Zuge des längeren Neuaufbaus seiner Redaktion bot Joseph Bachem Cardauns an, künftig für das rheinische Zentrumsorgan zu arbeiten. Nach einer Einarbeitungsphase im Herbst 1875 trat er Anfang 1876 endgültig in die Redaktion der „Kölnischen Volkszeitung“ ein, die damals noch im Schatten des Domes in der Marzellenstraße beheimatet war, und traf dort einen weiteren Verwandten des Zeitungsgründers wieder: Julius Bachem, seinen Studienfreund.
Die beiden Redakteure wurden schnell zu einem eingespielten Team, wobei Julius Bachem sich mehr um staatsrechtliche und sozialpolitische Themen kümmerte, während Cardauns sich den kirchenpolitischen Fragen widmete. Obwohl die später als „Zwillingskollegen“ bezeichneten Redakteure fortan die Zeitung in großer Übereinstimmung für die nächsten Jahrzehnte prägten, lag die wesentliche Redaktionsarbeit bei Hermann Cardauns, da Julius Bachem als Kölner Zentrumsabgeordneter im Stadtrat und im Preußischen Abgeordnetenhaus oft abwesend war. Im Juli 1878 übertrug Joseph Bachem Cardauns daher die Hauptschriftleitung des Blattes.
Zwei weitere wichtige Lebensentscheidungen fallen in die Mitte der siebziger Jahre. Der junge Redakteur heiratete am 2.7.1876 Caroline Sasse (1855-1937), die Tochter einer Barmer Kaufmannsfamilie. Hermann und Caroline Cardauns wurden Eltern von insgesamt acht Kindern.
In den für katholische Akademiker schwierigen Jahren des Kulturkampfes hatte Cardauns in Bonn erleben müssen, dass Berufungen auf Lehrstühle in Preußen nicht gerade Aussicht auf Erfolg boten – Cardauns langjähriger Studienfreund, der spätere Reichskanzler Georg von Hertling (1843-1919,) wartete über ein Jahrzehnt auf eine Berufung. Katholiken galten als „ultramontan“, was gleichbedeutend war mit national unzuverlässig und intellektuell rückständig. Cardauns, Hertling, Julius Bachem und einige andere katholische Akademiker setzten ein Zeichen gegen diese Entwicklung und gründeten am 24.6.1876 in Koblenz die „Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland“, die fortan ihren Sitz in Bonn hatte. Als führender Schriftleiter der größten Zeitung im katholischen Deutschland des Kaiserreiches übernahm Cardauns ab 1885 die Aufgabe der Redaktion der Vereinsschriften. Unter der Präsidentschaft von Georg von Hertling war er zudem zwischen 1891 und 1912 Generalsekretär der Görresgesellschaft.
Zwischen 1876 und 1907 stand Hermann Cardauns an der Spitze der Redaktion der Volkszeitung, die verbunden mit dem Namen Bachem die publizistische Speerspitze der Kölner Richtung des Zentrums verkörperte. Das Haus Bachem unter der Federführung von Hermann Cardauns setzte sich für die Überwindung des konfessionellen Charakters des Zentrums mit der damit verbundenen Konzentration auf allein katholische Interessen zugunsten einer verstärkten Demokratisierung der Partei ein. Julius Bachem und Cardauns kämpften darum, den beengenden Zentrumsturm mit den oft starken Interessenkonflikten der verschiedenen Lager und Schichten zu verlassen, was heftige Konflikte hervorrief.
Eng verbunden sah sich Cardauns mit der Linie des Zentrumsführers Ludwig Windthorst (1812-1891). Die von beiden politisch wie publizistisch vorgetragene Richtung nach einer stärkeren Politisierung und einer aufgeschlosseneren Richtung der Zentrumspartei ließ beide eher wenige Freunde im katholischen Adel finden, dafür aber umso mehr im katholischen Bürgertum. Etwa den agrarisch-aristokratischen Flügel attackierte Cardauns – wenn auch immer mit noblem, nicht verletzendem Unterton – an Fragen der Arbeiterschaft hingegen war er besonders interessiert.
So wundert es nicht, dass sich Hermann Cardauns im sogenannten „Gewerkschaftsstreit“ klar für überkonfessionell christliche Gewerkschaften aussprach, als über diese wichtige Frage bezüglich der unterschiedlichen Gewichtung von Konfessionalität und politischer Ausrichtung ein Streit um den künftigen Charakter der Zentrumspartei ausbrach, wobei der konservativere Flügel – die Berliner Richtung des Zentrums – Köln als eine Gefahr für den Katholizismus ansah. Selbst im Vatikan versuchte Cardauns seine Linie darzulegen und für seine Position zu kämpfen.
Über seine Arbeit als Leiter der Redaktion der „Kölnischen Volkszeitung“ hinaus betätigte sich Cardauns auf vielfältige Weise: zwischen 1894 und 1901 war er auf kommunalpolitischer Ebene Stadtverordneter im Kölner Stadtrat für die Zentrumspartei. Im Jahr 1902 war er Präsident des 49. Deutschen Katholikentags in Mannheim.
Als er sich 1907 von der Leitung der Redaktion zurückzog, fand er Zeit, sich wieder mehr als Schriftsteller zu betätigen. Er schrieb seine Memoiren, kleinere biographische Arbeiten, Festschriften für die Görresgesellschaft, den Kartellverband und zum 50. Jubiläum der „Kölnischen Volkszeitung“. Zudem widmete er sich vermehrt dem Genre der Literaturkritik. Eine bemerkenswerte Auseinandersetzung lieferte sich Cardauns mit Karl May (1842-1912), dessen schärfster Literaturkritiker er wurde.
Als die „Kölnische Volkszeitung“ in den Jahren vor und während des Ersten Weltkrieges die in langen Jahrzehnten vorgegebene Linie von Hermann Cardauns zu verlassen drohte, überwarf sich Cardauns mit dem neuen Verlagschef Franz Xaver Bachem und warnte diesen besonders vor den außenpolitischen Abenteuern, die dieser mit seinem Berater Joseph Froberger (1871-1931) einzugehen bereit war.
Als Hermann Cardauns fast 78-jährig am 14.6.1925 in Bonn starb, stand die „Kölnische Volkszeitung“ mit einem neuen Herausgebergremium klar auf dem Boden der Weimarer Verfassungsdemokratie und die Zentrumspartei hatte eine wesentliche Scharnierfunktion im neuen Parteiengefüge übernommen. Damit war eine Entwicklung zum Durchbruch gekommen, deren publizistischer Wegbereiter Hermann Cardauns über alle Jahrzehnte seines Wirkens gewesen ist.
Werke (Auswahl)
Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Band 12-14: Die Chroniken der niederrheinischen Städte: Cöln, bearb. v. Hermann Cardauns, 3 Bände, Leipzig 1875-1877, Nachdruck Göttingen 1968.
Konrad von Hochstaden. Erzbischof von Köln (1238-61), Köln 1880. Die Görresgesellschaft 1876-1901. Denkschrift zur Feier ihres 25jährigen Bestehens, Köln 1901.
Fünfzig Jahre Kölnische Volkszeitung. Ein Rückblick zum Goldenen Jubiläum der Zeitung am 1. April 1910, Köln 1910.
Aus dem Leben eines deutschen Redakteurs, Köln 1912.
Fünfzig Jahre Kartellverband (1863-1913), Festschrift zum goldenen Jubiläum des Verbandes der Katholischen Studentenvereine Deutschlands. Kempten, München, 1913.
Geschichten aus dem alten Köln, 1920.
Literatur (Auswahl)
Anger, Gunnar, Cardauns, Hermann, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Band 22, Nordhausen 2003, Sp. 161-170 [mit ausführlichen Literaturangaben].
Bierganz, Manfred, Hermann Cardauns (1847-1926). Politiker, Publizist und Wissenschaftler in den Spannungen des politischen und religiösen Katholizismus seiner Zeit, Aachen 1977.
Bierganz, Manfred, Hermann Cardauns (1847-1925), in: Rheinische Lebensbilder 8, (1980), S. 305-323.
Buchheim, Karl, Kölnische Volkszeitung, in: Staatslexikon. Recht - Wirtschaft - Gesellschaft, hg.. von der Görres-Gesellschaft, Bands 4, Freiburg 1959, Sp. 1127-1129.
Löhr, Wolfgang, Hermann Cardauns (1847-1925), in: Aretz, Jürgen/Morsey, Rudolf/Rauscher, Anton (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 10, Münster 2001, S. 27-40.
Online
Haacke, Wilmont, Cardauns, Hermann, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 138. [Online]
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Burtscheidt, Andreas, Hermann Cardauns, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-cardauns/DE-2086/lido/5b6abdcc5722e0.18252154 (abgerufen am 06.12.2024)