Johann Gottfried Brügelmann

Fabrikgründer (1750–1802)

Eckhard Bolenz (Bonn)

DE-2086, LVR_ILR_0000123656.

Am 24.8.1784 er­hielt der El­ber­fel­der Kauf­mann Jo­hann Gott­fried Brü­gel­mann (ge­bo­ren 6.7.1750 in El­ber­feld) von sei­nem Lan­des­herrn Karl Theo­dor, Kur­fürst von der Pfalz und Bay­ern und Her­zog von Jü­lich und Berg das Pri­vi­leg, ei­ne ma­schi­nen­ge­trie­be­ne Spin­ne­rei zwölf Jah­re oh­ne Kon­kur­renz be­trei­ben zu dür­fen. Fast ein Jahr frü­her hat­te Brü­gel­mann mit dem Bau der Fa­brik vor den To­ren der Stadt Ra­tin­gen be­gon­nen und im Früh­jahr 1784 be­reits mit der Pro­duk­ti­on be­gon­nen. Die­se Fa­brik, die Brü­gel­mann nach ih­rem eng­li­schen Vor­bild „Crom­for­d“ nann­te, gilt als die ers­te Fa­brik auf dem eu­ro­päi­schen Kon­ti­nent.

Für deut­sche Ver­hält­nis­se war die­se Fa­brik­grün­dung ei­ne recht frü­he, fast vor­zei­ti­ge Er­schei­nung, da­tie­ren doch die meis­ten Wirt­schafts­his­to­ri­ker die ers­te Pha­se der In­dus­tria­li­sie­rung in Deutsch­land ab den 1830er Jah­ren. Das Ber­gi­sche Land war da­ge­gen ei­ne ge­werb­lich schon früh weit ent­wi­ckel­te Re­gi­on, die den füh­ren­den eng­li­schen In­dus­trie­re­gio­nen des 18. Jahr­hun­derts nur we­nig nach­stand. Mit sei­nen Städ­ten El­ber­feld und Bar­men (bei­de heu­te Stadt Wup­per­tal) im Tal der Wup­per war das Ber­gi­sche Land zu ei­nem Zen­trum der Garn- und Lein­wand­pro­duk­ti­on und de­ren Ver­ede­lung ge­wor­den und die Städ­ten So­lin­gen  und Rem­scheid gal­ten als Sym­bo­le für ei­ne ef­fi­zi­en­te Klein­ei­sen­pro­duk­ti­on. Bei der Tex­til- und bei der Ei­sen­ver­ar­bei­tung war es im Ber­gi­schen Land zu ei­ner Spe­zia­li­sie­rung ge­kom­men, wo­bei die be­son­de­re Kom­bi­na­ti­on aus hand­werk­li­cher Ar­beits­tei­lung und ver­lags­mä­ßi­gem Ver­trieb die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Stär­ke der Ge­wer­be aus­mach­te. Das tra­dier­te Fach­wis­sen so­wie güns­ti­ge geo­gra­phi­sche La­gen, die was­ser­rad­be­trie­be­ne Wer­ke oder Blei­chen an den Bä­chen zu­lie­ßen, wa­ren wei­te­re Grün­de da­für, dass das ber­gi­sche Ge­wer­be schon vor der In­dus­tria­li­sie­rung auf dem Welt­markt be­ste­hen konn­te. Das Her­zog­tum Berg ge­hör­te seit 1777 zum Kur­fürs­ten­tum Bay­ern. Kur­fürst Karl Theo­dor re­gier­te sein Ber­gi­sches Land haupt­säch­lich von Mün­chen aus, und die­se Ent­fer­nung gilt auch als ein Grund da­für, dass sich ein di­ri­gis­ti­scher Staat mit ei­ner mer­kan­ti­lis­ti­schen Plan­wirt­schaft hier nicht so durch­set­zen konn­te wie zum Bei­spiel im öst­li­chem Preu­ßen.

 

Das po­li­ti­sche Um­feld hat­te das Ent­ste­hen ei­nes Un­ter­neh­mer­tums, be­son­ders im Be­reich der Garn- un­d  Lein­wand­pro­duk­ti­on, be­güns­tigt. Ein lan­des­herr­li­ches Pri­vi­leg aus dem frü­hen 16. Jahr­hun­dert, die so ge­nann­te Garn­nah­rung, hat­te den Kauf­leu­ten im El­ber­fel­der und Bar­mer Raum die Pro­duk­ti­ons­au­to­no­mie in mo­no­pol­ar­ti­ger Wei­se zu­ge­stan­den. Die Kauf­leu­te si­cher­ten nun in fast dy­nas­ti­scher Art die Kon­ti­nui­tät ih­rer Fir­men. Sie wa­ren vor­ran­gig Ver­le­ger, das hei­ßt sie er­war­ben Gar­ne und ga­ben die­se zum Blei­chen, We­ben oder Fär­ben an Lohn­we­ber oder Per­so­nen, die die­se Tä­tig­kei­ten im meist bäu­er­li­chen Ne­ben­er­werb er­le­dig­ten, und sie kon­trol­lier­ten Qua­li­tät und Men­gen. Jo­hann Gott­fried Brü­gel­mann, des­sen Fa­mi­lie zu den „Meist­be­erb­ten“ der Garn­nah­rung ge­hör­te, stör­te die­ses ein­ge­üb­te Kar­tell, in­dem er nicht mehr nur als Händ­ler auf­tre­ten woll­te, son­dern auch als Garn­pro­du­zent mit ei­ner me­cha­ni­schen Spin­ne­rei, wie sie in Eng­land nach dem Prin­zip Ri­chard Ark­w­rights (1732-1792) ei­ne nach der an­de­ren ent­stan­den. Ark­w­right war es ge­lun­gen, das Hand­spin­nen, das nor­ma­ler­wei­se nur vom Spinn­rad un­ter­stützt wur­de, mit­tels ei­gens ent­wi­ckel­ter Ma­schi­nen voll zu me­cha­ni­sie­ren. Mit sei­ner 1769 ge­grün­de­ten Baum­woll­spin­ne­rei in Crom­ford in Der­by­shire wur­de die Mas­sen­pro­duk­ti­on von Gar­nen ein­ge­lei­tet und der boo­men­de Ab­satz­markt für Baum­woll­gar­ne konn­te be­dient wer­den.

Brü­gel­manns Schritt vom Händ­ler zum Fa­bri­kan­ten wur­de von sei­nen Wup­per­ta­ler Kauf­manns­kol­le­gen an­ge­fein­det. Sei­ne Re­ak­ti­on be­stand in ei­ner Ab­wan­de­rung in das rund 40 Ki­lo­me­ter ent­fernt lie­gen­de Ra­tin­gen, das güns­ti­ge Be­din­gun­gen für die Er­rich­tung ei­ner Fa­brik auf­wies: 1. das Vor­han­den­sein ei­nes Was­ser­rech­tes am Ang­er­fluss zum Be­trieb der Was­ser­rä­der; 2. im Ver­gleich zum Wup­per­tal preis­wer­te­re Ar­beits­kräf­te und 3. ei­ne recht güns­ti­ge Nä­he zur Ver­wal­tungs­stadt Düs­sel­dorf mit sei­ner Rhein­an­bin­dung. Der Fa­brik­grün­dung in Ra­tin­gen ging ei­ne nüch­ter­ne Stand­ort­ana­ly­se des Un­ter­neh­mers vor­weg. Al­ler­dings brach Brü­gel­mann nicht mit den Ge­schäfts­part­nern aus der Garn­nah­rung. Dies zei­gen sei­ne do­ku­men­tier­ten Ge­schäfts­be­zie­hun­gen. Zu eng wa­ren die Ge­schäfts­be­zie­hun­gen, die oft auch ver­wandt­schaft­li­che wa­ren.

Brü­gel­mann war in ers­ter Li­nie Kauf­mann und kein tech­nisch ver­sier­ter Mensch, der wie sein acht Jah­re jün­ge­rer Bru­der Carl in ty­pi­scher Wei­se auf sei­nen Be­ruf vor­be­rei­tet wur­de: Be­such der El­ber­fel­der Bür­ger­schu­le, Aus­bil­dung im vä­ter­li­chem Be­trieb, Ken­nen ler­nen von Ge­schäf­ten, auch Bank­ge­schäf­ten, mit de­nen die Fa­mi­lie zu­sam­men­ar­bei­te­te. Be­legt ist auch ei­ne Rei­se 1770 nach Ba­sel, ei­nem Zen­trum der Baum­woll­ver­ar­bei­tung in Eu­ro­pa. 1774 hei­ra­te­te er die ver­mö­gen­de, 29 Jah­re al­te Wit­we An­na Chris­ti­na Och­sen (1745-1808), ge­bo­re­ne Bredt. Die Bredts wa­ren eben­falls Mit­glie­der der Garn­nah­rung. Wie fast al­le er­folg­rei­chen Un­ter­neh­mer­fa­mi­li­en im Ber­gi­schen Land ge­hör­ten die Fa­mi­li­en­mit­glie­der der re­for­mier­ten Ge­mein­de an und hat­ten öf­fent­li­che wie re­li­giö­se Äm­ter in­ne. 1777 grün­de­te Brü­gel­mann, nun durch das Ka­pi­tal sei­ner Frau gut aus­ge­stat­tet, in El­ber­feld ein ei­ge­nes Ge­schäft. Ab die­ser Zeit ver­such­te er, Spinn­ma­schi­nen nach Ark­w­rights Vor­bil­dern nach­bau­en zu las­sen, oh­ne je­mals selbst in Eng­land ge­we­sen zu sein. Aber erst die Zu­sam­men­ar­beit mit dem aus Bie­le­feld stam­men­den Carl Al­brecht De­li­us (1731-1799) brach­te den er­hoff­ten Er­folg. De­li­us hat­te auf sei­nen Eng­land­fahr­ten gu­te Kennt­nis­se über den dor­ti­gen Stand der Spinn­tech­nik er­wor­ben. Er lie­fer­te Plan­skiz­zen und Mo­del­le in Ein­zel­tei­le zer­legt, trotz des in Eng­land herr­schen­den Aus­fuhr­ver­bo­tes. Das Pla­gi­ie­ren der sei­ner­zeit mo­derns­ten Fa­brik, wie es Brü­gel­mann vor­ge­habt hat­te und wie es sich auch in der Na­mens­ge­bung aus­drü­cken soll­te, ge­stal­te­te sich schwie­rig. Erst die Ab­wer­bung von eng­li­schen Fach­ar­bei­tern mit De­li­us´ Hil­fe führ­te zum ge­wünsch­ten Er­folg.

Die Grün­dungs­pha­se der Fa­brik fiel in ei­ne für das Rhein­land tur­bu­len­te po­li­ti­sche Zeit. Durch die 1797 an Frank­reich ab­ge­tre­te­nen links­rhei­ni­schen Ge­bie­te ver­lor die jun­ge Fa­brik zwar ihr tra­di­tio­nel­les Ab­satz­ge­biet, doch be­scher­te ihr die Kon­ti­nen­tal­sper­re, wel­che die Ein­fuhr eng­li­scher Pro­duk­te auf das eu­ro­päi­sche Fest­land un­ter­band, ei­ne kon­kur­ren­z­ar­me Si­tua­ti­on. Die Fa­brik ent­wi­ckel­te sich schnell und be­schäf­tig­te zeit­wei­se mehr als 600 Ar­bei­ter. Das lan­des­herr­li­che Pri­vi­leg hat­te die Wei­ter­ver­brei­tung der neu­en Spinn­tech­nik un­ter Stra­fe ge­stellt, letzt­lich aber grif­fen Brü­gel­manns Ver­hin­de­rungs­stra­te­gi­en auf be­trieb­li­cher wie auf po­li­ti­scher Ebe­ne nicht. Be­kannt sind meh­re­re Aus­ein­an­der­set­zun­gen über Pri­vi­leg­ver­let­zun­gen, wie der Fall des Tex­til­fa­bri­kan­ten Jo­hann Cas­par Troost (1759-1830), der 1791 im na­hen Mül­heim ei­ne fast iden­ti­sche Fa­brik er­rich­te­te. Um 1800 wies das rechts­rhei­ni­sche Ge­biet 15 Baum­woll­spin­ne­rei­en auf, da­von die meis­ten im Tal der Wup­per.

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Brü­gel­mann hat­te er­folg­reich auf die Ver­schie­bung der Märk­te re­agiert. Er pro­fi­tier­te von den neu­en po­li­ti­schen Ver­hält­nis­sen im Rechts­rhei­ni­schen, in­dem er zum Bei­spiel Zweig­ge­schäf­te in Köln und in Rhe­ydt (heu­te Stadt Mön­chen­glad­bach) auf­bau­te und in sä­ku­la­ri­sier­tes Kir­chen­gut in­ves­tier­te. Gleich­zei­tig en­ga­gier­te er sich im Düs­sel­dorfer Hand­lungs­vor­stand, ei­nem Vor­läu­fer der Han­dels­kam­mer und reis­te als de­ren Ab­ge­sand­ter zum Ras­tat­ter Kon­gress. Die we­ni­gen Quel­len zu sei­ner po­li­ti­schen Grund­hal­tung las­sen den Schluss zu, dass er die durch den fran­zö­si­schen Ein­fluss ge­schaf­fe­nen, neu­en Par­ti­zi­pa­ti­ons­räu­me für das Bür­ger­tum sehr be­grü­ß­te. Mit dem Gra­fen Spee, von dem er auch den Grund für sei­ne Fa­brik er­warb, hat­te er mehr­fach Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Als Jo­hann Gott­fried Brü­gel­mann am 27.12.1802 starb, galt er als ei­ner der reichs­ten Per­so­nen im Rhein­land.

Die Spin­ne­rei Crom­ford in Ra­tin­gen mit ih­ren Fa­brik­ge­bäu­de, den Ar­bei­ter­woh­nun­gen, dem Her­ren­haus und dem da­vor lie­gen­den Park so­wie dem da­hin­ter lie­gen­den Ang­er­fluß ist ei­nes der we­ni­gen Fa­bri­k­en­sem­bles aus der frü­hen Pha­se der In­dus­tria­li­sie­rung, de­ren Ge­bäu­de der Nach­welt er­hal­ten ge­blie­ben sind. Heu­te be­fin­det sich hier das LVR-In­dus­trie­mu­se­um, Schau­platz Ra­tin­gen, das die Früh­in­dus­tria­li­sie­rung the­ma­ti­siert.

Literatur

Bo­lenz, Eck­hard, Jo­hann Gott­fried Brü­gel­mann. Ein rhei­ni­scher Un­ter­neh­mer zu Be­ginn der In­dus­tria­li­sie­rung und sei­ne bür­ger­li­che Le­bens­welt, Köln 1993.
Knie­riem, Mi­cha­el, Crom­ford – Vor­abend der In­dus­tria­li­sie­rung?, in: Die Macht der Ma­schi­ne. 200 Jah­re Crom­ford-Ra­tin­gen. Aus­stel­lungs­ka­ta­log Stadt­mu­se­um Ra­tin­gen, Ra­tin­gen 1985, S. 63-81.
LVR-In­dus­trie­mu­se­um, Schau­platz Ra­tin­gen (Hg.), Crom­ford Ra­tin­gen. Le­bens­wel­ten zwi­schen Ers­ter Fa­brik und Her­ren­haus. Be­gleit­buch zur Dau­er­aus­stel­lung, Köln 2010.

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Zitationshinweis

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Bolenz, Eckhard, Johann Gottfried Brügelmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-gottfried-bruegelmann-/DE-2086/lido/57c589d682d320.53591342 (abgerufen am 19.03.2024)