Zu den Kapiteln
1. Bezeichnung und Vorgeschichte
Der Name „Großherzogtum Berg“ geht auf das alte Herzogtum Berg zurück. Anfangs war es mit diesem räumlich wie begrifflich zwar identisch. Tatsächlich aber handelt es sich bei dem noch im Sommer 1806 vom Herzogtum zum „Großherzogtum“ umbenannten Herrschaftsgebiet um eine von Napoleon Bonaparte (1769-1821) vorgenommene staatliche Neuschöpfung unter einem bis dahin unbekannten Herrscher. Sie folgte auf die Auflösung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation (1806), in dessen Standesordnung es den Titel eines „Großherzogs“ nicht gegeben hatte. Man bezeichnet daher das Großherzogtum Berg auch als einen der vom „Kaiser der Franzosen“ persönlich abhängigen „Napoleoniden“.
Die Entstehung des Großherzogtums war eine Folge der Ausbreitung der französischen Revolutionstruppen rechts des Rheins und der nachfolgenden Herrschaftsübernahme Napoleons im „Direktorium“ (Regierungsorgan) in Paris. Nach der vollständigen Besetzung der linken Rheinseite im Herbst 1794 setzten die Soldaten im September 1796 bei Düsseldorf über den Fluss und nahmen einen Teil des Herzogtums Berg ein. 1801, nach dem Friedensschluss von Lunéville in Lothringen, verließen die Truppen den rechtsrheinischen Raum zunächst wieder. Im Herzogtum Berg folgte nun ein Intermezzo unter der Herrschaft des Kurfürsten Maximilian IV. von Bayern (1799-1806), dem Rechtsnachfolger des letzten Herzogs von Berg, Karl Theodor. 1806 eignete sich Napoleon das Herzogtum jedoch an, indem er im Vertrag von Schönbrunn in Wien (15.3.1806) den inzwischen zum König erhobenen Maximilian von Bayern veranlasste, Berg gegen das im vierten Koalitionskrieg (1806-1807) von Preußen eroberte Fürstentum Ansbach zu tauschen. Weder jetzt noch später aber wurde Berg rechtlich dem französischen Kaiserreich zugeschlagen.
2. Joachim Murat als Großherzog von Berg
Als regierenden Herzog in Berg setzte Napoleon den Kavallerieoffizier und Marschall Joachim Murat (1767-1815) ein, den er damit für seine bewährten militärischen Dienste belohnte. Mit der Verpflichtung Murats verschaffte Napoleon gleichzeitig seiner seit 1800 mit Murat verheirateten jüngsten Schwester Caroline (1782-1839) einen standesgemäßen Unterhalt. Heinrich Heine schuf dem Einzug Murats in der künftigen Residenzstadt Düsseldorf in seinem Werk „Le Grand“ ein literarisches Denkmal (Kapitel 6). In hintergründig-ironischer Weise nahm Heine dabei selbst die Position des erstaunten Berichterstatters ein, der das Geschehen auf der Reiterstatue des Kurfürsten Johann Willhelm („Jan Wellem“) auf dem Marktplatz verfolgte. Düsseldorf blieb bis zuletzt Hauptstadt, doch wurde Murat dort nur selten vorstellig. Napoleon selbst sollte die Stadt im November 1811 ein einziges Mal zur Inspizierung der Verhältnisse im Großherzogtum besuchen.
Da Murat und seine Frau von Anfang an unzufrieden mit dem Titel eines „Herzogs“ waren, beförderte Napoleon den Herzog im Juli 1806 zum „Großherzog“. Er war nun der Form nach ebenbürtig mit den Fürsten der anderen Territorien, an deren Seite Berg im gleichzeitig gegründeten „Rheinbund“ stand, einem Militärbund unter Napoleons Führung.
3. Gebietsveränderungen
Mit der Erhöhung des Herzogtums zum Großherzogtum verband Napoleon die erste von mehreren Gebietsveränderungen. Schon 1806 fügte er im Norden den verbliebenen rechtsrheinischen Teil des Herzogtums Kleve hinzu. Im Südosten ergänzte er das Großherzogtum um die Fürstentümer Nassau und Dillenburg. Im Nordosten schlug er ihm einen Gebietsteil aus westfälischen Herrschaften um Steinfurt zu, der mit dem Großherzogtum keine geographische Verbindung besaß.
Die Schlachten von Jena und Auerstädt im Oktober und im ostpreußischen Friedland im Juni 1807, schließlich der darauf folgende Frieden von Tilsit 1807, in dem Preußen alle Gebiete westlich der Elbe verlor, markierten auch im rheinisch-westfälischen Raum einen Einschnitt: Napoleon verdoppelte im Januar 1808 den Umfang des Großherzogtums unter Hinzufügung soeben erworbener preußischer Länder in den Nachbargebieten Bergs: die Grafschaft Mark mit Lippstadt, die vormalige Reichsstadt Dortmund, einen Teil des Fürstbistums Münster, die Grafschaften Tecklenburg, Lingen und die Reichsabteien Essen, Elten und Werden. Die wichtige Festungsstadt Wesel dagegen war schon im Januar als rechtsrheinischer Brückenkopf in das Kaiserreich Frankreich eingegliedert worden. Das Großherzogtum hatte 1808 daher seine größte Ausdehnung. Es umschloss mit 315 Quadratmeilen (17.325 Quadratkilometer) und 878.000 Einwohnern fast das Dreifache seiner ursprünglichen Dimensionen im Frühjahr 1806.
Für Joachim Murat bildete das Großherzogtum nur eine Zwischenstation. Am 15.7.1808 trat er es im Vertrag von Bayonne an Napoleon ab, um auf den bourbonischen Königsthron von Neapel zu wechseln. Napoleon übernahm das Großherzogtum nun formell persönlich, setzte vor Ort allerdings mit Graf Jacques Claude Beugnot (1761-1835) einen Regierungskommissar ein.
1810 nahm Napoleon eine letzte, einschneidende Umgestaltung des Großherzogtums vor, als er den norddeutschen Raum an das Kaiserreich anschloss. Dabei schnitt er den Nordteil des Großherzogtums auf einer Linie oberhalb von Dinslaken, Recklinghausen und Warendorf ab. Sein Ziel war es, die französische Wirtschaft zu schützen, der „Kontinentalsperre“ (Sperrung Großbritanniens vom europäischen Kontinent) Geltung zu verschaffen und somit den Handel von und nach England zu unterbinden. Das flächenmäßig größte Ems-Departement wurde nun vom Großherzogtum abgetrennt und mit seiner Hauptstadt Osnabrück als Département Ems-Supérieur dem Kaiserreich zugeschlagen.
4. Krise und Untergang
Das Ende des Großherzogtums folgte auf die schweren Niederlagen der napoleonischen Armeen im Russlandfeldzug 1812/1813 und in der Völkerschlacht bei Leipzig (Oktober 1813). In die Zwischenzeit fielen Aufstände der Bevölkerung gegen die Besatzer, die zu den ersten Auflösungserscheinungen in den von Napoleon besetzten Gebieten überhaupt gehörten. Sie nahmen in Teilen der späteren Großstädte Wuppertal und Solingen im Januar 1813 ihren Anfang und dehnten sich in den oberbergischen und märkischen Raum aus. Der Anlass der teils spontanen, teils organisierten Ausschreitungen, die sich in erster Linie gegen die lokalen Verwaltungseinrichtungen richteten, war die 1812/1813 verschärfte Praxis der militärischen Rekrutierung. Darüber hinaus hatte die rigide Wirtschaftspolitik Napoleons in den stark auf den Export orientierten Gewerbeorten der Region eine massive Verschlechterung der sozialen Verhältnisse bewirkt. Napoleon beorderte von der Festung Wesel ein massives Militärkommando, das die Aufstände der im Volksmund so genannten „Knüppelrussen“ mit Gewalt niederschlug und nachfolgend standrechtliche Bestrafungen der Aufrührer vornahm.
Wenig später, in der zweiten Oktoberhälfte 1813, nahmen vereinigte Truppen das Gebiet des Großherzogtums ein. Am 10. November standen Kosaken als erste der Verbündeten in Düsseldorf. Das Großherzogtum wurde schon am 15.11.1813 formell aufgelöst und durch Preußen in Person von Justus Gruner (1777-1822) als „Generalgouvernement Berg“ in Besitz genommen. Dieses provisorische Gebildete fiel auf Beschluss des Wiener Kongresses (September 1814 – Juni 1815) dauerhaft dem preußischen Staat zu und verteilte sich künftig auf die Provinz Westfalen und die später sogenannte Rheinprovinz.
5. Bilanz und Nachwirkung
Die Geschichte des Großherzogtums wurde auf deutscher Seite lange als negative Episode im Zusammenhang der napoleonischen „Fremdherrschaft“ gesehen. Hingegen vollzogen sich unter der französischen Herrschaft wichtige Reformen in den Bereichen Recht und Verwaltung. Deren Anfänge verzögerten sich allerdings bis November 1808, nachdem Napoleon das Großherzogtum nach dem Vorbild Frankreichs verwaltungstechnisch in die Departements Rhein, Sieg, Ruhr und Ems mit insgesamt 12 Arrondissements hatte aufteilen lassen.
Vor allem wurde nun das traditionelle adlige Privilegiensystems beschnitten. An die Schaffung einer Verfassung hatte Napoleon allerdings nicht gedacht: Erst 1812 ließ er ein Ständekollegium vermögender Bürger zu, das unter dem Druck der Ereignisse aber niemals zusammenkommen sollte. Während es in manchen Bereichen schier an der Zeit und Gelegenheit zur Umsetzung der Reformen fehlte, kann insgesamt kein Zweifel daran bestehen, dass das Großherzogtum in den Augen Napoleons von Anfang bis Ende vorrangig militärische Zwecke hatte.
Literatur
Engelbrecht, Jörg, Das Großherzogtum Berg als napoleonischer Modellstaat, in: Klueting, Harm (Hg.), 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluß. Säkularisation, Mediatisierung und Modernisierung zwischen Altem Reich und neuer Staatlichkeit, Münster i.W. 2005, S. 253-264.
Kandil, Mahmoud, Sozialer Protest gegen das napoleonische Herrschaftssystem. Äußerungen der Bevölkerung des Großherzogtums Berg 1808-1813 aus dem Blickwinkel der Obrigkeit, Aachen 1995.
Rob, Klaus (Hg.), Regierungsakten des Großherzogtums Berg, München 1992.
Schmidt, Charles, Le Grand-Duché de Berg. Étude sur la domination française en Allemagne sous Napoléon Ier, Paris 1905 (dt. Ausgabe unter dem Titel: Das Großherzogtum Berg 1806-1813, hg. von Burkhard Dietz/Jörg Engelbrecht, Neustadt/Aisch 1999).
Online
Berding, Helmut, Das Königreich Westphalen als napoleonischer Modellstaat (1807-1813) (Abdruck eines Vortrags des Verfassers, Göttingen 1973). [Online]
Kandil, Mahmoud, Sozialer Protest gegen das napoleonische Herrschaftssystem im Großherzogtum Berg 1808-1813(2003) (Website der Friedrich-Ebert-Stiftung). [Online]
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Laux, Stephan, Großherzogtum Berg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Orte-und-Raeume/grossherzogtum-berg/DE-2086/lido/57d11981116210.76405013 (abgerufen am 03.12.2024)