Zu den Kapiteln
Als der Bischof von Fulda, Dr. Adolf Bolte, Protektor der "Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen", am 21.4.1964 in der Krypta der Bonifatius-Kapelle zu Fulda die Gedächtnisstätte einweihte, trug sie folgende Bestimmung: "Das Gedächtnis an die Opfer aus der kath. Männerwelt, die in den Jahren 1933 bis 1945 während der NS-Herrschaft ihr Leben lassen mussten, wachzuhalten." Zu diesem Zweck wurde im gleichen Jahr das Buch "Unseren Toten von 1933 bis 1945" der Öffentlichkeit übergeben, das die Namen all derer aufführt, "die um ihres Glaubens willen im geistigen Widerstand noch im unmittelbaren Einfluss des Gewaltregimes" unter Torturen zu Tode kamen. Der Monat Juni enthält zehn Namen; unter ihnen befindet sich der Diplom-Ingenieur und Stadtbaurat im schlesischen Waldenburg, Kuno Kamphausen, der im Gefolge der Röhm-Affäre 1934 eines gewaltsamen Todes gestorben ist.
Kamphausen kam am 27.11.1900 in Krefeld als Sohn des Möbelkaufmanns Conrad Karl Adolph Kamphausen (1876-1959) und seiner Ehefrau Auguste Wilhelmine, geborene Schmitz (1876-1955) zur Welt. Die Mutter stammte aus Krefeld, der Vater aus Mönchengladbach. Aus der Ehe gingen fünf Söhne hervor. Der Sohn Kuno wuchs in der schnell wachsenden Großstadt Krefeld heran, bis die Familie 1911 nach Mönchengladbach umzog, wo sie eine Möbelfabrik und ein Stuhllager besaß. Kamphausen besuchte in Mönchengladbach die Städtische Oberrealschule und bestand im Jahre 1920 das Abitur. Anschließend begann er an der Technischen Hochschule Darmstadt das Studium der Architektur, er sich der KDStV Nassovia an, einer Verbindung im CV anschloss. Am 19.1.1926 legte Kamphausen an der Technischen Hochschule Darmstadt seine Prüfungen zum Diplom-Ingenieur mit Erfolg ab. Er wechselte anschließend zur Promotion an die Technische Hochschule Aachen. Auch dort zeigte er sich als Freund der Korporationen und übernahm im Sommersemester 1926 bei der KDSTV Bergland das Amt des Fuchsmajors, verfasste das Bergland-Bundeslied und gab die Bergland-Briefe heraus. Mit dieser Studentenverbindung war er durch seinen Bruder Adolph verbunden, der sich um deren Verlegung aus dem sächsischen Freiberg nach Aachen im Jahre 1925 ebenso verdient gemacht hatte wie bei der Übernahme des Seniorates. Über seine berufliche Arbeit hinaus, insbesondere bei der Erstellung des Erweiterungsbaus des Aachener Krankenhauses und verschiedener Privatbauten, fertigte Kamphausen den Entwurf für den Neubau eines Berglandhauses an und übernahm auf unentgeltlicher Basis die Bauleitung. Nach dessen Fertigstellung ehrten ihn die Verantwortlichen von Bergland am 12.6.1931 mit dem Ehrenband.
Ohne an der Technischen Hochschule Aachen promoviert worden zu sein, erhielt er 1932 bei der niederschlesischen Stadt Waldenburg die Stelle des Stadtbaumeisters (Architekt) .Die im Jahre 1290 gegründete Kreisstadt im Regierungsbezirk Breslau zwischen Hirschberg und Glatz im grünen Kranz des Waldenburger Bergkessels gelegen, hatte in der Vergangenheit Bekanntheit durch den Bergbau auf Silber, Blei und Kohle, aber auch durch Tuch- und Leinenherstellung erlangt. Als überzeugter Katholik und Mitglied der Zentrumspartei geriet Kamphausen freilich schon bald in ein schwieriges Umfeld, denn die Stadt erwies sich als von Nationalsozialisten dominiert. Konflikte, nicht zuletzt wegen der weltanschaulichen Gegensätze, konnten nicht ausbleiben.
Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers am 30.1.1933 änderte sich das politische Leben in Deutschland. Kamphausen war vorgewarnt, nicht zuletzt aufgrund des unter der Bezeichnung „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom Reichstag am 23.1.1933 verabschiedeten Ermächtigungsgesetzes, aber auch bedingt durch die Umstände, die zur Selbstauflösung der Zentrumspartei im Juli 1933 führten. Ernst Röhm (geboren 1887), seit Herbst 1930 Stabschef der SA, verlangte die „Zweite Revolution“ sowie für seine SA die Anerkennung als Volksarmee. Hitler ernannte ihn im Dezember 1933 zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich, entschloss sich dann aber zu einer gewaltsamen Lösung des Problems: Röhm wurde im Rahmen einer groß angelegten Mordaktion am 30.6.1934 verhaftet und am Tag darauf in seiner Münchener Zelle erschossen. Im Gefolge der Röhm-Affäre mussten dem Regime missliebige Persönlichkeiten ihr Leben lassen, darunter auch engagierte Katholiken, wie der Berliner Leiter der Katholischen Aktion, Dr. Erich Klausener, der Reichsführer der Deutschen Jugendkraft, Adalbert Probst (1900-1934), der Hauptschriftleiter der Münchener Zeitung "Der gerade Weg", Dr. Fritz Michael Gerlich (1883-1934), und auch Kamphausen.
Am Nachmittag des 30.6.1934 fand in Waldenburg ein geheimer Alarm der SS statt, bei dem der Standartenführer „freie Hand" gab mit der Losung: „Was am 30. Januar 1933 versäumt worden ist, kann jetzt nachgeholt werden". Dabei fielen die Namen des Oberbürgermeisters, des Schlachthofdirektors, des Leiters des Rechnungsamtes und des Stadtbaumeisters. Anschließend wurde ein Rollkommando gebildet, das mit neun Mann, drei von ihnen mit Pistolen bewaffnet, und zwei Kraftfahrzeugen ausgerüstet war. Kamphausen wurde in seiner Wohnung, wo er mit seiner Ehefrau Elisabeth lebte, gegen 22.45 Uhr angetroffen. Es wurde ihm erklärt, er müsse zum Kreisleiter kommen, der ihn umgehend zu sprechen wünsche. Kamphausen folgte, musste aber bald erkennen, dass er entführt worden war. Vor der Stadt hielten die Wagen des Rollkommandos an, ließen Kamphausen aussteigen und an den Straßenrand treten. Der SS-Mann, der schon in der Wohnung das Wort geführt hatte, trat an Kamphausen heran und fragte: „Was haben Sie verbrochen?" Als Kamphausen antwortete, er wisse nicht, was hier vor sich gehe, zog jener seine Pistole und streckte ihn mit drei Schüssen nieder. Als Kamphausen in den Straßengraben fiel, rief der Mörder: „Einsteigen, weiterfahren!" Das Fuldaer Totenbuch von 1964 hält diesen Tatbestand fest mit dem Hinweis, Kamphausen sei „vor der Stadt Waldenburg von der SS erschossen" worden.
Maria Kamphausen, die Witwe, rief unverzüglich, nachdem ihr Ehemann aus der Wohnung weggeholt worden war, den Oberbürgermeister an, ohne ihn erreichen zu können. Als sie die Polizei um Hilfe bat, erhielt sie zur Antwort: „In dieser Nacht, in der die SS die Macht ergreift, kann die Polizei nichts unternehmen". Am Morgen des 1.7.1934 wurde Kamphausens Leiche von Männern eines Nachbarortes am Tatort gefunden. Am späten Abend gegen 22.15 Uhr erschienen der SS-Standartenführer Makosch und sein Truppenführer Merle, der amtierende Landgerichtspräsident in Schweidnitz mit einem SS-Mann und suchten die Zeugenaussagen des Bruders Adolph Kamphausen und die des Dienstmädchens, die bei der Verhaftung in der Wohnung Kamphausens anwesend gewesen waren, zu erschüttern. Diese hatten die Männer vom Mordkommando aus nächster Nähe gesehen und erklärt, es seien Uniformierte der Totenkopf-SS gewesen. Obwohl sie aussagen sollten, es seien SS-Leute in der normalen Uniform gewesen, bestanden beide auf ihrer Aussage, die in der Folgezeit inhaltlich voll bestätigt wurde.
Adolph Kamphausen und der Waldenburger Oberbürgermeister setzten alles daran, gegen die Mörder ein Gerichtsverfahren auf den Weg zu bringen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit fand vom 24.-26.9.1934 vor dem Schwurgericht Breslau gegen acht Angeklagte ein Verfahren wegen Mord, Freiheitsberaubung und Amtsanmaßung statt. Das Urteil sprach fünf Angeklagte frei, die drei Anstifter erhielten fünf, zwei und ein Jahr Gefängnis. Am Rande kam ein neuer Gesichtspunkt im Zusammenhang mit der Ermordung Kamphausens ans Tageslicht: Ein kaufmännischer Angestellter hatte Kamphausen offensichtlich aus Rache auf die Liste zu ermordender Personen gesetzt, weil es zwischen Adolph Kamphausen und ihm zu Differenzen gekommen war. Der Oberbürgermeister erklärte als Zeuge vor Gericht, dass Kamphausen „ein vollkommen unpolitischer Mensch war, der ganz in seiner Arbeit aufging".
Die Leiche Kamphausens wurde in das hessische Ried nach Lorsch am Rhein überführt, wo seine Frau herstammte. Auf dem dortigen Friedhof fand er seine letzte Ruhestätte. Der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen (Episkopat 1933-1946) spielte in seiner Predigt vom 9.2.1936 in Xanten auf die katholischen Opfer der Röhm-Affäre an, als er ausrief: Es gibt in deutschen Landen frische Gräber, in denen die Asche solcher ruht, die das katholische Volk für Märtyrer des Glaubens hält, weil ihr Leben ihnen das Zeugnis treuester Pflichterfüllung für Gott und Vaterland, Volk und Kirche ausstellt.(Gruber, S. 272).
Quellen
Archiv der Katholischen Deutschen Studentenvereinigung Nassovia zu Darmstadt im CV, Darmstadt.
Stadtarchiv Krefeld; NS-Dokumentationsstelle Krefeld.
Stadtarchiv Mönchengladbach; ADG 27.426.
Bischöfliches Diözesanarchiv Aachen; Historisches Archiv des Erzbistums Köln; Archiv der Apostolischen Visitatur Breslau.
Gruber, Hubert, Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1930-1945. Ein Bericht in Quellen, Paderborn 2005, S. 271-273.
Schriftliche Mitteilungen von Günter Kamphausen, Mönchengladbach, vom 8.6.2004.
Literatur
Baltes, Johannes, Das katholische Leben im Krefelder Raum seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Rechtsform: Dekanate, Auspfarrungen, Region, Pastoralverbände, in: Bungartz, Edmund (Hg.), Katholisches Krefeld. Streiflichter aus Geschichte und Gegenwart, Krefeld 1974, S. 165-177.
Gesellschaft für Studentengeschichte und studentisches Brauchtum (Hg.), Widerstand und Verfolgung im CV. Die im Zweiten Weltkrieg gefallenen CVer. Eine Dokumentation, München 1983, 116-118.
Steffens, Hermann, Akademikerverbände in Krefeld. CV / KV/ Unitas, in: Düppengießer, Adolf (Hg.), Katholisches Krefeld 2. Streiflichter aus Geschichte und Gegenwart, Krefeld-Hüls 1988, S. 307-332.
Selig, Wolfram, Ermordet im Namen des Führers. Die Opfer des Röhm-Putsches in München, in: Becker, Winfried/Chrobak, Werner (Hg.), Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Katholizismus. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dieter Albrecht, Kallmünz/Opf. 1992, S. 341-356.
Kißener, Michael, Der "Röhmputsch" und die deutschen Katholiken, in: "Unterwegs zur Einheit". 92. Deutscher Katholikentag 29.6.-3.7.1994 in Dresden. Dokumentation. Hg. vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, Kevelaer 1994, S. 419-429.
Moll, Helmut, Artikel Kuno Kamphausen, in: Moll, Helmut (Hg.), Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, Paderborn [u.a.], 5., erweiterte und aktualisierte Auflage 2010, Band 2, S. 1280-1284.
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Moll, Helmut, Kuno Kamphausen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/kuno-kamphausen/DE-2086/lido/57c931ae83c5e3.60478804 (abgerufen am 07.12.2024)